Übermittelt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie am 23. Oktober 2009 gemäß § 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union vom 12. März 1993 (BGBl. I S. 313), zuletzt geändert durch das Föderalismusreform-Begleitgesetz vom 5. September 2006 (BGBl. I S. 2098).
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat die Vorlage am 19. Oktober 2009 dem Bundesrat zugeleitet.
Die Vorlage ist von der Kommission am 20. Oktober 2009 dem Generalsekretär/Hohen Vertreter des Rates der Europäischen Union übermittelt worden.
Hinweis: vgl.
Drucksache 108/98 = AE-Nr. 980346,
Drucksache 499/08 (PDF) = AE-Nr. 080519,
Drucksache 524/08 (PDF) = AE-Nr. 080560 und AE-Nr. 061485
Mitteilung der Kommission
Urheberrechte in der wissensbestimmten Wirtschaft (Text von Bedeutung für den EWR)
1. Einleitung
Schaffung, Verkehr und Verbreitung von Wissen im Binnenmarkt stehen in einem direkten Zusammenhang mit der Verwirklichung der übergeordneten Ziele der Lissabon-Strategie. Die technische Entwicklung hat für eine breite Verfügbarkeit von Informationen in elektronischer Form gesorgt.
Bibliotheken interessieren sich für Massendigitalisierungsprojekte, weil sie ihre Archive bewahren und deren Inhalte online verbreiten möchten, darunter auch verwaiste Werke (geschützte Werke, deren Rechteinhaber nicht ermittelt oder ausfindig gemacht werden können). Forschungs- und Bildungseinrichtungen wünschen sich eine größere Flexibilität bei der Verbreitung von Bildungsmaterial, z.B. auch im Rahmen eines grenzüberschreitenden Fernunterrichts. Menschen mit Behinderungen stoßen beim Zugang zu Informationen oder Wissensprodukten noch immer auf Hindernisse. Insbesondere Sehbehinderte drängen auf Stillung ihres Lesehungers, denn nur 5 % der europäischen Veröffentlichungen gibt es in barrierefrei zugänglichen Formaten - eine Situation, die durch Beschränkungen des grenzüberschreitenden Vertriebs, selbst zwischen Ländern mit der gleichen Sprache, noch weiter verschlechtert wird.
Verleger und Autoren befürchten, die Verletzung ihrer Urheberrechte sowie Einkommenseinbußen, wenn ihre Werke infolge der von Bibliotheken finanzierten oder sonstiger Massendigitalisierungsprojekte ohne sorgfältige Suche nach den Rechteinhabern online verbreitet werden. Die Verleger behaupten, dass sie ohnehin etwa 90 % der wissenschaftlichen Zeitschriften online zur Verfügung stellen, neue und innovative elektronische Bereitstellungsmodelle (z.B. e-Books) auch für den Fernunterricht erkunden und Sehbehinderten Zugang gewähren.
Vor diesem Hintergrund führte die Kommission eine öffentliche Konsultation zu ihrem Grünbuch über Urheberrechte in der wissensbestimmten Wirtschaft1 durch. Es sollte untersucht werden, wie im Hinblick auf die bestehenden Urheberrechtsvorschriften, vor allem die Richtlinie zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ("die Richtlinie")2 eine weite Wissensverbreitung im Binnenmarkt und vor allem im Online-Umfeld erreicht werden könnte. Diese Mitteilung gibt einen Überblick über die Ergebnisse der Konsultation und kündigt eine Reihe von Vorbereitungsarbeiten an, die eine solide Grundlage für konkrete Folgeinitiativen bilden werden, die von der nächsten Kommission als Teil einer ehrgeizigen und umfassenden Strategie für den Schutz der Rechte an geistigem Eigentum vorzulegen sein werden.
2. Grünbuch und öffentliche Konsultation
Im Grünbuch wurde auf allgemeine Fragen im Zusammenhang mit Ausnahmen von ausschließlichen Rechten eingegangen. Ferner wurde untersucht, ob bestimmte Ausnahmen, die für die Wissensverbreitung von größter Bedeutung sind, geschaffen werden sollten. Auch die Frage der vertraglichen Vereinbarungen und Lizenzmodelle wurde erörtert. Es wurde untersucht ob Ausnahmen und Beschränkungen insbesondere im Zusammenhang mit Bibliotheken und Archiven, Bildungs- und Forschungseinrichtungen und Menschen mit Behinderungen im Zeitalter der digitalen Verbreitung weiterentwickelt werden sollten.
