Zugeleitet mit Schreiben des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments - 118909 - vom 22. November 2005. Das Europäische Parlament hat die
Entschließung in der Sitzung am 13. Oktober 2005 angenommen.
Entschließung des Europäischen Parlaments zu Frauen und Armut in der Europäischen Union (2004/2217(INI))
Das Europäische Parlament,
- - unter Hinweis auf die Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen A/RES/46/121, A/RES/47/134 sowie A/RES/49/179 zu Menschenrechten und extremer Armut, A/RES/47/196 zur Ausrufung eines Internationalen Tages für die Beseitigung der Armut sowie A/RES/50/107 zur Begehung des Internationalen Jahres für die Beseitigung der Armut und Verkündung der ersten Dekade der Vereinten Nationen für die Beseitigung der Armut,
- - unter Hinweis auf die von der Vollversammlung der Vereinten Nationen in ihrer Resolution 217 A (III) vom 10. Dezember 1948 angenommene Allgemeine Erklärung der Menschenrechte,
- - unter Hinweis auf die Dokumente des Wirtschafts- und Sozialausschusses der Vereinten Nationen E/C N.4/Sub.2/1996/13, E/CN4/1987/NGO/2, E/CN4/1987/S R.29 und E/C N.4/1990/15 zu Menschenrechten und extremer Armut, E/C N.4/1996/25 zum Recht auf Entwicklung sowie E/C N.4/SU B.2/RES/1996/25 zur Umsetzung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte,
- - unter Hinweis auf den Bericht der Vierten Weltfrauenkonferenz 1995 und das Programm der Aktionsplattform von Beijing,
- - unter Hinweis auf die Arbeiten des Europarats in diesem Bereich, insbesondere die revidierte Europäische Sozialcharta,
- - unter Hinweis auf seine Entschließung vom 4. Oktober 2001 zum Internationalen Tag der Armutsbekämpfung der Vereinten Nationen1,
- _ unter Hinweis auf seine Entschließung vom 24. Februar 1994 zur Armut der Frauen in Europa2,
- - unter Hinweis auf den gemeinschaftlichen Besitzstand im Bereich der Rechte der Frauen und der Gleichstellung der Geschlechter,
- - unter Hinweis auf Artikel 136, Artikel 137 Absatz 1 und Artikel 141 Absatz 3 des EG-Vertrags, insbesondere Artikel 137 Absatz 1 Buchstabe j betreffend die Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung,
- - unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates in Nizza vom 7., 8. und 9. Dezember 2000, Anlage I, mit dem Aufruf zur "Gewährleistung der Umsetzung der Empfehlung von 1992 betreffend die Garantie eines Mindesteinkommens, die die Sozialschutzsysteme bieten müssen", sowie unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Rates von Santa Maria da Feira vom 19. und 20. Juni 2000, insbesondere die Absichtserklärung, dass Indikatoren festgelegt werden sollten, die als gemeinsame Bezugswerte bei der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung und bei der Beseitigung der Armut dienen können,
- - unter Hinweis auf die Empfehlung 92/442/EWG des Rates vom 27. Juli 1992 über die Annäherung der Ziele und der Politiken im Bereich des sozialen Schutzes3,
- - unter Hinweis auf den Bericht des Ausschusses für Sozialschutz über Indikatoren im Bereich von Armut und sozialer Eingliederung (Oktober 2000),
- - unter Hinweis auf die überarbeiteten gemeinsamen Ziele für die zweite Runde der nationalen Aktionspläne "Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung" vom 25. November 2002 (SOC 508) und den von der Kommission vorgelegten Entwurf des gemeinsamen Berichts über Sozialschutz und soziale Eingliederung (KOM (2005) 0014),
