938. Sitzung des Bundesrates am 6. November 2015
A
Der federführende Wirtschaftsausschuss (Wi), der Ausschuss für Kulturfragen (K) und der Rechtsausschuss (R) empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zum Gesetzentwurf allgemein
Der Bundesrat begrüßt das Ziel des Regierungsentwurfs, Rechtssicherheit für die Betreiber von WLAN-Hotspots zu schaffen, um die Verbreitung öffentlicher Hotspots zu stärken.
Öffentliche WLAN-Hotspots haben Potenzial für die Steigerung der Attraktivität von Innenstädten, für die Nutzung innovativer audiovisueller Medienangebote oder für Medienkompetenz-Projekte wie Freifunk.
Das Potenzial öffentlicher WLAN-Hotspots wird in Deutschland im Vergleich zu anderen Staaten jedoch weniger ausgeschöpft. Grund hierfür ist die Rechtsunsicherheit, der Betreiber öffentlicher WLAN-Hotspots ausgesetzt sind. Sie befürchten, als sogenannte Störer auf Unterlassung oder Beseitigung in Anspruch genommen zu werden, wenn Nutzer ihrer Hotspots diese
Internetverbindungen beispielsweise für illegale Downloads von Musikdateien oder anderen urheberrechtlich geschützten Inhalten nutzen.
Klare Regeln schaffen Sicherheit, neue interpretationsbedürftige Einschränkungen wie im Regierungsentwurf hingegen schaffen Rechtsunsicherheit und sind daher nicht geeignet, um für eine größere Verbreitung von WLANHotspots zu sorgen.
2. Zu Artikel 1 Nummer 3 (§ 8 Absatz 3 TMG)
In Artikel 1 Nummer 3 ist § 8 Absatz 3 wie folgt zu fassen:
(3) Der Ausschluss der Verantwortlichkeit (Absatz 1) umfasst [auch] Diensteanbieter von drahtlosen Netzwerken und Funknetzwerken, die sich an einen nicht im Voraus namentlich bestimmten Nutzerkreis richten (öffentliche Funknetzwerke).
Satz 1 findet keine Anwendung, wenn der Diensteanbieter absichtlich mit einem Nutzer seines Dienstes zusammenarbeitet, um rechtswidrige Handlungen zu begehen."
Begründung:
Nach derzeitiger Rechtslage haften Internet Service Provider nach §§ 7 ff. Telemediengesetz und in Umsetzung der Richtlinie 2000/31/EG für Rechtsverletzungen ihrer Nutzer nicht; auch können ihnen keine proaktiven Überwachungspflichten auferlegt werden. Die §§ 7 ff. Telemediengesetz schließen - unter den jeweiligen Voraussetzungen - eine Verantwortlichkeit der Internet Service Provider für die rechtswidrigen Handlungen ihrer Nutzer aus. Für den Access Provider greift hierbei die Privilegierung in § 8 Telemediengesetz, nach dem eine Verantwortlichkeit ausgeschlossen ist, sofern er verkürzt - bis auf seine neutrale Vermittlerposition durch den Transport von Daten des Nutzers an der Rechtsverletzung des Nutzers nicht mitgewirkt hat (Mantz/Sassenberg, NJW 2014, S. 3537 ff.).
Nach seinem Wortlaut findet die Privilegierung des § 8 Telemediengesetz Anwendung auf Diensteanbieter, die Zugang zur Nutzung von Informationen vermitteln, also Access Provider. Die Frage, inwieweit ein privater oder gewerblicher Anbieter von WLAN-Internetzugängen für Rechtsverletzungen seiner Nutzer haften muss, ist gesetzlich bislang nicht eindeutig geregelt; auch die - nur Teilaspekte erfassende - höchstrichterliche Rechtsprechung hat eine verlässliche Klärung dieser Fragestellung bisher nicht herbeigeführt.
