Der Bundesrat hat in seiner 874. Sitzung am 24. September 2010 gemäß Artikel 12 Buchstabe b EUV die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass der Vorschlag mit dem Subsidiaritätsprinzip nicht in Einklang steht. Nach Artikel 5 EUV darf die EU nur tätig werden, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können. Die im Richtlinienvorschlag konkret enthaltenen Maßnahmen (z.B. die Begrenzung des Deckungsumfangs auf 100 000 Euro) sind im Hinblick auf das Subsidiaritätsprinzip bedenklich.
Die Vorschläge der Kommission würden zu weitreichenden Auswirkungen auf den gesamten Bankensektor in Deutschland führen. Sie erscheinen in dieser Form nicht akzeptabel, da hiermit substanzielle negative Eingriffe in bestehende Strukturen der Kreditwirtschaft verbunden wären. Die Einlagensicherung ist kein Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der EU. Nach Auffassung des Bundesrates schränkt der Richtlinienvorschlag die nationale Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit ein.
- 2. Die Drei-Säulen-Struktur des deutschen Bankensystems erweist sich aufgrund ihrer Besonderheiten und ihrer regionalen Verflechtung als besonders krisenresistent. Der Richtlinienvorschlag nimmt zwar Bezug auf die Institutssicherung mit ihrer Präventionswirkung, sie wird jedoch nicht als vollwertiges Äquivalent zur gesetzlichen Einlagensicherung anerkannt. Die Verpflichtung zur Teilnahme an der europäischen Einlagensicherung könnte gerade regional verwurzelte Institutsgruppen in unangemessen hoher Weise belasten. Diese verfügen mit ihren Institutssicherungssystemen über Einrichtungen, die nicht nur die Einlagen privater Kunden in unbegrenzter Höhe, sondern auch andere von den Instituten begebene Anlageinstrumente schützen. Mit dem Richtlinienvorschlag wäre insbesondere die regionale und lokale Dimension des Subsidiaritätsprinzips betroffen.
- 3. Der Bundesrat erinnert daran, dass er am 19. Dezember 2008 insbesondere die Berücksichtigung der in Deutschland neben der Einlagensicherung bestehenden Institutssicherung der Genossenschaftsbanken und Sparkassen bei der Harmonisierung des Einlagenschutzes gefordert hat (BR-Drucksache 778/08(B) , Ziffer 6). Er steht daher dem Richtlinienvorschlag in mehreren Punkten kritisch gegenüber, da die in Deutschland auf dem Gebiet der Einlagensicherung bestehenden Vorgaben nicht in angemessenem Umfang berücksichtigt werden und die vorgesehenen Regelungen für die Einleger im Ergebnis eine Absenkung des bislang bestehenden Schutzniveaus bedeuten:
- - Die vorgeschlagene Pflicht zur Mitgliedschaft in einem gesetzlichen Einlagensicherungssystem und die hiermit einhergehende Streichung der Möglichkeit, Kreditinstitute - sofern sie einem System mit zumindest gleichwertigem Schutz angehören - von dieser Pflichtmitgliedschaft befreien zu können, ist in Bezug auf Deutschland kontraproduktiv. Eine solche Streichung berücksichtigt - und dies entgegen der mit dem Richtlinienvorschlag verfolgten Ziele - nicht, dass mit dem Haftungsverbund der Sparkassen-Finanzgruppe und der Sicherungseinrichtung des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e. V. in Deutschland bereits freiwillig institutsbezogene Sicherungssysteme geschaffen wurden, die von den Mitgliedstaaten der EU als gleichwertig anerkannt sind und sich bis zum jetzigen Zeitpunkt bewährt haben. Mit der Vorgabe zur Pflichtmitgliedschaft in einem gesetzlichen Einlagensicherungssystem berücksichtigt der Vorschlag - abgesehen etwa von der Möglichkeit geringerer Beitragszahlungen - nicht, dass die den institutsbezogenen Sicherungssystemen angeschlossenen Mitglieder die gesetzlichen Einlagensicherungssysteme gar nicht in Anspruch nehmen müssen, da diese nach ihrer Zielrichtung und den ihnen insoweit zur Verfügung stehenden institutssichernden Maßnahmenmöglichkeiten - beispielsweise Stützungsmaßnahmen mit Finanzmitteln, Auflagen, Fusionen - bereits den Eintritt eines Entschädigungsfalls verhindern. Wollten die deutschen Kreditinstitute ihren institutsbezogenen Schutz aufrecht erhalten, wären sie hinsichtlich des gesetzlichen Einlagensicherungssystems im Ergebnis nur Beitragszahler und müssten über die vorgeschlagene gegenseitige Kreditfazilität unter Umständen risikoreiche Geschäftsmodelle anderer Kreditinstitute - und dies sogar EU-weit - stützen. Daher sollten die institutssichernden Systeme auch künftig von der Pflicht zur Mitgliedschaft in einem Einlagensicherungssystem befreit sein. Dabei wird hierfür auch weiterhin Voraussetzung sein, dass diese Systeme, soweit sie europäische Vorgaben nicht erfüllen sollten, entsprechende Anpassungen vornehmen.
- - Außerdem hält der Bundesrat den Vorschlag, dass die Deckungssumme für die Gesamtheit der Einlagen desselben Einlegers 100 000 Euro betragen soll, nicht für akzeptabel. Eine Umsetzung entsprechend dieser Vorgabe würde bedeuten, dass die in Deutschland bestehenden Sicherungssysteme das von ihnen gewährte Schutzniveau entgegen dem ihnen von den Einlegern entgegengebrachten Vertrauen in die Sicherung der Einlagen "nach unten" anpassen müssten. Die freiwillig errichteten Systeme - unabhängig, ob instituts- oder einlagensichernd - sehen de facto einen Einlagenschutz in unbegrenzter Höhe vor. Zudem würden zukünftig auch die Einlagen von Nichtfinanzunternehmen unabhängig von ihrer Größe erfasst, bei denen in der Regel ein über die vorgeschlagene Deckungssumme hinausgehendes Sicherungsbedürfnis besteht.
- 4. Eine Maximalharmonisierung durch eine EU-weit geltende Begrenzung der Deckungssumme für Einlagensicherungssysteme auf maximal 100 000 Euro führt nach Auffassung des Bundesrates auch dazu, dass die nationalen und regionalen Systeme, insbesondere die Systeme der Sparkassen-Finanzgruppe und der Kreditgenossenschaften, in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt werden könnten. Die bereits bestehenden Einlagensicherungssysteme bieten jetzt schon ein deutlich höheres Schutzniveau, als es durch den Richtlinienvorschlag realisiert werden könnte. Eine Begrenzung des Einlagenschutzes auf 100 000 Euro würde auf nationaler Ebene daher eine signifikante Verschlechterung für die Verbraucher darstellen.