- - unter Hinweis auf seinen Standpunkt vom 14. Mai 2002 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates für die Gemeinschaftsstatistik über Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC)4,
- - gestützt auf Artikel 45 seiner Geschäftsordnung,
- - in Kenntnis des Berichts des Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter (A6-0273/2005),
A. in Anbetracht des Leitmotivs des Internationalen Tags der Armutsbekämpfung (17. Oktober): "Wo immer Menschen dazu verurteilt sind, im Elend zu leben, werden die Menschenrechte verletzt. Sich mit vereinten Kräften für ihre Achtung einzusetzen, ist unsere heilige Pflicht",
B. angesichts der zwingenden Notwendigkeit, die Entstehung eines neuen Europa zu fördern, das sich durch die kreative Koexistenz der Kulturen und Mentalitäten und den uneingeschränkten Respekt des Andersseins als ein Ort auszeichnet, an dem sich die verantwortliche Freiheit nicht auf den freien Verkehr des Kapitals beschränkt und die Bürger ihre Fähigkeiten unabhängig von ihrem sozialen Status mit anderen teilen, sodass dem Gemeinwohl in Ost und West die Kreativität jedes Einzelnen zugute kommt und seine Würde geschützt wird,
C. in der Erwägung, dass in 17 Mitgliedstaaten Frauen bei weitem öfter als Männer dem Risiko extremer Armut ausgesetzt sind,
D. in Anbetracht des Auftretens neuer Formen von Armut und Ausgrenzung, dem innovative und konkrete Maßnahmen entgegengesetzt werden müssen, um denen zu helfen, die in Not sind,
E. in der Erwägung, dass je länger Menschen am Rande der Armutsgrenze mit einem besonders niedrigen Einkommen leben, desto größer die Gefahr des Abgleitens in dauerhafte wirtschaftliche Verelendung und soziale Ausgrenzung ist; daher in der Erwägung, dass die Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht nur auf die Unterstützung von Personen abzielen dürfen, die bereits unter Bedingungen der wirtschaftlichen Verelendung leben, sondern auch rechtzeitig auf die Vermeidung und Bewältigung von Phänomenen, die Bürger in die wirtschaftliche und soziale Verelendung führen ausgerichtet sein müssen,
F. in der Erwägung, dass angesichts des offensichtlichen Zusammenhangs zwischen der Aktionsplattform von Beijing und der Lissabonner Strategie die Notwendigkeit, das produktive Potenzial der europäischen Arbeitskraft zu nutzen, ein Schlüsselelement für die Verwirklichung der allgemeinen Ziele der Strategie von Beijing und Lissabon darstellt,
G. in der Erwägung, dass der Beseitigung der Armut und den sozialen Aspekten der Lissabon-Strategie weniger Aufmerksamkeit zuteil wurde als den Themen Preisstabilität, Kostenreduzierung und Haushaltsdefizit,
H. in der Erwägung, dass der Anteil von Kindern und Jugendlichen, die in extremer Armut leben, höher als der Durchschnitt ist; in der Erwägung, dass vor allem Frauen von extremer Armut betroffen sind,
I. in der Erwägung, dass Globalisierung und Informatisierung einigen Frauen zwar größere wirtschaftliche Chancen und Unabhängigkeit eröffnet haben, viele andere wegen der daraus resultierenden Ungleichheiten auf internationaler wie nationaler Ebene jedoch an den Rand gedrängt und um die Vorteile dieses Prozesses gebracht wurden,
J. in der Erwägung, dass Armut oftmals eng mit Rassendiskriminierung und sich daraus ergebender Intoleranz zusammenhängt und dass solche Verhaltensweisen die Bedingungen von Armut, Marginalisierung und sozialer und wirtschaftlicher Ausgrenzung von Frauen in Minderheitengruppen verschärfen,