Angesprochen wurden auch Fragen in Bezug auf verwaiste Werke und Verbraucherfragen, z.B. bezüglich der von Nutzern selbst erstellten Inhalte.
Im Rahmen der Konsultation gingen bei der Kommission 372 Antworten ein. Die Stellungnahmen kamen von:
- (i) Verlegern (56);
- (ii) Verwertungsgesellschaften und Lizenzierungsstellen (47);
- (iii) Universitäten (47);
- (iv) Bibliotheken, Archiven und Museen (114);
- (v) Unternehmen und Branchenverbänden (30);
- (vi) Behindertenverbänden (4);
- (vii) Mitgliedstaaten (11) und
- (viii) Sonstigen (63).
Im Großen und Ganzen ergaben sich zwei unterschiedliche Standpunkte. Bibliotheken, Archive und Universitäten setzen sich für das "öffentliche Interesse" ein und befürworten ein weniger einschränkendes Urheberrechtssystem. Dagegen argumentieren Verleger, Verwertungsgesellschaften und andere Rechteinhaber, dass der beste Weg zur Wissensverbreitung und zu einem größeren und effektiveren Zugang zu den Werken über Lizenzvereinbarungen führt.
Bibliotheken und Hochschulkreise erklären dazu, dass einige Ausnahmen für die Wissenswirtschaft wichtiger sind als andere. Um den "Zugang zum Wissen zu erleichtern", befürworten sie einen verbindlichen Kern von Ausnahmen "im öffentlichen Interesse"3.
Außerdem erwarten sie, dass diese Ausnahmen nicht durch technische Schutzvorkehrungen ausgehöhlt werden. Die Grenzen des Urheberrechts sollten besser durch den Gesetzgeber gezogen werden.
Verleger, Verwertungsgesellschaften und andere Rechteinhaber sind der Meinung, dass ein ebenso befriedigendes Ergebnis auch mit Verträgen erreicht werden könne, die oft auf neue Technologien zugeschnitten werden. Verleger erklären, dass verbindliche Ausnahmen die wirtschaftlichen Anreize zunichte machen und Trittbrettfahrer ermuntern könnten.
Mit dem Aufkommen einer Online-Kultur, die von Austausch und gemeinsamer Nutzung, Datenschürfen und interaktivem Lernen geprägt ist, treten Meinungsunterschiede zutage zwischen jenen, die auf ein weniger einschränkendes Urheberrechtssystem drängen, und denjenigen die den derzeitigen Status Quo bewahren möchten4. Die Herausforderung besteht darin diese Interessen miteinander zu vereinbaren. Dafür stehen der Kommission mehrere Politikinstrumente zur Verfügung.
3. Nächste Schritte: Weiterentwicklung der Konsultationsergebnisse
In diesem Teil der Mitteilung werden die hauptsächlichen Erkenntnisse aus der Konsultation in Bezug auf folgende Themen dargelegt: digitale Bewahrung und Verbreitung von wissenschaftlichen und kulturellen Inhalten und Bildungsmaterial, Nutzung verwaister Werke, Zugang zum Wissen für Menschen mit Behinderungen und nutzererstellte Inhalte.
Außerdem wird erläutert, welche Maßnahmen die Kommission zu ergreifen gedenkt, um für die in der Konsultation festgestellten Probleme geeignete Lösungen zu finden.
3.1. Bibliotheken und Archive
Es gibt zwei Hauptprobleme: die Erstellung digitaler Kopien der Bibliotheksbestände zum Zwecke der Bewahrung und die elektronische Bereitstellung dieser Kopien für die Benutzer.