Deshalb legt Absatz 3 aus Gründen der Rechtsklarheit fest, dass sich auch "Betreiber und Anbieter von drahtlosen Netzwerken und Funknetzwerken, die sich an einen nicht im Voraus namentlich bestimmten Nutzerkreis richten (öffentliche Funknetzwerke)" auf das Haftungsprivileg des § 8 Telemediengesetz berufen können. Diese Formulierung ist klarer als der im Regierungsentwurf gewählte Ausdruck "Diensteanbieter nach Absatz 1, die Nutzern einen Internetzugang über ein drahtloses lokales Netzwerk zur Verfügung stellen". Dieser schließt Betreiber und Anbieter öffentlicher Zugangspunkte nicht explizit ein.
Satz 2 ist eine Ergänzung gegenüber dem Regierungsentwurf. Diese Formulierung trägt den Interessen der durch rechtswidrige Handlungen Geschädigten Rechnung. Hier schränkt der Vorschlag klarer ein, für wen die Privilegierung des § 8 Telemediengesetz nicht gilt: Wenn ein Diensteanbieter kollusiv mit den Nutzern zusammenarbeitet, um rechtswidrige Handlungen zu begehen, genießt er ausdrücklich nicht das Privileg.
4. Zu Artikel 1 Nummer 3 (§ 8 Absatz 4 TMG)
In Artikel 1 Nummer 3 ist § 8 Absatz 4 wie folgt zu fassen:
(4) Diensteanbieter nach Absatz 3 können wegen einer rechtswidrigen Handlung eines Nutzers nicht auf Beseitigung oder Unterlassung in Anspruch genommen werden. Satz 1 findet keine Anwendung, wenn der Diensteanbieter absichtlich mit einem Nutzer seines Dienstes zusammenarbeitet, um rechtswidrige Handlungen zu begehen."
Begründung:
Die Vorschriften zur Haftungsfreistellung des Telemediengesetzes erfassen nicht die verschuldensunabhängige Inanspruchnahme auf Beseitigung oder Unterlassung von Rechtsverletzungen, also auch Ansprüche aus Störerhaftung gegen einen WLAN-Betreiber, die nach allgemeinen Vorschriften erfolgt (BGH, I ZR 317/01; BGH, I ZR 304/01; OLG Hamburg, 5 U 255/07). Als Störer kann dabei, ab dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung von der konkreten Rechtsverletzung, grundsätzlich derjenige in Anspruch genommen werden, der adäquatkausal an einer Rechtsverletzung mitwirkt und hierbei seine so genannten Prüfungs- und Überwachungspflichten verletzt hat (BGH, I ZR 121/08). Ein Verschulden ist hierfür nicht erforderlich. Die konkreten Prüfungs- und Überwachungspflichten sind bisher nicht gesetzlich geregelt, sondern werden maßgeblich von der Rechtsprechung in Einzelfallentscheidungen herausgebildet. Angesichts zahlreicher richterrechtlicher Einzelfallentscheidungen besteht derzeit eine erhebliche Rechtsunsicherheit, welche Pflichten dem Störer jeweils zuzumuten sind. Folge hiervon ist, dass potenzielle Anbieter von Internetzugängen über WLAN wegen des Haftungsrisikos vielfach davon absehen, ihren Kunden einen solchen zur Verfügung zu stellen.