K. in der Erwägung, dass eine Erwerbstätigkeit allein noch keinen angemessenen Schutz gegen extreme Armut bietet: in der Erwägung, dass hauptsächlich als Folge der Aufteilung der Berufsfelder mehr Frauen als Männer schlechter bezahlte Stellen innehaben, wobei Sozialversicherungsleistungen allein häufig ebenfalls keinen Schutz gegen extreme Armut bieten,
L. in der Erwägung, dass die Lohnkluft zwischen Männern und Frauen in Europa durchschnittlich nach wie vor 16% bis 33% beträgt, sowie in der Erwägung, dass im Hinblick auf die Umsetzung des Grundsatzes "gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit", der vor 30 Jahren mit der Richtlinie 75/117/EWG über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen5 eingeführt wurde, kein echter Forschritt zu verzeichnen ist, und dass im Vergleich zu 6,6% bei den Männern 30% der erwerbstätigen Frauen in Europa eine Teilzeitbeschäftigung ausüben, für die sie sich häufig nicht freiwillig, sondern wegen des Mangels an bezahlbaren Kinderbetreuungsmöglichkeiten entschieden haben,
M. in der Erwägung, dass weibliche Haushaltsvorstände zwischen 9%-26% weniger Einkommen erzielen als die männlichen Vorstände, wobei das Vereinigte Königreich (26%) an der Spitze liegt, gefolgt von Schweden (14%), Frankreich (12%), den Niederlanden (11%), Deutschland (10%) und Italien (9%),
N. in der Erwägung, dass Arbeit für in Armut lebende Familien und Einzelpersonen einerseits eine Einkommensquelle und andererseits einen Faktor der sozialen Integration darstellt, da sie über die wirtschaftliche Unterstützung hinaus die Teilhabe des Individuums an der Gesellschaft als Ganzes fördert und zur Entwicklung seiner Persönlichkeit beiträgt; in der Erwägung, dass ein Arbeitsplatz jedoch nicht ausreicht, um ein bürgerschaftliches Bewusstsein zu entwickeln,
O. in der Erwägung, dass die Gefahr von Armut und Verelendung auch die über 65 jährigen betrifft, dass 2/3 der über 65jährigen zumindest in Europa Frauen sind und sich die Mängel von Versicherungs- und Rentensystemen auf Personen mit einer schlechteren Stellung auf dem Arbeitsmarkt auswirken, wie dies bei den Frauen der Fall ist, die weniger Jahre arbeiten, schlechter als die Männer bezahlt werden oder eine unbezahlte Arbeitsleistung erbringen,
P. in der Erwägung, dass die Zahl der Familien mit nur einem Elternteil in den letzten Jahren gestiegen ist, dass für die Mitglieder dieser Familien ein weitaus höheres Armutsrisiko besteht, und dass 85% der Familien mit nur einem Elternteil von Frauen geführt werden, was die benachteiligte Stellung der Frau in Bezug auf das Phänomen der Armut noch stärker verdeutlicht,
Q. in der Erwägung, dass man die Armut der Frauen nicht beseitigen kann, ohne die Rolle der Männer im Rahmen der offenen Koordinierungsmethode und der nationalen Pläne für Beschäftigung und soziale Eingliederung in Betracht zu ziehen,
R. in Erwägung des Problems der häuslichen Gewalt gegen Frauen, das zur Zerstörung ihrer geistigen Gesundheit, zu ihrer gesellschaftlichen Isolierung und zur Verminderung ihrer beruflichen Leistung mit negativen Folgen für ihre Stellung am Arbeitsplatz führt, und in der Erwägung, dass ein hoher Prozentsatz der obdachlosen Frauen Haus und Familie wegen der gegen sie ausgeübten Gewalt verlassen hat und an der Grenze zu sozialer Verelendung und Armut steht,