Nach den derzeitigen Rechtsvorschriften genießen Bibliotheken und Archive keine generelle Ausnahme für die Digitalisierung ihrer gesamten Bestände (Massendigitalisierung). Die einschlägige Ausnahme beschränkt sich auf bestimmte Vervielfältigungshandlungen zu nicht kommerziellen Zwecken5. Für die Digitalisierung ganzer Bibliotheksbestände ist daher die vorherige Zustimmung der Rechteinhaber erforderlich. Dazu bemerken die Bibliotheken, dass das System der "vorherigen Zustimmung" mit einem erheblichen Verfahrensaufwand verbunden ist (da die Verleger oft nicht über die "digitalen" Rechte verfügen und die Kosten einer individuellen Abklärung der Rechte zu hoch sind). Zusätzliche Probleme entstehen, wenn das zu digitalisierende Material aus unveröffentlichten Briefen, privaten Tagebüchern oder Geschäftsaufzeichnungen besteht. In diesem Zusammenhang unterstreichen Bibliotheken und Archive ihre herausragende Stellung bei der langfristigen Bewahrung und Verwaltung des Kulturerbes. Sie betonen, dass ihre Rolle weit über die der Verleger hinausgeht, weil sie ihren Auftrag im öffentlichen Interesse wahrnehmen, während die Verleger kommerzielle Produktionsunternehmen sind. Einrichtungen von öffentlichem Interesse möchten ihre Bestände online zur Verfügung stellen, vor allem auch Werke, die kommerziell nicht erhältlich sind, und argumentieren, dass dies nicht ausschließlich auf den Zugang innerhalb ihrer Räumlichkeiten beschränkt werden sollte6. Das Problem der Digitalisierung wurde in der hochrangigen Expertengruppe zu digitalen Bibliotheken ausführlich bis zum Erreichen eines ersten Konsens erörtert. Kultureinrichtungen und Rechteinhaber unterzeichneten sogar eine Absichtserklärung in Bezug auf die sorgfältige Suche. Verbindliche Lösungen für die genannten Probleme sind bislang aber noch nicht gefunden worden.
Verleger und Verwertungsgesellschaften sehen keinerlei Rechtfertigung für eine Ausweitung der für Bibliotheken und Archive bereits bestehenden Ausnahmen in Bezug auf die Bewahrung und Bereitstellung. Sie befürworten die Beibehaltung des bestehenden Systems aus Lizenzregelungen und vertraglichen Vereinbarungen auch für die Digitalisierung und den verstärkten Online-Zugriff auf die Werke. Sie behaupten, eine Ausweitung der derzeitigen Ausnahmen dahingehend, dass Bibliotheken, Archive und Bildungseinrichtungen Online-Dienste für Endnutzer erbringen dürften, würde die Stellung der Rechteinhaber untergraben und zu einem ungleichen Wettbewerb mit Verlegern führen, die dadurch von Investitionen in neue Geschäftsmodelle abgeschreckt würden. Bibliotheken sollten weiterhin grundlegende Dienste erbringen, aber die Online-Bereitstellung von geschütztem Material dürfe nicht dazu führen dass die Nutzer freien Zugang dazu erhalten oder berechtigt wären, geschützte Werke ohne Bezahlung zu erhalten und zu verwenden. Vorkehrungen gegen ein "digitales Leck" seien unverzichtbar, wenn dafür gesorgt werden soll, dass Bibliotheken aufgrund ihrer Ausnahmen die Werke nur innerhalb ihrer Räumlichkeiten online bereitstellen.
Nächste Schritte Die Konsultation hat verdeutlicht, dass für ein nachhaltiges, auf eine Vielzahl von Bibliotheksinitiativen anwendbares System der vorherigen Genehmigung ein einfaches und kostenwirksames System für die Klärung der Digitalisierungs- und Online-Verbreitungsrechte benötigt wird. Die Kommission wird im Jahr 2010 die Arbeiten auf EU-Ebene fortführen, um auf die diesbezüglichen Urheberrechtsaspekte im Rahmen der neuen Strategie für den Schutz der Rechte an geistigem Eigentum einzugehen. Bei diesen Arbeiten wird es u. a. darum gehen, die rechtlichen Auswirkungen einer Massendigitalisierung zu klären und mögliche Lösungen für das Problem der durch die Klärung der Rechte anfallenden Transaktionskosten zu finden. Dabei sollten alle möglichen Alternativen betrachtet werden, auch die Möglichkeit von Sammellizenzen, die durch ein erweitertes Sammellizenzierungssystem ergänzt werden könnte, bei dem ein Rechteverwalter etwaige "Außenstehende" (Rechteinhaber, die nicht förmlich am Rechteklärungssystems teilnehmen) vertritt, und eine Regelung die auf einer sorgfältigen Suche beruht.
Auf dieser Grundlage wird die Kommission den weiteren Handlungsbedarf abschätzen und im Rahmen der neuen Strategie auch die Möglichkeit einer gesetzlichen Ausnahme für derartige Digitalisierungsbemühungen prüfen.
3.2. Verwaiste Werke
Verwaiste Werke sind Werke, die zwar urheberrechtlich geschützt sind, deren Rechteinhaber aber nicht ermittelt oder ausfindig gemacht werden können. Geschützte Werke können verwaisen wenn Angaben zum Urheber und/oder anderen Rechteinhabern (wie Verlegern, Fotografen oder Filmproduzenten) fehlen oder überholt sind.
