920. Sitzung des Bundesrates am 14. März 2014
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Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Ausschuss für Agrarpolitik und Verbraucherschutz (AV) und der Wirtschaftsausschuss (Wi) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission mit der vorliegenden Mitteilung erneut die besondere Bedeutung des industriellen Sektors für die europäische Wirtschaft unterstreicht. Der Bundesrat teilt ihre Auffassung, wonach eine leistungsfähige, ressourceneffiziente industrielle Basis ein zentraler Bestandteil für die weitere Erholung und die zukunftsfähige Gestaltung des Wirtschaftsstandorts Europa ist.
- 2. Der Bundesrat betont, dass er die wichtigste Aufgabe der EU-Industriepolitik darin sieht, für fairen Wettbewerb zu sorgen und Rahmenbedingungen für eine innovative, erfolgreiche und starke Industrie zu setzen. Industriepolitik soll über eine Stärkung der industriellen Wettbewerbsfähigkeit mittelbar auch zur Schaffung von Arbeitsplätzen und guten Arbeitsbedingungen, zum ökologischen Fortschritt sowie zur Bewältigung weiterer gesellschaftlicher Herausforderungen wie etwa der hohen Jugendarbeitslosigkeit im Süden Europas beitragen. Mit Zurückhaltung betrachtet der Bundesrat daher das Ziel der EU, die zentrale Steuerung und Koordinierung der Industriepolitik auf europäischer Ebene zu verstärken. Der Bundesrat sieht die Schaffung eines EU-Ordnungsrahmens für die Industriepolitik auf europäischer Ebene und dessen Verknüpfung mit den Maßnahmen zur umfassenderen wirtschaftspolitischen Koordinierung nicht durch Artikel 173 AEUV gedeckt.
- 3. Die Kommission weist in ihrer Mitteilung zu Recht auf die zentrale Rolle der Wettbewerbsfähigkeit für die Stärkung der Industrie hin. Sie fordert insbesondere die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie künftig verstärkt in anderen Politikbereichen zu berücksichtigen.
- 4. Der Bundesrat stellt diesbezüglich fest, dass sich die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie auf zentralen Feldern, wie z.B. den Energiepreisen, in den vergangenen Jahren eher verschlechtert hat.
- 5. Der Bundesrat fordert daher die Kommission auf, den Wettbewerbsfähigkeitscheck als integralen Bestandteil des Rechtsetzungsprozess zu etablieren und es hierzu einen jährlichen Bericht vorzulegen. Dies hat der Bundesrat bereits in seiner Stellungnahme zur Industriemitteilung 2012 betont (BR-Drucksache 610/12(B) ). Dabei ist den betroffenen Kreisen im Rahmen der ExanteFolgenabschätzung die Möglichkeit zu geben, ihre Anregungen im Rahmen des Verfahrens einzubringen. Soweit im weiteren Verfahren nachträglich belastende Änderungen vorgenommen werden, sollte die Folgenabschätzung aktualisiert werden. Der Bundesrat fordert die Kommission auf, die Folgenabschätzung durch eine unabhängige Institution durchführen zu lassen.
- 6. Der Bundesrat stellt fest, dass bei verschiedenen aktuellen Vorhaben der Kommission dem Aspekt der Wettbewerbsfähigkeit noch nicht ausreichend Rechnung getragen wird. So würde die im Verordnungsvorschlag über die Sicherheit von Verbraucherprodukten vorgesehene Ursprungskennzeichnung nach den nichtpräferentiellen Ursprungsregeln aus dem Zollkodex zu einem erheblichen bürokratischen Aufwand führen und die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie beeinträchtigen. Eine Folgenabschätzung wurde nicht vorgenommen. Der Bundesrat erinnert in diesem Zusammenhang an seine entsprechende Stellungnahme (BR-Drucksache 127/13(B) ).