S. in der Erwägung, dass Frauen aus ethnischen oder religiösen Minderheiten aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Herkunft oder Religion eine doppelte Diskriminierung erfahren, die sie häufig daran hindert, einen Arbeitsplatz zu finden; in der Erwägung, dass diese Frauen aufgrund dieser Situation entweder in extremer Armut in Abhängigkeit von ihrem Ehemann leben oder gezwungen sind, ohne Sozialschutz und unter elenden Arbeitsbedingungen illegal zu arbeiten,
Indikatoren und Methodologie
- 1. hebt hervor, das Armut und soziale Ausgrenzung nicht länger auf der Grundlage von Zahlen nur unter ökonomischen Gesichtspunkten verstanden werden dürfen, sondern auch auf der Grundlage von Menschenrechtskriterien zu erfassen sind;
- 2. stellt fest, dass Armut viele Gesichter hat, so unter anderem das Fehlen von Einnahmen und produktiven Ressourcen zur Gewährleistung eines nachhaltigen Auskommens, Hunger und Unternährung, schlechter Gesundheitszustand, beschränkter oder nicht vorhandener Zugang zu Bildung und anderen grundlegenden Dienstleistungen, steigende krankheitsbedingte Sterblichkeitsraten, zunehmende Obdachlosigkeit und in zunehmendem Maße unangemessene Unterbringung, unsichere Umgebung sowie soziale Diskriminierung und Ausgrenzung; stellt in diesem Zusammenhang fest, dass Armut auch ist durch mangelnde Beteiligung an Entscheidungsprozessen und am bürgerlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Leben gekennzeichnet ist;
- 3. verweist auf die Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Barcelona, aufgrund derer die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet werden, die Hindernisse für eine Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt zu beseitigen und bis 2010 Kinderbetreuungsmöglichkeiten für mindestens 90% der Kinder zwischen drei Jahren und dem Schulpflichtalter zu schaffen sowie für mindestens 33 % der Kinder unter drei Jahren Betreuungsplätze zur Verfügung zu stellen; betont jedoch, dass die nationalen, regionalen oder lokalen Behörden ihren finanziellen Beitrag zur Schaffung und/oder dem Betrieb qualitativ hochwertiger Kinderbetreuungseinrichtungen zu erschwinglichen Preisen erhöhen müssen;
- 4. begrüßt die Initiativen des luxemburgischen Ratsvorsitzes zur Entwicklung geschlechtsspezifischer Indikatoren und fordert den britischen Vorsitz auf, diese Arbeit fortzusetzen;
- 5. betont, dass von extremer Armut geprägte Situationen Frauenhandel, Prostitution, Gewalt und ganz allgemein jede Form von Ausbeutung begünstigen und fordert, diese Folgen von Armut im Rahmen der offenen Koordinierungsmethode und der sozialpolitischen Agenda ebenfalls zu berücksichtigen;
- 6. erkennt an, dass der Grundsatz des freien Verkehrs von Kapital und Waren allein noch nicht zur Beseitigung von Armut führt und dass extreme Armut (vor allem anhaltende Armut) den Betroffenen jede Chance raubt und eine volle Teilhabe am Leben der Gemeinschaft unmöglich macht und die Betroffenen ihrer Umgebung gegenüber gleichgültig werden lässt;
- 7. fordert die Kommission und den Rat auf, unverzüglich Initiativen zu ergreifen, um den informellen Wirtschaftssektor anzuerkennen und den Wert der "Ökonomik des Alltags" anhand geschlechtsspezifischer Ansätze zu quantifizieren;
- 8. fordert Eurostat und die entsprechenden Stellen der Mitgliedstaaten deshalb auf, in enger Zusammenarbeit mit Vertretern von Gruppen, die die Erfahrung mit einem Leben in Armut verstehen können, eine Methode sowie Indikatoren zu entwickeln, die nach Geschlecht differenzieren, um die Auswirkungen von Armut und sozialer Ausgrenzung auf Frauen und Männer gesondert zu messen;
