Unterrichtung durch die Europäische Kommission
Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte zulässige Formen der Nutzung verwaister Werke KOM (2011) 289 endg.

Der Bundesrat wird über die Vorlage gemäß § 2 EUZBLG auch durch die Bundesregierung unterrichtet.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss wird an den Beratungen beteiligt.

Hinweis: vgl. Drucksache 306/10 (PDF) = AE-Nr. 100375 und AE-Nr. 061485

Brüssel, den 24.5.2011 KOM (2011) 289 endgültig 2011/0136 (COD)

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte zulässige Formen der Nutzung verwaister Werke (Text von Bedeutung für den EWR)

{ SEK(2011) 615 endgültig}
{ SEK(2011) 616 endgültig}

Begründung

1. Hintergrund des vorgeschlagenen Rechtsakts

Um urheberrechtlich geschützte Werke in einer digitalen Online-Bibliothek oder einem digitalen Archiv der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, ist eine vorherige Genehmigung erforderlich. Wenn der jeweilige Urheberrechteinhaber nicht ermittelt oder ausfindig gemacht werden kann, werden die betreffenden Werke als verwaiste Werke bezeichnet. Somit können die Genehmigungen, die erforderlich sind, um Werke online zur Verfügung stellen, nicht eingeholt werden. Bibliotheken oder sonstige Einrichtungen, die der Öffentlichkeit ohne eine vorherige Genehmigung Werke online zur Verfügung stellen, laufen Gefahr, Urheberrechte zu verletzen.

Wichtigstes Ziel dieses Vorschlags ist die Schaffung eines Rechtsrahmens, damit ein rechtmäßiger, grenzüberschreitender Online-Zugang zu verwaisten Werken, die sich in von einer Vielzahl von Einrichtungen betriebenen digitalen Online-Bibliotheken oder -Archiven befinden, möglich wird, wenn diese verwaisten Werke im Einklang mit dem Auftrag solcher Einrichtungen im öffentlichen Interesse genutzt werden. Solche Werke beinhalten Werke, die in Form von Büchern, Zeitschriften, Zeitungen, Magazinen oder in sonstiger Schriftform oder darin eingebettet veröffentlicht werden, sowie audiovisuelle und Filmwerke in den Sammlungen von im Bereich des Filmerbes tätigen Instituten sowie Film-, Ton- und audiovisuelle Werke, die in den Archiven öffentlichrechtlicher Rundfunkanstalten enthalten sind und von diesen produziert wurden. In Bezug auf die Archive öffentlichrechtlicher Rundfunkanstalten und die besondere Position öffentlichrechtlicher Rundfunkanstalten als Produzenten ist es notwendig, das Vorkommen verwaister Werke zu begrenzen, indem ein Stichtag für Werke eingeführt wird, die in den Geltungsbereich des Vorschlags fallen.

Dieses Ziel soll durch ein System der gegenseitigen Anerkennung des "Waisenstatus" eines Werks erreicht werden. Damit der Status als "verwaistes Werk" festgestellt wird, sind Bibliotheken, Bildungseinrichtungen, Museen und Archive, im Bereich des Filmerbes tätige Institute und öffentlichrechtliche Rundfunkanstalten verpflichtet, eine vorherige sorgfältige Suche gemäß den Anforderungen der vorgeschlagenen Richtlinie in dem Mitgliedstaat durchzuführen, in dem das Werk zuerst veröffentlicht wurde. Sobald bei der sorgfältigen Suche der "Waisenstatus" eines Werks festgestellt wurde, gilt das betreffende Werk in der ganzen EU als verwaistes Werk, wodurch vermieden wird, dass eine mehrfache sorgfältige Suche erforderlich ist. Auf dieser Grundlage wird es möglich sein, verwaiste Werke zu kulturellen und bildungspolitischen Zwecken ohne eine vorherige Genehmigung online zur Verfügung zu stellen, sofern der Urheber des Werks den "Waisenstatus" nicht beendet.

Diese Initiative baut auf der Empfehlung der Kommission von 2006 zur Digitalisierung und Online-Zugänglichkeit kulturellen Materials und dessen digitaler Bewahrung1 auf. Trotz der Empfehlung hat nur eine Handvoll Mitgliedstaaten Rechtsvorschriften über verwaiste Werke eingeführt. Die wenigen bestehenden nationalen Lösungen sind nicht weitreichend, da sie den Online-Zugang auf Bürger beschränken, die in ihren nationalen Hoheitsgebieten ansässig sind.