- 7. Der Bundesrat teilt die Auffassung der Kommission, dass Innovation und technologischer Fortschritt weiterhin für die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie ausschlaggebend sein werden. Nach Auffassung des Bundesrates wird sich der globale Innovationswettbewerb in den nächsten Jahren noch weiter verschärfen. So haben zahlreiche Länder, darunter auch die Volksrepublik China, ihre FuEAufwendungen in den vergangenen Jahren stark erhöht und werden auch in den nächsten Jahren hohe Zuwächse bei Forschung und Entwicklung zu realisieren versuchen. Vor diesem Hintergrund sieht der Bundesrat weiteren Konkretisierungsbedarf, wie die Kommission die Erreichung des EU-weiten 3-ProzentZiels bei Forschung und Entwicklung als eines der Kernziele der Europastrategie 2020 verwirklichen möchte.
- 8. Insgesamt muss die Industrie darin unterstützt werden, ihre innovativen Fähigkeiten zu nutzen, um industrielle Wertschöpfung in Deutschland und Europa zu erhalten und auszubauen. Dies gilt auch im Hinblick auf die wichtigen Fragen der Energie- und Ressourceneffizienz und weitere umwelt- und energiepolitische Fragestellungen.
- 9. Mit Blick auf die angestrebte Hebung von Wertschöpfungspotentialen sollte auf die Erhaltung möglichst vollständiger Wertschöpfungsketten in den einzelnen Mitgliedstaaten, mindestens aber in der EU, ein besonderes Augenmerk gelegt werden.
- 10. Industrie- und Umweltpolitik sind zwei wesentliche und eigenständige Politikfelder mit eigenen Zielen und Instrumenten. Der Bundesrat hält deshalb eine enge Abstimmung beider Bereiche für zwingend notwendig, um Widersprüchlichkeiten auszuräumen und Synergien zu nutzen. Insbesondere sollen umweltpolitische Maßnahmen nicht zu einer Einschränkung der gesamtwirtschaftlichen industriellen Wertschöpfung führen. Ziel bleibt der auf EU-Ebene verabredete Ausbau der industriellen Basis.
- 11. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission die industrielle Wettbewerbsfähigkeit künftig im Kontext mit der Energie- und Klimapolitik gestalten will.
- 12. EU-Regulierungsvorhaben wie die diskutierte Ausweitung der Ökodesignrichtlinie auf weitere Produkte sollten insoweit überprüft werden, um eine Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit gerade mittelständischer Industriebetriebe in Europa durch höhere Produktions- sowie Bürokratiekosten auszuschließen.
- 13. Die industrielle Entwicklung ist eng mit der Energiepolitik verwoben. Eine zuverlässige, sichere und bezahlbare Energieversorgung ist für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie unverzichtbar. Daher ist für den Bundesrat eine enge Abstimmung zwischen Energie- und Industriepolitik eine wesentliche Voraussetzung für eine Stärkung der Industrie in ganz Europa.
- 14. Wie die Kommission sieht auch der Bundesrat im Bereich der Energiekosten ein schwieriges Wettbewerbsumfeld für Industrieunternehmen. Dies gilt insbesondere für Unternehmen und Betriebe innerhalb der EU, die im internationalen Wettbewerb stehen und bei denen die Energiekosten einen besonders hohen Anteil ihrer Gesamtkosten ausmachen. Die Kommission weist zu Recht darauf hin, dass unter diesen Umständen die Energiekosten nicht aufgrund von Steuern, Abgaben und anderen von den Mitgliedstaaten zur Umsetzung verschiedener Maßnahmen eingeführten Instrumenten unverhältnismäßig ansteigen sollten und deshalb auf größtmögliche Kosteneffizienz der Förderung der erneuerbaren Energien zu achten ist. Darüber hinaus betont der Bundesrat ausdrücklich die Notwendigkeit, weiterhin auch nationale Regelungen für besonders energie- bzw. strompreissensible Unternehmen vorsehen zu können, mit denen ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit gestärkt bzw. abgesichert wird. Der Bundesrat fordert die Kommission in diesem Zusammenhang auf, die Leitlinien für Umwelt- und Energiebeihilfen entsprechend auszugestalten.