- 9. empfiehlt, dass auf der Grundlage von geschlechtsspezifischen Statistiken eine Studie über die Auswirkungen der wirtschaftlichen und politischen Veränderungen der neuen Mitgliedstaaten auf die tatsächliche Situation der Gleichstellung von Frauen und Männern durchgeführt wird;
- 10. ersucht die Kommission und die Mitgliedstaaten, die Fälle von Frauen zu erfassen, die Minderheiten angehören und die ohne Sozialschutz und Rentenansprüche arbeiten, und diese Frauen dabei zu unterstützen, sich reibungslos in den Arbeitsmarkt einzugliedern;
Partnerschaft mit den ärmsten Frauen
- 11. bedauert, dass sich die Union trotz des politischen Willens, Armut und soziale Ausgrenzung durch Gemeinschaftsstrategien, insbesondere die Lissabonner Strategie und die sozialpolitische Agenda, zu bekämpfen, nicht ausreichend mit der Feminisierung der Armut befasst hat;
- 12. fordert, dass eine enge Partnerschaft mit den ärmsten Frauen und Familien auf jeder Ebene des Entscheidungsprozesses gefördert wird und Maßnahmen und Mittel eingesetzt werden, die sich ihre Erfahrung zunutze machen, um die chronische Armut wirksam zu bekämpfen und die soziale Ausgrenzung zu überwinden;
- 13. fordert, jede legislative Maßnahme der Gemeinschaft hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf das Leben der am meisten benachteiligten Bevölkerungsschichten, insbesondere Frauen, einer vorherigen Studie zu unterziehen;
- 14. fordert alle betroffenen Institutionen auf, die offene Koordinierungsmethode und den operativen Rahmen der sozialpolitischen Agenda auf die Bedürfnisse der Frauen in Not zuzuschneiden, um die vorgenannte Partnerschaft zu ermöglichen;
- 15. ersucht die Kommission und die Mitgliedstaaten, in den sozialen Dialog über Entwicklung und Durchführung der Politik für die Bereiche Bildung, Beschäftigung und Rentensysteme Sozialpartner auf lokaler und regionaler Ebene einzubeziehen, zu denen auch Frauen in ländlichen Gebieten gehören, die an der Armutsgrenze leben;
- 16. fordert den Rat und die Kommission auf, eng mit dem Europarat zusammenzuarbeiten, um aus dessen wichtigen Arbeiten in diesem Bereich Nutzen zu ziehen, und dem Europäischen Parlament regelmäßig ausführliche Berichte über diese Zusammenarbeit zu übermitteln;
- 17. fordert alle seine Ausschüsse auf, das Problem der Armut, insbesondere der Armut von Frauen, im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten zu berücksichtigen und sich dabei auf die Erfahrung seiner interfraktionellen Arbeitsgruppe "Vierte Welt in Europa" zu stützen;
Vereinbarung von Familien- und Berufsleben in einem benachteiligten Umfeld
- 18. betont, dass der Zugang zu hochqualifizierter Beschäftigung, die angemessen bezahlt wird, die einzige Möglichkeit darstellt, Armut zu vermeiden und zu bekämpfen; weist gleichzeitig darauf hin, dass Frauen, da sie überwiegend Teilzeitarbeit und geringqualifizierte Beschäftigung ausüben, in wachsendem Maß den armen Arbeitskräften zuzurechnen sind; stellt fest, dass dies zu sozialer Ausgrenzung führt;
- 19. anerkennt den direkten Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Ungleichheit, der Abhängigkeit von Frauen und der fortbestehenden Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen im Hinblick auf den Zugang zu Bildung und der Verantwortung für die Familie und deren Gesamtunterhalt, und stellt mit Missbilligung fest, dass (trotz der seit Jahrzehnten geltenden, aber nach wie vor unwirksamen Rechtsvorschriften) die Unterschiede bei der Entlohnung von Männern und Frauen 2001 und 2003 bei 16% bzw. 15 % lagen; fordert den Rat und die Kommission daher auf, ein Grünbuch zu diesem Thema auszuarbeiten und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um diese Ungerechtigkeit zu beseitigen;
