989. Sitzung des Bundesrates am 15. Mai 2020
A
Der federführende Rechtsausschuss empfiehlt dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zu Artikel 1 Nummer 2 Buchstabe b (§ 5 Nummer 5a Buchstabe b StGB)
Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, inwieweit die vorgesehene Ausdehnung der Strafbarkeit von Auslandstaten der Volksverhetzung im Interesse eines wirksamen Kampfes gegen Hass und Hetze einer umfassenderen Regelung bedarf.
Begründung:
Nach der in § 5 Nummer 5a Buchstabe b StGB-E vorgesehenen Erweiterung des Anwendungsbereichs soll deutsches Strafrecht auch für Auslandstaten bei Volksverhetzung nach § 130 Absatz 2 Nummer 1 StGB, auch in Verbindung mit Absatz 5, gelten, wenn ein in Absatz 2 Nummer 1 oder Absatz 3 bezeichneter Inhalt (§ 11 Absatz 3) in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, im Inland wahrnehmbar verbreitet oder der inländischen Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird und der Täter Deutscher ist oder seine Lebensgrundlage im Inland hat. Mit dieser Regelung greift der Gesetzentwurf der Bundesregierung ein Anliegen auf, für das sich bereits die 89. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister 2018 ausgesprochen hatte.
Ungeachtet dieser begrüßenswerten Zielsetzung besteht jedoch weitergehender Prüfungsbedarf, ob die von der Bundesregierung vorgeschlagene Regelung den Erfordernissen einer sach- und praxisgerechten Ausgestaltung hinreichend Rechnung trägt und im Kampf gegen Hass und Hetze die gebotenen Mittel ausschöpft. So knüpft die Erweiterung des Anwendungsbereichs für Auslandstaten bei Volksverhetzung durch den Verweis auf Fälle nach § 130 Absatz 2 Nummer 1 StGB allein an Verbreitungs- und nicht auch an Äußerungshandlungen an. Dies wird der differenzierenden Struktur der Straftat der Volksverhetzung, die in § 130 StGB sowohl Verbreitungs- als auch Äußerungsdelikte regelt, nicht hinreichend gerecht und ist geeignet, Unstimmigkeiten wie auch Strafbarkeitslücken hervorzurufen:
- - So kann etwa derjenige deutsche oder im Inland ansässige Täter, der sich im Ausland volksverhetzend äußert und selbst für die Verbreitung seiner Worte im Inland sorgt (vorbehaltlich einer Anwendbarkeit von § 7 Absatz 2 StGB) nur aus dem gegenüber § 130 Absatz 1 oder 3 StGB deutlich niedrigeren Strafrahmen des § 130 Absatz 2 Nummer 1 StGB bestraft werden. Der Umstand, dass der Täter nicht nur Verbreiter, sondern auch Urheber der verbreiteten volksverhetzenden Äußerung im Sinne des § 130 Absatz 1 StGB ist, kommt damit im Strafrahmen nicht hinreichend zum Ausdruck und kann auch die durch § 5 Nummer 5a StGB-E bewirkte Privilegierung im Strafmaß gegenüber Inlandstaten nicht rechtfertigen.
- - Wird die Verbreitung der volksverhetzenden Äußerungen durch einen anderen als den Äußernden vorgenommen, so ist der Täter der Äußerung allenfalls nach Beteiligungsgrundsätzen oder im Fall des § 7 Absatz 2 StGB strafbar. Insoweit bestünden daher auch nach Einfügung des § 5 Nummer 5a StGB-E weiterhin Strafbarkeitslücken. Beispiel: Der Zuhörer Z einer volksverhetzenden Rede des deutschen Staatsangehörigen T im Ausland macht diese, zum Beispiel per Live-Stream, auch der Öffentlichkeit in Deutschland zugänglich. Auch wenn T hiervon Kenntnis hat bzw. diese Weiterverbreitung billigt, wird er allein dadurch nicht (Mit-)Täter oder Teilnehmer der Verbreitungshandlung nach § 130 Absatz 2 Nummer 1 StGB. Sofern nicht ein Fall des § 7 Absatz 2 StGB vorliegt, bleibt T dann straflos. Dies erscheint nicht sachgerecht. Geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören, sind nicht nur Tathandlungen im Ausland, die der Verbreitung volksverhetzender Inhalte dienen, sondern auch und bereits entsprechende Äußerungshandlungen, die ihre friedensgefährdende Wirkung - vom Vorsatz des Täters umfasst - auch in Deutschland entfalten.
- - Nicht erfasst würden auch Konstellationen, wie sie der Entscheidung des BGH, Beschluss vom 3. Mai 2016 - 3 StR 449/15, zugrunde lagen. Die deutsche Angeklagte hatte hier bei einem Vortrag im Ausland, zu dem auch eine unbestimmte Vielzahl von Personen aus Deutschland gekommen war (und im Anschluss an den Vortrag dorthin wieder zurückkehrte), den Holocaust geleugnet. In einem derartigen Fall knüpft § 5 Nummer 5a StGB-E die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts unter anderem daran, dass der Vortrag "im Inland wahrnehmbar verbreitet oder der inländischen Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird". Eine Verbreitung im Inland liegt offensichtlich nicht vor. Aber auch die zweite Alternative ist nicht einschlägig, wenn der Täter im Ausland handelt und der Vortrag an die dortige Bevölkerung gerichtet ist. Dass interessierte Teilnehmer aus Deutschland bei grenzüberschreitender Anreise rein tatsächlich ebenfalls Zugang zu dem Vortrag erlangen können, führt nicht dazu, dass der Vortrag hierdurch der "inländischen Öffentlichkeit zugänglich gemacht" wird.
2. Zu Artikel 1 Nummer 25 Buchstabe e (§ 184c Absatz 4 StGB)
Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, inwieweit die Regelung in § 184c Absatz 4 StGB einer klarstellenden Neufassung bedarf.
Begründung:
Der Gesetzentwurf sieht hinsichtlich der Privilegierungsvorschrift des § 184c Absatz 4 StGB lediglich eine Anpassung an den neuen Inhaltsbegriff vor. Im Übrigen sollen die Änderungen - nach der Begründung des Gesetzentwurfs - "nichts an den teleologischen Reduktionen ändern, die zum geltenden Recht angenommen werden". Erwähnt wird hierbei unter Verweis auf Literaturstimmen die Straffreiheit beim sogenannten Sexting, bei dem eine jugendliche Person selbst einen jugendpornographischen Inhalt einer anderen Person zugänglich macht, der sie selbst betrifft; ferner die Straffreiheit des Besitzes jugendpornographischer Darstellungen oder der Abruf solcher Inhalte für die Personen, die sie selbst zeigen oder die anderen Personen von den vorgenannten mit deren Einverständnis erhalten oder abgerufen haben.
Es sollte aber primär Aufgabe des Gesetzgebers sein, die Reichweite der Strafbarkeit möglichst genau und in dem Normtext selbst zu bestimmen. Dies gilt umso mehr, als sich die Rechtsprechung zu entsprechenden Auslegungsfragen bislang nicht verhalten hat (vergleiche BGH, Beschluss vom 5. September 2019 - 4 StR 377/19, Randnummer 4) und durchaus unterschiedliche Vorstellungen über die erforderliche Reichweite von tatbestandlichen Beschränkungen über den Gesetzeswortlaut hinaus bestehen dürften.
B
3. Der Ausschuss für Frauen und Jugend und der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfehlen dem Bundesrat, gegen den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes keine Einwendungen zu erheben.