Gesetzentwurf der Bundesregierung
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Vormundschafts- und Betreuungsrechts

A. Problem und Ziel

Fälle von Kindesmisshandlungen und Kindesvernachlässigungen mit der Folge schwerster Körperverletzungen bis hin zum Tod der Kinder haben zu umfangreichen Untersuchungen der Begleitumstände geführt. Dabei gibt auch die Praxis in der Amtsvormundschaft Anlass zu Kritik, wie die vom Bundesministerium der Justiz einberufene Arbeitsgruppe "Familiengerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls - § 1666 BGB" ermittelt hat. Angesichts hoher Fallzahlen kennen die Amtsvormünder ihre Mündel oftmals nur aus dem Kontakt bei der Übernahme der Vormundschaft. Ihrer Verantwortung, insbesondere für die Person und nicht nur für das Vermögen des Mündels zu sorgen, werden die Amtsvormünder damit oftmals nicht gerecht.

Im Betreuungsrecht weist die Evaluation des Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes darauf hin, dass der persönliche Kontakt insbesondere von Berufsbetreuern zu den Betreuten zurückgegangen ist und vom Gericht aufgrund der vereinfachten Abrechnung weniger intensiv überprüft wird.

Ziel des Entwurfs ist es, den persönlichen Kontakt des Vormunds zu dem Mündel und damit die Personensorge für den Mündel zu stärken. Der persönliche Kontakt zwischen Betreuern und Betreuten soll besser dokumentiert und vom Gericht stärker beaufsichtigt werden.

B. Lösung

Der Entwurf sieht vor,

C. Alternativen

Keine

D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte

Es kann zu einem nicht bezifferbaren Mehrbedarf bei den Kommunen für zusätzliches Personal in der Amtsvormundschaft kommen. Der Bedarf dürfte - abhängig von der Zahl der Mündel je Amtsvormund in der betroffenen Gebietskörperschaft - bis zu doppelt so hoch wie gegenwärtig sein.

E. Sonstige Kosten

Für die Wirtschaft, insbesondere für kleinere und mittlere Unternehmen, entstehen keine Mehrkosten. Auswirkungen des Gesetzes auf Einzelpreise, auf das allgemeine Preisniveau, insbesondere auf das Verbraucherpreisniveau, sind nicht zu erwarten.

F. Bürokratiekosten

Es werden keine Informationspflichten für Unternehmen, Bürgerinnen und Bürger und die Verwaltung eingeführt oder abgeschafft. Eine Berichtspflicht des Vormunds über die persönlichen Verhältnisse des Mündels gegenüber dem Familiengericht besteht bereits. Schon jetzt sollte der Bericht auch über den persönlichen Umgang des Vormunds mit dem Mündel Auskunft geben. Entsprechendes gilt für die Berichtspflicht des Betreuers gegenüber dem Betreuungsgericht über seine persönlichen Kontakte zu dem Betreuten.

Gesetzentwurf der Bundesregierung
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Vormundschafts- und Betreuungsrechts

Bundesrepublik Deutschland Berlin, den 3. September 2010
Die Bundeskanzlerin

An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Bürgermeister
Jens Böhrnsen
Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen

Sehr geehrter Herr Präsident,
hiermit übersende ich gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes den von der Bundesregierung beschlossenen

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Vormundschafts- und Betreuungsrechts mit Begründung und Vorblatt.

Federführend ist das Bundesministerium der Justiz.

Die Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates gemäß § 6 Absatz 1 NKRG ist als Anlage beigefügt.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Angela Merkel
Fristablauf: 15.10.10

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Vormundschafts- und Betreuungsrechts

Vom ...

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs

Das Bürgerliche Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2002 (BGBl. I S. 42, 2909, 2003 I S. 738), das zuletzt durch ... geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. Nach § 1793 Absatz 1 wird folgender Absatz 1a eingefügt:

(1a) Der Vormund hat mit dem Mündel persönlichen Kontakt zu halten. Er soll den Mündel in der Regel einmal im Monat in dessen üblicher Umgebung aufsuchen, wenn nicht im Einzelfall andere Besuchsabstände oder ein anderer Ort erforderlich sind."