- 20. betont, dass die unbezahlten Tätigkeiten, die überwiegend von Frauen übernommen werden, in den nationalen Statistiken nicht systematisch erfasst und somit bei der Ausarbeitung der Beschäftigungspolitik durch die zuständigen nationalen und gemeinschaftlichen Stellen nicht berücksichtigt werden; ersucht die Kommission und die Mitgliedstaaten deshalb, Daten zu den unbezahlten Tätigkeiten zusammenzutragen, damit Maßnahmen zur gerechteren Verteilung dieser Tätigkeiten auf den Weg gebracht werden, was eine stärkere Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt ermöglichen und deren wirtschaftliche Stellung und Unabhängigkeit stärken wird;
- 21. fordert die Mitgliedstaaten auf, spezielle Maßnahmen zu ergreifen, um den Frauen in einem benachteiligten Umfeld einen gleichberechtigten Zugang zu den öffentlichen Gesundheitssystemen6, insbesondere den Basisgesundheitsdiensten gemäß den Definitionen der Weltgesundheitsorganisation7, die den Schutz von Mutter und Kind einschließen -, zur gynäkologischen und geburtshilflichen Versorgung, zu einer akzeptablen Wohnung, zum Rechtswesen sowie zur allgemeinen und beruflichen Bildung, zum lebenslangen Lernen, zum Sport und zur Kultur zu gewährleisten, um der vorzeitigen Beendigung des Schulbesuchs entgegenzuwirken und um einen reibungslosen Übergang von der Schule auf den Arbeitsmarkt zu ermöglichen, und fordert die Kommission und den Rat auf, die Geschlechterdimension in die Jahresberichte über den sozialen Zusammenhalt einzubeziehen;
- 22. fordert die Mitgliedstaaten auf, weitere konkrete Schritte zu unternehmen, um Strategien zu entwickeln, die tatsächlich eine verstärkte Beteiligung von Frauen jeden Alters am Arbeitsmarkt und am Beschlussfassungsprozess gewährleisten, den Gender-Mainstreaming-Ansatz fördern, um die allgemeinen Lissabon-Ziele zu verwirklichen, die unterschiedliche Bezahlung von Männern und Frauen in Angriff zu nehmen sowie Arbeitsbedingungen und Arbeitsqualität dergestalt zu fördern, dass Frauen und Männer voll in den Arbeitsmarkt integriert werden können;
- 23. fordert die Mitgliedstaaten auf, Maßnahmen zu ergreifen, um Männern und Frauen den gleichberechtigten Zugang zu den Systemen der sozialen Sicherheit und der Altersversorgung zu garantieren und dabei Unterbrechungen der Berufstätigkeit und Teilzeitarbeit zu berücksichtigen und sicherzustellen, dass in Subsystemen der Rentenversicherung der Grundsatz der Gleichbehandlung und der sozialen Gerechtigkeit durchgängig angewandt wird, und Arbeit im informellen Sektor zu berücksichtigen, um die Verarmung älterer Menschen, vor allem Frauen, zu verhindern; fordert die Kommission und den Rat auf, die Geschlechterdimension in die Jahresberichte über den sozialen Zusammenhalt einzubeziehen;
- 24. stellt fest, dass die sozialen Systeme in den meisten EU-Mitgliedstaaten dem besonderen Bedingungen von in Armut lebenden Frauen nicht ausreichend Rechnung tragen; hebt hervor, dass das Armutsrisiko für Frauen höher ist als für Männer, vor allem im Alter; dies gilt dort, wo die sozialen Sicherungssysteme auf dem Grundsatz einer kontinuierlichen bezahlten Beschäftigung beruhen; verweist darauf, dass in einigen Fällen Frauen wegen Unterbrechungen ihrer Erwerbstätigkeit diese Anforderung nicht erfüllen und dass sie wegen der Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, insbesondere wegen der Lohnunterschiede und Teilzeitbeschäftigung, benachteiligt sind; unterstreicht außerdem, dass die Hindernisse für altere Frauen, wieder in den Arbeitsmarkt integriert zu werden, größer sind;
