Der Bundesrat hat in seiner 853. Sitzung am 19. Dezember 2008 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt grundsätzlich die Initiative der Kommission, eine vertiefte Diskussion der zukünftigen Qualitätspolitik im Agrarbereich zu führen. Ziel der Initiative ist es, die im Vergleich zu den Mitbewerbern auf den Weltagrarmärkten sehr hohe Lebensmittelqualität von Agrarerzeugnissen aus der EU noch besser zu vermarkten, um dadurch dem verstärkten Druck von Agrarerzeugnissen aus Drittländern, soweit diese einen deutlich geringeren Produktionsstandard haben, besser standhalten zu können. Die Kommission will dabei eine breite Diskussion zu Produktionsnormen, Bewirtschaftungsauflagen und Qualitätsregelungen anstoßen.
Der Bundesrat warnt jedoch eindringlich davor, durch eine zu starke Harmonisierung der Qualitätsregelungen die Profilierung von regionalen Qualitätserzeugnissen zu erschweren.
- 2. Der Bundesrat betrachtet die Qualitätspolitik als wichtigen Wettbewerbsvorteil der Land- und Ernährungswirtschaft in der EU. Dabei muss aber die zentrale Rolle der Lebensmittelhersteller, die einen Großteil der Produkte zu verkaufsfähigen Erzeugnissen aufbereiten, und der Vermarkter wesentlich stärker berücksichtigt werden. Urproduzenten decken zwar einen wichtigen Teil in der qualitätsorientierten Produktionskette ab, haben oftmals aber nur noch einen geringen Einfluss auf die weitere Behandlung, Be- und Verarbeitung und damit auf die Qualität des Endproduktes und die Produktinformationen für den Verbraucher.
- 3. Der Bundesrat betont die Bedeutung einer Abgrenzung der Rolle des Staates zu Mindestanforderungen auf der einen Seite und die Verantwortung der Wirtschaft zu selbstregulierenden Vorgaben auf der anderen Seite. Alle Bemühungen für einen pragmatischen Bürokratieabbau dürfen auch nicht durch neue EU-Regelungen konterkariert werden.
Die aufgeworfene Frage, ob neue EU-Regelungen in diesem Bereich, insbesondere im Bereich des Umweltschutzes, beschlossen werden sollen, ist eindeutig zu verneinen.
- 4. Der Bundesrat betont, dass die erhöhten Normen, die die europäischen Landwirte erfüllen müssen, auch nach 2013 durch EU-Direktzahlungen auszugleichen sind. Dieser finanzielle Ausgleichsanspruch darf mit der vorliegenden Initiative nicht ausgehebelt werden.
- 5. Der Bundesrat fordert, dass aus Sicht der Verbraucher die Kommunikation des objektiven und insbesondere auch des subjektiven "Wertes" und somit der Qualität eines land- und ernährungswirtschaftlichen Produktes einfach und klar zu erfolgen hat. Eine Vielfalt an Labels und Logos - insbesondere auch bei der Einführung weiterer neuer Kennzeichnungselemente - kann daher kontraproduktiv sein.
- 6. Zudem liegt eine Stärke Europas auch in seiner geographischen, naturräumlichen, kulturellen und kulinarischen Vielfalt. Eine Nivellierung dieser Vielfalt, z.B. durch ein einheitliches EU-Kennzeichen ohne festen Bezug zur regionalen Herkunft, wäre kontraproduktiv.
- 7. Vor diesem Hintergrund vertritt der Bundesrat die Auffassung, dass zu einer Weiterentwicklung der Qualitätspolitik der EU zur Verbesserung der Wettbewerbsstellung der Land- und Ernährungswirtschaft der EU Folgendes zu Grunde zu legen bzw. zu berücksichtigen ist, und bittet die Bundesregierung, bei den weiteren Beratungen auf EU-Ebene entsprechend Position zu beziehen:
- - Auf die Einführung neuer Instrumente sollte verzichtet werden; vielmehr sollten bestehende ggf. - auch auf der Basis derzeit laufender Gerichtsverfahren z.B. zu Gattungsbegriffen - weiterentwickelt werden.
- - Mit einer solchen Weiterentwicklung sollte keine zusätzliche Kostenbelastung für die Erzeugungsstufe verbunden sein, die schon jetzt unter hartem Wettbewerbsdruck steht und bei weiteren Belastungen die Erzeugung einschränken könnte. Für die Verbraucher ist auch die Versorgungssicherheit wichtig.