2. Dem § 1800 wird folgender Satz angefügt:

"Der Vormund hat die Pflege und Erziehung des Mündels persönlich zu fördern und zu gewährleisten."

3. Nach § 1837 Absatz 2 Satz 1 wird folgender Satz eingefügt:

"Es hat insbesondere die Einhaltung der erforderlichen persönlichen Kontakte des Vormunds zu dem Mündel zu beaufsichtigen."

4. Dem § 1840 Absatz 1 wird folgender Satz angefügt:

"Der Bericht hat auch Angaben zu den persönlichen Kontakten des Vormunds zu dem Mündel zu enthalten."

5. In § 1908b Absatz 1 Satz 2 werden nach dem Wort "erteilt" die Wörter "oder den erforderlichen persönlichen Kontakt zum Betreuten nicht gehalten" eingefügt.

Artikel 2
Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch - Kinder- und Jugendhilfe

§ 55 des Achten Buches Sozialgesetzbuch - Kinder und Jugendhilfe - in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. Dezember 2006 (BGBl. I S. 3134), das zuletzt durch ... geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. Absatz 2 wird wie folgt geändert:

2. Folgender Absatz 3 wird angefügt:

(3) Die Übertragung gehört zu den Angelegenheiten der laufenden Verwaltung. In dem durch die Übertragung umschriebenen Rahmen ist der Beamte oder Angestellte gesetzlicher Vertreter des Kindes oder Jugendlichen. Er hat den persönlichen Kontakt zu diesem zu halten sowie dessen Pflege und Erziehung nach Maßgabe der §§ 1793 Absatz 1a und 1800 des Bürgerlichen Gesetzbuchs persönlich zu fördern und zu gewährleisten."

Artikel 3
Inkrafttreten

Artikel 1 Nummer 3 und Artikel 2 dieses Gesetzes treten am [Einsetzen: ein Kalenderjahr nach dem Tag der Verkündung] in Kraft. Im Übrigen tritt dieses Gesetz am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Begründung:

A. Allgemeiner Teil

I. Tatsächliche und rechtliche Ausgangssituation

In der Vergangenheit haben die wiederkehrenden Fälle von Kindesmisshandlungen und Kindesvernachlässigungen mit Todesfolge oder mit der Folge erheblicher Körperverletzungen gezeigt, dass auch der für die betroffenen Kinder im Einzelfall bestellte Vormund diese nicht vor den aus ihren tatsächlichen Lebensverhältnissen herrührenden Missständen und Gefährdungen geschützt hat. Aufschlussreich sind hierzu insbesondere die umfangreichen Untersuchungen der Begleitumstände im Fall des im Jahre 2006 zu Tode gekommenen Kleinkindes Kevin in Bremen (vgl. "Bericht des Untersuchungsausschusses zur Aufklärung von mutmaßlichen Vernachlässigungen der Amtsvormundschaft und Kindeswohlsicherung durch das Amt für Soziale Dienste", Bremische Bürgerschaft, LT-Drs. 16/1381 vom 18. April 2007). Dabei ist der Vormund an Stelle der Eltern zur umfassenden Sorge für die Person und nicht nur für das Vermögen des Mündels verpflichtet, § 1793 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Es ist nicht zuletzt personellen Engpässen in den Jugendämtern zuzuschreiben, dass ein Amtsvormund (§ 1791b BGB) zuweilen für über 200 Mündel, so im Fall Kevin, zuständig ist. Unter diesen Bedingungen ist es dem Amtsvormund nicht möglich, sich den einzelnen Mündeln in ausreichendem Umfang jeweils persönlich zuzuwenden. Bei frühzeitig erlangter persönlicher Kenntnis der Lebensumstände des Mündels kann der Amtsvormund aber sehr viel besser Fehlentwicklungen entgegenwirken und erforderliche Maßnahmen im Interesse des Mündels veranlassen.

