Der Bundesrat hat in seiner 908. Sitzung am 22. März 2013 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt ausdrücklich, dass die Kommission nunmehr einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer in Europa vorgelegt hat. Er befürwortet die mit der Einführung einer Finanztransaktionssteuer verfolgte Absicht, den Finanzsektor und insbesondere die Krisenverursacher angemessen an den Kosten der Finanzkrise zu beteiligen. In Übereinstimmung mit der Kommission ist der Bundesrat der Auffassung, dass der Finanzsektor, der bei der Auslösung der Finanz- und Wirtschaftskrise eine wesentliche Rolle gespielt hat, in Zukunft gegenüber anderen Wirtschaftszweigen angemessen besteuert werden sollte. Darüber hinaus kann eine Finanztransaktionssteuer - neben regulatorischen Maßnahmen - dafür sorgen, gesamtwirtschaftlich unerwünschtes Verhalten der Finanzmarktteilnehmer einzudämmen, und trägt damit zur Stabilisierung der Finanzmärkte bei. Bei der Ausgestaltung dieser Steuer ist nach Ansicht des Bundesrates in erster Linie darauf zu achten, dass diese ihren Zweck, unerwünschte Formen an Finanzgeschäften zurückzudrängen und den Finanzsektor an den Kosten der Krise zu beteiligen, nicht verfehlt. Zudem dürfen etwa die Kleinanleger - etwa bei Finanzprodukten zur Altersvorsorge - und die Realwirtschaft durch ein Überwälzen der Kosten dieser Steuer nicht ungerechtfertigt belastet werden.
- 2. Der Bundesrat begrüßt das Bestreben der Kommission, im Binnenmarkt für den Bereich der Finanztransaktionssteuer einer Rechtszersplitterung vorzubeugen. Er teilt die Auffassung der Kommission, dass ein koordiniertes Vorgehen auf internationaler Ebene zwar die beste Lösung wäre. Der Bundesrat ist aber auch der Auffassung, dass der vorliegende Vorschlag einer verstärkten Zusammenarbeit von elf Mitgliedstaaten zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer in Europa einen ersten wichtigen und notwendigen Schritt zur Verwirklichung der verfolgten Ziele darstellt.
Er begrüßt, dass der Kommissionsvorschlag einen sehr robusten Ansatz verfolgt, der sich im Kern auf alle Finanztransaktionen von Finanzinstituten richtet und Steuerumgehungen erschwert. Ausdrücklich nicht der Steuer unterliegen die meisten für die Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen wichtigen Finanztätigkeiten, wie z.B. Verbraucherkredite, Hypothekendarlehen, Versicherungsverträge sowie auch Unternehmenskredite und Zahlungsdienste. Bei den Finanzinstituten werden hingegen alle Finanztransaktionen, ob börslich oder außerbörslich, umfassend in den Blick genommen - wie z.B. Aktien- und Anleihehandel, Geldmarktinstrumente, Derivatkontrakte (auch über Währungen) sowie strukturierte Wertpapiere und Pensions- und Leihgeschäfte.
- 3. Der Bundesrat begrüßt ferner, dass der Richtlinienvorschlag der zentralen Bedeutung der Finanzmärkte für die Finanzierung von Wirtschaft und Privathaushalten sowie der privaten Vermögensvorsorge Rechnung trägt. Dies wird insbesondere in den Ausnahmen für die Primärmarktgeschäfte sowie für die in Ziffer 2 beispielhaft aufgeführten Finanztätigkeiten deutlich. Ein besonderes gesellschaftliches Anliegen - vor allem im Hinblick auf die demographische Entwicklung - ist die Stärkung der betrieblichen und privaten Altersvorsorge. Angesichts ihrer gesellschaftlichen Bedeutung fordert der Bundesrat die Bundesregierung aber auf, darauf hinzuwirken, dass geprüft wird, inwieweit Transaktionen, die unmittelbar der Altersvorsorge dienen, von der Finanztransaktionssteuer ausgenommen werden können. Nach Aussage verschiedener Untersuchungen wären beispielsweise bei Produkten der privaten Altersvorsorge finanztransaktionssteuerbedingte Einbußen in relevanter Höhe zu erwarten. Alternativ sollte daher auch ein separater Freibetrag bei der Finanztransaktionssteuer zu Gunsten von Altersvorsorgeprodukten in Betracht gezogen werden.
