979. Sitzung des Bundesrates am 28. Juni 2019
A
Konzept des EU-Ausschusses
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union empfiehlt dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat lehnt den Vorschlag der Kommission zum schrittweisen Übergang vom derzeitigen Einstimmigkeitsprinzip im Rat in Sachen der Besteuerung im Umwelt- und Energiebereich zur Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens ab.
- 2. Das Steuerrecht gehört zum Kernbestand nationaler Souveränität. Steuern sind die wichtigste Einnahmequelle der Staaten und von zentraler Bedeutung für die Sicherstellung einer stabilen Wirtschaft, einer effizienten Infrastruktur und eines geordneten gesellschaftlichen Zusammenlebens. Dies erfordert ein substanzielles Mitsprache- und Mitentscheidungsrecht der Mitgliedstaaten. In diesem Zusammenhang sollte das Prinzip der Einstimmigkeit im Rat im Bereich des Steuerrechts beibehalten werden.
- 3. Die von der Kommission verfolgte Stärkung der EU im Bereich der Steuerpolitik würde gleichzeitig eine Schwächung der Mitgliedstaaten und in Deutschland damit auch der Einflussmöglichkeiten der Länder bewirken.
- 4. Eine Aufgabe des Einstimmigkeitsprinzips würde zudem zu weitreichenderen Vorgaben seitens der EU führen, die auf nationaler Ebene ohne grundlegende Gestaltungsmöglichkeiten umzusetzen wären.
- 5. Dies läuft sowohl dem Interesse nach Sicherung der Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden als auch einer verlässlichen und vorhersehbaren Besteuerung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen zuwider.
- 6. Durch die vorgeschlagene Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip bei der Besteuerung im Umwelt- und Energiebereich würde zudem der Vorbehalt eines Mitgliedstaates, die Bedingungen für die Nutzung seiner Energieressourcen, seine Wahl zwischen verschiedenen Energiequellen und die allgemeine Struktur seiner Energieversorgung zu bestimmen (Artikel 194 Absatz 2 AEUV), weiter ausgehöhlt werden. Die Empfehlung der Kommission betrifft eine Regelungsmaterie, die aufgrund der unterschiedlichen Gegebenheiten in den einzelnen Mitgliedstaaten einen demokratischen Verständigungsprozess auf nationaler Ebene erfordert. Die Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip wird dem nicht gerecht.
- 7. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.
B
Konzept des Fz-Ausschusses
Der Finanzausschuss empfiehlt dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
8. Der Bundesrat begrüßt die durch den Vorschlag der Kommission angestoßene Debatte, mit Blick auf steuerliche Regelungen in der Energie- und Klimapolitik zu einer Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit überzugehen. Er teilt die Auffassung der Kommission, dass die Steuerpolitik ein wichtiges Instrument darstellt, um die Verwirklichung gemeinsamer Ziele in der Energiepolitik sicherzustellen und insbesondere den Umstieg auf erneuerbare Energien zu erleichtern und so den Klimaschutz zu stärken.
C
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit empfiehlt dem Bundesrat darüber hinaus, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
9. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung dazu auf, auf der Ebene der EU darauf hinzuwirken, zeitnah einen Konvent nach Artikel 48 Absatz 3 EUV in Verbindung mit Artikel 106a EURATOM-Vertrag zur umfassenden Reform des EURATOM-Vertrags einzuberufen. Neben der von der Kommission angestrebten Demokratisierung der Entscheidungsprozesse sollte eine Reform des EURATOM-Vertrags nach Ansicht des Bundesrates folgende Punkte zum Ziel haben:
- - die Schaffung gemeinsamer Europäischer Sicherheitsstandards,
- - die Schaffung eines einheitlichen europäischen Haftungsrechts,
- - die Beendigung des Förderzwecks im EURATOM-Vertrag,
- - die Beschränkung der Förderung der Forschung auf die Grundlagenforschung, die Forschung zum Ausstieg aus der Kernenergienutzung und Endlagerung, die nukleare Sicherheit und Sicherung, den Strahlenschutz und die Nichtverbreitung,
- - die Sicherstellung der Finanzierung des Rückbaus von Atomkraftwerken und - die Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip hin zum Mehrheitsprinzip für Entscheidungen im Rat.
Begründung zu Ziffer 9 (nur gegenüber dem Plenum):
In der vorliegenden Mitteilung thematisiert die Kommission die Frage, wie zu einer demokratischeren Beschlussfassung im EURATOM-Bereich gelangt werden könne.
Es wird darauf hingewiesen, dass derzeit für die Annahme von Rechtsakten im Rahmen des EURATOM-Vertrags das Europäische Parlament nur konsultiert werde, während nach dem Vertrag von Lissabon das ordentliche Gesetzgebungsverfahren mit den dazugehörenden Befugnissen des Europäischen Parlaments auf beinahe alle Politikbereiche ausgeweitet worden sei. Mit Bezug darauf geht die Mitteilung davon aus, dass es nützlich sein könnte, auszuloten, wie die Rolle des Europäischen Parlaments gestärkt und die demokratische Legitimität der Beschlussfassung im Rahmen von EURATOM verbessert werden könnte. Auch sei es wünschenswert, die Rolle der nationalen Parlamente im EURATOM-Bereich weiter zu stärken.