Bereits das geltende Recht setzt den persönlichen Kontakt des Vormunds zu dem Mündel voraus. Ohne persönlichen Kontakt kann der Vormund, der Einzelvormund wie auch der Amtsvormund, die Pflicht und das Recht, die Pflege und Erziehung des Mündels zu fördern und zu gewährleisten (§§ 1800, 1631 BGB), nicht wahrnehmen. Der Vormund, der nach dem gesetzlichen Leitbild ein Einzelvormund sein soll, kann den Mündel auch in seinen Haushalt aufnehmen, was allerdings in der Praxis eher selten ist. Vielmehr herrscht die Amtsvormundschaft des Jugendamtes vor. Aber selbst bei weitgehender Delegation der Personensorge an Dritte, etwa an eine Pflegefamilie oder an ein Heim, wie es bei der Amtsvormundschaft die Regel ist, bleibt der Vormund verpflichtet, selbst die Ausführung der Personensorge im Interesse des Mündels zu überwachen und erforderlichenfalls neu zu organisieren, wenn dem Mündel Schaden droht oder ein Schaden gar schon eingetreten ist. Es hat sich in der Praxis als nicht ausreichend erwiesen, dass der Amtsvormund die Überwachung der Personensorge allein den Mitarbeitern des Sozialen Dienstes des Jugendamtes überlässt, die in der Praxis im Wesentlichen den Kontakt zum Kind oder Jugendlichen unterhalten. Es ist daher unerlässlich, dass auch der Amtsvormund den Mündel in regelmäßigen Abständen persönlich trifft und sich über dessen Situation informiert. Flankierend müssen, wie auch die Arbeitsgruppe "Familiengerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls - § 1666 BGB" ermittelt hat, die Fallzahlen in der Amtsvormundschaft begrenzt werden, damit der Amtsvormund seiner Pflicht zum Kontakt mit dem Mündel nachkommen kann.

Ein regelmäßiger und ausreichend häufiger Kontakt zwischen dem Betreuer und dem Betreuten in der rechtlichen Betreuung Volljähriger, § 1896 BGB, ist erforderlich, um die Wünsche des Betreuten zu ermitteln und die Betreuung zu seinem Wohl führen zu können. Weil die Häufigkeit der persönlichen Kontakte bei Berufsbetreuungen rückläufig ist, hat sich die Frage gestellt, ob im Betreuungsrecht eine entsprechende Regelung zur Häufigkeit der persönlichen Kontakte des Betreuers zu seinem Betreuten, getroffen werden sollte. Diese Frage wurde von der vom Bundesministerium der Justiz einberufenen interdisziplinären Arbeitsgruppe zur Überprüfung des Betreuungsrechts verneint.

II. Ziel der Änderungsvorschläge

Mit den vorgeschlagenen Gesetzesänderungen im BGB soll die Pflicht des Vormunds, sein Amt im persönlichen Kontakt mit dem Mündel zu führen, ausdrücklich im Gesetz hervorgehoben werden, um so eine wirksamere Gewährleistung von Pflege und Erziehung des Mündels durch den Vormund herbeizuführen. Diesem Ziel dient auch die ausdrückliche Klarstellung, dass die Aufsichtspflicht des Familiengerichts über die Tätigkeit des Vormunds dessen persönlichen Kontakt zu dem Mündel umfasst. Im Regelfall ist der persönliche Kontakt einmal monatlich erforderlich. Abhängig von den Umständen des Einzelfalls können jedoch auch kürzere oder längere Besuchsabstände erforderlich sein. Über die Generalverweisung des § 1915 BGB gilt die Regelung auch für den im Kindschaftsrecht besonders wichtigen Fall der Ergänzungspflegschaft, § 1909 BGB.

Mit der Änderung im Achten Buch Sozialgesetzbuch - Kinder- und Jugendhilfe - (SGB VIII) soll die Fallzahl in der Amtsvormundschaft auf 50 Vormundschaften pro Vormund begrenzt werden.

