COM (2018) 184 final; Ratsdok. 7877/18
Der Bundesrat hat in seiner 969. Sitzung am 6. Juli 2018 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt das mit dem Richtlinienvorschlag verfolgte Ziel, mit der Verbandsklage ein effizientes Instrument zur Verfügung zu stellen, um Verstöße gegen das Unionsrecht, die den kollektiven Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher schaden, zu unterbinden und von rechtswidrigen Praktiken abzuschrecken. Die nach der Richtlinie 2009/22/EG vom 23. April 2009 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen bestehende Möglichkeit für qualifizierte Einrichtungen, Unterlassungsklagen anzustrengen, um Verstöße gegen verbraucherschützendes Unionsrecht zu unterbinden und zu verhindern, sowie die Möglichkeit der Verbraucherinnen und Verbraucher, durch individuelle Klagen Ersatz eines aus diesen rechtswidrigen Praktiken entstehenden Schadens geltend zu machen, erscheinen nicht ausreichend, um die betroffenen Verbraucherinnen und Verbraucher effektiv zu schützen. Der Bundesrat stimmt daher im Grundsatz mit der Kommission darin überein, dass die Möglichkeit bestehen sollte, Kollektivinteressen der Verbraucherinnen und Verbraucher im Rahmen einer Verbandsklage zu vertreten.
- 2. Er begrüßt, dass eine Klagemöglichkeit geschaffen werden soll, mit der sogenannte qualifizierte Einrichtungen wie Verbraucherverbände künftig stellvertretend für Geschädigte klagen können. Der Bundesrat sieht hierin einen bedeutenden Fortschritt für die Verbraucherinnen und Verbraucher hin zu mehr Chancengerechtigkeit.
- 3. Er teilt die Einschätzung der Kommission, dass das Instrument der Verbandsklage allerdings auch zum Schaden der Wirtschaft missbraucht werden kann und daher Maßnahmen getroffen werden müssen, um diesen Missbrauch zu verhindern. Auch eine Verbandsklage, die sich am Ende als unbegründet erweist, kann Unternehmen und ihren Ruf erheblich belasten. Der Bundesrat hält es daher für bedenklich, dass für die Verbandsklage, auch soweit sie auf Feststellung der Haftung oder auf Leistung gerichtet ist, keine Mindestanzahl an betroffenen Verbraucherinnen und Verbrauchern verlangt wird, sondern die Kollektivinteressen der Verbraucherinnen und Verbraucher in Artikel 3 Nummer 3 des Richtlinienvorschlags lediglich als "Interessen mehrerer Verbraucher" definiert werden.
- 4. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, sich auf EU-Ebene für eine Klarstellung einzusetzen, damit das Kriterium in Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe c des Richtlinienvorschlags "Sie verfolgt keinen Erwerbszweck" die bestehenden Verbraucherzentralen der Länder sowie den Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. nicht ausschließen kann.
- 5. Der Richtlinienvorschlag geht über die Richtlinie 2009/22/EG weit hinaus, indem Ziel und Ergebnis einer Verbandsklage nicht nur die Beendigung oder das Verbot einer rechtswidrigen Praxis, sondern auch die zugunsten der Verbraucherinnen und Verbraucher wirkende Feststellung sein kann, dass eine Praktik einen Verstoß gegen Unionsvorschriften darstellt, der den Kollektivinteressen der Verbraucherinnen und Verbraucher schadet. Die daran geknüpften Folgen sind sehr weitgehend: So soll diese Feststellung die Grundlage für Abhilfemaßnahmen nach Artikel 6 des Richtlinienvorschlags sein; auch gilt der festgestellte Verstoß in anderen Verfahren, soweit sie im selben Mitgliedstaat geführt werden, nach Artikel 10 Absatz 1 des Richtlinienvorschlags als unwiderlegbar nachgewiesen und er wird in Verfahren in anderen Mitgliedstaaten widerlegbar vermutet. Auch die Erhebung der Verbandsklage selbst soll schon Wirkungen haben, die nicht nur die Verfahrensbeteiligten betreffen, indem die Verjährung von Ansprüchen betroffener Verbraucherinnen und Verbraucher nach Artikel 11 des Richtlinienvorschlags ohne Weiteres gehemmt oder unterbrochen sein soll.
- 6. Der Bundesrat sieht den Eintritt derartig weitreichender Rechtsfolgen nur als gerechtfertigt an, wenn die Verbraucherin bzw. der Verbraucher sich auch an die Ergebnisse des Verfahrens bindet, indem sie bzw. er sich über einen gegebenenfalls vom nationalen Recht vorzugebenden Mechanismus, etwa der Anmeldung zu einem Klageregister an dem Verfahren, passiv beteiligt ("optin"). Der Bundesrat verweist insoweit auf die Empfehlungen der Kommission 2013/396/EU "Gemeinsame Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren in den Mitgliedstaaten bei Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten" vom 11. Juni 2013. Dort wird in Nummer 21 ausdrücklich ausgeführt:
"Die Klagepartei sollte auf der Grundlage der ausdrücklichen Zustimmung der natürlichen oder juristischen Personen gebildet werden, die einen Schaden geltend machen ("Optin"-Prinzip). Jede per Gesetz oder durch gerichtliche Entscheidung verfügte Ausnahme sollte mit Gründen der ordnungsgemäßen Rechtspflege gerechtfertigt werden müssen."