- 4. Der Bundesrat verkennt dabei nicht, dass die Gefahr von Ausweichreaktionen zunimmt, je kleiner der Kreis der teilnehmenden Staaten ist. Aus Sicht des Bundesrates sollte deshalb am langfristigen Ziel einer EU-weiten - und schließlich internationalen - Einführung der Finanztransaktionssteuer festgehalten werden, um ein geschlossenes und wettbewerbsneutrales Steuersystem zu schaffen. Die Auswirkungen der Finanztransaktionssteuer sollten zudem möglichst rasch nach deren Einführung im Hinblick auf den Finanz- und Wirtschaftsstandort Deutschland evaluiert werden.
- - Die Ergänzung des für die Steuerpflicht maßgeblichen Ansässigkeitsprinzips um ein Ausgabeprinzip kann zwar einen Beitrag zur Reduzierung von Ausweichreaktionen leisten, der Bundesrat sieht hier jedoch die Gefahr struktureller Vollzugsdefizite. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung zu prüfen, ob und wie der Steueranspruch bei Finanzinstituten aus nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten durchgesetzt werden kann.
- - Die öffentliche Hand nutzt im Interesse einer wirtschaftlichen Haushaltsführung - vor allem zur Absicherung von Zinsänderungsrisiken und zur Vorsorge für künftige Haushaltsbelastungen - auch Finanzinstrumente (z.B. durch Teilnahme an Sekundärmärkten oder den Abschluss von Finanzderivaten), die nach dem Vorschlag unter die Steuer fallen sollen. Vor diesem Hintergrund begrüßt der Bundesrat die Regelung in Artikel 3 Absatz 2 des Richtlinienvorschlags, nach der Mitgliedstaaten, soweit sie öffentliche Schulden verwalten, (und mit der Verwaltung öffentlicher Schulden betraute Einrichtungen, soweit sie diese Funktion ausüben,) nicht als Einrichtung im Sinne der Richtlinie gelten.
Allerdings reicht diese Ausnahme nach Auffassung des Bundesrates nicht weit genug. So führt die Steuerbarkeit der Gegenpartei im wirtschaftlichen Ergebnis weiterhin zu einer Belastung der öffentlichen Hand. Darüber hinaus haftet die öffentliche Hand nach Artikel 10 Absatz 3 gesamtschuldnerisch für die Entrichtung der Steuer, sofern sie an einer steuerbaren Transaktion direkt beteiligt ist. Zudem ist die Beschränkung auf die öffentliche Schuldenverwaltung zu eng und der Wortlaut nicht eindeutig. Dies gilt auch für die Vorschriften von Artikel 11 Absatz 1 bis 4, die auch auf die öffentliche Schuldenverwaltung und für die damit beauftragten öffentlichen Einrichtungen anwendbar sein sollen, aus denen jedoch nicht hervorgeht, welche konkreten Pflichten begründet werden sollen. Daher sind alle Transaktionen mit den Schulden- und Liquiditätsverwaltungen oder Sondervermögen der Mitgliedstaaten und aller staatlichen Ebenen - also einschließlich der Länder und Gemeinden -, der Landesförderinstitute und der Abwicklungsanstalten nach § 8a des Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetzes (FMStFG) vom Geltungsbereich der Richtlinie nach Artikel 3 Absatz 4 des Richtlinienvorschlags ausdrücklich auszunehmen.
- 5. Der Bundesrat bekräftigt daher seine Forderung, dass die Förderbanken der Länder gleichbehandelt werden mit der vom Geltungsbereich der Richtlinie ausgenommenen Europäischen Investitionsbank und der Kreditanstalt für Wiederaufbau (BR-Drucksache 588/11(B) , Ziffer 5, Spiegelstrich 6). Er fordert die Bundesregierung auf, hierauf bzw. auf eine entsprechende Klarstellung im weiteren Verfahren hinzuwirken.
- 6. Er bittet die Bundesregierung sich dafür einzusetzen, dass im Rahmen der anstehenden Ratsdiskussionen, eine vom Anwendungsbereich begrenzte und zielgerichtete Bereichsausnahme für den Market-Maker gestützten Wertpapierhandel in den Richtlinienvorschlag aufgenommen wird.
Marktteilnehmer, die Liquidität spenden, leisten einen maßgeblichen Beitrag zur Funktionsfähigkeit und Effizienz der Märkte. Sie ermöglichen den jederzeitigen Handel, unabhängig von der gerade vorhandenen Marktliquidität. Sie sichern damit für öffentliche wie private Emittenten ebenso wie für die Anleger das Funktionieren des Sekundärmarktes, was von gesamtwirtschaftlicher Bedeutung ist, und sollten daher vom Anwendungsbereich der Finanztransaktionssteuer ausgenommen werden.
Der Besteuerung unterliegen sowohl die von den Banken im Kundenauftrag an die Börse geleiteten Aufträge als auch die zur Ausführung getätigten Geschäfte der Finanzintermediäre. Diese haben - anders als die den Kundenauftrag an die Börse leitenden Banken - schon aufgrund des Wettbewerbs unter den regulierten Märkten um Privatkundenaufträge - nicht die Möglichkeit, die Belastung durch die Finanztransaktionssteuer an ihre Kunden weiterzugeben. Die vorgeschlagene Finanztransktionssteuer gefährdet das intermediärgestützte Marktmodell. Dies kann nur durch eine Bereichsausnahme für die Market-MakingTätigkeit vermieden werden.
Aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung der Market-Maker sehen auch andere europarechtliche Regelwerke Ausnahmen für diesen Bereich vor (z.B. Verordnung (EU) Nr. 236/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2012 über Leerverkäufe und bestimmte Aspekte von Credit Default Swaps). Auch im Rahmen der Beratungen über den Hochfrequenzhandel hat sich der Bundesrat für eine entsprechende Ausnahmeregelung eingesetzt (BR-Drucksache 607/12(B) , Ziffer 7).
- 7. Der Bundesrat lehnt den Vorschlag der Kommission ab, nach Artikel 11 Absatz 2 und Absatz 5 Satz 2 des Richtlinienvorschlags wesentliche Elemente zum Erhebungsverfahren als Durchführungsrechtsakte zu erlassen. Denn die deutschen Regelungen zum Erhebungsverfahren gelten nicht nur für die Finanztransaktionssteuer, sondern für verschiedene Steuerarten. Zudem weist das Erhebungsverfahren in den einzelnen Mitgliedstaaten diverse Besonderheiten auf, die sich nicht ohne weiteres im Rahmen von Durchführungsakten der Kommission vereinheitlichen lassen. Der Erlass von bindenden Durchführungsrechtsakten durch die Kommission ist daher nicht sachgerecht. Die teilnehmenden Mitgliedstaaten sollen eigenständig entscheiden können, welche Maßnahmen sie insbesondere im Rahmen des Erhebungsverfahrens ergreifen. Der Bundesrat fordert daher die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass Artikel 11 Absatz 2 und Absatz 5 Satz 2 des Richtlinienvorschlags gestrichen wird.
Er weist bereits jetzt darauf hin, dass die Finanztransaktionssteuer auf der Basis des vorliegenden Richtlinienvorschlags im Hinblick auf ihren weltumspannenden Geltungsbereich in den teilnehmenden Mitgliedstaaten nur zentral verwaltet werden kann. Die in Deutschland nach Artikel 108 Absatz 2 GG grundsätzlich vorgesehene Auftragsverwaltung der Steuern durch die Länder ist dafür ungeeignet. Im Zuge einer Umsetzung des vorliegenden Richtlinienvorschlags in nationales Recht bedarf es daher zwingend einer gesetzlichen Aufgabenzuweisung an den Bund, dem gemäß Artikel 106 Absatz 1 Nummer 4 GG auch das Aufkommen aus dieser Steuer zusteht. Eine Verwaltung der Finanztransaktionssteuer durch die Länder lehnt der Bundesrat ab.
- 8. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung mit Nachdruck dazu auf, in den weiteren Beratungen konsequent und mit einer Stimme auf die Verwirklichung einer Finanztransaktionssteuer in Deutschland und den übrigen teilnehmenden Mitgliedstaaten hinzuwirken. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung ferner nachdrücklich dazu auf, darauf hinzuwirken, dass die Finanztransaktionssteuer in Deutschland und den übrigen teilnehmenden Mitgliedstaaten - wie von der Kommission vorgeschlagen - bereits zum 1. Januar 2014 in Kraft treten kann.
- 9. Angesichts der politischen und ökonomischen Bedeutung der Finanztransaktionssteuer und der noch zu erwartenden Verhandlungen über den vorliegenden Richtlinienvorschlag mit den teilnehmenden Mitgliedstaaten sowie der geringen Zeitspanne seit Veröffentlichung des Richtlinienvorschlags am 14. Februar 2013 kann es geboten sein, dass der Bundesrat bei Bedarf weitere Stellungnahmen zu diesem Vorhaben abgibt.
- 10. Der Bundesrat benennt für die Beratungen der Vorlage in den Gremien des Rates gemäß § 6 Absatz 1 EUZBLG i.V.m. Abschnitt I der Bund-Länder-Vereinbarung eine Vertreterin des Landes Nordrhein-Westfalen, Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen bei der EU (TB'e Susanne Metzler).
- 11. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.