Die Rechtsfürsorge im Rahmen einer Betreuung ist insoweit nicht mit der Beziehung zwischen Vormund und minderjährigem Mündel vergleichbar; die Einzelfälle bei rechtlichen Betreuungen sind zu verschieden, um die Kontakthäufigkeit gesetzlich vorzugeben.

Es ist jedoch auch im Betreuungsrecht angezeigt, dass der erforderliche persönliche Kontakt zwischen Betreuern und Betreuten in der Praxis in der Dokumentation und Aufsicht der Tätigkeit eines Betreuers eine stärkere Beachtung findet.

III. Gesetzgebungszuständigkeit; Vereinbarkeit mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen, die die Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen hat

Die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes folgt für die Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuches aus Artikel 74 Absatz 1 Nummer 1 des Grundgesetzes (Bürgerliches Recht) und für die Änderung des Sozialgesetzbuches aus Artikel 74 Absatz 1 Nummer 7 in Verbindung mit Artikel 72 Absatz 2 des Grundgesetzes (öffentliche Fürsorge).

Die Änderungen sind gemäß Artikel 72 Absatz 2 des Grundgesetzes erforderlich, um einheitliche Lebensverhältnisse sicherzustellen. Es ist im Interesse eines möglichst effektiven Kinderschutzes nicht hinzunehmen, wenn die Betreuungssituationen von Kindern so sehr voneinander abweichen könnten, dass sich die derzeitigen Unterschiede in der praktischen Handhabung verfestigen und dadurch das bundesstaatliche Sozialgefüge beeinträchtigt wird. Dem kann nur durch Mindestanforderungen in der Amtsvormundschaft wirksam begegnet werden. Die bundeseinheitliche Begrenzung der Fallhöchstzahl in der Amtsvormundschaft gewährleistet einen hinreichenden, in allen Ländern gleich wirksamen Kinderschutz. Zugleich wird eine Rechtszersplitterung hinsichtlich der Mindestanforderungen in der Amtsvormundschaft vermieden, wobei allerdings die Befugnis der Länder, strengere Regelungen, also zum Beispiel geringere Fallzahlen, festzulegen, unberührt bleibt.

Der Gesetzentwurf ist mit dem Recht der Europäischen Union und völkerrechtlichen Verträgen, die die Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen hat, vereinbar.

IV. Kosten; Preiswirkungen; Nachhaltigkeitsaspekte; Bürokratiekosten

Für die öffentlichen Haushalte sind nicht genau bezifferbare Mehrkosten für zusätzliche Stellen in der Amtsvormundschaft wahrscheinlich. Diese dürften - abhängig von der Zahl der Mündel je Amtsvormund in der betroffenen Gebietskörperschaft - bis zu doppelt so hoch wie die gegenwärtigen Personalausgaben in der Amtsvormundschaft sein.

Für die Wirtschaft, insbesondere für kleinere und mittlere Unternehmen, entstehen keine Mehrkosten. Auswirkungen des Gesetzes auf Einzelpreise und auf das allgemeine Preisniveau, insbesondere auf das Verbraucherpreisniveau, sind nicht zu erwarten.

Die vorgesehenen Änderungen tragen dazu bei, das Wohl der Mündel und Betreuten besser zu sichern und den sozialen Zusammenhalt innerhalb der Gesellschaft zu fördern. Damit entsprechen die Wirkungen des Vorhabens einer nachhaltigen Entwicklung.

Es werden keine Informationspflichten für Unternehmen, Bürgerinnen und Bürger und die Verwaltung eingeführt oder abgeschafft. Eine Berichtspflicht des Vormunds über die persönlichen Verhältnisse des Mündels gegenüber dem Familiengericht besteht bereits. Schon jetzt sollte der Bericht auch über den persönlichen Umgang des Vormunds mit dem Mündel Auskunft geben. Entsprechendes gilt für die Berichtspflicht des Betreuers gegenüber dem Betreuungsgericht über seine persönlichen Kontakte zu dem Betreuten.

