Punkt 1 der 969. Sitzung des Bundesrates am 6. Juli 2018
Der Bundesrat möge die nachstehende Entschließung fassen:
Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die bis zum 31. Dezember 2018 befristete Sonderregelung des § 115 SGB IV für Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft zu entfristen und damit die zeitlichen Grenzen für sozialversicherungsfreie Beschäftigungen gemäß § 8 Absatz 1 Nummer 2 SGB IV dauerhaft von zwei Monaten bzw. 50 Arbeitstagen auf drei Monate bzw. 70 Arbeitstage zu erhöhen.
Begründung:
Mit dem Tarifautonomiestärkungsgesetz vom 11. August 2014 wurde zum 1. Januar 2015 nicht nur der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn in Deutschland eingeführt, sondern durch Einfügung des § 115 in das Vierte Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB IV) auch eine Ausweitung der Zeitgrenzen für kurzfristige sozialversicherungsfreie Beschäftigungen vorgenommen. Die bis dahin geltenden zeitlichen Grenzen für sozialversicherungsfreie Beschäftigungen von zwei Monaten bzw. 50 Arbeitstagen gemäß § 8 Absatz 1 Nummer 2 SGB IV wurden auf drei Monate bzw. 70 Arbeitstage erhöht.
Durch die 70-Tage-Regelung in § 115 SGB IV sollte möglichen Problemen vor allem bei der Saisonarbeit durch die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns Rechnung getragen werden. Gerade im landwirtschaftlichen Bereich sind Saisonarbeitskräfte oftmals für Arbeitgeber unentbehrlich. Diese konnten bis zur befristeten Verlängerung der Beschäftigungsdauer lediglich 50 Tage als kurzfristig Beschäftigte engagiert werden, was oftmals zeitlich nicht ausreichte und den betrieblichen Herausforderungen in der Landwirtschaft nicht gerecht wurde.
Die Sonderregelung des § 115 SGB IV ist für eine Übergangszeit befristet und läuft am 31. Dezember 2018 aus.
Aus mehreren Gründen, die sowohl beschäftigungs- und wirtschaftspolitischer als auch organisatorischer Art sind, ist eine Entfristung aus sachlicher Sicht angezeigt und deshalb erforderlich.
Kommt es zu keiner Entfristung, wären die Folgen beachtlich und hätten enorme Auswirkungen:
- - Gut eingearbeitete saisonale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssten während der Erntesaison ausgetauscht und neue Saisonarbeitskräfte angelernt werden.
- - Das Finden von geeignetem Personal wird jährlich schwieriger, da motiviertes Personal häufig eine längere Beschäftigungsdauer bevorzugt. Sollte keine Entfristung erfolgen, wird es zukünftig fraglich sein, ob der Bedarf an saisonalen Arbeitskräften ausreichend gedeckt werden kann, da zweifelhaft ist, ob Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bereit sind, zum Beispiel nur für einen oder zwei Monate anzureisen und zu arbeiten. Eine Beschäftigung von nur zwei Monaten rentiert sich für Erntekräfte, die relativ hohe Reisekosten zu tragen haben, kaum.
- - Der Verwaltungsaufwand für die Betriebe und die Verwaltung würde deutlich erhöht, wenn neues Personal innerhalb einer Saison angestellt werden müsste. So müssten zum Beispiel neue Arbeitsverträge erstellt und zahlreiche Unterlagen zum Status des Sozialversicherungsnachweises angefordert werden. Weiterhin müssten neue Mietverträge, Verwahr- und Verpflegungsvereinbarungen erstellt werden. Auch müssten in der Summe weitere Lohnabrechnungen erstellt werden. Der Verwaltungsaufwand wäre somit immens.
- - Es besteht die Gefahr, dass ohne die Entfristung die regionale Produktion von arbeitsintensiven Kulturen in der Landwirtschaft wirtschaftlich in Frage gestellt ist. Dadurch wären zahlreiche Arbeitsplätze von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Betriebe gefährdet. Zudem würde die emissionsvermeidende und bei Verbraucherinnen und Verbrauchern besonders nachgefragte regionale Versorgung mit landwirtschaftlichen Produkten erschwert.
Des Weiteren gilt es zu bedenken, dass Arbeitskräfte, die in Deutschland einer Saisonarbeit nachgehen, eine Anreise von nicht selten über 2 000 Kilometern haben. Damit verbunden ist für sie die Organisation der familiären Situation vor Ort für die Dauer ihrer Abwesenheit sowie verhältnismäßig hohe Verwaltungskosten. Diesen Aufwand und diese Kosten nehmen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eher in Kauf, wenn dem ein längerer Verdienst über drei Monate gegenübersteht. Bei einem kurzen Aufenthalt wird die Saisonarbeit in Deutschland für die Erntehelfer schnell unattraktiv.
Eine Entfristung der vorbezeichneten Regelung würde den bereits bestehenden Engpässen entgegenwirken und einen aktiven Beitrag zur Sicherung von festen Arbeitsverhältnissen in Deutschland leisten. Dies wiederum hätte positive Folgen hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit, der Beschäftigungssituation und des Wachstums in Deutschland.