- 25. ersucht die Mitgliedstaaten, einen angemessenen Sozialschutz für Frauen zu gewährleisten, die für die Betreuung kranker, alter oder behinderter Mitglieder ihrer Familie verantwortlich sind, sowie für ältere Frauen, die eine besonders niedrige Rente beziehen;
- 26. fordert die Mitgliedstaaten auf, in enger Zusammenarbeit mit Forschungsgruppen und den betroffenen Bevölkerungskreisen (Frauen, Familien, Unternehmer, Gebietskörperschaften und Vereine) die tatsächlichen Bedürfnisse der Frauen und Männer in einem benachteiligten Umfeld zu analysieren, damit sie Berufs- und Familienleben wirksam miteinander vereinbaren können, und dabei Anderssein und geschlechtsspezifische Unterschiede zu respektieren; fordert die Kommission und den Rat auf, die Geschlechterdimension in die Jahresberichte über den sozialen Zusammenhalt einzubeziehen;
- 27. fordert die Mitgliedstaaten auf, wirksame Maßnahmen zu entwickeln, um - unter Achtung der Gesetzeslage in den einzelnen Mitgliedstaaten - die Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben auch für Männer und Familienväter zu fördern, da die stärkere Teilhabe der Frauen am Arbeitsmarkt nicht zu einem entsprechend stärkeren Engagement von Männern bei den Familienpflichten geführt hat;
- 28. ersucht die Mitgliedstaaten, zusätzliche Stützungsmaßnahmen insbesondere für erwerbstätige allein erziehende Mütter einzuführen, indem entweder die Suche nach Beschäftigungsformen mit flexiblen Arbeitszeiten, die im Einklang mit den gewachsenen familiären Verpflichtungen stehen, erleichtert wird oder geeignete Infrastrukturen für die Kinderbetreuung zur Verfügung gestellt werden;
- 29. ersucht die Mitgliedstaaten, geeignete Maßnahmen zur Unterstützung minderjähriger Mütter zu prüfen, die aufgrund ihres häufig niedrigen Bildungsniveaus und der gesellschaftlichen Vorurteile Schwierigkeiten bei der Suche nach einem Arbeitsplatz haben und in Armut leben; ist darüber hinaus der Auffassung, dass in diesem Rahmen ein Austausch von Methoden und Praktiken zwischen den Mitgliedstaaten sehr sinnvoll wäre, wobei im Vordergrund die Praktiken stehen sollten, die einzelne Mitgliedstaaten im Bereich der Verhütung der Schwangerschaft von Minderjährigen angewandt haben;
- 30. fordert, die "Fremdplatzierung" von Kindern aus sozioökonomischen Gründen zu untersagen und, in enger Zusammenarbeit mit betroffenen Gruppen, Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen, die Familienprojekte in einem benachteiligten Umfeld unterstützen können, damit die Eltern, Frauen wie Männer, vor allem bei chronischer Armut ihre elterliche Verantwortung uneingeschränkt übernehmen können;
- 31. ersucht die Mitgliedstaaten, geeignete Maßnahmen zur korrekten Erfassung, Analyse und Prüfung der zu häuslicher Gewalt führenden Faktoren zu ergreifen, damit unverzüglich Präventionsmaßnahmen und Maßnahmen zur Bewältigung der Folgen dieser Phänomene, wie z.B. die Beherbergung obdachloser Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt sind, entwickelt werden können;
Beitrag der Zivilgesellschaft
