Der Bundesrat hat in seiner 947. Sitzung am 8. Juli 2016 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
Zur Vorlage insgesamt
- 1. Der Bundesrat begrüßt, dass Regelungsbedarf im Bereich von Geoblocking und anderen Diskriminierungen auf Grund von Staatsangehörigkeit, Wohnsitz oder dem Ort der ständigen Niederlassung erkannt wird. Er teilt die Auffassung, dass die Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt (Dienstleistungsrichtlinie) als Instrument insoweit nicht die gewünschte Wirkung erzielt hat. Deshalb wird begrüßt, die Dienstleistungsrichtlinie im Wege der vorgeschlagenen Verordnung zu präzisieren.
- 2. Der Bundesrat bedauert, dass der Verordnungsvorschlag eine unzulässige Diskriminierung lediglich auf Grund des Wohnsitzes und der Staatsangehörigkeit von Verbraucherinnen und Verbrauchern vorsieht. Damit werden nicht alle Diskriminierungstatbestände, denen Verbraucherinnen und Verbraucher während ihres alltäglichen Konsums ausgesetzt sind, erfasst. Dazu zählen insbesondere individualisierte Preise, bei denen mittels Big-Data-Analysen Rückschlüsse auf die vermeintliche Zahlungs- oder Kaufbereitschaft von Verbraucherinnen und Verbrauchern gezogen werden. Alle Kunden müssen aber darauf vertrauen können, dass ihnen im Onlinehandel von demselben Anbieter auch ein- und derselbe Referenzpreis angezeigt und angeboten wird. Soweit Anbieter von diesem Referenzpreis abweichen wollen, müssen sie verpflichtet werden, Verbraucherinnen und Verbraucher über die Bedingungen für eine Abweichung vom Referenzpreis in einer nachvollziehbaren und transparenten Weise zu informieren. Unter diesen Bedingungen bleibt beispielsweise die Gewährung von Rabatten oder anderen Preisreduzierungen in Abweichung zum Referenzpreis im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher weiterhin möglich.
Zu den einzelnen Vorschriften
3. Zu Artikel 1
Der Bundesrat begrüßt, dass der Anwendungsbereich (Artikel 1) die Staatsangehörigkeit und den Wohnsitz als Merkmale mit hohem Diskriminierungspotenzial von Verbraucherinnen und Verbrauchern erkennt. Er regt an zu konkretisieren, welche Fallgruppen davon erfasst sind. Es sollte verdeutlicht werden, dass auch eine mittelbare Diskriminierung auf Grund anderer Kriterien als Staatsangehörigkeit und Wohnsitz untersagt werden soll. Dazu wird angeregt, die in Erwägungsgrund 5 Satz 3 aufgezählten Beispielsfälle (die beim Zugriff auf eine Online-Schnittstelle verwendete IP-Adresse, die für die Lieferung von Waren angegebene Anschrift, die Wahl der Sprache sowie der Mitgliedstaat, in dem das Zahlungsinstrument des Kunden ausgegeben wurde) als Regelbeispiele direkt in den Verordnungstext aufzunehmen.
4. Zu Artikel 3 Absatz 2
Der Bundesrat regt zudem an zu präzisieren, welche Pflichten Anbieter treffen, die verschiedene Versionen einer Online-Schnittstelle für Kunden aus verschiedenen Mitgliedstaaten betreiben. Praktische Bedeutung dürfte dies insbesondere bei Online-Schnittstellen in unterschiedlichen Sprachen haben. Aus Artikel 3 Absatz 2 und Erwägungsgrund 15 ergibt sich lediglich, dass keine Weiterleitung auf eine andere Online-Schnittstelle des Anbieters ohne ausdrückliche Zustimmung des Kunden erfolgen darf. Für einen umfassenden Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern kommt es aber entscheidend darauf an, ob für den Anbieter zusätzlich auch das Gebot des Artikels 4 Absatz 1 gilt, wonach eine Ungleichbehandlung bei den allgemeinen Geschäftsbedingungen (darunter sind gemäß Artikel 2 Buchstabe d auch die Verkaufspreise zu verstehen) untersagt wäre. Dürften in einer Online-Schnittstelle, zu der weitergeleitet wird, keine anderen allgemeinen Geschäftsbedingungen gelten, dann würde dies die Position der Verbraucherinnen und Verbraucher stärken. Denn Verbraucherinnen und Verbraucher müssten die verschiedenen Versionen der Online-Schnittstellen des Anbieters für Kunden aus verschiedenen Mitgliedstaaten nicht mehr dahingehend vergleichen, auf welchen ihnen bessere allgemeine Geschäftsbedingungen geboten werden, zumal dieser Angebotsvergleich bei unterschiedlichen Sprachversionen erheblich erschwert sein dürfte.