V. Auswirkungen von gleichstellungspolitischer Bedeutung

Auswirkungen von gleichstellungspolitischer Bedeutung sind nicht zu erwarten.

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs)

Zu Nummer 1 (§ 1793 Absatz 1a BGB - neu -)

Der neue Absatz 1a konkretisiert die Pflicht des Vormunds zum persönlichen Kontakt mit dem Mündel. Der Vormund soll den Mündel in dem erforderlichen Umfang persönlich treffen. Dies soll am üblichen Aufenthaltsort des Mündels erfolgen, vgl. § 278 Absatz 1 Satz 3 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Der Vormund soll sich in regelmäßigen Abständen ein genaues Bild von den persönlichen Lebensumständen des Mündels verschaffen. Umfang und Häufigkeit des persönlichen Kontakts richten sich nach den Erfordernissen des Einzelfalls zum jeweiligen Zeitpunkt. Im Regelfall hält der Gesetzgeber einen persönlichen Kontakt einmal im Monat für erforderlich; im Einzelfall kann es notwendig sein, den Mündel auch häufiger zu treffen. Wenn nach den besonderen Umständen des Einzelfalls ein weniger häufiger persönlicher Kontakt angezeigt sein sollte, kann der Vormund den Mündel - in dem erforderlichen Umfang - auch entsprechend seltener treffen. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn der Mündel in stabilen Verhältnissen lebt und nach seinem Alter und seiner Persönlichkeitsstruktur in der Lage ist, auf eventuelle Missstände oder Anliegen in geeigneter Weise selbst hinzuweisen. Des Weiteren kann es nach den Umständen des Einzelfalls zweckmäßig sein, den Mündel außerhalb seiner gewöhnlichen Umgebung zu treffen. Ein Kontakt in der gewöhnlichen Umgebung kann kontraproduktiv sein, wenn der Mündel in Anwesenheit der unmittelbaren Pflegepersonen nicht frei reden kann oder will. Treffen von Mündel und Vormund im Rahmen von gemeinsamen Aktivitäten außerhalb der Wohnung des Mündels können ein Vertrauensverhältnis zwischen Mündel und Vormund entstehen lassen oder vertiefen. Die Gefahr von "Alibibesuchen" kann durch gesetzgeberische Maßnahmen nicht völlig abgewandt werden. Aus der umfassenden Verantwortung des Vormunds für Person und Vermögen des Mündels heraus ist der Vormund allerdings gehalten, den Mündel so lange zu sehen und dessen Situation zu erörtern, dass dem Vormund die Erfüllung seiner Aufgaben möglich ist. Davon unabhängig dürften jedoch selbst bei einem kurzen Besuch etwaige Anzeichen einer Misshandlung oder Vernachlässigung des Mündels festzustellen sein.

Auf die Pflegschaft ist diese Regelung aufgrund des Verweises in § 1915 BGB entsprechend anwendbar. Bei einer bloßen Vermögenspflegschaft dürfte grundsätzlich eine Abweichung vom Regelfall des § 1793 Absatz 1a BGB - neu - geboten sein.

Zu Nummer 2 ( § 1800 BGB)

§ 1800 BGB nennt nunmehr ausdrücklich auch die Förderung und Gewährleistung der Pflege und Erziehung des Mündels als Pflicht des Vormunds, der dieser in eigener Person nachkommen muss. Es reicht nicht, dass er diese Pflicht ausschließlich anderen überlässt - wie etwa den Mitarbeitern des Sozialen Dienstes des Jugendamtes oder den Pflegeeltern, die den Mündel in ihren Haushalt aufgenommen haben. Für den Einzelvormund ist die persönliche Aufsicht über die Personensorge für den Mündel selbstverständlich; insoweit verdeutlicht das Gesetz nur den Grundsatz der persönlich zu führenden Vormundschaft. § 55 Absatz 3 Satz 2 SGB VIII - neu - stellt dies auch für den Amtsvormund ausdrücklich klar.