- 15. Der Bundesrat ist sich des horizontalen Ansatzes der vorliegenden Mitteilung bewusst, weist aber im Sinne einer sektoralen Betrachtung auf die industriepolitische Bedeutung der erneuerbaren Energien hin. So birgt beispielsweise Windenergie Offshore und Onshore produktionsseitig sowie durch die Kombination von innovativen Produkten und begleitenden Dienstleistungen Potential für die Etablierung industrieller Wertschöpfungsketten und die Generierung künftiger Exportchancen.
- 16. Der Bundesrat begrüßt die Bemühungen der EU um eine weitere Industrialisierung im Süden Europas. Es wäre aber kontraproduktiv, sollte dies durch eine Umverteilung industrieller Fertigung aus dem Norden der Union erreicht werden. Vielmehr gilt es, die Wettbewerbsfähigkeiten und innovativen Fähigkeiten der südeuropäischen Standorte zu stärken. Hier fehlt noch eine konsistente Strategie. Wie der Bundesrat in seiner Stellungnahme (BR-Drucksache 610/12(B) ) vom 14. Dezember 2012 betonte, können aber keine festen Zielgrößen für den Industrieanteil in den einzelnen Ländern vorgegeben werden.
- 17. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission die Bedürfnisse von KMU bei ihren industriepolitischen Maßnahmen automatisch berücksichtigen möchte. Er teilt auch die Auffassung der Kommission, dass Cluster einen wichtigen Beitrag leisten können, damit sich KMU bei den Innovationen gegenseitig unterstützen können. Zugleich bittet der Bundesrat die Kommission, die Hürden für die Innovationsförderung von KMU nicht zu hoch zu setzen, da anderenfalls KMU mit Entwicklungspotenzial von einer Förderung ausgeschlossen werden könnten und im Wettbewerb benachteiligt wären.
- 18. Der Bundesrat begrüßt die Absicht der Kommission, das "Enterprise Europe Network" auszubauen, um KMU im Binnenmarkt und auf dem Weg in Märkte außerhalb der EU besser zu unterstützen. Er bittet die Kommission, dafür in ausreichendem Umfang finanzielle Mittel bereitzustellen, damit dieser Ausbau auch finanziell dargestellt werden kann.
- 19. Der Bundesrat erkennt die Bedeutung von Dienstleistungsinnovationen und von Wissenstransfer aus der Dienstleistungsforschung in mittelständische Unternehmen. Deswegen begrüßt der Bundesrat den Ansatz der Kommission, die Unternehmensdienstleistungen bei der Konzeption und Umsetzung der Industriepolitik angemessen zu berücksichtigen.
- 20. Der Bundesrat betont die zentrale Bedeutung des Menschen als Quelle aller Innovationen. Neue Produkte, Prozesse oder Geschäftsmodelle basieren auf der Kreativität und dem Wissen der Menschen. Gut ausgebildete Fachkräfte sind daher für die Innovationskraft Deutschlands und Europas entscheidend. Angesichts des demographischen Wandels sind dabei alle Reserven zu erschließen:
- - an erster Stelle durch die Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräfteangebots, darüber hinaus aber auch durch eine bessere Willkommenskultur im internationalen Wettbewerb um "Kluge Köpfe"; - durch die Gewährleistung durchlässiger Bildungswege und individueller Unterstützungsangebote;
- - durch lebenslangen Zugang zu Bildung für alle;
- - durch eine Steigerung der Erwerbsbeteiligung insbesondere von Frauen, Migrantinnen und Migranten und älteren Menschen.
- 21. Mit Innovationen können insbesondere dann positive Beschäftigungs- und Wachstumseffekte erzielt werden, wenn sich die Neuerungen erfolgreich auf den globalen Märkten etabliert haben. Der Bundesrat regt daher an, in den kommenden Jahren ein stärkeres Augenmerk auf die Förderung von Internationalisierung und interkulturellen Kompetenzen sowie die Fortentwicklung der Mechanismen zum Schutz des geistigen Eigentums zu richten.
