Zugeleitet mit Schreiben des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments - 310826 - vom 1. Juli 2010. Das Europäische Parlament hat die Entschließung in der Sitzung am 17. Juni 2010 angenommen.
Entschließung des Europäischen Parlaments vom 17. Juni 2010 zu dem israelischen Militäreinsatz gegen den humanitären Schiffsverband und der Blockade des Gaza-Streifens
Das Europäische Parlament,
- - unter Hinweis auf seine vorangegangenen Entschließungen zu Gaza, insbesondere die Entschließung vom 15. Januar 2009 zur Lage im Gaza-Streifen und die Entschließung vom 18. Februar 2009 zu humanitärer Hilfe für den Gaza-Streifen,
- - unter Hinweis auf die Erklärung von Venedig von 1980,
- - unter Hinweis auf die vorangegangenen Erklärungen des Nahost-Quartetts insbesondere vom 19. März 2010, in denen die Grundprinzipien von Triest vom 26. Juni 2009 bekräftigt werden, und vom 11. Mai 2010 zu der Wiederaufnahme von Annäherungsgesprächen zwischen Israelis und Palästinensern,
- - unter Hinweis auf die Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen Nr. 1860 vom 8. Januar 2009 (S/RES/1860(2009) und Nr. 1850 vom 16. Dezember 2008 (S/RES/1850(2008),
- - unter Hinweis auf die am 31. Mai 2010 im Namen der EU veröffentlichte Erklärung der Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik/Vizepräsidentin der Kommission Catherine Ashton zum israelischen Militäreinsatz gegen den Schiffsverband,
- - unter Hinweis auf die Erklärung des Vorsitzenden des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen 0(S/9940) vom 31. Mai 2010,
- - unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Rates vom 8. Dezember 2009 zum Friedensprozess im Nahen Osten,
- - unter Hinweis auf die Erklärung des Präsidenten des Europäischen Parlaments Jerzy Buzek vom 31. Mai 2010,
- - unter Hinweis auf die Resolution des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen vom 2. Juni 2010 zu den massiven Angriffen der israelischen Streitkräfte auf den humanitären Schiffsverband,
- - unter Hinweis auf die Resolution der Generalversammlung der Weltgesundheitsorganisation vom 18. Mai 2010,
- - unter Hinweis auf den Bericht des Welternährungsprogramms und der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) von November 2009 zur Lage in Gaza,
- - gestützt auf Artikel 110 Absatz 4 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass die in internationalen Gewässern durchgeführte Militäroperation Israels vom 31. Mai 2010 gegen einen Schiffsverband mit humanitärer Hilfe für den Gaza-Streifen den Tod von neun Zivilisten und die Verwundung von 38 Zivilisten und sieben israelischen Soldaten zur Folge hatte,
B. in der Erwägung, dass die Grenzübergänge von und nach Gaza seit Juni 2007 geschlossen sind, nachdem die Hamas die Macht mit militärischen Mitteln übernommen hat, und die Blockade des freien Verkehrs von Personen und Waren im Gaza-Streifen zu einer Zunahme der Armut, einem Stillstand des Wiederaufbaus und einer Abnahme der Wirtschaftstätigkeit geführt hat, so dass unter anderem ein von der Hamas kontrollierter blühender Schwarzmarkt entstanden ist; in der Erwägung, dass diese Blockade nicht zu der von der israelischen Regierung erwarteten und vom Europäischen Parlament wiederholt geforderten Freilassung von Gilad Shalit geführt hat; in der Erwägung, dass diese Blockade ihr Ziel der Schwächung der Extremisten nicht erreicht und dadurch, dass insbesondere die bedürftigsten Teile der Bevölkerung getroffen werden, zu einer zunehmenden Radikalisierung geführt hat,
