842. Sitzung des Bundesrates am 14. März 2008
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Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Ausschuss für Kulturfragen (K) und der Rechtsausschuss (R) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat teilt die Auffassung der Kommission, dass die Nutzung von "kreativen Inhalten" im Internet eine Vielzahl von Herausforderungen mit sich bringt.
- 2. Der Bundesrat begrüßt daher die Bemühungen der Kommission, weitere Maßnahmen einzuleiten die die Entwicklung innovativer Geschäftsmodelle und die grenzüberschreitende Bereitstellung verschiedener Dienste im Online-Bereich fördern soll.
- 3. Er betont die auch in der Mitteilung angesprochene Bedeutung des Urheberrechts in diesem Bereich. Insbesondere aus dieser Sicht nimmt er zu den in der Mitteilung angesprochenen Punkten wie folgt Stellung:
- Zu 2.1. (Verfügbarkeit kreativer Inhalte)
- 4. Eine Regelung für "verwaiste Werke" bedarf sorgfältiger Prüfung. Hohe Transaktionskosten können für sich genommen keine Rechtfertigung dafür sein geschützte Werke ohne Zustimmung der Urheber zu nutzen. Das gilt nicht nur im Hinblick auf vermögensrechtliche Interessen der Urheber, sondern auch zur Wahrung ihrer urheberpersönlichkeitsrechtlichen Befugnisse.
Dass Werke wirtschaftlich oder gesellschaftlich "unproduktiv" sind, ändert hieran nichts. Letztlich handelt es sich um eine ähnliche Problematik wie bei der Übergangsregelung für unbekannte Nutzungsarten im deutschen Recht ( § 137l UrhG). Dort ist ein Widerspruchsrecht des Urhebers (§ 137l Abs. 1 UrhG) und ein Anspruch auf gesonderte angemessene Vergütung (§ 137l Abs. 5 UrhG) vorgesehen; zumindest derartige "Sicherungen" wären auch bei "verwaisten" Werken erforderlich.
- Zu 2.2. (Gebietsübergreifende Lizenzen für kreative Inhalte)
- 5. Auf den ersten Blick spricht bei der Verwertung von Werken im Internet viel dafür, dass länderübergreifende Nutzungsrechte eingeräumt werden.
Auf der anderen Seite weist die Kommission zu Recht darauf hin, dass in Europa weiterhin ein Bündel von territorialen Urheberrechten besteht. Vor diesem Hintergrund ist die in der Mitteilung geschilderte Zurückhaltung der Rechteinhaber nachvollziehbar. Im Bereich der kollektiven Verwertung durch Verwertungsgesellschaften ist eine länderübergreifende Wahrnehmung der Rechte aufgrund der Gegenseitigkeitsverträge zwischen den Verwertungsgesellschaften möglich. Ein Ausbau dieses Systems würde eine länderübergreifende Lizenzierung des Repertoires aller beteiligen Verwertungsgesellschaften ermöglichen wie es bereits bei bestimmten Nutzungsformen (Simulcasting/Webcasting) im Hinblick auf die Rechte von ausübenden Künstlern und Tonträgerherstellern der Fall ist. Die in der Mitteilung angesprochene Empfehlung der Kommission für die länderübergreifende kollektive Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten, die für legale Online-Musikdienste benötigt werden, stellt aber dieses System von Gegenseitigkeitsverträgen in Frage. Die Empfehlung ist deshalb vielfach - nicht zuletzt durch das Europäische Parlament (Entschließung vom 13. März 2007 zu der Empfehlung der Kommission) - kritisiert worden. Hintergrund ist, dass der Verzicht auf Gegenseitigkeitsverträge dazu führen würde, dass kleinere nationale Verwertungsgesellschaften in ihrer Existenz bedroht wären. Dies hätte aber unmittelbare Auswirkungen auf die kulturelle Vielfalt in Europa. Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags "Kultur in Deutschland" hat deshalb der Bundesregierung empfohlen, sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass die Empfehlung nicht weiterverfolgt wird (BT-Drucksache 016/7000, S. 285). Der Bundesrat teilt diese kritischen Positionen und ist der Auffassung, dass die Frage gebietsübergreifender Lizenzen für kreative Inhalte sehr sorgfältig unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf die kulturelle Vielfalt geprüft werden muss.
- Zu 2.3. (Interoperabilität und Transparenz der Systeme zur Verwaltung digitaler Rechte [DRM-Systeme])
- 6. Der Bundesrat teilt die Auffassung der Kommission, dass DRM-Systeme geeignete Möglichkeiten bieten, Rechteinhaber zu schützen und einen wohlverstandenen Ausgleich zum Informationsbedürfnis der Verbraucher und Verbraucherinnen herzustellen.
