Gesetzesantrag des Freistaats Thüringen
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes und zur Änderung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften

A. Problem und Ziel

B. Lösung

Mit dem Entwurf eines Änderungsgesetzes sollen § 20 Abs. 3 und § 21 Abs. 3 StUG aufgehoben werden.

In der Folge bleibt die Verwendung von Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes für die in § 20 Abs. 1 Nr. 6 und 7 sowie § 21 Abs. 1 Nr. 6 und 7 StUG genannten Zwecke zur Überprüfung der dort genannten Personen weiter möglich.

Die Antragsfristen im Strafrechtlichen, im Verwaltungsrechtlichen und im Beruflichen Rehabilitierungsgesetz werden aufgehoben und somit wird die Möglichkeit der Antragstellung unbefristet verlängert.

C. Alternativen

D. Finanzielle Auswirkungen

E. Sonstige Kosten

Gesetzesantrag des Freistaats Thüringen
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes und zur Änderung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften

Freistaat Thüringen Thüringen, den 13. Juni 2006
Der Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei

An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Peter Harry Carstensen

Sehr geehrter Herr Präsident,

die Landesregierung des Freistaats Thüringen hat beschlossen, dem Bundesrat den anliegenden

mit dem Antrag zuzuleiten, seine Einbringung beim Deutschen Bundestag gemäß Artikel 76 Abs. 1 GG zu beschließen.

Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf die Tagesordnung der Sitzung des Bundesrates am 16. Juni 2006 zu setzen und anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.


Mit freundlichen Grüßen
Gerold Wucherpfennig

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes und zur Änderung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften

Vom ...

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1
Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes

§ 20 Abs. 3 und § 21 Abs. 3 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes vom 20. Dezember 1991 (BGBl. I S. 2272), das zuletzt durch Gesetz vom 14. August 2003 (BGBl. I S. 1654) geändert worden ist, werden aufgehoben.

Artikel 2
Änderung des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes

Artikel 3
Änderung des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes

§ 9 Abs. 3 des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Juli 1997 (BGBl. I S. 1620), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 22. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2834) geändert worden ist, wird aufgehoben.

Artikel 4
Änderung des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes

Artikel 5
Änderung des Bundeszentralregistergesetzes

Artikel 6
In-Kraft-Treten

Begründung

I. Allgemeines

1. Wegfall der Frist für die Verwendung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes

Am 29. Dezember 2006 endet die durch § 20 Abs. 3 und § 21 Abs. 3 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (StUG) geregelte Frist von 15 Jahren für die Verwendung von Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR zur Überprüfung der in § 20 Abs. 1 Nr. 6 und 7 und § 21 Abs. 1 Nr. 6 und 7 StUG genannten Personen.

Mit dem Ablauf dieser Frist

Das Bundesverfassungsgericht hat in der Entscheidung vom 8. Juli 1997 - 1 BvR 1934/93 - BVerfGE 96, 189, u.a. ausgeführt:

"Die systematische und umfassende Ausforschung der eigenen Bevölkerung mit nachrichtendienstlichen Mitteln war ein besonders abstoßendes Herrschaftsinstrument des Einparteiensystems."

Das Bundesverfassungsgericht stellt hierzu weiter fest, dass eine Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit nachhaltig die Integrität des Betroffenen sowie seine innere Bereitschaft infrage stellt, Bürgerrechte zu respektieren und sich rechtsstaatlichen Regelungen zu unterwerfen. Ein ehemaliger Stasi-Mitarbeiter erfüllt danach in der Regel nicht die Voraussetzungen für eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst der Bundesrepublik Deutschland.

Diese Grundsätze wurden in der verfassungsgerichtlichen, arbeitsgerichtlichen und verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung weiter ausgeformt.

Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung auch die "Berücksichtigung des Zeitfaktors" bei der Prüfung der Konsequenzen einer zurückliegenden Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst gefordert:

Zieht man dies in Betracht, so drängt sich auf, dass Tätigkeiten für das Ministerium für Staatssicherheit, die - wie hier - vor dem Jahre 1970 abgeschlossen sind, keine oder jedenfalls nur äußerst geringe Bedeutung für den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses haben können. Ein verlässlicher Schluss auf die heutige Einstellung des Betroffenen zur freiheitlichen und demokratischen Verfassung des Grundgesetzes lässt sich aus ihnen nicht herleiten. Als Indiz für eine mangelnde Eignung taugen sie regelmäßig nicht mehr. Auch eine Diskreditierung des öffentlichen Dienstes in den Augen des Publikums droht bei weit zurückliegenden Vorgängen nicht in der gleichen Weise." (BVerfG, Urteil vom 8.7.1997 - 1 BvR 2111/94 u.a. - BVerfGE 96, 171)

Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Urteil vom 16. Dezember 2004 - 2 AZR 148/04 - AP Nr. 64 zu § 123 BGB ausdrücklich offen gelassen, ob die vom Bundesverfassungsgericht herausgearbeiteten Grundsätze zur "Berücksichtigung des Zeitfaktors" auch dann in vollem Umfang gelten, wenn die Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) erst mit der Auflösung desselben ihr Ende gefunden hat und die "Beanstandungsfreiheit" möglicherweise allein auf der fehlenden Gelegenheit zur Fortsetzung der MfS-Tätigkeit beruht.