Die Schaffung eines Rechtsrahmens zur Erleichterung der grenzüberschreitenden Digitalisierung und Verbreitung verwaister Werke im Binnenmarkt ist auch eine der Schlüsselmaßnahmen, die in der digitalen Agenda für Europa2 - Teil der Strategie Europa 20203 - aufgeführt sind.

2. Ergebnisse der Beratungen mit den interessierten Parteien der Folgenabschätzungen

- Konsultation interessierter Kreise

Am 26. Oktober 2009 veranstaltete die Kommission eine öffentliche Anhörung, auf der alle interessierten Kreise ihre Ansichten zu verwaisten Werken darlegten. Am 10. November 2009 veranstalteten der schwedische Ratsvorsitz und das Europäische Parlament eine gemeinsame Anhörung über verwaiste Werke und den Zugang zu Werken für Sehbehinderte.

Im Zeitraum 2009-2010 trafen die Kommissionsdienststellen mit verschiedenen Beteiligten zusammen, um die einschlägigen Fragen auf bilateraler Basis ausführlicher zu erörtern.

- Folgenabschätzung

Bei der Folgenabschätzung wurden sechs Optionen untersucht: 1) keine Maßnahmen, 2) eine gesetzlich festgelegte urheberrechtliche Ausnahmeregelung, 3) eine erweiterte kollektive Lizenzvergabe, 4) eine von den Verwertungsgesellschaften speziell für verwaiste Werke erteilte Lizenz, 5) eine von einer Behörde speziell für verwaiste Werke erteilte Lizenz und 6) die gegenseitige Anerkennung nationaler Lösungen für verwaiste Werke.

Sämtliche Optionen (mit Ausnahme der Option 1) gehen von der Annahme einer Richtlinie aus, die die Mitgliedstaaten verpflichtet, innerhalb einer bestimmten Frist Rechtsvorschriften speziell für verwaiste Werke zu verabschieden. Sämtliche Optionen (mit Ausnahme von Option 3) gehen davon aus, dass eine sorgfältige Suche erfolgen muss, bevor ein verwaistes Werk online in einer digitalen Bibliothek zugänglich gemacht wird.

Bei der gesetzlich festgelegten Ausnahmeregelung (Option 2) würde der Aufwand, eine urheberrechtliche Lizenz zu erhalten, vermieden, die vorherige sorgfältige Suche jedoch nach wie vor verlangt. Diese Option bietet jedoch weniger Rechtssicherheit, da es keine unabhängige Stelle gibt, die die sorgfältige Suche bescheinigt.

Das Modell der "erweiterten kollektiven Lizenzen" (Option 3) geht von der Annahme aus, dass sobald eine Verwertungsgesellschaft einer Bibliothek genehmigt, Bücher auf einer Website zugänglich zu machen, diese Genehmigung entsprechend einer gesetzlichen Ausdehnung für alle Werke dieser Kategorie, einschließlich verwaister Werke (d.h. Bücher, Filme), gilt. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Verwertungsgesellschaft die Rechte dieser "Außenseiter" wahrnimmt, unabhängig davon, ob sie eine sorgfältige Suche durchgeführt hat, um den Urheber zu ermitteln oder ausfindig zu machen. Der Verzicht auf die sorgfältige Suche verhindert ein Konzept, das auf der gegenseitigen Anerkennung des Status als verwaistes Werk basiert. Eine erweiterte kollektive Lizenz ist in der Regel nur in dem nationalen Hoheitsgebiet gültig, für das die gesetzliche Vermutung gilt.

Eine speziell für verwaiste Werke geltende Lizenz (Option 4) bietet Bibliotheken und den anderen Begünstigten ein hohes Maß an Rechtssicherheit im Falle später geltend gemachter Ansprüche der Rechteinhaber. Diese Option verlangt sowohl eine sorgfältige Suche zwecks Bestimmung des Status als verwaistes Werk als auch eine spezielle Lizenzvereinbarung für verwaiste Werke.