Zu Nummer 3 ( § 1837 Absatz 2 BGB)

Mit dem neu eingefügten Satz 2 wird für das Gericht verdeutlicht, dass sich seine Aufsicht über die Amtsführung des Vormunds insbesondere auch auf die von diesem unterhaltenen Kontakte mit dem Mündel bezieht. Kommt der Vormund der Pflicht zum persönlichen Kontakt nicht in dem erforderlichen Umfang nach, hat das Gericht mit geeigneten Aufsichtsmaßnahmen einzuschreiten.

Ein Zwangsgeld soll auch weiterhin nicht gegen das zum Vormund bestellte Jugendamt oder gar den jeweiligen Amtsvormund persönlich festgesetzt werden. Das Jugendamt ist eine staatliche Stelle. Die Festsetzung eines Zwangsgeldes durch das Gericht ist im Hinblick auf diese Stellung nicht angezeigt. Ein Zwangsgeld gegen den mit der Führung der Vormundschaft beauftragten Mitarbeiter des Jugendamtes ist schon deswegen nicht sinnvoll, weil dieser häufig wegen seiner Stellung in seiner Anstellungskörperschaft Probleme nicht abstellen kann. Das Gericht ist jedoch dem Jugendamt gegenüber berechtigt, Ge- und Verbote zu erteilen und zu deren Durchsetzung Gegenvorstellungen und Dienstaufsichtsbeschwerden bei der das Jugendamt tragenden Gebietskörperschaft zu erheben, auf die Schadensersatzpflicht gemäß § 1833 BGB hinzuweisen oder das Jugendamt als Vormund gemäß § 1887 BGB zu entlassen.

Die Konkretisierung der Aufsichtspflicht gilt über die Verweisung in § 1908i Absatz 1 Satz 1 BGB auch für das Betreuungsrecht. Dem Betreuungsgericht wird damit verdeutlicht, dass sich die Aufsichtspflicht über die Tätigkeit des Betreuers auch auf die Einhaltung des erforderlichen persönlichen Kontakts zum Betreuten bezieht.

Zu Nummer 4 ( § 1840 Absatz 1 BGB)

Mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass auch der persönliche Kontakt des Vormunds zum Mündel in dem jährlichen Bericht für das Gericht enthalten sein muss, soll die Umsetzung der Pflicht zum persönlichen Kontakt und die Aufsicht des Gerichts auch über diesen Aspekt der Amtsführung des Vormunds in der Praxis gestärkt werden. Weitere gesetzliche Vorgaben zum Berichtsinhalt werden nicht für erforderlich erachtet. Insoweit soll es bei dem Ermessen des aufsichtführenden Gerichtes bleiben. Soweit das Gericht es für erforderlich hält, kann es auch Berichte in kürzeren Abständen anordnen.

Über die Verweisung in § 1908i Absatz 1 Satz 1 BGB auf § 1840 BGB gilt die Pflicht zum Bericht über den persönlichen Kontakt zum Mündel in entsprechender Anwendung auch für den Bericht des Betreuers über den persönlichen Kontakt zum Betreuten. Auch Volljährige sollen gemäß § 1897 Absatz 1 BGB im erforderlichen Umfang persönlich betreut werden.

Zu Nummer 5 ( § 1908b BGB)

Die Regelung geht auf einen Vorschlag aus der interdisziplinären Arbeitsgruppe zum Betreuungsrecht zurück. Ein wichtiger Grund für die Entlassung eines Betreuers gemäß § 1908b Absatz 1 BGB wird in der Regel auch dann vorliegen, wenn der Betreuer die im Einzelfall erforderlichen Kontakte zu seinem Betreuten nicht einhält. Die Benennung als weiteres Regelbeispiel soll die Bedeutung des persönlichen Kontakts für die Betreuung herausstellen.