Der Regierungsentwurf normiert, dass eine Haftung als Störer von Diensteanbietern nicht in Betracht kommt, wenn "der Diensteanbieter angemessene Sicherungsmaßnahmen" ergriffen hat. Diese Regelungen in § 8 Absatz 4 Satz 2 des Regierungsentwurfs sind nicht geeignet, die verfolgten Ziele - die Verbreitung von WLAN im öffentlichen Raum zu stärken und diesbezügliche Rechtssicherheit zu schaffen - zu verwirklichen. Denn es werden unbestimmte Rechtsbegriffe, wie "zumutbare Maßnahmen" und "angemessene Sicherungsmaßnahmen", verwendet, welche nicht die angestrebte Rechtsklarheit schaffen, sondern weiterhin der Auslegung durch die Gerichte bedürfen. Dies führt im Ergebnis zu keiner Verbesserung im Vergleich zu der jetzigen Rechtslage, nach welcher zwar die Kriterien der Störerhaftung durch eine Vielzahl von Entscheidungen herausgebildet worden sind, letztendlich jedoch - auch bedingt durch die Vielzahl der unterschiedlichen Fallkonstellationen - keine "klaren Vorgaben" für WLAN-Anbieter ersichtlich sind, an denen sie sich orientieren können, um die Störerhaftung wirksam auszuschließen. Das Ziel, die Verbreitung von WLAN im öffentlichen Raum zu stärken, kann nicht erreicht werden, wenn lediglich versucht wird, die jetzige durch Einzelfallrechtsprechung geschaffene Rechtslage in Gesetzesform zu gießen. Es sind vielmehr Regelungen erforderlich, die sich klar hiervon abgrenzen und klarstellen, dass die Grundsätze der Störerhaftung von WLAN-Anbietern künftig in Deutschland - wie auch derzeit bereits in zahlreichen anderen europäischen Ländern nicht mehr gelten sollen. Dies leistet die hiermit verfolgte Änderung von Absatz 4.
Nur durch das Streichen von § 8 Absatz 4 Satz 2 im Regierungsentwurf ist das Ziel des Regierungsentwurfs zu erreichen. Wenn die Verbreitung öffentlicher WLAN-Hotspots erhöht werden soll, kann nicht zwischen unberechtigten und berechtigten Zugriffen unterschieden werden. Ein öffentlicher WLAN-Hotspot richtet sich an die nicht näher eingegrenzte Öffentlichkeit.
Von der Verbreitung öffentlicher WLAN-Hotspots sind keine nachteiligen Effekte auf die Strafverfolgung zu erwarten. Die Auflagen etwa zur Umsetzung von Überwachungsmaßnahmen und Erteilung von Auskünften nach § 110 Telekommunikationsgesetz und § 113 Telekommunikationsgesetz gelten nach den Vorgaben und kontrolliert von der Bundesnetzagentur auch für Betreiber von WLAN-Zugangsnetzen oberhalb der Marginaliengrenze. Zudem nutzen private Anbieter für die Internetanbindung ihrer WLAN-Zugangspunkte die Angebote kommerzieller Accessprovider, die den Rahmenbedingungen des Telekommunikationsgesetzes unterliegen.
Auch eine Zunahme von Urheberrechtsverletzungen ist nicht zu erwarten. Denn zum einen ist die Bandbreite von öffentlichen, also mit vielen Menschen geteilten, WLAN-Hotspots dafür typischerweise zu gering. Freifunk-Software zum Beispiel erlaubt es Anbietern außerdem, die insgesamt über WLAN zur Verfügung gestellte Bandbreite zu reduzieren. Zum anderen ist die Bedeutung des Filesharing bei Urheberrechtsverletzungen gesunken. Die überwiegende Zahl der Verletzungen wird heute mittels Streaming begangen - so zum Beispiel die bekannten Fälle wie Kinox.to. Beim Streaming sind aber WLANZugangspunkte gänzlich ungeeignet für die Anbindung der Server, auf denen das gestreamte Material vorgehalten wird.
Es gibt auch keinen nachgewiesenen Bedarf für eine Anhebung des Schutzniveaus im Bereich von WLAN-Hotspots. Urheberrechtsverletzungen im Internet sind nicht dem Vorhandensein von WLAN-Hotspots geschuldet. Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg berichtet dazu:
"Im Rahmen unseres seit 2012 laufenden Projekts mit Kabel Deutschland wurden die Public-WifiHotspots nicht für Urheberrechtsverletzungen genutzt. Es gab bei Kabel Deutschland in dieser Zeit keine IP-Adressabfragen wegen Urheberrechtsverletzungen (letzter Stand: 9. Februar 2015)." Auch aus anderen Staaten mit mehr öffentlichen WLAN-Zugangspunkten und ohne Störerhaftung wie zum Beispiel den Niederlanden ist nicht bekannt, dass öffentliche WLANHotspots ein gravierendes Problem bei Urheberrechtsverletzungen darstellen.
