COM (2019) 8 final
977. Sitzung des Bundesrates am 17. Mai 2019
A
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union empfiehlt dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat lehnt den Vorschlag der Kommission zum schrittweisen Übergang vom derzeitigen Einstimmigkeitsprinzip im Rat in Steuersachen zur Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens ab.
- 2. Das Steuerrecht gehört zum Kernbestand nationaler Souveränität. Steuern sind die wichtigste Einnahmequelle der Staaten und von zentraler Bedeutung für die Sicherstellung einer stabilen Wirtschaft, einer effizienten Infrastruktur und eines geordneten gesellschaftlichen Zusammenlebens. Dies erfordert ein substanzielles Mitsprache- und Mitentscheidungsrecht der Mitgliedstaaten. In diesem Zusammenhang sollte das Prinzip der Einstimmigkeit im Rat im Bereich des Steuerrechts beibehalten werden.
- 3. Die von der Kommission verfolgte Stärkung der EU im Bereich der Steuerpolitik würde gleichzeitig eine Schwächung der Mitgliedstaaten und in Deutschland damit auch der Einflussmöglichkeiten der Länder bewirken, die am Steueraufkommen partizipieren. Eine Aufgabe des Einstimmigkeitsprinzips würde zudem zu weitreichenderen Vorgaben seitens der EU führen, die auf nationaler Ebene ohne grundlegende Gestaltungsmöglichkeiten umzusetzen wären. Dies läuft sowohl dem Interesse nach Sicherung der Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden als auch einer verlässlichen und vorhersehbaren Besteuerung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen zuwider.
- 4. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, in den weiteren Verhandlungen auf europäischer Ebene die vorstehende Haltung zur Geltung zu bringen.
- 5. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.
B
Der Finanzausschuss empfiehlt dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 6. Der Bundesrat begrüßt die durch den Vorschlag der Kommission angestoßene Debatte zum schrittweisen Übergang vom derzeitigen Einstimmigkeitsprinzip im Rat in Steuersachen zur Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens.
- 7. Der Bundesrat teilt die Auffassung, dass die Steuerpolitik erhebliche Bedeutung für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung des EU-Binnenmarkts hat. Die Steuerpolitik ist der letzte Politikbereich in der EU, in dem die Beschlussfassung ausschließlich einstimmig erfolgt. Der Bundesrat hält es für sinnvoll, das bisher uneingeschränkt geltende Einstimmigkeitsprinzip in diesem Bereich zu überdenken. Aus Sicht des Bundesrates gilt dies insbesondere für Maßnahmen, die die Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung zwischen den Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung von grenzüberschreitender Steuervermeidung, Steuerbetrug und Steuerhinterziehung betreffen.
- 8. Der Bundesrat begrüßt die bisherigen Bemühungen der Kommission im Rahmen des BEPS-Projekts der OECD für ein faires und effizientes Steuersystem in Europa und bittet die Kommission, diese entschlossen fortzusetzen. Mit den bereits beschlossenen steuerlichen Rechtsvorschriften wird die Steuertransparenz erhöht, gegen Steuermissbrauch vorgegangen und der Steuerbetrug bekämpft. Die europäische Steuerpolitik stärkt damit auch die Einnahmebasis der Mitgliedstaaten.
- 9. Der Bundesrat teilt die Einschätzung der Kommission, nach der einzelne Mitgliedstaaten ihr Vetorecht zur Verfolgung konkreter nationaler Partikularinteressen zum Nachteil des Binnenmarktes und der anderen Mitgliedstaaten nutzen können. Auf diese Weise wird der schädliche Steuerwettbewerb angeheizt, der Handlungsspielraum aller Mitgliedstaaten eingeschränkt und die Herstellung von Steuergerechtigkeit erschwert.
- 10. Das Einstimmigkeitsprinzip in der europäischen Steuerpolitik schützt einerseits die bestehende nationalstaatliche Steuerautonomie. Andererseits kann ein Vetorecht für jeden einzelnen Mitgliedstaat wichtige gemeinsame Binnenmarktprojekte oder eine von den europäischen Bürgerinnen und Bürgern mehrheitlich gewünschte gemeinsame Ausrichtung der Steuerpolitik auf europäischer Ebene verhindern. Die Erfahrungen mit den Diskussionen um die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, die Besteuerung der Digitalwirtschaft oder eine gemeinsame (konsolidierte) Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage verdeutlichen dies.