- 32. würdigt den täglichen Kampf der ärmsten Frauen gegen extreme Armut und begrüßt das freiwillige Engagement der Bürgerinnen und Bürger, die sie begleiten und unterstützen;
- 33. fordert die Mitgliedstaaten auf, größere Anstrengungen zu unternehmen, um - in Anbetracht der Tatsache, dass die Verfügbarkeit von qualitativ hochstehenden sozialen Diensten, die die Betreuung von Kindern und anderen abhängigen Familienangehörigen gewährleisten, darüber entscheidet, ob die Gruppen mit dem höchsten Armutsrisiko (d.h. Frauen, die Einelternfamilien vorstehen) berufstätig sein können - die Verfügbarkeit von sozialen Diensten zu verbessern;
- 34. würdigt das Engagement von NROs, die sich langfristig in den am meisten benachteiligten Bevölkerungskreisen engagieren;
- 35. fordert die Kommission auf, die Förderkriterien für die NRO und die Verfahren für den Erhalt von EU-Zuschüssen erheblich zu vereinfachen, um Subventions-Monopole zu verhindern, von denen die großen NRO-Netze mit Sitz in Brüssel profitieren;
- 36. hebt die Bedeutung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses für den strukturierten sozialen Dialog hervor und fordert ihn auf, weiterhin Treffen der europäischen "Volkshochschulen der Vierten Welt" als Ort eines echten Dialogs zwischen den ärmsten Bürgern und den EU-Verwaltungsangestellten, den gewählten Vertretern aller Ebenen und den Vertretern der organisierten Zivilgesellschaft auszurichten mit dem Ziel, den am meisten benachteiligten Gruppen zu ermöglichen, ebenfalls ihre Standpunkte mitzuteilen und zur Bekämpfung extremer Armut beizutragen, was auf europäischer Ebene ein konkretes Paradebeispiel für bewährte Verfahren in diesem Bereich darstellt;
- 37. betont die Bedeutung der europäischen lokalen und regionalen Behörden für die Förderung der Gleichstellung und ermahnt sie, die Gleichstellungspolitik in ihre Vorhaben für eine dezentralisierte Zusammenarbeit einzubeziehen, so dass der Zugang armer Frauen vor allem zu neuen Informationstechnologien und zur Mikrofinanzierung von kommerziellen Tätigkeiten ermöglicht wird;
- 38. fordert die Kommission und den Rat auf, den Beitrag der Union zur ersten UN-Dekade zur Beseitigung der Armut (1997-2006) sowie ihren eigenen Einfluss auf europäischer Ebene zu bewerten, wobei besondere Aufmerksamkeit der Partnerschaft mit den ärmsten Bevölkerungskreisen, dabei speziell Frauen, zu widmen ist, und Vorschläge für künftige Maßnahmen vorzulegen, um auf der von diesem ersten Jahrzehnt freigesetzten Dynamik aufzubauen;
- 39. fordert die Institutionen auf allen Ebenen auf, sich an den Veranstaltungen zum Internationalen Tag gegen die Armut (17. Oktober) zu beteiligen;
- 40. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat und der Kommission, den Parlamenten der Mitgliedstaaten sowie dem Europarat, dem Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen und den im Sozialsektor tätigen NRO-Netzen zu übermitteln.
1 ABl. C 87 E vom I I.4.2002, S. 253.
2 ABl. C 77 vom 14.3.1994, S. 43.
3 ABl. L 245 vom 26.8.1992, S. 49.
4 ABl. C 180 E vom 31.7.2003, S. 68.
5 ABl. L 45 vom 19.2.1975, S. 19.
6 Entsprechend der Definition von Artikel 25 der Allgemeinen Erkärung der Menschenrechte und der revidierten Europäischen Sozialcharta des Europarats, Teil i, Grundsatz I I.
7 FiFTY-SiXTH WORLD HEALTH ASSEMBLY A56/27, Provisional agenda item 14.18, 24 April 2003, international Conference on Primary Health Care, Alma-Ata: twentyfifth anniversary, Report by the Secretariat.