- 7. Die Kommission weist jedoch zu Recht darauf hin, dass Rechteinhaber - insbesondere im Musikbereich - zunehmend auf den Einsatz von DRM-Systemen verzichten weil sie auf Nutzerseite nicht akzeptiert werden.
Hierfür sind neben fehlender Interoperabilität auch Fragen des Datenschutzes sowie - generell - der erschwerte Zugang ursächlich. Auf der anderen Seite können transparente DRM-Systeme die Akzeptanz für die Nutzer erhöhen und ermöglichen eine individuelle Verwertung bestimmter Werke. Die weitere Entwicklung in diesem Bereich sollte abgewartet werden. Dies gilt auch für die Frage, ob und ggf. welche Standards sich am Markt durchsetzen.
- 8. Der Bundesrat bittet darum sicherzustellen, dass im Bereich der Hochschulen und anderer Institutionen, die ein berechtigtes Interesse am freien Zugang zu Informationen haben, DRM-Systeme nur im angemessenen Umfang zur Anwendung kommen. Es muss gewährleistet sein, dass Informationen, deren inhaltlicher Wert insbesondere im Bereich der Bildung von öffentlichem Interesse ist, weitestgehend zugänglich sind. Der Bundesrat verweist in diesem Zusammenhang auch auf seine Stellungnahme zum zweiten Gesetz zur Regelung des Urheberrechts (BR-Drucksache 582/07(B) ), aus der hervorgeht, dass im Bereich Bildung, Wissenschaft und Forschung in der Wissens- und Informationsgesellschaft besondere Belange berücksichtigt werden müssen. Diese der Stellungnahme intendierte Überlegung sollte auch bei der vorliegenden Mitteilung der Kommission berücksichtigt werden.
- 9. In diesem Zusammenhang erinnert der Bundesrat auch an das Grundsatzpapier der Kommission "Über wissenschaftliche Informationen im Digitalzeitalter" vom 14. Februar 2007, KOM (2007) 56 endg., in dem sich die Kommission u. a. einer Ministererklärung der OECD (OECD Ministerial Declaration on Access to Research Data from Public Funding, 2004) anschließt, wonach "Forschungsdaten von vollständig öffentlich finanzierter Forschung im Prinzip allen zugänglich sein sollten." Außerdem hat die EU insbesondere "die Notwendigkeit klarer Strategien zur digitalen Bewahrung wissenschaftlicher Informationen" im Blick. Sie hält allgemein Maßnahmen für notwendig, "die zu besserem Zugang zu und weiterer Verbreitung von wissenschaftlichen Informationen führen". Dabei beruft sie sich unter anderem auf die von knapp 200 Wissenschaftsorganisationen gestützte sogenannte "Berliner Erklärung" zur Verbreitung von Wissen gemäß der Open-Access-Prinzipien (Berlin Declaration on Open Access to Knowledge in the Sciences and Humanities, 2003).
- Zu 2.4. (Legale Angebote und Piraterie)
- 10. Der Bundesrat teilt die Auffassung der Kommission, dass es sich bei der Internetpiraterie um ein zentrales Problem bei der digitalen Verwertung von geschützten Werken handelt. Er weist in diesem Zusammenhang auf seine Stellungnahme zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums (BR-Drucksache 064/07(B) ) hin. Eine Verbesserung der Situation setzt voraus, dass den Rechteinhabern effektive Maßnahmen ermöglicht werden, um gegen Rechtsverletzungen vorzugehen. Dazu gehören unter anderem ein Schadensersatzanspruch, der nicht lediglich dazu führt, dass der Verletzer die einfache Lizenzgebühr zu zahlen hat, und insbesondere ein praktikabler - und erfüllbarer - zivilrechtlicher Auskunftsanspruch gegenüber Internetprovidern.
In seinem Urteil vom 29. Januar 2008 (C-275/06) hat der EuGH festgestellt dass das Gemeinschaftsrecht es den Mitgliedstaaten zwar nicht vorschreibt aber erlaubt, eine Pflicht zur Weitergabe personenbezogener Daten im Rahmen eines zivilrechtlichen Verfahrens vorzusehen. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die Achtung des Privatlebens mit dem Eigentumsrecht und dem Recht auf wirksamen Rechtsbehelf in ein angemessenes Gleichgewicht zu bringen. Neben gesetzlichen Regelungen können dazu auch die von der Kommission angesprochenen freiwilligen Vereinbarungen zwischen Rechteinhabern, Internetprovidern und Verbrauchern sinnvoll sein wenn jede Seite den ihrer Verantwortung und ihren Möglichkeiten entsprechenden Teil zur Lösung dieses zentralen Problems beiträgt. Eine entsprechende Bereitschaft der betroffenen Kreise wäre zu begrüßen.
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- 11. Der Wirtschaftsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.