C. in der Erwägung, dass die Blockade des Gaza-Streifens früheren Erklärungen von Organen der Vereinten Nationen zufolge eine kollektive Bestrafung darstellt, die im Widerspruch zum humanitären Völkerrecht steht,
D. in der Erwägung, dass 80 % der Bevölkerung von Gaza von Nahrungsmittelhilfe abhängig sind, für 60 % keine Ernährungssicherheit besteht, die Arbeitslosigkeit bei etwa 50 % liegt und sich die Bedingungen für die Gesundheit und die Umwelt erheblich verschlechtert haben,
E. in der Erwägung, dass nur 3.600 Wagenladungen Nahrungsmittelhilfe Gaza in den ersten drei Monaten dieses Jahres erreicht haben, während es in den ersten drei Monaten des Jahres 2007 36.000 Ladungen waren; in der Erwägung, dass nur 81 Produkte nach Gaza eingeführt werden dürfen, während das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) die Anzahl von Produkten, die für die Deckung der grundlegenden humanitären Bedürfnisse erforderlich sind, auf 6.000 schätzt,
F. in der Erwägung, dass die palästinensischen Gebiete der größte Drittlandsempfänger von EU-Mitteln sind und diese Unterstützung eine wichtige Rolle bei dem Versuch gespielt hat, die humanitäre Katastrophe im Gaza-Streifen zu lindern; in der Erwägung, dass die EU auch über das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) nach wie vor wesentliche humanitäre Hilfe im Gaza-Streifen leistet,
G. in der Erwägung, dass die Zwei-Staaten-Lösung nach wie vor die wesentliche Voraussetzung für einen dauerhaften Frieden zwischen Israelis und Palästinensern darstellt und daher jeder einseitige Schritt, der diese Perspektive beeinträchtigt, zu vermeiden ist; in der Erwägung, dass die laufenden Annäherungsgespräche zu einer Wiederaufnahme direkter Friedensverhandlungen mit der Perspektive der Gründung eines lebensfähigen palästinensischen Staates führen könnten, der in Frieden und Sicherheit Seite an Seite mit dem Staat Israel existiert,
H. in der Erwägung, dass die Hamas die Einfuhr der humanitären Güter, die der Schiffsverband geladen hatte, nach Gaza weiterhin verhindert,
- 1. spricht den Familien der Opfer sein Beileid aus;
- 2. verurteilt den israelischen Angriff auf den humanitären Schiffsverband in internationalen Gewässern, der einen Verstoß gegen das Völkerrecht darstellt;
- 3. fordert eine unmittelbare unabhängige internationale Untersuchung dieser Angriffe; besteht darauf, dass die Grundsätze der Rechenschaftspflicht und Haftung bestehen bleiben, und fordert die Hohe Vertreterin/Vizepräsidentin und die Mitgliedstaaten der EU auf, sich dafür einzusetzen, dass alle geeigneten Schritte unternommen werden, damit diese Forderung Wirkung zeigt;
- 4. fordert Israel auf, die Blockade von Gaza, die zu einer humanitären Katastrophe geführt und die Radikalisierung verstärkt hat, welche zu einer Quelle der Unsicherheit für Israel und die gesamte Region wird, unverzüglich zu beenden;
- 5. fordert, dass alle Angriffe auf Israel unverzüglich eingestellt werden, und weist warnend darauf hin, dass deren Urheber voll und ganz zu ihrer Verantwortung werden stehen müssen;
- 6. fordert die Hohe Vertreterin/Vizepräsidentin und die EU-Mitgliedstaaten auf, Schritte zu unternehmen, um die dauerhafte Öffnung aller Grenzübergänge nach und aus Gaza, einschließlich des Hafens von Gaza, mit einer angemessenen internationalen Kontrolle der Endverwertung sicherzustellen und die ungehinderte Einfuhr humanitärer Hilfsgüter und kommerzieller Güter, die für den Wiederaufbau und eine eigenständige Wirtschaft notwendig sind, sowie auch den Kapitalfluss und den freien Personenverkehr zu ermöglichen;