- 22. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich das Ziel der Kommission, den Zugang von Unternehmen, Waren und Dienstleistungen aus der EU zu den öffentlichen Beschaffungsmärkten von Drittländern zu verbessern. Der Bundesrat steht dem von der Kommission mit ihrem Verordnungsvorschlag für ein Marktzugangsinstrument (COM (2012) 124 final) gewählten Ansatz zur Erreichung dieses Ziels jedoch kritisch gegenüber. Insbesondere befürchtet der Bundesrat, dass die in der vorgeschlagenen Verordnung vorgesehenen Instrumente eine Spirale des Protektionismus auslösen könnten. Mögliche Vergeltungsmaßnahmen betroffener Drittstaaten könnten sich nachteilig auf EU-Unternehmen auswirken. Im Einzelnen wird auf die Stellungnahme vom 11. Mai 2012 (BR-Drucksache 162/12(B) ) verwiesen.
- 23. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich die Absicht der EU, im Rahmen ihrer Industriepolitik bei Verhandlungen zu Freihandelsabkommen mit wichtigen Handelspartnern bilateral eine Verbesserung des Marktzugangs für die europäische Industrie anzustreben.
- 24. Der Bundesrat verweist auf seine Entschließung vom 7. Juni 2013 (BR-Drucksache 464/13(B) ).
- 25. Der Bundesrat ist weiter der Auffassung, dass Freihandelsabkommen neben der Chance der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit auch das Risiko beinhalten, die hohen europäischen Standards im Verbraucher- und Umweltschutz zu senken. Die Errungenschaften der nationalen und europäischen Gesetzgebung beim Umwelt- und Verbraucherschutz, bei den Arbeitnehmerrechten und beim Datenschutz dürfen bei den Verhandlungen nicht in Frage gestellt werden.
- 26. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, bei laufenden oder kommenden Freihandelsabkommen insbesondere folgende Aspekte sicherzustellen:
- - Die hohen [deutschen und] europäischen Umwelt- und Verbraucherschutzstandards müssen erhalten bleiben. Eine Angleichung von Standards darf nicht dazu führen, dass tendenziell der jeweils niedrigste Standard aller Einzelstaaten als Basis für die verbindliche Norm des Vertrags dienen würde. - Geplante Streitbeilegungsmechanismen im Rahmen des Investitionsschutzes müssen rechtsstaatlichen Prinzipien entsprechen. Die Aussetzung der Gespräche zum Freihandelsabkommen mit den USA zu diesem Punkt und die geplante öffentliche Befragung werden ausdrücklich begrüßt.
- - Laufende und zukünftige Verhandlungen zu Freihandelsabkommen müssen transparent und unter Einbeziehung der Öffentlichkeit stattfinden.
- 28. Die Kommission hat ihre Vision für einen Binnenmarkt für Industrieprodukte in einer eigenen Mitteilung erläutert. Der Bundesrat begrüßt das Ziel der Kommission, den bestehenden Rechtsrahmen effizienter zu gestalten. Insbesondere Initiativen zur Verringerung des unternehmerischen Verwaltungsaufwands, regelmäßige Überprüfungen und Anpassungen der Vorschriften für Produktmärkte sowie die stärkere Einbeziehung von KMU in den Gesetzgebungsprozess stärken die Wettbewerbsfähigkeit. Der Bundesrat weist allerdings darauf hin, dass bei den vorgeschlagenen Maßnahmen, wie z.B. mehr Verordnungen statt Richtlinien und die Harmonisierung administrativer oder zivilrechtlicher Wirtschaftssanktionen zur Ahndung von Verstößen gegen Harmonisierungsvorschriften, Subsidiaritätsaspekte zu beachten sind.
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- 29. Der Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik, der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und der Verkehrsausschuss empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.