Bei der staatlichen Lizenz für verwaiste Werke (Option 5) handelt es sich um eine von einer Behörde ausgestellte Bescheinigung über die sorgfältige Suche, die daher der digitalen Bibliothek ein hohes Maß an Rechtssicherheit bietet. Aber diese Sicherheit hat auch ihren Preis, was den Verwaltungsaufwand angeht. Daher zeigten frühere Versuche mit diesem System kaum Wirkung und werden für großmaßstäbliche digitale Bibliotheksprojekte nicht eingesetzt.

Mit einem Konzept, das sich auf die gegenseitige Anerkennung des Status als verwaistes Werk stützt (Option 6), kommen Bibliotheken und sonstige Begünstigte in den Genuss der Rechtssicherheit bezüglich des "Waisenstatus" eines bestimmten Werks. Die gegenseitige Anerkennung stellt sicher, dass die in einer digitalen Bibliothek enthaltenen verwaisten Werke den Bürgern in ganz Europa zur Verfügung stehen.

3. Rechtliche Aspekte des Vorschlags

- Zusammenfassung der vorgeschlagenen Maßnahme

Mit dem Vorschlag soll eine sorgfältige Suche vorgeschrieben werden, um zu ermitteln, ob ein spezielles Werk ein verwaistes Werk ist. Sobald dies festgestellt worden ist, soll es rechtmäßig gemacht werden, unter bestimmten Voraussetzungen und zu speziellen Zwecken dieses Werk der Öffentlichkeit online zur Verfügung zu stellen. Der Vorschlag stellt auch klar, wie erweiterte kollektive Lizenzen auf Werke, die potenziell verwaiste Werke sind, anzuwenden sind.

- Rechtsgrundlage

Artikel 114 AEUV.

- Subsidiaritätsprinzip

Da freiwillige Ansätze - insbesondere die Empfehlung 2006/585/EG der Kommission vom 24. August 2006 - nicht das gewünschte Ergebnis brachten, ist ein Vorschlag für einen Rechtsakt in Form einer Richtlinie notwendig. Ferner ist es aufgrund des Nebeneinanders unkoordinierter nationaler Konzepte für den Umgang mit in Online-Bibliotheken enthaltenen verwaisten Werken für eine Bibliothek schwierig, verwaiste Werke EU-weit10 zugänglich zu machen.

- Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

Da die Problematik der verwaisten Werke ein großes Hindernis für den Aufbau digitaler Bibliotheken ist, ist ein abgestimmter EU-Rechtsrahmen für den Online-Zugang zu verwaisten Werken die am wenigsten einschneidende Option, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Alle anderen Ansätze würden einen erheblich größeren Verwaltungsaufwand nach sich ziehen und Infrastrukturen allein für die Lizenzvergabe für verwaiste Werke erfordern.

- Wahl des Instruments

Vorgeschlagenes Instrument: Richtlinie. Wichtigste Artikel des Vorschlags

In Artikel 1 wird der sachliche Gegenstandsbereich der Richtlinie festgelegt: Er umfasst eine Vielzahl von Material, das sich in Bibliotheken, Bildungseinrichtungen, Museen und Archiven sowie in Sammlungen von im Bereich des Filmerbes tätigen Instituten und in Archiven öffentlichrechtlicher Rundfunkanstalten befindet. Im Bereich von Druckwerken erfasst die Richtlinie auch visuelle Werke wie Fotografien und Illustrationen, die in diesen veröffentlichten Werken enthalten sind.

Artikel 2 enthält die Definition eines verwaisten Werks. In die Definition eines verwaisten Werks wurde das Erfordernis einer sorgfältigen Suche aufgenommen.

Artikel 3 erläutert, wie die sorgfältige Suche von denjenigen, die verwaiste Werke nutzen dürfen, durchzuführen ist. In dem Artikel wird auch klargestellt, dass eine sorgfältige Suche nur in dem Mitgliedstaat durchgeführt werden muss, in dem das Werk zuerst veröffentlicht wurde.

Artikel 4 begründet den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, wonach ein Werk, das nach einer gemäß Artikel 3 durchgeführten gründlichen Suche als verwaistes Werk angesehen wird, in allen Mitgliedstaaten als verwaistes Werk gilt.

Artikel 5 betrifft die Möglichkeit, den Status als verwaistes Werk zu beenden.

