Der Bundesrat hat in seiner 885. Sitzung am 8. Juli 2011 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich, dass die bestehenden Probleme bei der Auswertung verwaister Werke zum Gegenstand einer Richtlinie gemacht werden, da es bisher in Deutschland keine entsprechenden Regelungen gibt.
Der Richtlinienvorschlag ist grundsätzlich geeignet, die damit verbundene Zielsetzung eines europaweiten Rechtsrahmens für sogenannte "verwaiste Werke" zu schaffen. Dies gilt insbesondere für den Vorschlag der Gegenseitigkeit bei der Anerkennung des Status eines "verwaisten Werkes".
Die Richtlinie bildet den entscheidenden Rahmen dafür, dass auch verwaiste Werke zu kulturellen und bildungspolitischen Zwecken genutzt werden können und dass dadurch der Erhalt von Kulturgut, wie es beispielsweise in den Museumsstiftungen vorhanden ist, grundlegend gefördert wird. Zudem ist zu begrüßen, dass die öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten im Richtlinienvorschlag konkret angesprochen werden.
- 2. Der Bundesrat begrüßt den Richtlinienvorschlag als wichtigen Schritt auf dem Weg zur Schaffung online zugänglicher digitaler Bibliotheken. Er bittet jedoch, im weiteren Verfahren die folgenden Aspekte zu berücksichtigen.
- 3. Der Bundesrat weist die Bundesregierung darauf hin, dass die geplante Richtlinie die besonderen Probleme von Rundfunkanstalten im Zusammenhang mit verwaisten Werken außer Acht lässt. Artikel 2 Absatz 2 der geplanten Richtlinie regelt, dass Werke mit mehr als einem Rechteinhaber dann nicht mehr als "verwaist" gelten sollen, wenn einer der Rechteinhaber ermittelt und ausfindig gemacht wurde. Dieser Fall kommt in der Praxis der Rundfunkanstalten sehr häufig vor. Seine Erfassung durch den Geltungsbereich des Artikels 2 der Richtlinie führt zu Lasten der Rundfunkanstalten dazu, dass diese Werke auch im Falle einer Zustimmung des ermittelten Rechteinhabers nur unter den Bedingungen der Richtlinie ausgewertet werden können. Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich für eine diesbezügliche Anpassung der Richtlinie einzusetzen.
- 4. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, im weiteren Verfahren darauf hinzuwirken, dass in dem Richtlinienvorschlag als Rechteinhaber neben den Urhebern auch die Inhaber von verwandten Schutzrechten genannt werden.
- 5. Die Digitalisierung und öffentliche Zugänglichmachung verwaister Werke durch die in Artikel 1 Absatz 1 des Richtlinienvorschlags genannten Einrichtungen im Rahmen ihrer im öffentlichen Interesse liegenden Aufgaben ist von großem Nutzen für die Allgemeinheit. Dennoch ist es nicht angemessen und auch verfassungsrechtlich problematisch, insoweit - anders als für kommerzielle Nutzungen im Sinne des Artikels 7 - keinen Vergütungsanspruch für den eventuell später bekannt werdenden Urheber bzw. Rechteinhaber vorzusehen. Der Bundesrat erinnert insoweit an seine Stellungnahme vom 14. März 2008 zur Mitteilung der Kommission über kreative Online-Inhalte im Binnenmarkt - BR-Drucksache 047/08(B) , Ziffer 4 - sowie an seine Stellungnahme vom 9. Juli 2010 zur Mitteilung der Kommission "Eine Digitale Agenda für Europa" - BR-Drucksache 306/10(B) , Ziffer 11 -. Für die Digitalisierung und öffentliche Zugänglichmachung nicht verwaister urheberrechtlich geschützter Werke müssen die in Artikel 1 Absatz 1 des Richtlinienvorschlags genannten Einrichtungen ebenfalls eine Vergütung entrichten. Dass ein Werk verwaist ist, ist aus Sicht der Einrichtungen ein bloßer Zufall und begründet hinsichtlich der Notwendigkeit einer Vergütung keinen sachlichen Differenzierungsgrund.
- 6. Um die Vergütung praktikabel auszugestalten, sollte es den Mitgliedstaaten - wie in Artikel 7 Absatz 2 für die kommerzielle Nutzung vorgesehen - auch in den Fällen des Artikels 6 möglich sein, eine Lizenzierung durch die jeweilige Verwertungsgesellschaft vor der Digitalisierung und öffentlichen Zugänglichmachung vorzuschreiben und über die Verwendung der Erträge zu entscheiden, für die innerhalb der von dem jeweiligen Mitgliedstaat bestimmten Frist keine Ansprüche geltend gemacht werden.
- 7. Die in Artikel 7 Absatz 1 Nummer 3 für den Fall kommerzieller Nutzungen vorgesehene Pflicht, bei jeder Nutzung den Namen des zwar ermittelten, aber nicht ausfindig gemachten Rechteinhabers anzugeben, sollte auch auf im öffentlichen Interesse liegende Nutzungen durch die in Artikel 1 Absatz 1 genannten Einrichtungen erstreckt werden. Ein Grund dafür, das Urheberpersönlichkeitsrecht je nach Nutzung in unterschiedlichem Maß zu wahren, ist nicht erkennbar.
- 8. Der Bundesrat weist in Bezug auf Artikel 8 des Richtlinienvorschlags zur Klarstellung darauf hin, dass unter den Begriff "Anforderungen im Bereich gesetzlicher Hinterlegungspflichten" auch die Regelungen in den Pflichtexemplargesetzen der Länder fallen.