Ein Werk darf nur mit vorheriger Genehmigung des Rechteinhabers verwertet werden. Bei verwaisten Werke ist es unmöglich, eine solche vorherige Genehmigung einzuholen. Dies führt dazu, dass Millionen von Werken weder kopiert noch anderweitig verwendet werden dürfen: z.B. darf eine Fotografie nicht zur Illustration eines Presseartikels genutzt werden, ein Buch darf nicht digitalisiert oder ein Film nicht für eine öffentliche Vorführung restauriert werden. Außerdem besteht die Gefahr, dass ein beträchtlicher Teil der verwaisten Werke nicht in groß angelegte Maßnahmen zur Digitalisierung und zur Bewahrung des Kulturerbes wie Europeana oder ähnliche Projekte einbezogen werden kann.
Bibliotheken, Universitäten, Archive, einige kommerzielle Nutzer und mehrere Mitgliedstaaten bemängeln, dass bestehende Instrumente wie die Kommissionsempfehlung 2006/585/EG7 oder die Absichtserklärung von 2008 über verwaiste Werke und die entsprechenden Leitlinien für die gründliche Suche nicht rechtsverbindlich sind und dass darin auf die Frage der Massendigitalisierung nicht eingegangen wird. Da nichtlegislative Initiativen weder hinreichende Rechtssicherheit schaffen, noch das Problem lösen, dass die Verwendung verwaister Werke eine Urheberrechtsverletzung darstellt, befürworten sie eine gesetzgeberische Lösung auf europäischer Ebene, die verschiedene Nutzungen verwaister Werke zulässt. Außerdem wird betont, dass Hindernisse für den innergemeinschaftlichen Handel auftreten können, wenn jeder Mitgliedstaat zur Lösung des Problems seine eigene Regelung trifft.
Für Verleger, Verwertungsgesellschaften und andere Rechteinhaber stellen verwaiste Werke lediglich ein Rechteklärungsproblem dar. Sie stehen einer generellen Ausnahme bezüglich der Nutzung verwaister Werke skeptisch gegenüber. Für sie ist das Hauptproblem, dafür zu sorgen dass nach Treu und Glauben eine gründliche Suche zur Ermittlung und Ausfindingmachung der Rechteinhaber in bestehenden Datenbanken durchgeführt wird8.
Nächste Schritte Übergeordnetes Ziel im Zusammenhang mit der Lösung der Frage der verwaisten Werke - ihrer Digitalisierung, Bewahrung und Verbreitung - ist die Aufstellung gemeinsamer Normen für den Umfang der "gründlichen Suche" nach Eigentümern verwaister Werke und der Aufklärung möglicher Urheberrechtsverstöße bei deren Verwendung. Mit einer Initiative in Bezug auf verwaiste Werke, die das wichtigste Element der neuen umfassenden Strategie für den Schutz der Rechte an geistigem Eigentum ist, sollte eine EU-weite Lösung herbeigeführt werden, die Rechtssicherheit schafft, den für Innovation notwendigen Wissensfluss erleichtert und Hindernisse im innergemeinschaftlichen Handel mit verwaisten Werken ausräumt.
Das Problem der verwaisten Werke wird in einer Folgenabschätzung geprüft, in der mehrere Konzepte für die Erleichterung der Digitalisierung und Verbreitung verwaister Werke untersucht werden. Zu den möglichen Konzepten gehören u. a. ein eigenständiges, rechtsverbindliches Instrument für die Klärung und gegenseitige Anerkennung verwaister Werke, eine Ausnahmeregelung zur Richtlinie von 2001 oder Leitlinien für die grenzüberschreitende gegenseitige Anerkennung verwaister Werke.
Die Kommission wird 2009 mit den Arbeiten an einer Folgenabschätzung beginnen.
3.3. Lehre und Forschung
Dank moderner Informations- und Kommunikationstechnologien werden Unterricht, Lernen und Forschung immer internationaler und grenzübergreifender. Der Zugang zu Informationen und deren Nutzung erfolgt heute nicht mehr auf einen bestimmten Raum beschränkt. Deshalb erscheint eine Begrenzung von Lehre und Forschung auf einen bestimmten Standort als Widerspruch zur modernen Lebenswirklichkeit.
Ein Problem ergibt sich hier aus dem möglichen Unterschied zwischen wissenschaftlichen Veröffentlichungen einerseits und literarischen und künstlerischen Veröffentlichungen andererseits. Während wissenschaftliche und akademische Autoren über andere Einkommensquellen verfügen und ihre Werke veröffentlichen, um die Forschung und Lehre voranzubringen müssen literarische Autoren (z.B. Romanautoren) ihren Lebensunterhalt mit der Veröffentlichung ihrer Werke bestreiten. Um nutzlose Doppelarbeit in der Forschung zu vermeiden sollten die veröffentlichten Ergebnisse sämtlicher mit öffentlichen Mitteln geförderter Forschungsarbeiten für alle Wissenschaftler und sogar für die allgemeine Öffentlichkeit zugänglich sein, denn alle Forschung baut auf der vorangegangenen Forschung auf. Lösungen hierfür bieten "Open-Access"-Veröffentlichungen (Veröffentlichungen für den offenen Zugang) und offene Datensammlungen für veröffentlichte Artikel.
Bibliotheken und Universitäten unterstreichen die Komplexität und Fragmentierung des gegenwärtigen Systems der Lizenzverträge mit Verlegern. Eine europäische Universität müsse üblicherweise Hunderte von Lizenzverträgen über die Nutzung digital vorliegenden Forschungsmaterials mit mehreren Verlegern schließen9. Das Nachforschen, welche Rechte mit jeder dieser Einzellizenzen in Bezug auf Zugang, Drucken, Speichern und Kopieren gewährt werden, sei ein umständliches Verfahren. Außerdem behaupten sie, dass eine grenzübergreifende Lizenzierung innerhalb der EU schwierig wenn nicht gar unmöglich sei.
Bibliotheken und Universitäten erklären, dass es weitaus praktischer und effizienter wäre, wenn es eine zentrale Einrichtung gäbe, die eine breite Palette von Online-Rechten an digitalem Material gewährt. Sie fordern verbindliche Ausnahmen für Lehr- und Forschungszwecke, die auch einen ausdrücklichen Verweis auf den Fernunterricht enthalten sollten. Ferner äußern Bibliotheken und Universitäten Bedenken darüber, dass Abonnementkosten für Zeitschriften ihre Ressourcen schmälern, die sie ansonsten für Forschung und Lehre einsetzten würden10.
Verleger halten dagegen, dass Lizenzregelungen im Gegensatz zu verbindlichen Rechtsvorschriften die notwendige Flexibilität bieten, um den Anforderungen von Lehre und Forschung einschließlich Fernunterricht Rechnung zu tragen. Sie betonen, dass sie Bibliotheken, Bildungs- und Forschungseinrichtungen über verschiedene Lizenzverträge in großem Umfang Zugang zu ihren Datenbanken, Zeitschriften und Büchern gewähren.
Bezüglich der Bereitstellung von Werken für den Fernunterricht oder den Heimgebrauch unterstreichen Verleger und Lizenzierungsstellen, dass gewährleistet sein müsse, dass der Zugang auf jene Zwecke beschränkt bleibt, für die das Material bestimmt ist (nichtkommerzielle Nutzung und Verwendung zu Bildungszwecken).
Nächste Schritte Mit dem Aufkommen des Internet und seiner Möglichkeiten für eine grenzenlose Verbreitung von Wissen und wissenschaftlichen Erkenntnissen hat die Kommission in enger Abstimmung mit den Beteiligten bereits konkrete Maßnahmen zugunsten des offenen Zugangs zu Forschungsergebnissen, die mit öffentlichen Mitteln gefördert wurden ergriffen. Diese Maßnahmen werden gegebenenfalls auch in den kommenden Jahren fortgeführt.
Der Lizenzierungsaufwand einer normalen europäischen Universität sollte verringert werden. Die Kommission wird die Betroffenen zur vorbildlichen Praxis für die Überwindung des fragmentierten Erwerbs von Nutzungsrechten an wissenschaftlichen Zeitschriften durch Universitäten konsultieren.
In Bezug auf den Fernunterricht wird die Kommission die Entwicklung eines integrierten europäischen Raums für den grenzüberschreitenden Fernunterricht weiter beobachten und erforderlichenfalls zusätzliche Begleitmaßnahmen zur Förderung eines solchen europäischen Raums erwägen.
3.4. Menschen mit Behinderungen
Im Mittelpunkt der Diskussion über Urheberrechtsausnahmen zugunsten von Menschen mit Behinderungen steht deren im Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen11 verankerte Grundrecht auf gleichberechtigten Zugang zu Informationsprodukten, Veröffentlichungen und kulturellem Material in zugänglichen Formaten. Die Gleichbehandlung von Menschen mit Behinderungen beim Zugang zu Waren und Dienstleistungen und bei deren Bereitstellung wurde auch in den Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung12 aufgenommen.