In Artikel 6 wird aufgeführt, welche Formen der Nutzung durch die benannten Begünstigten in Bezug auf verwaiste Werke zulässig sind (zwecks Erfüllung ihrer im öffentlichen Interesse liegenden Aufgaben solche Werke im Sinne von Artikel 3 der Richtlinie 2001/29/EG der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und im Sinne von Artikel 2 der Richtlinie 2001/29/EG zu vervielfältigen).

In Artikel 7 wird festgelegt, wie die Mitgliedstaaten bestimmte zusätzliche Formen der Nutzung unter bestimmten Bedingungen erlauben können.

4. Auswirkungen auf den Haushalt

Der Vorschlag hat keine Auswirkungen auf den Haushalt der Union.

5. Fakultative Angaben

- Europäischer Wirtschaftsraum

Der vorgeschlagene Rechtsakt ist von Bedeutung für den Europäischen Wirtschaftsraum und sollte deshalb auf den EWR ausgeweitet werden.

Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte zulässige Formen der Nutzung verwaister Werke (Text von Bedeutung für den EWR)

Das Europäische Parlament der Rat der Europäischen Union - gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf die Artikel 49, 56 und 114, auf Vorschlag der Europäischen Kommission, nach Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente, nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses11, gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren, in Erwägung nachstehender Gründe:

Haben folgende Richtlinie Erlassen:

Artikel 1
Gegenstand und Anwendungsbereich

Artikel 2
Verwaiste Werke

Artikel 3
Sorgfältige Suche

Artikel 4
Gegenseitige Anerkennung des Status als verwaistes Werk

Ein Werk, das nach Artikel 2 in einem Mitgliedstaat als verwaistes Werk gilt, gilt in allen Mitgliedstaaten als verwaistes Werk.

Artikel 5
Ende des Status als verwaistes Werk

Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Inhaber der Rechte an einem Werk jederzeit die Möglichkeit hat, den Status als verwaistes Werk zu beenden.

Artikel 6
Zulässige Formen der Nutzung verwaister Werke

Artikel 7
Genehmigte Formen der Nutzung verwaister Werke

Artikel 8
Weitere Anwendung anderer Rechtsvorschriften

Diese Richtlinie lässt andere Rechtsvorschriften insbesondere in folgenden Bereichen unberührt: Patentrechte, Marken, Musterrechte, Gebrauchsmuster, Topographien von Halbleitererzeugnissen, typographische Schriftzeichen, Zugangskontrolle, Zugang zum Kabel von Rundfunkdiensten, Schutz nationalen Kulturguts, Anforderungen im Bereich gesetzlicher Hinterlegungspflichten, Rechtsvorschriften über Wettbewerbsbeschränkungen und unlauteren Wettbewerb, Betriebsgeheimnisse, Sicherheit, Vertraulichkeit, Datenschutz und Schutz der Privatsphäre, Zugang zu öffentlichen Dokumenten sowie Vertragsrecht.

Artikel 9
Stichtag für die Anwendbarkeit

Artikel 10
Umsetzung

Artikel 11
Überprüfungsklausel

Die Kommission verfolgt ständig die Entwicklung von Informationsquellen für Rechte und legt spätestens ein Jahr nach Inkrafttreten dieser Richtlinie und danach in jährlichen Abständen einen Bericht vor über die mögliche Einbeziehung von Werken oder sonstigen Schutzgegenständen in den Anwendungsbereich der Richtlinie, die derzeit nicht darunter fallen, insbesondere Tonträger sowie eigenständige Fotografien und andere Bilder.

Bis [ein Jahr nach dem Umsetzungstermin] legt die Kommission im Lichte der Entwicklung digitaler Bibliotheken dem Europäischen Parlament, dem Rat und dem Wirtschafts- und Sozialausschuss einen Bericht über die Anwendung dieser Richtlinie vor.

Erforderlichenfalls legt die Kommission - insbesondere um das Funktionieren des Binnenmarkts sicherzustellen - Änderungsvorschläge zu dieser Richtlinie vor.

Artikel 12
Entry into Force

Diese Richtlinie tritt am Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Artikel 13

Diese Richtlinie ist an die Mitgliedstaaten gerichtet.

Geschehen zu
Im Namen des Europäischen Parlaments
Der Präsident
Im Namen des Rates
Der Präsident

Anhang

Bei den Quellen im Sinne von Artikel 3 Absatz 2 handelt es sich um folgende: