828. Sitzung des Bundesrates am 24. November 2006
A
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union empfiehlt dem Bundesrat,
- 1. festzustellen, dass das vom Deutschen Bundestag am 26. Oktober 2006 verabschiedete Gesetz gemäß Artikel 23 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. Artikel 79 Abs. 2 des Grundgesetzes seiner Zustimmung mit zwei Dritteln seiner Stimmen bedarf,
Begründung:
Gemäß Artikel 23 Abs. 1 Satz 3 GG ist die Zustimmung des Bundesrates mit zwei Dritteln seiner Stimmen erforderlich, wenn durch Änderungen der vertraglichen Grundlagen der EU und vergleichbare Regelungen das GG seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen und Ergänzungen ermöglicht werden.
Der Beitrittsvertrag regelt erstmalig verbindlich für Bulgarien und Rumänien die Zahl der Sitze im Europäischen Parlament, ihre Stimmenzahl im Rat sowie das künftig geltende Quorum für Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit (Beitrittsakte zur Änderung der Rechtslage bis zum In-Kraft-Treten des Vertrags über eine Verfassung für Europa: Zweiter Teil "Anpassungen der Verträge", Titel I "Institutionelle Bestimmungen" sowie für die Übergangszeit bis zum Beginn der Wahlperiode 2009 bis 2014 für die Sitzverteilung im Europäischen Parlament Artikel 24; Beitrittsprotokoll zur Änderung der Rechtslage nach In-Kraft-Treten des Vertrags über eine Verfassung für Europa: Vierter Teil "Bestimmungen mit begrenzter Geltungsdauer", Titel II "Institutionelle Bestimmungen"). Insbesondere der geltende EGV wird durch diese Regelungen des Beitrittsvertrags entsprechend angepasst. Die Mitgliedstaaten hatten sich bei der Regierungskonferenz von Nizza zwar im Hinblick auf die Erweiterung der EU auf 27 Mitglieder politisch in einer Erklärung auf eine Neuverteilung der Sitze im Europäischen Parlament, im Wirtschafts- und Sozialausschuss und im Ausschuss der Regionen sowie auf eine neue Stimmengewichtung im Rat geeinigt (Erklärung Nr. 20).
Erst durch den Beitrittsvertrag werden jedoch endgültig und rechtlich verbindlich die institutionellen Bestimmungen geändert und damit der Kreis der Befugten, die übertragene Hoheitsrechte ausüben, geändert. Zudem wird auch die Höchstzahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments gegenüber den Festlegungen des EGV sowie des Vertrags über eine Verfassung für Europa für die Aufnahme von Bulgarien und Rumänien erhöht.
Durch den Beitritt verschieben sich im Ergebnis Stellung und Gewicht der Bundesrepublik Deutschland im institutionellen Gefüge der EU. Das relative Stimmengewicht Deutschlands insbesondere im Rat und damit die Möglichkeiten seiner Einflussnahme bei der Ausübung der auf die EU übertragenen Hoheitsrechte verändern sich. Dies stellt eine wesentliche Änderung der vertraglichen Grundlagen der EU dar, durch die das GG seinem Inhalt nach geändert bzw. ergänzt wird. Somit ist die Zustimmung des Bundesrates mit zwei Dritteln seiner Stimmen erforderlich.
- 2. und dem Gesetz zuzustimmen.
B
- 3. Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union empfiehlt dem Bundesrat ferner, zu dem Gesetz folgende Entschließung zu fassen:
Der Bundesrat nimmt Bezug auf seine Stellungnahme vom 7. Juli 2006 (BR-Drucksache 360/06(B) ) und begrüßt den Abschluss der fünften Erweiterungsrunde der EU, der nunmehr mit dem Beitritt von Bulgarien und Rumänien zum 1. Januar 2007 erfolgen wird.
Der Bundesrat nimmt die Analyse der Kommission in ihrem Bericht vom 26. September 2006 zur Beitrittsfähigkeit von Bulgarien und Rumänien zur Kenntnis. Er erwartet, dass beide Beitrittsstaaten alle Anstrengungen unternehmen, um die im Bericht angesprochenen Mängel, insbesondere im Justizwesen und bei der Korruptionsbekämpfung, bei der Verwaltung der EU-Agrarfonds, bei der Lebensmittelsicherheit und im Bereich der Flugsicherheit bis zum 1. Januar 2007 und darüber hinaus abzustellen.
Der Bundesrat bestärkt die Kommission in ihrer Position, die im Beitrittsvertrag enthaltenen Schutzklauseln in vollem Umfang anzuwenden, wenn Bulgarien und Rumänien ihren europarechtlichen Verpflichtungen nicht nachkommen. Er begrüßt die von der Kommission vorgesehene fortlaufende Überwachung auch nach dem Beitritt, insbesondere die Überprüfung für den Bereich Justiz und Inneres.
Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass die Kommission trotz weiter bestehender Mängel im wichtigen Bereich des Justizwesens sowie bei der Korruptionsbekämpfung in beiden Staaten vorerst von der Anwendung der in Artikel 38 des Beitrittsvertrags hierzu vorgesehenen Schutzklausel abgesehen und sich konkrete Schutzmaßnahmen erst für den Fall der Verzögerung weiterer Reformen nach dem Beitritt vorbehalten hat. Der Bundesrat erinnert daran, dass die konsequente Umsetzung der Beitrittskriterien der EU von hoher Bedeutung für die Glaubwürdigkeit der Union nach innen wie nach außen sowie für die Akzeptanz der Erweiterung in der Bevölkerung ist. Er spricht sich daher dafür aus, diese Schutzklausel ab dem 1. Januar 2007 anzuwenden, falls die Defizite bis dahin nicht beseitigt sein sollten.
Der Bundesrat bekräftigt seine Auffassung, wonach künftige Erweiterungen strikt vom Kriterium der Aufnahme- und Integrationsfähigkeit der EU abhängig gemacht werden müssen. Er fordert die Bundesregierung auf, die Debatte zum Strategiepapier der Kommission zur EU-Erweiterung vom 8. November 2006, das erstmals auch Aussagen zur Aufnahmefähigkeit der Union enthält, aktiv in diesem Sinne zu begleiten.