Es wird darauf hingewiesen, dass im EURATOM-Vertrag kein vereinfachtes Verfahren für seine Überarbeitung im Sinne von Artikel 48 Absatz 7 EUV vorgesehen ist und auch die Überleitungsklauseln in den EU-Verträgen nicht für den EURATOM-Vertrag gelten. Die Ausweitung des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens im Bereich von EURATOM könne daher nur Teil eines umfassenderen Prozesses der Reform des EURATOM-Vertrags sein, für die das ordentliche Änderungsverfahren für Verträge gemäß Artikel 48 EUV gelte.
Ein solches Änderungsverfahren erwägt die Kommission jedoch erst ab 2025.
Zur Vorbereitung will die Kommission in den kommenden Monaten eine hochrangige Sachverständigengruppe einsetzen, deren Aufgabe es sein soll, den Sachstand hinsichtlich des EURATOM-Vertrags zu bewerten und der Kommission darüber Bericht zu erstatten, damit auf der Grundlage des geltenden Vertrags überlegt werden kann, wie die demokratische Rechenschaftspflicht verbessert werden könnte.
Es kann jedoch nicht der Kommission überlassen bleiben,
- - im Rahmen der Einsetzung einer hochrangige Sachverständigengruppe den Bedarf an Reformen zu bestimmen und
- - den Reformprozess des EURATOM-Vertrags erst 2025 einzuleiten.
Vielmehr müssen die Vertragsstaaten selbst tätig werden und den Reformprozess durch die Einberufung eines Konvents in die Hand nehmen.
Die Mitteilung zeigt, dass die Vorstellungen der Kommission zum Reformbedarf nur sehr unzureichend sind. Der Kommission geht es schwerpunktmäßig darum, die Rolle des Europäischen Parlaments zu stärken und die demokratische Legitimität der Beschlussfassung im Rahmen von EURATOM zu verbessern. Im EURATOM-Bereich sollen zukünftig Entscheidungen unter gleichberechtigter Mitwirkung des Europäischen Parlaments getroffen werden. Das ist ein wichtiges Ziel.
Unberücksichtigt bleibt dabei aber die Beendigung des Förderzieles einschließlich entsprechender Förderungen der Forschung für Atomanlagen im EURATOM-Vertrag, gemeinsame europäische Sicherheitsstandards für Atomkraftwerke, die Schaffung eines einheitlichen europäischen Haftungsrechts und die Sicherstellung der Finanzierung des Rückbaus von Atomkraftwerken.
Außerdem bedarf es der Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip hin zum Mehrheitsprinzip für Entscheidungen im Rat für den EURATOM-Bereich. Einerseits weist die Kommission in ihrer Mitteilung darauf hin, dass die potenziellen grenzübergreifenden Auswirkungen der nuklearen Sicherheit einen Rechtsrahmen erfordern, der über die Grenzen der Mitgliedstaaten hinausgeht, andererseits bestehe aber seitens der Vertragsstaaten Einvernehmen darüber, dass jeder Mitgliedstaat für sich selbst auf nationaler Ebene über die Nutzung der Atomenergie entscheidet. Diese Eigenständigkeit fordert dann aber zumindest einen Rahmen von Regularien, die im Hinblick auf die grenzüberschreitenden Auswirkungen dem Sicherheitsbedürfnis der Nachbarstaaten Rechnung tragen. Das wird letztlich auch im Bereich von EURATOM nur in der Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip hin zum Mehrheitsprinzip für Entscheidungen im Rat erreichbar sein.
Die Bundesregierung sollte daher darauf hinwirken, dass so schnell wie möglich nach Artikel 48 Absatz 3 EUV in Verbindung mit Artikel 106a EURATOM-Vertrag ein Konvent für eine umfassende Reform des EURATOM-Vertrags mit den genannten Zielen einberufen wird. Ein Aufschieben einer Reform und eines Konventprozesses etwa bis zur Mitte des nächsten Jahrzehnts ist im Hinblick auf die immer älter werdenden Atomkraftwerke und die hierfür geplanten Verlängerungsgenehmigungen sowie den geplanten Neubau von Atomkraftwerken nicht akzeptabel.
Ohne die Aufgabe des Förderzwecks im EURATOM-Vertrag wird die Entwicklung eines europäischen Energiebinnenmarktes behindert und der Wettbewerb zu Lasten erneuerbarer Energien verzerrt. Die Atomkernenergienutzung zur Energieerzeugung als Hochrisikotechnologie darf nicht mehr als sichere und nachhaltige CO₂-arme Technologie gelten.
D
10. Der Wirtschaftsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.