- 11. Der Bundesrat setzt sich für eine europäische Mindestbesteuerung von Unternehmen ein. Zum einen sollte eine gemeinsame Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage geschaffen werden. Zum anderen ist ein europäischer Mindeststeuersatz für Unternehmensgewinne festzulegen, der den ruinösen Wettlauf um die niedrigsten Steuersätze unterbindet.
- 12. Der Bundesrat unterstützt die Bemühungen, global agierende Digitalunternehmen einer Mindestbesteuerung zu unterwerfen. Die EU hat hier eine besondere Verantwortung zur Wahrung der Steuergerechtigkeit.
- 13. Der Bundesrat befürwortet die Einführung einer Finanztransaktionssteuer zumindest auf der Ebene der EU, da sie der Entkoppelung der Finanzmärkte von der Realwirtschaft entgegenwirkt, Spekulationsanreize vermindert und somit auch dazu beitragen kann, die Finanzmärkte zu stabilisieren.
- 14. Der Bundesrat sieht in der Ausgestaltung der Steuersysteme in der EU eine wichtige Stellschraube, um die Anreizwirkung für wirksamen Klimaschutz wesentlich zu verbessern. Der Bundesrat hält die Einführung einer Abgabe auf CO₂-Emissionen für einen dringend gebotenen ersten Schritt. Eine solche Abgabe sollte eine ökologische Lenkungswirkung erzeugen und dabei grundsätzlich so ausgestaltet werden, dass Verbraucherinnen und Verbraucher in ihrer Gesamtheit nicht höher belastet werden und die soziale Verträglichkeit gewahrt wird.
- 15. Mit dem im Jahr 2018 eingeführten "Country-by-country-Reporting" zwischen den Finanzverwaltungen wurde ein erster Schritt zu mehr Transparenz bei Steuergestaltungen unternommen. Nach Auffassung des Bundesrates kann eine öffentliche, länderbezogene Berichterstattung ein wirkungsvolles Instrument darstellen, um Gewinnverkürzungen und -verlagerungen zu bekämpfen. Durch die Veröffentlichung eines Ertragsteuerinformationsberichts wird das "Country-by-country-Reporting" sinnvoll ergänzt, indem auf die präventive Wirkung von Reputationseffekten und die öffentliche Debatte gesetzt wird. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Transparenz und Fairness der Steuersysteme kann dadurch weiter gestärkt werden.
- 16. Steuern sind die finanzielle Basis des Rechtsstaats, der Bereitstellung öffentlicher Leistungen und des sozialen Friedens. Sie dienen der Finanzierung der demokratisch legitimierten Politik der Kommunen, Regionen, Länder, Mitgliedstaaten und EU. Eine gemeinsame europäische Steuerpolitik muss deshalb die verfassungsmäßigen Rechte der Mitgliedstaaten und auch der Länder in Haushaltsfragen berücksichtigen und die Steuerbasis der Mitgliedstaaten stärken. Ein direktes Eingreifen in die Steuerverwaltungskompetenzen der Länder muss ausgeschlossen sein.
- 17. Der Bundesrat begrüßt die mit dem schrittweisen Übergang zur Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit in Steuerfragen einhergehende Stärkung der Rolle des Europäischen Parlaments in der Steuerpolitik. Er verbindet damit die Hoffnung, dass die genannten Herausforderungen in der europäischen Steuerpolitik gezielt angegangen werden können.
- 18. Der Bundesrat hält den von der Kommission vorgelegten Fahrplan mit vier Schritten zu einem Übergang zur Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit bei bestimmten Steuerfragen für eine erste geeignete Diskussionsgrundlage, die allerdings noch weiterer Konkretisierungen bedarf. Die Länder erwarten, dass sie in die Diskussionen frühzeitig einbezogen werden.
- 19. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die weitere Ausgestaltung einer effizienteren und demokratischeren Beschlussfassung in der EU-Steuerpolitik und das Thema Steuergerechtigkeit zu einem Schwerpunkt der deutschen Ratspräsidentschaft 2020 zu machen.
C
- 20. Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit und der Wirtschaftsausschuss empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.