Zu Artikel 2 (Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch - Kinder- und Jugendhilfe -)

Zu Nummer 1

Durch die Einfügung wird eine Verpflichtung zur Anhörung des Mündels/Pfleglings vor Übertragung der Aufgaben des Vormunds/Pflegers auf einen einzelnen Mitarbeiter des Jugendamtes begründet sowie eine Begrenzung der Fallzahlen in der Amtsvormundschaft und Amtspflegschaft auf 50 Vormundschaften und Pflegschaften je vollzeittätigem Mitarbeiter des Jugendamtes vorgenommen. Die Pflicht zur Anhörung soll die Interessen des Mündels/Pfleglings und seinen Einfluss auf das Verfahren stärken. Sie soll nur dann entfallen, wenn der Mündel/Pflegling aufgrund seines Alters und Entwicklungsstandes nicht zu einer Äußerung imstande ist. Auch in Fällen, in denen die Auswahlmöglichkeiten hinsichtlich der personellen Ressourcen des Jugendamtes begrenzt oder nicht vorhanden sind, soll eine Anhörung des Mündels/Pfleglings stattfinden, um seine Stellung als Subjekt des Verfahrens zu verdeutlichen. Die festgesetzte Fallzahl entspricht einer Empfehlung der Arbeitsgruppe "Familiengerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls - § 1666 BGB", die sich wiederum bei ihren Untersuchungen auf eine Empfehlung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter ("Dresdner Erklärung" in: Der Amtsvormund 2000, S. 437) gestützt hat. Sind den Mitarbeitern weitere Aufgaben übertragen, ist die Anzahl der zu übernehmenden Vormundschaften oder Pflegschaften entsprechend zu reduzieren.

Zu Nummer 2

Nach der Konzeption des BGB wird das Jugendamt als Behörde zum Vormund bestellt. Der Amtsvormund selbst erscheint im BGB nicht. Bei wörtlicher Auslegung der neuen Vorschriften wären die Pflichten zur persönlichen Kontaktaufnahme in § 1793 Absatz 1a - neu - BGB und zur persönlichen und Gewährleistung der Pflege und Erziehung des Mündels in § 1800 Satz 2 - neu - BGB auch erfüllt, wenn statt des bestellten Amtsvormundes ein Mitarbeiter des allgemeinen Sozialen Dienstes des Jugendamtes den Kontakt pflegte oder sich um die Erziehung des Mündels kümmerte. Um eine solche Auslegung zu vermeiden, wird in der neuen Nummer 2 klargestellt, dass der Amtsvormund diese Aufgabe persönlich zu erfüllen hat.

Zu Artikel 3 (Inkrafttreten)

Diese Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes. Die Änderungen in § 55 Absatz 2 Satz 2 und 3 SGB VIII - neu - (Fallzahlbegrenzung und Anhörung) sollen erst ein Jahr nach der Verkündung des Gesetzes in Kraft treten, um den Jugendämtern und deren Trägern ausreichend Zeit zu geben, sich auf die neuen Anforderungen einzustellen. Die Pflicht, den Mündel in der Regel einmal im Monat zu treffen, soll bereits am Tag nach der Verkündung des Gesetzes bestehen, Verstöße hiergegen sollen aber mit Rücksicht auf die Personalsituation in manchen Jugendämtern für die Dauer von einem Jahr sanktionslos bleiben.

Anlage
Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates gem. § 6 Abs. 1 NKR-Gesetz:
NKR-Nr. 1148:
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Vormundschafts- und Betreuungsrechts

Der Nationale Normenkontrollrat hat den o.g. Gesetzentwurf auf Bürokratiekosten, die durch Informationspflichten begründet werden, geprüft.

Mit dem Gesetz werden keine Informationspflichten für die Wirtschaft, die Verwaltung und Bürgerinnen und Bürger eingeführt, geändert oder aufgehoben. Es entstehen keine neuen Bürokratiekosten für Wirtschaft, Verwaltung und Bürgerinnen und Bürger.

Der Nationale Normenkontrollrat hat im Rahmen seines gesetzlichen Prüfauftrages daher keine Bedenken gegen das Regelungsvorhaben.

Dr. Ludewig Bachmaier
Vorsitzender Berichterstatter