Der Zeitfaktor ist nach dieser Rechtsprechung also kein schematisches Element, sondern Bestandteil einer im Einzelfall notwendigen Prüfung der Vorbelastung eines Betroffenen. Offen ist die Bedeutung des Zeitfaktors insbesondere, wenn die Tätigkeit für das MfS erst mit der Auflösung desselben ihr Ende gefunden hat. Zu berücksichtigen ist auch, dass die in § 19 Abs. 1 Satz 2 StUG geregelte Zäsur des 31. Dezember 1975 von der vorliegenden Gesetzesänderung unberührt bleibt.

Es lässt sich weiter feststellen, dass auch 16 Jahre nach Auflösung des MfS die Wunden nicht geheilt sind. Ein Schlussstrich unter die Überprüfungen per Gesetz würde ausnahmslos sowohl hauptamtliche als auch inoffizielle ehemalige Mitarbeiter der Staatsicherheit betreffen. Auch dem bis zuletzt im Dienst des MfS stehenden und nur durch dessen Auflösung an der Fortführung seiner Tätigkeit gehinderten ehemaligen Mitarbeiter dürfte diese Tatsache, beispielsweise bei der Bewerbung für den öffentlichen Dienst oder für ein Ehrenamt, nicht einmal entgegen gehalten werden.

Einer differenzierten Bewertung im Wege der Einzelfallprüfung würde der Boden entzogen.

Hinzu kommen gerade derzeit - und wohl nicht zuletzt in Anbetracht des bevorstehenden Fristablaufs - verstärkte Aktivitäten ehemaliger Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes, die gerade die Bedeutung und Wirkungsweise des Staatssicherheitsdienstes als "Schild und Schwert" der SED, als das Herzstück des totalitären Staatswesens der DDR verharmlosen, wenn nicht gar glorifizieren. Das verhöhnt die Opfer der Staatssicherheit, zumal die Rehabilitierung der Betroffenen nicht abgeschlossen ist und schon gar nicht von einer Aufarbeitung dieses Teils der deutschen Geschichte die Rede sein kann.

In Anbetracht vorstehender Einschätzung und in Ansehung der historisch erst kurzen Zeitdauer seit der Auflösung des Staatssicherheitsdienstes ist das Auslaufen der Überprüfungsfristen nach dem geltenden Stasi-Unterlagen-Gesetz nicht hinnehmbar und würde als Signal in die falsche Richtung verstanden werden.

Die dem Charakter der Staatssicherheit und damit auch einer Tätigkeit für die Staatssicherheit entsprechende moralische Bewertung und Vorwerfbarkeit bestimmter Handlungen erledigt sich nicht durch Fristablauf. Im Einzelfall hat der Zeitfaktor in Verbindung mit einer Reihe anderer Faktoren Bedeutung für eine personenbezogene Einschätzung. Der Einzelfall muss aber zunächst überhaupt noch fassbar und überprüfbar bleiben. Dem ist durch den Wegfall der 15-Jahres-Frist Rechnung zu tragen.

Eine weiter zulässige Verwendung der Unterlagen nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 und 7 sowie § 21 Abs. 1 Nr. 6 und 7 StUG und eine hierauf aufbauende Einzelfallprüfung begegnen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken und tragen dem Spannungsfeld zwischen konkreten Eignungsanforderungen für hoheitliche und andere herausgehobene Funktionen und Tätigkeiten einerseits und den Persönlichkeitsrechten und dem "Resozialisierungsgedanken" andererseits gleichermaßen Rechnung.

Mit dem Entwurf eines Änderungsgesetzes sollen deshalb § 20 Abs. 3 und § 21 Abs. 3 StUG aufgehoben werden. Im Ergebnis bleibt die Verwendung von Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes für die in § 20 Abs. 1 Nr. 6 und 7 sowie § 21 Abs. 1 Nr. 6 und 7 StUG genannten Zwecke zur Überprüfung der dort genannten Personen weiter möglich.

2. Wegfall der Antragsfristen in den Rehabilitierungsgesetzen

Mit dem Gesetz zur Änderung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften vom 22. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2834) wurden die bereits mehrfach verlängerten Antragsfristen in den Rehabilitierungsgesetzen bis zum 31. Dezember 2007 erneut verlängert.