- 7. Er sieht die Pflicht des Unternehmers nach Artikel 9 des Richtlinienvorschlags, die betroffenen Verbraucherinnen und Verbraucher über das Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung zu informieren, als zu weitgehend an. Für den Unternehmer ist es regelmäßig nicht möglich, sämtliche betroffenen Verbraucherinnen und Verbraucher zu ermitteln und damit zu benachrichtigen. Bekannt sind ihm im Zweifel nur diejenigen Verbraucherinnen und Verbraucher, die sich an dem Verfahren durch Mandatierung beteiligt haben. Ihre Benachrichtigung kann jedoch schon über das Verfahren selbst sichergestellt werden.
- 8. Nach Auffassung des Bundesrates widerspricht es dem Grundsatz der Waffengleichheit, wenn in Artikel 10 des Richtlinienvorschlags ausgeführt wird, dass der durch eine rechtskräftige Entscheidung festgestellte Verstoß, der die Kollektivinteressen der Verbraucherinnen und Verbraucher schädigt, für die Zwecke anderer Rechtsschutzklagen als unwiderlegbar nachgewiesen gilt, während umgekehrt ein vom Gericht verneinter Verstoß das beklagte Unternehmen nicht in etwaigen Individualklagen vor den nationalen Gerichten schützt. Hier ist zu fordern, dass die rechtskräftigen Feststellungen des Gerichts im Rahmen des Verbandsklageverfahrens die Rechtslage umfassend klären, das heißt auch zu Gunsten des beklagten Unternehmers, wenn ein Verstoß nicht festgestellt werden konnte. Eine Bindungswirkung auch in diese Richtung setzt aber, wie bereits ausgeführt, voraus, dass die Verbraucherin bzw. der Verbraucher durch Anmeldung zu einem Klageregister zu erkennen gegeben hat, dass das Verbandsklageverfahren auch auf ihr bzw. sein individuelles Rechtsverhältnis und ihre bzw. seine prozessuale Stellung Auswirkungen haben soll.
- 9. Vor diesem Hintergrund weist der Bundesrat darauf hin, dass die Regelungen in den Artikeln 5 und 6 des Richtlinienvorschlags zu der Frage, ob ein Mandat der Verbraucherin bzw. des Verbrauchers erforderlich ist, unklar erscheinen.
Nach Artikel 6 Absatz 1 Satz 2 des Richtlinienvorschlags kann ein Mitgliedstaat das Mandat der einzelnen betroffenen Verbraucherinnen und Verbraucher verlangen, bevor ein Feststellungs- oder ein Abhilfebeschluss erlassen wird.
Nach Artikel 5 Absatz 2 Satz 2 des Richtlinienvorschlags müssen zur Erwirkung von Verfügungen nach Buchstabe b, das heißt zur Feststellung, dass die Praktik eine Rechtsverletzung darstellt, die qualifizierten Einrichtungen jedoch nicht das Mandat der einzelnen betroffenen Verbraucherinnen und Verbraucher einholen.
Nach Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe a Satz 2 des Richtlinienvorschlags stellt in Fällen, in denen die von einem Verstoß betroffenen Verbraucherinnen und Verbraucher identifizierbar sind und einen vergleichbaren Schaden erlitten haben, das Erfordernis des Mandats der einzelnen betroffenen Verbraucherinnen und Verbraucher keine Bedingung für die Klageerhebung dar. Das gleiche gilt nach Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe b Satz 2 des Richtlinienvorschlags, soweit die Verbraucherin bzw. der Verbraucher einen geringfügigen Verlust erlitten hat und es unverhältnismäßig wäre, die Entschädigung auf die Verbraucherinnen und Verbraucher zu verteilen. Hier sollen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass das Mandat der einzelnen betroffenen Verbraucherinnen und Verbraucher gerade nicht verlangt wird. Das Zusammenspiel der genannten Vorschriften bleibt unklar. Aus Sicht des Bundesrates können die Klage und das Urteil nur dann Rechtswirkungen auch zugunsten der Verbraucherin bzw. des Verbrauchers entfalten, wenn diese bzw. dieser sich durch ein Mandat im weiteren Sinne (etwa eine Anmeldung zu einem Register) an dem Verfahren beteiligt. Diese Anmeldung sollte in einem frühen Stadium des Verfahrens vorliegen, damit das beklagte Unternehmen insbesondere im Hinblick auf Vergleichsverhandlungen feststellen kann, in welchem Umfang seine Beziehungen zu den betroffenen Verbraucherinnen und Verbrauchern durch das Verfahren erfasst werden. Eine Verbraucherbeteiligung erscheint lediglich für die Verfahrensarten entbehrlich, die bereits nach der Richtlinie 2009/22/EG eingeleitet werden konnten, soweit an diese keine zusätzlichen Rechtsfolgen geknüpft werden.
- 10. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung zu prüfen, ob in der in Anhang I vorgenommenen Auflistung alle verbraucherrechtlich relevanten Regelungen enthalten sind, und gegebenenfalls auf EU-Ebene um Ergänzung zu bitten.
- 11. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.
* Erster Beschluss des Bundesrates vom 8. Juni 2018, siehe BR-Drucksache 155/18(B) .