Der neu vorgeschlagene Satz 2 trägt den Interessen der durch rechtswidrige Handlungen Geschädigten Rechnung. Hier wird das Privileg eingeschränkt: Wer ein öffentliches Funknetzwerk einrichtet und mit den Nutzern zusammenarbeitet, um rechtswidrige Handlungen etwa bei Urheberrechtsverletzungen zu begehen, genießt es ausdrücklich nicht.
Von den im Regierungsentwurf aufgeführten "angemessenen Sicherungsmaßnahmen" ist keine substanzielle Auswirkung für Strafverfolgung und das Themengebiet Urheberrechtsverletzungen zu erwarten. Jedoch sind gravierende negative Auswirkungen dieser Normierung für die Verbreitung öffentlicher WLAN-Zugangspunkte zu erwarten: Rechtsunsicherheit hat zu der niedrigen Verbreitung solcher Angebote in Deutschland geführt, neue Rechtsunsicherheit wird denselben Effekt haben.
Begründung:
Die derzeit geltenden Vorschriften des Telemediengesetzes (TMG) zur Haftungsfreistellung erfassen nicht die verschuldensunabhängige Inanspruchnahme auf Beseitigung oder Unterlassung von Rechtsverletzungen, also auch Ansprüche aus Störerhaftung gegen einen WLAN-Betreiber, die nach allgemeinen Vorschriften erfolgt (vgl. BGH, NJW 2004, S. 2158 - Schöner Wetten; NJW 2004, S. 3102 - Internet Versteigerung I; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, MMR 2009, S. 405 - Alphaload (Usenet II) ). Als Störer kann dabei, ab dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung von der konkreten Rechtsverletzung, grundsätzlich derjenige in Anspruch genommen werden, der adäquatkausal an einer Rechtsverletzung mitwirkt und hierbei seine so genannten Prüfungs- und Überwachungspflichten verletzt hat (vgl. BGH, NJW 2010, S. 2061 ff. - Sommer unseres Lebens). Ein Verschulden ist hierfür nicht erforderlich (vgl. Mantz/Sassenberg, NJW 2004, S. 3537 ff.).
Die konkreten Prüfungs- und Überwachungspflichten sind bisher nicht gesetzlich geregelt, sondern werden maßgeblich von der Rechtsprechung in Einzelfallentscheidungen herausgebildet. Ein anschauliches Beispiel für eine auf Grund von Prüfungs- und Überwachungspflichten zu ergreifende Maßnahme kann die Pflicht von Eltern sein, ihre minderjährigen Kinder vor der Erlaubnis der Nutzung des familiären Internetzugangs darauf hinzuweisen, dass der Internetanschluss nicht für rechtswidrige Handlungen genutzt werden soll (vgl. BGH, NJW 2013, S. 1441 - Morpheus; Mantz/Sassenberg, a.a.O., m.w. N.).
Welche Prüfungs- und Überwachungspflichten jeweils verlangt werden können, ist eine Frage des Einzelfalls. Dafür haben sich in der Rechtsprechung in unzähligen Entscheidungen bestimmte Kriterien herausgebildet. Angesichts zahlreicher richterrechtlicher Einzelfallentscheidungen besteht derzeit eine erhebliche Rechtsunsicherheit, welche Pflichten dem Störer jeweils zuzumuten sind. Folge hiervon ist, dass potenzielle Anbieter von Internetzugängen über WLAN wegen des Haftungsrisikos in Deutschland vielfach davon absehen, ihren Kunden einen solchen zur Verfügung stellen.
