Der Bundesrat hat in seiner 956. Sitzung am 31. März 2017 beschlossen, zu dem vom Deutschen Bundestag am 9. März 2017 verabschiedeten Gesetz einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen.
Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung gefasst:
- a) Der Bundesrat begrüßt die Bemühungen der Bundesregierung, durch das Vorsehen von Spezialkammern und -senaten eine häufige Befassung eines Spruchkörpers mit einer bestimmten Rechtsmaterie sicherzustellen und hierdurch eine Steigerung der Rechtsprechungsqualität zu erzielen.
- b) Allerdings mahnt der Bundesrat ein an den Usancen ausgerichtetes Gesetzgebungsverfahren an, das - gerade bei derartigen Eingriffen in das Gerichts-organisations- und Verfahrensrecht - eine adäquate Einbeziehung der gerichtlichen Praxis des Geschäftsbereichs ermöglicht. Ein Grund für ein derart abgekürztes Verfahren über parlamentarische Änderungsanträge ist nicht ersichtlich. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung daher, zukünftig dafür Sorge zu tragen, dass die Landesjustizverwaltungen in derartigen Gesetzesvorhaben so frühzeitig einbezogen werden, dass eine Beteiligung des Geschäftsbereichs erfolgen kann.
- c) Zugleich bittet der Bundesrat die Bundesregierung, die nunmehr vorgelegten Regelungen zur Spezialisierung nicht als Abschluss der gesetzgeberischen Tätigkeit zu dieser Thematik zu begreifen. Eine weitergehende Diskussion wird insbesondere hinsichtlich der folgenden Punkte für notwendig erachtet:
Begründung:
Erst im Januar diesen Jahres wurde seitens des BMJV eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die unter anderem Gelegenheit geben sollte, sich mit dem Thema der Spezialisierung intensiver zu befassen. Die aufgrund der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestages (vgl. BT-Drucksache 18/11437) erfolgten Änderungen nehmen den Landesjustizverwaltungen jegliche Möglichkeit, unter Beteiligung der gerichtlichen Praxis und der Einbeziehung der dort vorhandenen Expertise die Auswahl der in Rede stehenden Sachgebiete mit zu gestalten.
Eine wirkliche Spezialisierung mit der damit angestrebten Verbesserung der fachlichen Expertise, der besonderen Erfahrung im Umgang mit der jeweiligen Rechtsmaterie und einer Steigerung der Rechtsprechungsqualität dürfte voraussetzen, dass auch in den Präsidien und den Spruchkörpern des jeweiligen Gerichts die grundlegende Überzeugung und der Wille zur Spezialisierung bestehen. Andernfalls sind mannigfaltige Varianten einer "Spezialzuweisung auf dem Papier" denkbar (etwa durch eine Verteilung der Spezialgebiete auf nahezu alle Zivilkammern), die im Ergebnis indes nicht zu den erwünschten Vorteilen der Spezialisierung führen werden.
Neben den in den §§ 72a und 119a GVG genannten und dem Katalog des § 348 Absatz 1 Nummer 2 ZPO entnommenen Rechtsgebieten macht eine obligatorische Spezialisierung gegebenenfalls auch in weiteren Bereichen Sinn, beispielsweise für Streitigkeiten über Ansprüche aus Veröffentlichungen durch Druckerzeugnisse, Bild- und Tonträger jeder Art, insbesondere in Presse, Rundfunk, Film und Fernsehen (vgl. § 348 Absatz 1 Nummer 2a ZPO), für Streitigkeiten aus der Berufstätigkeit der Rechtsanwälte, Patentanwälte, Notare, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfer und vereidigten Buchprüfer (vgl. § 348 Absatz 1 Nummer 2d ZPO), für Anfechtungssachen nach dem Anfechtungsgesetz und der Insolvenzordnung, für Insolvenzsachen, für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten, für Erbschaftsstreitigkeiten oder für Streitigkeiten aus dem EEG. Auch über eine Spezialisierung in den Kammern für Handelssachen oder an den Amtsgerichten sollte zumindest nachgedacht werden.
Zu kritisieren ist, dass die §§ 72a, 119a GVG nicht die Ermächtigung der Landesregierungen zur Konzentration durch Rechtsverordnung vorsehen. Gerade an den kleineren und ländlichen Standorten kann voraussichtlich nur durch Zusammenziehung sämtlicher Verfahren mehrerer Landgerichtsbezirke ein ausreichend hohes Fallaufkommen generiert werden, um überhaupt eine "echte" Spezialisierung für einzelne Spruchkörper zu erreichen. Auch auf der Ebene der Oberlandesgerichte sind Zuständigkeitskonzentrationen besonders geeignet, ein Höchstmaß an Qualität und Rechtssicherheit zu gewährleisten.
Das Gesetz befasst sich in keiner Weise mit der Frage, ob im Zusammenhang mit der vorgesehenen obligatorischen Spezialisierung an den Landgerichten nicht zugleich auch die Regelung des § 348a ZPO einer Überprüfung und Änderung bedarf. Zwar stellt die Begründung des dem Gesetz zugrunde liegenden Gesetzentwurfes darauf ab, dass für die spezialisierten Sachgebiete die originäre Zuständigkeit der Kammer begründet sein soll, § 348a Absatz 1 ZPO bleibt hingegen unberührt. Dadurch wird es auch in den spezialisierten Sachgebieten weiterhin möglich sein, durch Beschluss den Rechtsstreit einem Kammermitglied zur Verhandlung und Entscheidung zu übertragen. Die bisherige Praxis an zahlreichen Landgerichten zeigt, dass auch dort, wo bereits spezialisierte Spruchkörper im Rahmen des § 348 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 ZPO eingerichtet sind, von den Übertragungsmöglichkeiten in großem Umfang Gebrauch gemacht wird und damit trotz grundsätzlicher Geltung des Kammerprinzips gleichwohl faktisch häufig Einzelrichter entscheiden. Die Vorteile des Kammerprinzips, gerade auch für die Einarbeitung dienstjunger Richterinnen und Richter, gehen dadurch aber weitgehend verloren. Entsprechendes gilt in der Folge auch im Rahmen des § 526 ZPO, wobei hier weniger die Einarbeitung junger Richterinnen und Richter, als vielmehr die hohe Qualität und Einheitlichkeit der Rechtsprechung im Vordergrund stehen dürften.