Der Bundesrat hat in seiner 936. Sitzung am 25. September 2015 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Einleitung der öffentlichen Konsultation zur Umgestaltung des Energiemarkts, die die Kommission in ihrer diesbezüglichen Mitteilung vom 15. Juli 2015 vorgenommen hat.
- 2. Er begrüßt zudem die von der Kommission geplante Umgestaltung des Energiemarkts. Die vorgeschlagenen Maßnahmen erscheinen grundsätzlich geeignet und angemessen, um die Versorgungssicherheit im europäischen Rahmen zu verbessern, eine bessere Förderung und Marktintegration der erneuerbaren Energien zu bewirken und somit zur Erreichung der europäischen Klimaschutzziele beizutragen.
- 3. Er teilt die Auffassung der Kommission, dass eine Stärkung der regionalen Koordinierung erhebliche Vorteile bringen kann. Er sieht insoweit jedoch dringenden und fortlaufenden Abstimmungsbedarf zwischen der nationalen Energiepolitik und den strategischen Überlegungen auf europäischer Ebene.
- 4. Der Bundesrat erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass sich die Bundesregierung im Rahmen der Umsetzung der Energiewende in Deutschland bei den Themen Fördersystematik für Erneuerbare Energien, Neugestaltung des Strommarktes, Novellierung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes, CO₂ Minderungsbeitrag des Stromsektors und Netzausbau auf wesentliche Inhalte verständigt hat.
- 5. Die Bundesregierung wird aufgefordert, bei der weiteren Umsetzung darauf zu achten, dass das Recht der Mitgliedstaaten, die Bedingungen für die Nutzung ihrer Energieressourcen, ihre Wahl zwischen verschiedenen Energiequellen und die allgemeine Struktur ihrer Energieversorgung zu bestimmen (vergleiche Artikel 194 Absatz 2 Satz 3 AEUV), unberührt bleibt.
- 6. Die Bundesregierung wird außerdem aufgefordert, sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen,
- - dass der Ausbau der Erneuerbaren Energien in Deutschland auch weiterhin gesamtwirtschaftlich und regional ausgewogen möglich bleibt, und
- - die Wettbewerbsfähigkeit und die Planungssicherheit der Industrie insbesondere in den Bereichen Kraft-Wärme-Kopplung, Besondere Ausgleichsregelung und Eigenstromerzeugung weiterhin langfristig gewährleistet bleiben.
- 7. Der Bundesrat befürwortet die Einrichtung grenzüberschreitender Märkte auch für den Intraday-Handel, um den Wettbewerb auf dem europäischen Strommarkt weiter anzuregen. Für ein tatsächliches Funktionieren grenzüberschreitender Märkte ist ein hinreichender Ausbau der Verbindungskapazitäten zwischen den Mitgliedstaaten notwendige Voraussetzung.
- 8. Er spricht sich - zumindest für das Gebiet des deutschen Strommarktes - dagegen aus, die Gebiete der Ausgleichsenergiemärkte auszuweiten. Möglicherweise sind in anderen Mitgliedstaaten der EU die Ausgleichsregionen zu klein zugeschnitten, um eine effektive Vorhaltung von Reservestrom zu ermöglichen. Für Deutschland trifft dies jedoch nicht zu. Die Berechnung der erforderlichen Regelenergie und die Abrechnung der den jeweiligen Bilanzkreisverantwortlichen zur Verfügung gestellten Ausgleichsenergie sind hochkomplexe Verfahren, die in Deutschland weiterhin in bewährter Weise durch die vier für ihre Regelzone verantwortlichen Übertragungsnetzbetreiber durchgeführt werden sollten. Innerhalb der bestehenden Regelzonen kann auch am besten gewährleistet werden, dass die Ausgleichsenergie dorthin gelangt, wo sie benötigt wird.
- 9. Der Bundesrat sieht langfristige Verträge zwischen den Marktteilnehmern, die dazu dienen sollen, Sicherheit für kapitalintensive Investitionen zu schaffen, grundsätzlich positiv, weist allerdings darauf hin, dass der Umsetzung dieses Gedankens bislang noch Hindernisse im Kartellrecht entgegenstehen, das marktbeherrschenden Energieversorgern den Abschluss von langfristigen Lieferverträgen grundsätzlich untersagt. Er fordert daher die Bundesregierung auf, dieses Problem und mögliche Lösungen in Abstimmung mit dem Bundeskartellamt zu untersuchen.
- 10. Der Bundesrat begrüßt die in Abschnitt 2.2. der Vorlage getroffene Aussage, dass kapitalintensive erneuerbare Energieträger einen stabilen Investitionsrahmen benötigen, der ihre Finanzierung über kostengünstige Finanzmittel ermöglicht. Er sieht in dieser Aussage allerdings einen gewissen Widerspruch zu Abschnitt 3.3.1. Randziffer(121) der Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2014 - 2020 (ABl. C 200 vom 28.6.2014, S. 1 - 55), wonach Beihilferegelungen zur Förderung erneuerbarer Energien nur für einen Zeitraum von höchstens zehn Jahren genehmigt werden können. Dieser Zeitraum ist nicht ausreichend, um Rechtssicherheit für einen wirklich stabilen Investitionsrahmen zu schaffen.
- 11. Der Bundesrat begrüßt den von der Kommission verfolgten Abbau von Hindernissen für die vollständige Teilhabe der Verbraucherinnen und Verbraucher am Energiemarkt. Insbesondere im Hinblick auf die Ausschöpfung des Potentials im Bereich Laststeuerung ("Demand Side Management") ist ein solcher Abbau erforderlich.
