A
Der federführende Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik,
der Ausschuss für Familie und Senioren,
der Ausschuss für Frauen und Jugend,
der Ausschuss für Kulturfragen und
der Wirtschaftsausschuss
empfehlen dem Bundesrat, zu dem Bericht wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Die Vorlage des Sozialberichts 2005 bestätigt eindrücklich die Tatsache, dass die Politik der rotgrünen Bundesregierung gescheitert ist. Sie hat ihre Ziele - wie in der Regierungserklärung vom 29.10.2002 genannt - "ein Leben reicher an Chancen, reicher an Arbeitsmöglichkeiten und Arbeitsformen, reicher an Dienstleistungen und Märkten, reicher an Zukunftshoffnungen ..., aber durchaus auch reicher an Einkommen und Vermögen für alle", nicht erreicht. Wie weit diese Ziele verfehlt sind, ist nur zu offenkundig. Deutschland ist nicht reicher geworden, Deutschland ist ärmer - vor allem ärmer an Chancen - geworden. Deutschland befindet sich am Schluss des Wachstums in Europa, die Investitionsquote ist entgegen den Ankündigungen von Rot-Grün von 22 Prozent im Jahr 1998 auf 17 Prozent im Jahr 2004 gesunken. Deutschland ist auch ärmer an Einkommen und Vermögen für viele. So ist der Anteil der von Armut betroffenen Haushalte von 12,1 Prozent in 1998 auf 13,5 Prozent in 2003 gestiegen.
De facto bedeutet dies sieben verlorene Jahre für Deutschland, sieben Jahre Fehler und Stillstand, in denen Deutschland nur verwaltet, aber nicht gestaltet wurde.
- 2. Auch der Sozialbericht 2005 der Bundesregierung spiegelt diese Tatsache deutlich wider. Er enthält ein Sammelsurium an Aktivitäten der Bundesregierung, konkrete Ziele und Maßnahmen für die Zukunft, die zu mehr Wachstum und Beschäftigung führen, werden allerdings nicht genannt.
- 3. Darüber hinaus erweckt die Bundesregierung im Sozialbericht den unzutreffenden Eindruck, dass die eingeleiteten Arbeitsmarktreformen bereits erste Erfolge zeigen würden und daher keine weiteren Anstrengungen für mehr Wachstum und Arbeit notwendig seien. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Die bisherigen Reformen der Bundesregierung reichen bei weitem nicht aus, um zu einer durchgreifenden Änderung der Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt und Ausbildungsstellenmarkt zu gelangen. So ist die Arbeitslosigkeit in diesem Jahr so hoch wie nie zuvor, auch bei Herausrechnung des so genannten Hartz IV-Effekts. Zu Jahresbeginn wurde erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik die Fünf-Millionen-Marke überschritten, im August 2005 waren trotz saisonaler Entlastungen immer noch rund 4,73 Mio. Menschen ohne Arbeit. Ebenso ist die Lage auf dem Ausbildungsstellenmarkt wegen des erheblichen Rückgangs der gemeldeten Stellen unbefriedigend.
Erforderlich sind weitergehende Reformen in der Wirtschafts-, Arbeitsmarktund Finanzpolitik. Dazu gehören insbesondere eine Flexibilisierung und Deregulierung des Arbeitsmarktes einschließlich einer entschlossenen Reform des Arbeitsrechts, eine nachhaltige Senkung der zu hohen Lohnnebenkosten, die Förderung von Innovationen, der Abbau von Bürokratiehemmnissen und eine beschäftigungswirksame Steuerpolitik.
Bei der Darstellung der Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik der Bundesagentur für Arbeit beschränkt sich die Bundesregierung auf eine Beschreibung gesetzlicher Änderungen und der Entwicklung der Zahl der Förderfälle. Schlussfolgerungen aus den ernüchternd niedrigen Eingliederungsquoten, beispielsweise bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, der Weiterbildungsförderung und den Personal-Service-Agenturen, werden nicht gezogen.
Angesichts der geringen Eingliederungserfolge bei einigen Instrumenten und der hohen Zahl an Arbeitslosen ist jedoch eine kritische Überprüfung aller arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit dringend erforderlich. Die Förderung von Maßnahmen, die sich als unwirksam und ineffizient erweisen, muss eingestellt werden.
- 4. Auch für den Bereich der Rentenversicherung erschöpft sich der Sozialbericht 2005 weitgehend in einer Aufzählung bereits unternommener Maßnahmen. Insgesamt wird zu Unrecht der Eindruck erweckt, elementare Ziele wie Beitragsstabilität, langfristige Tragfähigkeit und Ausbau der privaten Vorsorge seien bereits sichergestellt. Insbesondere kann die vorbehaltlose Darstellung des Nachhaltigkeitsfaktors als Garant für die Sicherung der finanziellen Tragfähigkeit und Beitragsstabilität nicht aufrecht erhalten werden, denn die Berechnungen dazu basieren auf langfristigen Annahmen - ein durchschnittliches jährliches Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent und eine durchschnittliche Lohnsteigerung von 3 Prozent p.a. - die heute klar verfehlt werden. Auch die private Altersvorsorge muss attraktiver werden. Insgesamt wird im Hinblick auf die demografische Entwicklung in Deutschland keine geeignete Strategie aufgezeigt, mit welcher der demografischen Herausforderung begegnet werden kann; es fehlen Maßnahmen des Lastenausgleichs für Familien, die mit der Kindererziehung einen wesentlichen Beitrag zum Systemerhalt leisten.
- 5. Der Bundesrat stellt außerdem fest, dass die Bundesregierung auch für den Bereich der Pflegeversicherung keine weiteren Reformschritte zur Stabilisierung der finanziellen Leistungsfähigkeit sowie zur inhaltlichen Weiterentwicklung der Leistungen der Sozialen Pflegeversicherung eingeleitet und damit auch in diesem Bereich versagt hat. Die Reform der Pflegeversicherung ist kurzfristig anzugehen. Wichtig dabei ist insbesondere die Einführung einer ergänzenden Kapitaldeckung.
- 6. Die Ausführungen der Bundesregierung zur Familienpolitik erschöpfen sich in oberflächlichen Feststellungen zur derzeitigen Lage der Familien. Die aufgezeigten Maßnahmen sind altbekannt und haben bisher keine spürbare Verbesserung für die Situation der Familien gebracht. Im Gegenteil: Entgegen den vollmundigen Ausführungen der Bundesregierung haben sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Familien und Kinder weiter verschlechtert: Ausweislich des Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung hat sich die Armutsrisikoquote von Familienhaushalten seit 1998 von 12,6 Prozent auf 13,9 Prozent im Jahr 2003 erhöht.
- 7. Vorzuwerfen ist der Bundesregierung auch, dass sie im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung zum 1. Mai 2004 unzureichend verhandelt hat. Obwohl von Länderseite seit 1998 auf die Notwendigkeit von Übergangsregelungen hingewiesen wurde, sind auf Initiative der Bundesregierung nur drei Branchen (Baugewerbe und Innendekoration, Reinigung von Gebäuden, Inventar sowie Verkehrsmittel) in die Übergangsregelungen im Bereich der Dienstleistungsfreiheit einbezogen worden. Der Bundesrat weist darauf hin, dass Österreich dagegen Ausnahmeregelungen für weitere Branchen (insbesondere Sozialwesen und Schutzdienste) durchsetzen konnte.
- 8. Der Bundesrat weist darauf hin, dass die Entscheidungen über Maßnahmen im Bildungsbereich der Verantwortung der Länder obliegen, da die Bildungshoheit das Kernstück der Eigenstaatlichkeit der Länder darstellt (s. BVerfGE 6, 309). Dem Bund stehen allein im Bereich der außerschulischen beruflichen Bildung Kompetenzen zu, und zwar namentlich soweit diese sich auf die konkurrierenden Kompetenzen für das Recht der Wirtschaft und das Arbeitsrecht beziehen (Art. 74 Abs. 1 Nr. . 11 und 14 GG). Die alleinige Zuständigkeit der Länder umfasst insbesondere auch die von den Ländern bereits durch vielfältige und erfolgreiche Maßnahmen betriebenen Reformen im Bildungswesen durch die Einführung von qualitätssichernden Maßnahmen wie z.B. Bildungsstandards, durch Modernisierung der Strukturen, Unterrichtsreformen und gezielte Programme zur individuellen Förderung sowie die Gestaltung der schulischen Ausbildungsvorbereitung.
- 9. Der Bundesrat stellt fest, dass das Investitionsprogramm der Bundesregierung "Zukunft Bildung und Betreuung" keinen umfassenden Reformansatz in Hinsicht auf Bildungsfragen darstellen kann. Zum einen stellt das Programm allein Mittel für Investitionen in Baumaßnahmen zur Verfügung. Zum anderen widerspräche der behauptete Ansatz zu einer Reform des Bildungssystems durch die Bundesregierung der Kompetenzordnung des Grundgesetzes.
- 10. Der Bundesrat weist darauf hin, dass ein Scheitern von Kindern und Jugendlichen an den Schnittstellen der Bildungssysteme entgegen der Darstellung der Bundesregierung nicht üblich ist, sondern eine Ausnahme darstellt. Die Länder haben durch die im Rahmen ihrer alleinigen Zuständigkeit getroffenen Maßnahmen die Durchlässigkeit der Bildungssysteme sowie einen erfolgreichen Übertritt der Lernenden an den vorhandenen Schnittstellen sowohl innerhalb der Länder als auch zwischen den Ländern sichergestellt.
- 11. Der Bundesrat verwehrt sich gegen den pauschalen Verweis der Bundesregierung auf ein "schlechtes Abschneiden" Deutschlands bei internationalen Schulleistungsvergleichen. Der Bundesrat verweist insofern auf die Ergebnisse des Vorberichts zur Ländervergleichsstudie PISA 2003-E, nach dem alle Länder in fast allen Kompetenzbereichen - der Tendenz nach oder substantiell - Verbesserungen verzeichnen konnten und somit im oder über dem Bereich des OECD-Durchschnitts liegen, sowie darauf, dass es einigen Ländern darüber hinaus gelungen ist, Anschluss an die internationale Spitzengruppe zu finden.
- 12. Der Bundesrat unterstreicht, dass auch die allgemeine Erwachsenenbildung in die ausschließliche Zuständigkeit der Länder fällt. Er stellt fest, dass auch die im Rahmen der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung angesiedelten Modellprojekte und Programme nicht zu einer umfassenden Zuständigkeit der Bundesregierung in diesen Bereichen führen können.
- 13. Zum wiederholten Mal stellt der Bundesrat klar, dass auch im Rahmen der Lissabon-Strategie die "Offene Methode der Koordinierung" in den Bereichen außerhalb der Legislativkompetenz der EU (z.B. Bildung, Jugend) nicht dazu führen darf, dass konkrete Maßnahmen und Handlungsanweisungen unter Verletzung der vertraglichen Kompetenzordnung und des Subsidiaritätsprinzips aufgestellt werden, sondern dass es insofern nur um einen Erfahrungs- und Informationsaustausch sowie die Identifizierung von Best-Practices gehen kann - vgl. BR-Drucksache 917/04(B) , BR-Drucksache 1 066/01(Beschluss) .
B
14. Der Gesundheitsausschuss,
der Ausschuss für Innere Angelegenheiten und
der Ausschuss für Städtebau, Wohnungswesen und Raumordnung
empfehlen dem Bundesrat, von dem Bericht Kenntnis zu nehmen.