5. Zu Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a
Der Bundesrat bedauert, dass gemäß Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a nur solche Fälle vom Diskriminierungsverbot umfasst sein sollen, in denen der Anbieter Waren nicht selbst oder durch einen von ihm Beauftragten in den Mitgliedstaat des Kunden zustellt. Damit wird also lediglich die Abholung durch den Kunden oder durch einen Beauftragten des Kunden bei einem Anbieter, der in einem anderen Mitgliedstaat sitzt, erfasst. Die Ausnahme für den grenzüberschreitenden Versandhandel wird wohl damit begründet, dass der Versand in andere Mitgliedstaaten eine dortige Mehrwertsteueranmeldung erfordere, sowie mit dem logistischen Aufwand, den der Versand für die Anbieter mit sich bringe (Erwägungsgrund 18). Mit dem grenzüberschreitenden Versandhandel wird bedauerlicherweise gerade ein Bereich ausgenommen, der für Verbraucherinnen und Verbraucher besonders attraktiv ist (sowohl wegen der bequemen Bestellmöglichkeit "per Mausklick" als auch wegen der erweiterten Möglichkeiten, Preise vergleichen zu können). Der Bundesrat bittet daher um Prüfung, wie der Anwendungsbereich der vorgeschlagenen Verordnung grundsätzlich auch auf den grenzüberschreitenden Versandhandel ausgeweitet werden kann. Im Rahmen dieser Regelung könnte unter anderem auch festgelegt werden, unter welchen Bedingungen Anbieter unterschiedliche Endpreise, beispielsweise wegen erhöhter Versandkosten in einen anderen Mitgliedstaat, verlangen dürfen.
- 6. Der Bundesrat begrüßt, dass der vorgelegte Verordnungsvorschlag keine Verpflichtung der Händler vorsieht, den grenzüberschreitenden Versand von Waren vorzunehmen, wenn sie diese in einem Mitgliedstaat nicht aktiv anbieten. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen mit ihren begrenzten Ressourcen ist es wichtig, dass sie weiterhin die Möglichkeit haben, ihre Aktivitäten auf ein oder auf wenige Mitgliedstaaten der EU zu begrenzen. Ansonsten würde die Entwicklung des E-Commerce gerade im KMU-Bereich stark behindert werden und der Markt wenigen großen Anbietern überlassen bleiben.
7. Zu Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b
Er gibt zu bedenken, dass der Ausschluss von elektronisch erbrachten Dienstleistungen, deren Hauptmerkmal die Bereitstellung von urheberrechtlich geschützten Werken oder sonstigen Schutzgegenständen und deren Nutzung ist, in der Praxis zu Abgrenzungsproblemen führen kann, etwa im Falle einer Videoplattform, deren Inhalte nicht nur gestreamt werden können, sondern die einzelne Videos auch in einer Cloud zum zeitsouveränen Abruf bereitstellt. Eine Differenzierung, worin vorliegend das Hauptmerkmal besteht und ob die Verordnung somit Anwendung findet oder nicht, dürfte in der Praxis rechtssicher nur schwerlich möglich sein.
8. Zu Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b und Artikel 9 Absatz 2
Der Bundesrat regt an, dass auch elektronisch erbrachte Dienstleistungen, deren Hauptmerkmal die Bereitstellung von urheberrechtlich geschützten Werken oder sonstigen Schutzgegenständen und deren Nutzung ist, vom Diskriminierungsverbot erfasst werden, sofern der Anbieter über die erforderlichen Rechte für die betreffenden Hoheitsgebiete verfügt. Es reicht nicht aus, dass Artikel 9 Absatz 2 des Verordnungsvorschlages vorsieht, eine Einbeziehung dieser Dienste zwei Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung zu überprüfen. Denn zum einen hat dieser Bereich eine hohe verbraucherpolitische Relevanz (unter anderem wegen der großen Beliebtheit von Streaming-Diensten für Musik und Filme). Zum anderen erscheinen die Anbieter auch nicht schutzbedürftig, soweit sie über die erforderlichen Lizenzrechte für die jeweiligen Territorien verfügen.
Im Übrigen
- 9. Aus Sicht des Bundesrates sollte in der vorgeschlagenen Verordnung noch eindeutiger klargestellt werden, dass im Fall eines Verkaufs an einen Kunden in einem Mitgliedstaat, in dem ein Händler nicht aktiv anbietet, das Verbraucherschutzrecht des Mitgliedstaats des Händlers gilt. Es wäre gerade für kleine und mittelgroße Handelsbetriebe unzumutbar, mit Rechtssystemen vieler Mitgliedstaaten zurechtzukommen, in denen sie gar nicht aktiv sein wollen. Gerade aus Sicht dieser Unternehmen ist es wichtig, ihr Angebot geographisch nicht zu stark ausweiten zu müssen. Viele kleine Händler sehen im Onlineshop nur eine Ergänzung zum stationären Geschäft. Sie zielen nicht in erster Linie auf internationale Kunden. Ein Zwang zum internationalen Versand ebenso wie die Anwendung ausländischen Rechts würden die Bemühungen konterkarieren, den KMU den Schritt in den E-Commerce zu erleichtern.