885. Sitzung des Bundesrates am 8. Juli 2011
A
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Gesundheitsausschuss (G) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß § § 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt das Ziel der Beschleunigung, Verbesserung und höheren Transparenz bei der Erarbeitung von europäischen Normen.
- 2. Normung ist ein strategisches Instrument im Wettbewerb. Unternehmen, die sich an der Normungsarbeit beteiligen, können durch ihren Wissens- und Zeitvorsprung Vorteile erzielen. Normung kann faire und gleiche Voraussetzungen für alle schaffen. Insofern fördert sie Geschäftsbeziehungen bei Beschaffung, Produktion und Absatz. Einheitliche europäische Normen beseitigen Handelshemmnisse in der EU. Sie sorgen für Vertrauen und Rechtssicherheit bei internationalen Geschäftsbeziehungen, verhindern Informationsasymmetrien und reduzieren die Transaktionskosten. Im europäischen Rechtsrahmen für die Vermarktung von Produkten und die gegenseitige Anerkennung von Anforderungen an Waren spielt die europäische Normung eine entscheidende Rolle.
- 3. Europäische Normung ist somit ein Instrument zur Sicherung der Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit der Wirtschaft im europäischen Geschehen. Sie ist zum Abbau von Handelshemmnissen und zur Teilnahme insbesondere auch von KMU am internationalen Wirtschaftsgeschehen eine wesentliche Grundlage. Wichtig ist allerdings, dass die Normung mit Augenmaß weiterentwickelt wird und nicht zu praxisferner Überregulierung oder zu Marktzugangshürden führt.
- 4. Zudem muss die dezentrale Organisation der europäischen Normungsarbeit bestehen bleiben. Sie ermöglicht es den Unternehmen, sich ohne Sprachbarrieren über die sogenannten Spiegelgremien auf nationaler Ebene in die europäische Normenentwicklung einzubringen. Dies ist gerade für KMU von besonderer Bedeutung. KMU stehen vor einer Reihe von Problemen in Bezug auf Normen und Normungstätigkeiten. Insbesondere sind sie bei den Normungstätigkeiten auf europäischer Ebene im Allgemeinen unterrepräsentiert. Um dem Problem der mangelnden Vertretung von KMU im Normungsverfahren zu begegnen, soll die finanzielle Unterstützung der Vertretungsorganisationen der KMU gesichert werden. Dass die Kommission die Interessen der KMU bei europäischen Normungstätigkeiten stärker berücksichtigen will, ist aus mittelstandspolitischer Sicht zu begrüßen.
- 5. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich das Bestreben der Kommission, die Normungstätigkeit im Dienstleistungsbereich auszubauen. Jedoch müssen bei Harmonisierungsbestrebungen in diesem Bereich nationale Besonderheiten, bewährte Strukturen oder gesetzlich geregelte Systeme berücksichtigt werden. Weiterhin müssen die kreativen Leistungsbereiche von der Normierungsarbeit ausgenommen bleiben. Jede Dienstleistung eines Selbstständigen in den Freien Berufen ist eine maßgeschneiderte Individuallösung. Der Prozess der geistigideellen/geistigschöpferischen Leistungserbringung eines Freiberuflers kann nicht in Normen beschrieben werden. Die Einsicht aus bereits gesammelten Erfahrungen beim Versuch der Beschreibung geistiger Leistungen sollte umgesetzt werden. Die Kommission sollte deshalb bei den Normierungsabsichten auch die Interessengruppen der Freien Berufe stärker einbeziehen.
- 6. Weiterhin sollte die Zusammenarbeit zwischen den europäischen Normungsgremien und den nicht offiziellen Gremien aus dem Bereich der IKT-Wirtschaft verbessert und im IKT-Bereich Spezifikationen der nicht offiziellen Gremien berücksichtigt werden. Ein Übergewicht der Kommission gegenüber nationalen Bestrebungen in Wirtschaft und Politik sollte vermieden werden, da zu befürchten ist, dass nicht mehr alle Beteiligten gleichermaßen am Prozess beteiligt werden. So behält sich die Kommission vor, selbsttätig IuK-Normen anzuerkennen. Der Wille der Wirtschaft, freiwillig Normen zu erarbeiten, sollte berücksichtigt werden.
- 7. In Artikel 7 Absatz 1 werden Anforderungen an die zu erstellenden Normen bzw. Normungsprodukte, wie marktorientiert, öffentliches Interesse berücksichtigen usw., festgelegt. Da die Normen unter anderem auch den Sinn haben, die Anforderungen (Schutzziele) der einzelnen Richtlinien zu konkretisieren bzw. zu spezifizieren sowie gegebenenfalls auch als harmonisierte Normen dienen sollen (vgl. Artikel 8 "Einwände gegen harmonisierte Normen"), hält der Bundesrat hier zudem einen für das jeweilige Produkt einschlägigen Richtlinienbezug für zwingend erforderlich. Durch den Richtlinienbezug der Norm werden auch für die Marktteilnehmer transparent und umfänglich die jeweiligen Anforderungen für das Produkt festgelegt, was dem Benchmark für das zu erfüllende Sicherheitsniveau dient.
- 8. Darüber hinaus ist der Bundesrat der Auffassung, dass bisher nur ungenügende [gesetzliche] Festlegungen hinsichtlich der Überprüfung von erstellten Normen durch die Kommission oder andere Gremien bestehen. Es fehlt ein Regulativ, welches die vom Normungsgremium erstellte Norm gegenüber den im Auftrag enthaltenen Festlegungen und Bedingungen unabhängig überprüft und gegebenenfalls die Norm wieder an das Normungsgremium wegen Nichterfüllung des Auftrags zurückweist.
- 9. Des Weiteren sollte angesichts der vielschichtigen Aspekte bei der Frage nach dem Zugang und der Anwendung der Normen am Grundprinzip einer sachgerechten, breiten Lastenverteilung bei der Finanzierung der Normung festgehalten werden.
B
- 10. Der Ausschuss für Innere Angelegenheiten, der Ausschuss für Kulturfragen, der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und der Ausschuss für Städtebau, Wohnungswesen und Raumordnung empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß § § 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.