- - Zur Sicherstellung der Wettbewerbsgleichheit in der EU und mit Anbietern aus Drittländern ist es wesentlich, dass die Festlegung, Beachtung und Anwendung von entsprechenden Normen und Regelungen durch neutrale, entsprechend wirksame und wirtschaftlich vertretbare Kontrollsysteme gewährleistet werden kann. Beispielsweise sind insbesondere im Sektor biologische Landwirtschaft Defizite zur Sicherstellung der EU-Standards und daher Handlungsbedarf in der internationalen Zusammenarbeit der Kontrollbehörden oder -stellen sowohl innerhalb der EU als auch mit Drittländern erkennbar.
- - Die Gelegenheit, im Rahmen der WTO die geografischen Herkunftsbezeichnungen zu stärken, sollte genutzt werden.
- - Bestehende staatliche Vorgaben zu Qualitätsnormen und Handelsklassen sind unter dem Lichte der Eigenverantwortung der Wirtschaft, aber auch unter dem Aspekt der erforderlichen Markttransparenz, der Selbstverantwortung der Verbraucher und daher auch der Wahrnehmbarkeit und Überschaubarkeit durch die Verbraucher zu überprüfen und ggf. entsprechend zu optimieren, wobei auch der Aspekt des Bürokratieabbaus zu beachten ist.
Hierbei ist das Bestreben des Handels zu berücksichtigen, der eine direkte Vergleichbarkeit seines Angebots untereinander im Hinblick auf Preis und Leistung im Sinne der Verbesserung der jeweils eigenen Marktstellung zu vermeiden sucht.
- - Das Postulat der Wirksamkeit von Kontrollsystemen gilt sowohl für staatliche als auch für privatwirtschaftliche Vorgaben und Systeme.
- - Zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit sind bereits eingeführte Systeme, die sowohl staatliche als auch privatrechtliche Elemente oder Akteure vereinigen, im Sinne einer verlässlichen und prägnanten Verbraucherinformation sehr zielführend. Dazu ist es erforderlich, dass die Kennzeichnung und die Auslobung einerseits eindeutig und überschaubar gegenüber dem Verbraucher stattfinden und andererseits mit Aussagen über Qualität und regionale Herkunft verknüpft werden können.
- - Der Stellenwert der Kommunikation der regionalen Herkunft ist aus Sicht der europäischen Verbraucher zukünftig sehr hoch anzusiedeln, weil diese aus objektiven und subjektiven Gründen die Produkte aus ihrer jeweiligen Region eindeutig identifizieren und ggf. erwerben möchten. In gleicher Weise gilt es, diese Information auch ausländischen Besuchern nutzbar zu machen, die europäischregionale Erzeugnisse auch in der eigenen Heimat erwerben möchten.
- - Abgesehen von den Vorgaben und Möglichkeiten des EU-Rechts bei den geographischen Angaben und des biologischen Landbaus können oder müssen daher gerade regionale Qualitätsprogramme, z.B. in einer Kooperation von Privatwirtschaft und Staat, zur Anwendung kommen, wenn dadurch der vom Verbraucher erwartete "Mehrwert" von Produkten aus der europäischen Land- und Ernährungswirtschaft "schlank" kommuniziert werden und der Verbraucher sein Konsumverhalten entsprechend selbst gestalten kann.
- - Insbesondere bei geografischen Angaben besteht grundsätzlich kein Interesse daran, die Anerkennungsbedingungen wesentlich zu verschärfen und damit den Aufwand für das Anerkennungsverfahren noch weiter zu erhöhen, da dies zu Benachteiligung der Länder und Regionen mit zahlenmäßig geringen Eintragungen führen würde.
- - Der Bundesrat spricht sich für die Beibehaltung sektorspezifischer Regelungen für Wein und Spirituosen und gegen die Überführung in horizontale Qualitätsregelungen gemäß Verordnung (EG) Nr. 510/2006 mit geschützten geografischen Angaben bzw. geschützten Ursprungsbezeichnungen aus.
- 8. Der Bundesrat behält sich vor, im Lichte der weiteren Beratungen zu Folgemaßnahmen auf der Grundlage dieses Grünbuches erneut Stellung zu nehmen.
- 9. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.