Behindertenverbände betonen den sog. "Lesehunger" - nur 5 % der in Europa veröffentlichten Bücher werden jedes Jahr in zugängliche Formate wie Hörbücher, Braille-Schrift oder Großdruck konvertiert. Zudem werden nach ihren Angaben etwa 95 % des verfügbaren Materials von Sondereinrichtungen bereitgestellt, die von Wohltätigkeitsverbänden oder aus öffentlichen Zuschüssen finanziert werden und im Rahmen der Urheberrechtsausnahmen arbeiten. Sehbehinderte und andere lesebehinderte Menschen machen geltend, dass sie unter den gleichen Bedingungen und zu vergleichbaren Preise wie alle anderen Menschen Zugang zu Büchern und anderem geschützten Material haben sollten.
Sie bevorzugen eine Lösung, bei der die Verleger die Werke von sich aus bereits in zugänglichen Formaten bereitstellen, die leicht in Hörformate, Braille-Schrift oder Großdruck konvertiert werden können.
Zwar haben alle Mitgliedstaaten in ihrem nationalen Recht Urheberrechtsausnahmen vorgesehen das Vorgehen ist aber uneinheitlich, so dass eine gewisse Rechtsunsicherheit fortbesteht. Vor allem aber wird die grenzüberschreitende Übertragung des ohnehin geringen Angebots an zugänglichem Material durch die Gebietsbeschränkung der durch nationales Recht gewährten Ausnahmen behindert. Um ein konvertiertes Buch in einen anderen Mitgliedstaat zu exportieren, müsste eine Einrichtung die entsprechenden Lizenzrechte für das Zielland kaufen, was sehr kostspielig ist. Als zusätzliches Hindernis werden technische Schutzvorkehrungen genannt, denn sie verhindern, dass von Einrichtungen oder Privatpersonen rechtmäßig erworbene Werke in zugängliche Formate konvertiert werden. Aus allen diesen Gründen befürworten Behinderte eine umfassende, EU-weit einheitliche und rechtsverbindliche Urheberrechtsausnahme.
Die Verleger räumen ein, dass das Hauptziel darin besteht, die Mehrheit der veröffentlichten Bücher in einem zugänglichen Format zur Verfügung zu stellen. Nach ihrer Ansicht ist dies am besten auf der Grundlage bereits vorhandener freiwilliger Lizenzregelungen zu erreichen und nicht durch verbindlich vorgeschriebene Ausnahmen. Verleger und andere Rechteinhaber verweisen auf eine Reihe von freiwilligen Lizenzregelungen für Seh- oder Lesebehinderte, die es in der gesamten EU gibt13. Sie verweisen darauf, dass die sozialen Kosten der Gewährung des Zugangs zu den Werken nicht allein von den Verlegern getragen werden sollten.
Gleichzeitig äußern sie ihre ausdrückliche Bereitschaft, Zugangsprobleme für Behinderte über eine Plattform aller interessierten Seiten zu lösen, damit geschützte Werke für Sehbehinderte angepasst werden können.
Nächste Schritte Das unmittelbare Ziel ist zunächst die Ermunterung der Verleger, mehr Werke in zugänglichen Formaten für Behinderte bereitzustellen. Das Konvertieren rechtmäßig erworbener Werke in zugängliche Formate sollte nicht durch technische Schutzvorkehrungen verhindert werden. Lizenzverträge sollten den gesetzlichen Ausnahmen Rechnung tragen, die für Menschen mit Behinderungen, darunter auch für Sehbehinderte, gelten14. Die Konsultation hat verdeutlicht, dass überall in der EU vielfältige gemeinsame Anstrengungen zugunsten von Seh- und Lesebehinderten unternommen werden. Solche Maßnahmen sollten beschleunigt und EU-weit zur Anwendung gebracht werden.
Als ersten Schritt wird die Kommission bis Ende 2009 ein Forum der Beteiligten einrichten das sich mit den Bedürfnissen behinderter und vor allem sehbehinderter Menschen befassen soll. Das Forum soll über die vielfältigen Probleme nachdenken, vor denen Menschen mit Behinderungen stehen, und über mögliche politische Maßnahmen nachdenken. Als Messlatte für jegliche Maßnahmen auf diesem Gebiet sollte das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen dienen.
Außerdem sollte das Forum mögliche Wege erörtern, wie die unbehinderte Ausfuhr eines konvertierten Werks in einen anderen Mitgliedstaat ermöglicht und gleichzeitig eine angemessene Bezahlung der Rechteinhaber für die Nutzung ihrer Werke sichergestellt werden kann. Es sollte sich auch mit der gegenseitigen Anerkennung und dem freien Verkehr von Informationen und Veröffentlichungen, Bildungs- und Kulturmaterial in einer für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Form beschäftigen und über Probleme bei der Zugänglichkeit von Online-Inhalten nachdenken.