Der Gesetzentwurf normiert, dass eine Haftung als Störer von Diensteanbietern nicht in Betracht kommt, wenn "der Diensteanbieter zumutbare Maßnahmen" ergriffen hat, um die Rechtsverletzung durch den Nutzer zu verhindern. Die Regelungen des § 8 Absatz 4 Satz 1 zweiter Halbsatz und Satz 2 TMG-E sind nicht geeignet, die verfolgten Ziele des Gesetzentwurfs - die Verbreitung von WLAN im öffentlichen Raum zu stärken und diesbezügliche Rechtssicherheit zu schaffen - zu verwirklichen. Denn es werden unbestimmte Rechtsbegriffe, wie "zumutbare Maßnahmen" und "angemessene Sicherungsmaßnahmen", verwendet, welche nicht die angestrebte Rechtsklarheit schaffen, sondern weiterhin der Auslegung durch die Gerichte bedürfen. Dies führt im Ergebnis zu keiner Verbesserung im Vergleich zu der jetzigen Rechtslage, nach welcher zwar die Kriterien der Störerhaftung durch eine Vielzahl von Entscheidungen herausgebildet worden sind, letztendlich jedoch - auch bedingt durch die Vielzahl der unterschiedlichen Fallkonstellationen - keine "klaren Vorgaben" für WLAN-Anbieter ersichtlich sind, an denen diese sich orientieren können, um die Störerhaftung wirksam auszuschließen. Das mit dem Gesetzentwurf verfolgte Ziel kann nicht erreicht werden, wenn lediglich versucht wird, die jetzige durch Einzelfallrechtsprechung geschaffene Rechtslage in Gesetzesform zu gießen. Es sind vielmehr Regelungen erforderlich, die sich klar hiervon abgrenzen und klarstellen, dass die Grundsätze der Störerhaftung von WLANAnbietern künftig in Deutschland - wie auch derzeit bereits in zahlreichen anderen europäischen Ländern - nicht mehr gelten sollen. Hierauf zielt die vorgeschlagene Streichung von § 8 Absatz 4 Satz 1 zweiter Halbsatz und Satz 2 TMG-E ab.
Durch den mit der Änderung neu gefassten § 8 Absatz 4 Satz 2 TMG-E soll sichergestellt werden, dass den Interessen der Geschädigten dadurch hinreichend Rechnung getragen wird, dass der Ausschluss der Störerhaftung genauso wie die Privilegierung gemäß § 8 Absatz 1 TMG - dann nicht gilt, wenn der Diensteanbieter absichtlich mit dem Nutzer seines Dienstes zusammenarbeitet, um rechtswidrige Handlungen zu begehen. Denn in derartigen Fällen besteht eine Schutzwürdigkeit des Diensteanbieters nicht.
7. Zu Artikel 1 Nummer 4 (§ 10 Absatz 1 und 2 TMG)
Artikel 1 Nummer 4 ist zu streichen.
Begründung:
Die Vermutungsregelung in § 10 Absatz 2 des Regierungsentwurfs ist abzulehnen. Zunächst ist schon nicht erkennbar, aus welchen Gründen eine derartige Vermutungsregelung zwingend notwendig sein sollte. Zudem schafft die vorgesehene Vermutungsregelung mehr Rechtsunsicherheit als Rechtsklarheit, indem sie ihrerseits mit dem Begriff der "gefahrgeneigten Dienste" einen unbestimmten Rechtsbegriff zur Grundlage der Vermutung erhebt, der seinerseits auslegungsbedürftig ist und damit der (im Zweifel einzelfallbezogenen) Rechtsprechung unterliegt. Entgegen der Gesetzesbegründung wird die durch die Regelung angestrebte Rechtsklarheit und Rechtssicherheit auf diese Weise also nicht erreicht werden können.
Die vorgeschlagene Haftungsverschärfung ist im Hinblick auf ihre zu erwartenden negativen Auswirkungen auf Medienvielfalt und Meinungsfreiheit abzulehnen. Die Normierung in § 10 Absatz 2 des Regierungsentwurfs umfasst jede Rechtswidrigkeit. Der Gesetzgeber beschränkt hier auch Dienste wie Meinungsforen auf Digitalangeboten etwa von Zeitungsverlagen, Fernsehsendern und Bloggern oder kollaborativ erstellte öffentliche Wissens- und Diskursplattformen wie Wikis.
