Der Bundesrat hat in seiner 947. Sitzung am 8. Juli 2016 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Initiative der Kommission, mit dem vorgelegten Richtlinienvorschlag Krebs als größtem Gesundheitsrisiko für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der EU wirksam entgegenzutreten. Er begrüßt ferner grundsätzlich den vorgelegten Vorschlag der Kommission und ist der Auffassung, dass dieser EU-weit zur Verbesserung des Schutzes der Beschäftigten gegenüber der Exposition von karzinogenen oder mutagenen chemischen Stoffen beitragen wird. Die Aufnahme und Änderung von verbindlichen Grenzwerten auf EU-Ebene für bestimmte krebserzeugende Chemikalien, die wissenschaftlich fundiert abgeleitet, verhältnismäßig und praktisch umsetzbar sind, ist dabei ein sehr wichtiger Schritt. Die damit verbundene Harmonisierung von bereits in vielen Mitgliedstaaten angewandten Grenzwerten ist auch im Hinblick auf die Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen positiv zu sehen.
- 2. Der Rat der Europäischen Union hat in seinen Schlussfolgerungen vom 5. Oktober 2015 zu einer neuen Agenda für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz zur Förderung besserer Arbeitsbedingungen die Wichtigkeit und Priorität einer Erhöhung des Schutzes der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor Karzinogenen und Mutagenen betont. Das Europäische Parlament hat mit seinen Entschließungen vom 15. Januar 2008 und 25. November 2015 nachdrücklich die Fortentwicklung der Richtlinie 2004/37/EG gefordert. Der Bundesrat teilt ausdrücklich diese Auffassung.
- 3. Im Impact Assessment zu dem vorgelegten Vorschlag wird ausgeführt, dass für zwölf der ursprünglich 25 priorisierten Stoffe noch weitere Informationen und Beurteilungen erforderlich sind. Der Bundesrat bittet die Kommission, für diese zwölf Stoffe die ausstehenden Kosten/Nutzen-Analysen mit Nachdruck zeitnah einzufordern und die sich daraus ableitenden legislativen Maßnahmen zum Schutze der Beschäftigten einzuleiten.
- 4. Der Prozess zur Etablierung neuer Grenzwerte für Karzinogene und Mutagene hat 2004 begonnen. In den Prozess waren die interessierten Kreise und Sozialpartner eingebunden. Dennoch sind zwölf Jahre nach Auffassung des Bundesrates zu lang, um bestehende und vor allem künftige Gefährdungen im Sinne des Arbeitsschutzes zeitnah zu regeln. Er bittet daher die Bundesregierung, auf EU-Ebene die Diskussion und Prüfung von Möglichkeiten mit dem Ziel anzustoßen, den Zeitrahmen für die Erarbeitung von Rechtsetzungs- oder Änderungsvorschlägen im Bereich des Arbeitsschutzes zu straffen.
- 5. Der Bundesrat teilt die Entschließungen des Europäischen Parlamentes vom 15. Januar 2008 und 25. November 2015 über die Notwendigkeit einer stärkeren Koordinierung bei der Fortentwicklung der Arbeitsschutz-Richtlinien mit der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) und einer Auflösung von regulatorischen Überschneidungen.
- 6. Er teilt folglich nicht die in der Begründung des Vorschlags vertretene Auffassung zur Komplementarität der Richtlinie 2004/37/EG und der REACH-Verordnung. Die in der Begründung getätigten Aussagen zur Nichtfestlegung von Arbeitsplatzgrenzwerten unter REACH werden jedoch bereits durch den zur Entscheidung bei der Kommission vorliegenden Beschränkungsvorschlag für NMP (1-Methyl-2-pyrrolidon) widerlegt. Ein Vergleich der Stoffbewertungen des Impact Assessments zum vorliegenden Richtlinienvorschlag und einzelner Anhang-XV-Dossiers (beispielsweise zu Cr(VI)-Verbindungen) offenbart umso mehr die Notwendigkeit einer stärkeren Vernetzung der Arbeitsgruppen zur Stoff- und Risikobewertung. Abgestimmte bzw. gemeinsame Positionen ermöglichen klare und einheitliche Rechtsetzungen, die sowohl dem Schutz der Beschäftigten als auch der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft dienen. Sich überlagernde oder im schlechtesten Fall widersprechende Anforderungen treffen besonders KMU und behindern die Fortentwicklung des Chemikalienrechts. Der Bundesrat ist daher der Auffassung, dass zur Vermeidung von überschneidenden Arbeiten und Strukturen sowie für eine einheitliche und klare Rechtsetzung eine engere und besser abgestimmte Zusammenarbeit der europäischen Institutionen für die Risikobewertung von Stoffen erforderlich ist.
- 7. Er fordert deshalb die Kommission auf, die notwendigen Maßnahmen einzuleiten, um künftig eine unter REACH und Arbeitsschutz abgestimmte Stoffbewertung und Ableitung von Festlegungen in der Rechtsetzung sicherzustellen.
- 8. Der Bundesrat sieht die Kommission im Wort, Vorschriften soweit möglich zu vereinfachen und damit insbesondere KMU bei der Umsetzung ihrer Arbeitsschutzverpflichtungen zu unterstützen. Vor allem die Aufstellung von DNEL/DMEL innerhalb von REACH und Arbeitsplatzgrenzwerten/Beurteilungswerten im Arbeitsschutz, welche für ein und denselben Stoff unterschiedlich sein können, stellt KMU vor große Herausforderungen.
- 9. Im Hinblick auf die schwierige Ableitung und Festlegung von Grenzwerten bittet der Bundesrat die Bundesregierung, sich in den weiteren Verhandlungen dieses Richtlinienvorschlags und bei zukünftigen Initiativen dafür einzusetzen, dass vor der Festlegung oder Verschärfung von Grenzwerten sichergestellt ist, dass für die jeweiligen Stoffe in den einzelnen Mitgliedstaaten harmonisierte Messmethoden und vergleichbare Maßstäbe bei der Auswertung von Messungen und der Interpretation der Ergebnisse angewandt werden. Auch bei der Frage, ob vermeintlich strengere Grenzwerte aus anderen Mitgliedstaaten auf EU-Ebene übertragbar sind, muss dies zunächst geprüft werden. Nur so können Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten betroffener Unternehmen in einzelnen Mitgliedstaaten verhindert werden.