- 12. Er bewertet eine stärkere grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen den Übertragungsnetzbetreibern positiv, da hierdurch Synergieeffekte des engpassfreien Energiebinnenmarkts besser genutzt werden können. Es sollten allerdings keine Entscheidungsbefugnisse von den nationalen Übertragungsnetzbetreibern, die mit dem regionalen Netz und seinen Erfordernissen am besten vertraut sind, abgegeben werden. Der Bundesrat fordert daher die Bundesregierung auf, bei der weiteren Umsetzung darauf zu achten, dass keine Entscheidungen getroffen werden, die zu einer Abgabe von Entscheidungsbefugnissen der nationalen Übertragungsnetzbetreiber an das Europäische Netzwerk der Übertragungsnetzbetreiber führen.
- 13. Der Bundesrat lehnt eine Anpassung des bestehenden Regulierungsrahmens ab. Er ist nicht der Auffassung, dass eine verstärkte europäische Aufsicht bestehende Hemmnisse für den Markt besser lösen könnte als die nationale Regulierungsaufsicht. Das Prinzip der Subsidiarität gebietet es, dass eine europäische Harmonisierung nur dann erfolgt, wenn wegen des Umfangs oder der Wirkungen der Maßnahmen besser auf europäischer als auf nationaler Ebene gehandelt werden kann. Daher erscheint es vollkommen ausreichend, die Entscheidung grenzüberschreitender Fragen zwischen den jeweils betroffenen nationalen Regulierungsbehörden zu klären und der Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden lediglich die Koordinierung und Beratung zu überlassen.
- 14. Der Bundesrat lehnt die Ausgestaltung von Verteilnetztarifen auf europäischer Ebene ab. Eine solche europäische Uniformisierung würde den Besonderheiten der vielen lokalen Verteilnetzbetreiber nicht gerecht. Auch ist nicht erkennbar, dass ein solcher Eingriff in die nationalen Verteilnetzentgelte für die Schaffung eines europäischen Strommarkts erforderlich wäre. Der Einfluss der Verteilnetzentgelte auf den Strompreis ist verhältnismäßig gering und im Übrigen örtlich begrenzt. Die beschränkten Wirkungen der Verteilnetzentgelte auf die Strommärkte erfordern daher kein europäisch koordiniertes Vorgehen, so dass dieses auch zur Wahrung des Subsidiaritätsprinzips unterbleiben sollte.
- 15. Er sieht keine Notwendigkeit, in die Strombörsen regulierend einzugreifen. Hierzu besteht aktuell kein Anlass, da die Strombörsen die Marktteilnehmer in einem gut funktionierenden Verfahren zusammenbringen und dafür sorgen, dass die für die Bedürfnisse des Markts sachgerechten Produkte entwickelt werden.
- 16. Der Bundesrat begrüßt das Bestreben, eine europäische Dimension für die Versorgungssicherheit zu schaffen. Eine solche kann allerdings zum einen nur mit ausreichenden Verbindungskapazitäten zwischen den Mitgliedstaaten hergestellt werden, zum anderen muss sie Artikel 194 Absatz 2 Satz 3 AEUV respektieren.
- 17. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, dass bei der von der Kommission angedachten grenzüberschreitenden Betrachtungsweise der Versorgungssicherheit das hohe Niveau der Versorgungssicherheit und -qualität in Deutschland erhalten bleibt und die auf nationaler Ebene bereits beschlossenen Maßnahmen zur Wahrung der Versorgungssicherheit angemessen berücksichtigt werden.
- 18. Er fordert die Bundesregierung darüber hinaus auf, sicherzustellen, dass die Kommission ihre Strategie zur Entwicklung einer krisenfesten Energieunion eng mit den Mitgliedstaaten abstimmt. Zur erfolgreichen Umsetzung der nationalen Energiewendeziele (Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes sowie Strommarktdesign bzw. Ausgestaltung der Kapazitätsreserve) muss die Bundesregierung dafür Sorge tragen, dass sich die Kommission in ihrem vorgegebenen Kompetenzbereich bewegt.
- 19. Der Bundesrat sieht die angestrebte Entwicklung von europäischen Regeln zur grenzüberschreitenden Teilnahme an Kapazitätsmechanismen genauso wie eine Standardisierung der verschiedenen Modelle für Kapazitätsmechanismen grundsätzlich positiv. Er weist allerdings darauf hin, dass eine Standardisierung keinesfalls so weit gehen darf, dass wichtige regionale Bedürfnisse nicht mehr berücksichtigt werden können. Der Bundesrat regt außerdem an, dass - anders als dies die Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen bisher vorsehen - bei der Ausschreibung von Kapazitäten die Bevorzugung emissionsärmerer Technologien gegenüber emissionsträchtigeren ermöglicht werden sollte, um die Erreichung der EU-Klimaschutzziele zu fördern. Auf der anderen Seite darf die Erzeugung aus fossilen Brennstoffen nicht kategorisch von der Förderung ausgeschlossen werden, da zur Herstellung von Versorgungssicherheit der Stromerzeugung aus möglichst emissionsarmen fossilen Brennstoffen als Ergänzung zur Erzeugung aus regenerativen Energiequellen mittelfristig - bis Stromspeichertechnologien marktreif und wirtschaftlich sind eine wichtige Rolle zukommt.