- 7. fordert die Hohe Vertreterin/Vizepräsidentin auf, dem Quartett unverzüglich einen Plan der EU mit dem Ziel der Beendigung der Blockade von Gaza vorzulegen und israelischen Sicherheitsbedenken durch die Gewährleistung einer internationalen Überwachung der Grenzübergänge einschließlich der Erneuerung bzw. Reaktivierung des Mandats der EU-Mission zur Unterstützung des Grenzschutzes (EU-BAM), möglicherweise durch eine seegestützte Dimension, Rechnung zu tragen, und internationale Seestreitkräfte zur Überwachung der Küste vor Gaza einzusetzen;
- 8. weist darauf hin, dass es sich selbst dann, wenn die EU bereit wäre, ihre Hilfeleistungen für die Palästinenser zu verlängern, nicht um eine unbefristete Verpflichtung handeln würde, und betont nachdrücklich, dass humanitäre Hilfe zwar niemals an Bedingungen geknüpft werden darf, die EU aber dennoch eine politische Rolle spielen und konkrete Ergebnisse im Hinblick auf die Gründung eines lebensfähigen palästinensischen Staates erzielen muss, die ihrer erheblichen finanziellen Unterstützung und ihrem wirtschaftlichen Gewicht in der Region entsprechen;
- 9. bekräftigt seine Unterstützung für die Annäherungsgespräche zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde und betont, dass sie fortgesetzt werden müssen, damit schließlich wieder direkte Verhandlungen aufgenommen werden können;
- 10. bekundet seine Überzeugung, dass die Nahost-Politik der EU dringend und umfassend neu gestaltet werden muss, damit die EU eine entscheidende, kohärente politische Rolle übernehmen und mit wirksamen diplomatischen Instrumenten zur Förderung von Frieden und Sicherheit in dieser Nachbarregion, die für die EU von wesentlichem strategischen Interesse ist, beitragen kann; ist der Auffassung, dass dies auf alle EU-Politikbereiche, u.a. auch auf die Handels- und Entwicklungspolitik, ausgedehnt werden sollte;
- 11. begrüßt die Arbeit des UNRWA und fordert die internationale Gebergemeinschaft angesichts des Mangels an finanziellen Mitteln, mit dem es noch vor Jahresende konfrontiert sein wird, auf, ihren Zusagen nachzukommen und ihre Beiträge weiter anzuheben;
- 12. stellt fest, dass die jüngsten Ereignisse die Beziehungen zwischen der Türkei und Israel erheblich beeinträchtigt haben; bestärkt die türkische Regierung darin, ihre diplomatischen und politischen Bemühungen auf die Erleichterung der Notlage der palästinensischen Bevölkerung zu konzentrieren und zum Nahost-Friedensprozess beizutragen;
- 13. begrüßt die kürzlich erfolgte Öffnung des Grenzübergangs von Rafah durch die ägyptischen Behörden;
- 14. fordert die sofortige Freilassung des israelischen Unteroffiziers Gilad Shalit, der am 25. Juni 2006 auf israelischem Gebiet von der Hamas entführt wurde und seither ohne Kontakt zur Außenwelt in Gaza festgehalten wird;
- 15. fordert den Rat auf, Schritte zu unternehmen, um unverzüglich den Assoziationsrat EU-Israel einzuberufen, um die derzeitige Lage zu erörtern;
- 16. fordert den Rat ferner auf, Schritte zu unternehmen, um den Gemeinsamen Ausschuss EU-Palästinensische Autonomiebehörde einzuberufen;
- 17. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, der Hohen Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten, dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, dem Gesandten des Nahost-Quartetts, dem Generalsekretär der Arabischen Liga, der israelischen Regierung, der Knesset, dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, dem Palästinensischen Legislativrat, der Regierung und dem Parlament der Türkei sowie der Regierung und dem Parlament Ägyptens zu übermitteln.