Die bisherigen Fristverlängerungen gaben Anlass zur Annahme, dass der jeweils geregelte Zeitraum ausreichend sein würde, allen potenziell Antragsberechtigten die Möglichkeit einzuräumen, sich zu informieren und zu entscheiden, ab sie Anträge auf Rehabilitierung und auf Leistungen nach den Rehabilitierungsgesetzen stellen. Die Statistiken machen jedoch deutlich, dass nach wie vor Anträge auf strafrechtliche, berufliche und verwaltungsrechtliche Rehabilitierung von den Opfern der SED-Diktatur gestellt werden. Das lässt den Schluss zu, dass auch 16 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung eine Anzahl politisch Verfolgter noch nicht von der Möglichkeit der Rehabilitierung Gebrauch gemacht hat.

Als weiterer Aspekt ist zu berücksichtigen, dass die mit einer politischen Verfolgung verbundenen psychischen Belastungen und die bis zur Wende bestehende Schweigepflicht der Opfer schwerwiegende Auswirkungen auch auf die Antragstellung haben. Zum Teil ist nur durch sensible Beratung und Betreuung der Opfer über einen langen Zeitraum zu erreichen, dass Betroffene ihr Schweigen brechen. Auch der Aspekt der erst Jahre nach den politischen Repressalien auftretenden Folgeerkrankungen ist von Bedeutung.

Es erscheint höchst fraglich, ob die Rehabilitierung überhaupt in einem so kurzen Zeitraum seit dem Ende der SED-Herrschaft bewältigt werden kann. Zurückgehende Antragszahlen sind nicht das entscheidende Argument für eine Beendigung der Rehabilitierungsverfahren. Die Folgen der Repressalien und die entstandenen Nachteile wirken auch nicht nur für eine bestimmte Zeit, sondern können lebenslang fortwirken. Dem Schutz der Opfer ist Vorrang vor dem Schutz der Täter einzuräumen. Deshalb soll mit dem Wegfall der Antragsfristen auch ein Zeichen für die Opfer gesetzt werden, dass keine Verfristung von berechtigten Ansprüchen droht und die Möglichkeit zur Geltendmachung von Ansprüchen auf Rehabilitierung und Gewährung von sozialen Ausgleichsleistungen unbefristet erhalten bleibt.

II. Zu den einzelnen Vorschriften

Zu Artikel 1:

Der Entwurf sieht die ersatzlose Aufhebung des § 20 Abs. 3 und des § 21 Abs. 3 vor. In der Folge entfällt die 15-Jahres-Frist für die Verwendung von Unterlagen in den Fällen des § 20 Abs. 1 Nr. 6 und 7 sowie des § 21 Abs. 1 Nr. 6 und 7. Damit entfällt auch das mit dem Fristablauf verbundene Verbot des § 20 Abs. 3 Satz 3 und des § 21 Abs. 3 Satz 3, einem ehemaligen Mitarbeiter der Staatssicherheit die Tatsache dieser Tätigkeit im Rechtsverkehr vorzuhalten und zu seinem Nachteil zu verwerten.

Zu Artikel 2:

Dieser Artikel regelt den Wegfall der Antragsfristen für das strafrechtliche (gerichtliche) Rehabilitierungsverfahren sowie für die Gewährung der Kapitalentschädigung an Berechtigte nach strafrechtlicher Rehabilitierung und an Berechtigte nach § 25 Abs. 2 (Personen mit einer Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 des Häftlingshilfegesetzes).

Zu Artikel 3:

Danach sollen auch die Antragsfristen für das verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsverfahren entfallen.

Zu Artikel 4:

Artikel 4 regelt die Aufhebung der Antragsfristen für das berufliche Rehabilitierungsverfahren sowie der Antragsfrist für die Leistungen nach dem Zweiten und Dritten Abschnitt des Gesetzes.

Zu Artikel 5:

Im Hinblick auf den Wegfall der Antragsfrist im Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz ist auch die zeitliche Begrenzung im Bundeszentralregistergesetz aufzuheben. Damit wird sichergestellt, dass weiterhin im strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahren durch die Rehabilitierungsgerichte zu Gunsten der von politischer Strafverfolgung in der DDR Betroffenen auf die Informationen aus dem ehemaligen Strafregister der DDR zurückgegriffen werden kann.

Zu Artikel 6:

Die Bestimmung regelt das In-Kraft-Treten der Änderungen. Vorgesehen ist ein In-Kraft-Treten am Tage nach der Verkündung des Artikelgesetzes.

Im Gesetzgebungsverfahren ist zu beachten, dass ein In-Kraft-Treten spätestens am 29. Dezember 2006 (Tag des Fristablaufs nach dem Stasi-Unterlagen-Gesetz) erfolgen muss.