Gestützt auf die Ergebnisse des Forums wird die Kommission beurteilen, ob weitere Initiativen gerechtfertigt sind.
3.5. Nutzererstellte Inhalte
Mit Anwendungen des Web 2.0 wie z.B. Blogs, Podcasts, Wikis oder Dateitauschbörsen und Videoportalen können die Nutzer leicht Texte, Videos und Bilder selbst produzieren und mit anderen gemeinsam nutzen. Dies treibt die Entwicklung neuer Anwendungen im Internet voran und macht das Problem der nutzererstellten (Amateur-)Inhalte deutlich, denn Verbraucher werden zunehmend selbst zu Schöpfern neuer Inhalte, wobei sie bisweilen auch urheberrechtlich geschütztes Material als Grundlage für ihr Schaffen benutzen.
Im Grünbuch wurde untersucht, welche Ausnahmen bestehen, die möglicherweise für nutzererstellte Inhalte von Belang sind (Zitate zu Zwecken wie Kritik oder Rezensionen, beiläufige Benutzung und Karikaturen, Parodien oder Pastiches)15, und ob möglicherweise eine neue Ausnahme für "kreative, adaptive oder abgeleitete Werke" eingeführt werden sollte.
Wie das Ergebnis der Konsultation zeigt, ist es den meisten Beteiligten zufolge für eine Regulierung der nutzererstellten Inhalte noch zu früh. Einerseits ist die Bedeutung der nutzererstellten Inhalte nicht absehbar, andererseits ist unklar, ob sowohl Amateure als auch professionelle Anbieter unter etwaige Sonderregelungen fallen sollten und wie zwischen beiden Gruppen unterschieden werden kann oder in welchem Verhältnis solche Vorschriften über nutzererstellte Inhalte zu bestehenden Beschränkungen stehen würden, wie sie für Zitate zu Zwecken wie Kritik oder Rezensionen, beiläufige Benutzung und Karikaturen, Parodien oder Pastiches gelten.
Nächste Schritte Nutzererstellte Inhalte sind noch eine recht neue Erscheinung, weshalb die Kommission weiter untersuchen möchte, welche besonderen Bedürfnisse nichtgewerbliche Nutzer haben, die sich auf geschützte Werke stützen, um ihre eigenen Werke zu schaffen. Die Kommission wird weitere Konsultationen über Lösungen für eine einfachere, erschwinglichere und benutzerfreundlichere Klärung der Rechte für Amateure durchführen.
4. Schlussfolgerungen
Als wichtigste Schlussfolgerung aus der dargelegten Diskussion ist festzuhalten, dass die Urheberrechtspolitik so gelenkt werden muss, dass die Herausforderungen, vor denen die internetgestützte wissensbestimmte Wirtschaft steht, mit ihrer Hilfe bewältigt werden können16. Gleichzeitig ist ein ordnungsgemäßer Schutz der Rechte an geistigem Eigentum entscheidend für die Förderung der Innovation in der wissensbestimmten Wirtschaft. Dabei müssen unterschiedliche Interessen sorgfältig gegeneinander abgewogen werden. Die in dieser Mitteilung angekündigten Vorbereitungsarbeiten werden ein geeignetes Fundament für künftige Folgemaßnahmen schaffen, die im Mittelpunkt der künftigen umfassenden Strategie für den Schutz der Rechte an geistigem Eigentum stehen werden. Dazu wird die Kommission weiterhin aktiv das Gespräch mit allen Beteiligten suchen, mit Wissenschaftlern, Bibliotheken und der gesamten internetinteressierten Öffentlichkeit.
Die Kommission ist entschlossen, im Rahmen ihrer künftigen Strategie für den Schutz der Rechte an geistigem Eigentum angemessene Folgemaßnahmen zu ergreifen. Das beste Instrument, um viele der im Grünbuch aufgeworfenen Probleme zu lösen, ist in unmittelbarer Zukunft ein strukturierter, von den Dienststellen der Europäischen Kommission geförderter Dialog zwischen allen Beteiligten. Vorangetrieben werden sollte zunächst vor allem das Gespräch über die Schaffung von Informationsprodukten, Veröffentlichungen und kulturellem Material in Formaten, die für Menschen mit Behinderungen barrierefrei zugänglich sind. Eine weitere Priorität sollte die Suche nach geeigneten Lizenzregelungen für eine Massendigitalisierung im europäischen Kontext darstellen. Überdies wird die Kommission eine Folgenabschätzung durchführen, um die Probleme bei der Klärung der Rechte im Zusammenhang mit verwaisten Werken anzugehen. In dieser Folgenabschätzung wird analysiert werden, in welchem Umfang die sorgfältige Suche erfolgen müsste, bevor verwaiste Werke digitalisiert und genutzt werden können und der Status verwaister Werke europaweit gegenseitig anerkannt werden sollte.