Derart potenziell schädliche Effekte für die Meinungsvielfalt müssen bei neuen Regelungen zur Hostproviderhaftung vermieden werden. Daher ist ein anderer Ansatz zu verfolgen. Das von der Rechtsprechung entwickelte Kriterium des "von der Rechtsordnung missbilligten Geschäftsmodells" kann zum Beispiel Basis einer vom Gesetzgeber zu schaffenden generellen Anspruchsgrundlage sein. Dass ein Angebot ein solches von der Rechtsordnung missbilligtes, auf Rechtsverletzung angelegtes Geschäftsmodell ist, sollte auf Antrag Betroffener in einem rechtsstaatlichen Verfahren festgestellt werden. Anbieter solcher Dienste sollten sich nicht auf Haftungsprivilegien des Telemediengesetzes berufen können. Zudem sollten weitere Ansprüche gegen solche Anbieter geschaffen werden, die Rechteinhabern wirksame Werkzeuge geben, um gegen diese nicht schutzwürdigen Geschäftsmodelle vorzugehen; denkbar sind Schadensersatzansprüche und Instrumente für den Fall, dass rechtskräftige Urteile gegen ausländische Betreiber nicht vollstreckt werden können. Hier könnten Werbung und Zahlungsdienstleistungen Ansatzpunkte sein. Entscheidend ist, dass diese Instrumente allein auf von der Rechtsordnung missbilligte Geschäftsmodelle abzielen und nicht Meinungsforen oder kollaborativ erstellte Wissensplattformen gefährden.
8. Zu Artikel 1 Nummer 4 Buchstabe b (§ 10 Absatz 2 TMG)
Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob und inwieweit die Vermutungsregelung in § 10 Absatz 2 TMG-E klarer gefasst werden kann.
Begründung:
Der Bundesrat begrüßt das mit der Gesetzesänderung verfolgte Ziel, das Vorgehen von Rechteinhabern bei Urheberrechtsverletzungen im Internet gegen Diensteanbieter zu vereinfachen sowie Fälle, in denen ein Diensteanbieter "Kenntnis von der Rechtsverletzung" hat - und somit nicht der Privilegierung des § 10 Absatz 1 TMG unterliegt -, unzweideutig festzulegen.
Gemäß der jetzigen Regelung des § 10 Absatz 1 TMG sind Diensteanbieter für fremde Informationen, die sie für einen Nutzer speichern, nicht verantwortlich, sofern sie keine Kenntnis von der rechtswidrigen Handlung oder der Information haben. Im Falle von Schadenersatzansprüchen gilt dies nur dann, wenn ihnen keine Tatsachen oder Umstände bekannt sind, aus denen die rechtswidrige Handlung oder die Information offensichtlich wird. Aufgrund oftmals bestehender Beweisschwierigkeiten ist es Rechteinhabern nach derzeitiger Rechtslage häufig schwer bzw. nicht möglich bei Urheberrechtsverletzungen im Internet gegen Diensteanbieter, deren Geschäftsmodell im Wesentlichen auf Rechtsverletzung beruht, vorzugehen.
Gemäß § 10 Absatz 2 TMG-E wird nunmehr die Kenntnis von Tatsachen oder Umständen nach Absatz 1, aus denen die rechtswidrige Handlung oder die Information offensichtlich wird, vermutet, wenn es sich bei dem angebotenen Dienst um einen "besonders gefahrgeneigten Dienst" handelt, wobei nachfolgend Beispiele für in der Regel besonders gefahrgeneigte Dienste angeführt werden.
Die vorgeschlagene Vermutungsregelung in § 10 Absatz 2 TMG-E ist in dieser Form aus justizieller Sicht nicht geeignet, den mit dem Gesetzentwurf verfolgten Zweck zu erreichen.
Die vorgesehene Vermutungsregelung schafft mehr Rechtsunsicherheit als Rechtsklarheit, indem sie ihrerseits mit dem Begriff der "gefahrgeneigten Dienste" einen unbestimmten Rechtsbegriff zur Grundlage der Vermutung erhebt, der seinerseits auslegungsbedürftig ist und damit der (im Zweifel einzelfallbezogenen) Rechtsprechung unterliegt. Entgegen der Begründung des Gesetzentwurfs wird die durch die Regelung angestrebte Rechtsklarheit und Rechtssicherheit auf diese Weise also nicht erreicht werden können.