- 1 KOM (2008) 466.
- 2 Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, ABl. L 167 vom 22.6.2001, S. 10-19.
- 3 Zu den Vorschlägen für mögliche verbindliche Ausnahmen von der Richtlinie 2001/29/EG zählen u. a.:
- (i) Privatkopien (Artikel 5 Absatz 2 Buchstabe b);
- (ii) von Bibliotheken, Archiven und Museen angefertigte Reproduktionen (Artikel 5 Absatz 2 Buchstabe c);
- (iii) Nutzung für Zwecke der Bildung und Wissenschaft (Artikel 5 Absatz 3 Buchstabe a);
- (iv) Nutzung durch Behinderte (Artikel 5 Absatz 3 Buchstabe b);
- (v) Nutzung für Zwecke der täglichen Berichterstattung und der Presseschau (Artikel 5 Absatz 3 Buchstabe c) und
- (vi) Nutzung zu Zitatzwecken und für Kritiken und Rezensionen (Artikel 5 Absatz 3 Buchstabe d).
- 4 Der "Dreistufentest" ist in Artikel 10 des WIPO-Urheberrechtsvertrags, in Artikel 16 des WIPO-Vertrags über Darbietungen und Tonträger und in Artikel 5 Absatz 5 der Richtlinie verankert.
- 5 Artikel 5 Absatz 2 Buchstabe c der Richtlinie.
- 6 Nach den derzeit geltenden Urheberrechtsvorschriften ist dies nur zu Zwecken der Forschung und privater Studien auf eigens hierfür eingerichteten Terminals in den Räumlichkeiten der Bibliotheken gestattet.
- 7 Empfehlung 2006/585/EG der Kommission vom 24. August 2006 zur Digitalisierung und Online-Zugänglichkeit kulturellen Materials und dessen digitaler Bewahrung.
- 8 Mehrere Verleger, Verwertungsgesellschaften und Bibliotheken haben begonnen, im Rahmen des EU geförderten Projekts ARROW (Accessible Registries of Rights Information and Orphan Works) zusammenzuarbeiten, um Anwendern, die ihre Sammlungen digitalisieren wollen, Informationen über den Status geschützter Werke zur Verfügung zu stellen. Das Projekt ARROW gilt als ein wichtiger erster Schritt, bezieht aber bislang noch nicht alle EU-Mitgliedstaaten ein. Außerdem ist ARROW nicht berechtigt Lizenzen für das Scannen und Verbreiten geschützter Werke zu vergeben.
- 9 Siehe den Beitrag des Internationalen Verbands der bibliothekarischen Vereine und Institutionen (IFLA).
- 10 Beispielsweise kostet ein Abonnement des Brain Research Journal (Verlag Reed Elsevier) 20 835 EUR pro Jahr (Preis von 2008) - Beitrag der ULB, S. 3, Fußnote 6.
- 11 Das Übereinkommen der Vereinten Nationen wurde von allen EU-Mitgliedstaaten und der Europäischen Gemeinschaft unterzeichnet. Von besonderer Bedeutung sind die Artikel 4, 9, 21 und 30.
- 12 (KOM (2008) 426 endg.)
- 13 Beispiele für nationale Lizenzregelungen, freiwillige Vereinbarungen oder Leitlinien werden genannt von der Federation of European Publishers (S. 11-13), der UK Publishers Association (S. 5, 13 und Anlagen) und der Copyright Licensing Agency (S. 3 und 8).
- 14 Die British Library stellte fest, dass aus einer Stichprobe von 100 Lizenzverträgen, die sie mit Herausgebern elektronischer Werke geschlossen hat, die Ausnahmen für Sehbehinderte lediglich in zwei Lizenzen anerkannt werden.
- 15 Artikel 5 Absatz 3 Buchstaben d, i und k der Richtlinie.
- 16 Auf einige weiterreichende Aspekte dieses Problems wird die Kommission in ihrer anstehenden Mitteilung über kreative Inhalte in der Informationsgesellschaft eingehen.