9. Zu Artikel 1 Nummer 5 - neu - (§ 14 Absatz 2 TMG)
Dem Artikel 1 ist folgende Nummer 5 anzufügen:
- '5. In § 14 Absatz 2 werden nach dem Wort "Eigentum" die Wörter "oder der Persönlichkeitsrechte" eingefügt.'
Begründung:
- a) Problem:
Nach geltendem Recht kann der von einer anonymen und persönlichkeitsrechtsverletzenden Äußerung im Internet (z.B. in einem sozialen Netzwerk oder Bewertungsportal) Betroffene vom Diensteanbieter keine Auskunft über die Identität des Verfassers der Äußerung verlangen, da zwar die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Auskunftsanspruchs nach § 242 BGB erfüllt sein können, dem Diensteanbieter jedoch in Ermangelung einer datenschutzrechtlichen Befugnis zur Datenherausgabe die Auskunftserteilung rechtlich unmöglich ist (vgl. BGH NJW 2014, 2651).
Die datenschutzrechtliche Erlaubnisnorm des § 14 Absatz 2 TMG erlaubt eine Datenherausgabe zwar zur Durchsetzung von Rechten am geistigen Eigentum, nicht aber zur Durchsetzung von Persönlichkeitsrechten. Diese Differenzierung wird der Bedeutung der Persönlichkeitsrechte nicht gerecht. In Literatur und Praxis wird daher eine Gesetzesänderung gefordert, um dem Betroffenen auch im Fall von Persönlichkeitsrechtsverletzungen einen Auskunftsanspruch gegen den Diensteanbieter zu verschaffen. Ohne einen solchen Auskunftsanspruch ist dem Betroffenen in vielen Fällen die Durchsetzung von Ansprüchen gegen den Verfasser einer unzulässigen persönlichkeitsrechtsverletzenden Äußerung verwehrt. Auch der BGH führt insoweit aus:
"Die Beschränkung der Ermächtigung zur Auskunftserteilung auf Inhalte von Rechten am geistigen Eigentum mag zwar wenig nachvollziehbar (...) und eine Ausweitung auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen - in Anlehnung an § 14 Absatz 2 in Verbindung mit § 101 UrhG, § 19 MarkenG und § 140b PatG wünschenswert sein (...). Eine solche Regelung müsste jedoch der Gesetzgeber treffen." (vgl. BGH NJW 2014, 2651, 2653).
- b) Lösung:
Durch Ergänzung des § 14 Absatz 2 TMG um den Zweck der Durchsetzung von Persönlichkeitsrechten wird eine entsprechende datenschutzrechtliche Erlaubnisnorm geschaffen. Dies hat zur Folge, dass dem Diensteanbieter die Erfüllung eines etwaigen Auskunftsanspruchs aus § 242 BGB nicht mehr rechtlich unmöglich, sondern er aufgrund der speziell auf Telemedien bezogenen Erlaubnisnorm des geänderten § 14 Absatz 2 TMG zur Erteilung der Auskunft befugt ist.
Die Vorschrift des § 13 Absatz 6 Satz 1 TMG (Ermöglichung der anonymen oder unter Pseudonym erfolgenden Nutzung von Telemedien) bleibt hiervon unberührt, da sich der Auskunftsanspruch nur auf tatsächlich hinterlegte Anmeldedaten des Nutzers bezieht (vgl. auch OLG Stuttgart, Urteil vom 26.6.2013, Az. 4 U 28/13). Die Möglichkeit, Bewertungen anonym abzugeben, besteht - im Rahmen der gegenwärtig bereits bestehenden Einschränkung der technischen Machbarkeit und Zumutbarkeit - auch weiterhin.
B
- 10. Der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfiehlt dem Bundesrat, gegen den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes keine Einwendungen zu erheben.