A. Problem und Ziel
- Am 29. Dezember 2006 endet die in § 20 Abs. 3 und § 21 Abs. 3 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (StUG) bestimmte Frist von 15 Jahren, innerhalb der die Verwendung von Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR zur Überprüfung der in § 20 Abs. 1 Nr. 6 und 7 und § 21 Abs. 1 Nr. 6 und 7 StUG genannten Personen zulässig ist.
- Mit dem Ende der Frist wird die Verwendung vorhandener Unterlagen für Überprüfungen von Personen nach den einschlägigen beamtenrechtlichen und sonstigen Überprüfungsvorschriften unzulässig. Aus § 20 Abs. 3 Satz 3 und § 21 Abs. 3 Satz 3 StUG ergibt sich außerdem, dass nach Fristablauf die Tatsache einer Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst einem ehemaligen Mitarbeiter im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten werden darf. Auch Mitteilungen des Bundesbeauftragten nach § 27 Abs. 1 und § 28 Abs. 1 StUG sind nach Ablauf dieser Frist nicht mehr zulässig (§ 27 Abs. 4 und § 28 Abs. 4 StUG).
- Das Bundesverfassungsgericht hat in der Entscheidung vom 8. Juli 1997 - 1 BvR 1934/93 - BVerfGE 96, 189, Folgendes ausgeführt:
- " liegt die Einschätzung zugrunde, dass ein Mitarbeiter, der für das Ministerium der Staatssicherheit tätig war, in der Regel nicht die Voraussetzungen des Art. 33 Abs. 2 GG für eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst der Bundesrepublik Deutschland erfüllt. Diese Einschätzung ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.
- Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass durch eine solche Tätigkeit die Integrität des Betroffenen sowie seine innere Bereitschaft, Bürgerrechte zu respektieren und sich rechtsstaatlichen Regeln zu unterwerfen, nachhaltig in Frage gestellt wird. Darüber hinaus kann sein Verbleiben bei der Bevölkerung Zweifel an der rechtsstaatlichen Integrität des öffentlichen Dienstes hervorrufen. Die systematische und umfassende Ausforschung der eigenen Bevölkerung mit nachrichtendienstlichen Mitteln war ein besonders abstoßendes Herrschaftsinstrument des Einparteiensystems.
- Wer sich daran als inoffizieller Mitarbeiter beteiligte, konnte in die Lage kommen sein gesamtes persönliches Umfeld - Familienmitglieder, Nachbarn und Berufskollegen eingeschlossen - zu bespitzeln und heimlich Abträgliches über sie an die Sicherheitsorgane zu berichten. Die Folgen für die Betroffenen waren für die Informanten nicht absehbar. Sie konnten bis zur Vernichtung der beruflichen Existenz und zu Freiheitsentzug reichen und sogar Familienmitglieder des Denunzierten erfassen. Die Verpflichtung wurde in der Regel freiwillig, häufig mit Blick auf bestimmte Vorteile und finanzielle Zuwendungen, übernommen."
- Diese Feststellungen sind unverändert zutreffend. Das Vorgehen der ehemaligen Staatssicherheit der DDR war gekennzeichnet durch eine zutiefst menschenverachtende Bespitzelung der eigenen Bevölkerung und eine bedingungslose Bekämpfung von so genannten Staatsfeinden.
- Die Rehabilitierung dieser Opfer ist noch nicht abgeschlossen und von einer Aufarbeitung dieses Teils der deutschen Geschichte kann schon gar nicht die Rede sein.
- Allerdings ist gerade in jüngster Zeit zu beobachten, dass insbesondere ehemalige Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes versuchen, das Agieren des Staatssicherheitsdienstes zu relativieren, umzudeuten und letztlich zu rechtfertigen.
- Gerade auch deshalb verbietet sich jeder "Schlussstrich" in diesem Bereich.
- Zwar ist es zutreffend, dass der praktische Anwendungsbereich für die Verwendung von Unterlagen nach den §§ 20 und 21 StUG mit jedem weiteren Jahr geringer wird, aber er besteht dessen ungeachtet fort.
- Warum sollte beispielsweise nicht auf die Unterlagen zugegriffen werden dürfen, wenn sich Personen, die bis zu deren Auflösung der Stasi angehört haben und heute 35 oder 40 Jahre alt sind, für öffentliche Ämter oder Funktionen bewerben, beispielsweise für ein Wahlmandat kandidieren oder ein Ehrenamt wahrnehmen wollen?
- Deshalb ist ein genereller Schlussstrich nicht gerechtfertigt. Bei einer Überprüfung nach § 20 Abs. 6 und 7 und § 21 Abs. 6 und 7 StUG nach Maßgabe der dafür geltenden Vorschriften ist stets eine Einzelfallprüfung unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erforderlich. In diesem Rahmen kann - und muss gegebenenfalls - auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass seit der Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst erhebliche Zeit vergangen ist. Diese Einzelfallprüfung ist einem generellen Schlussstrich vorzuziehen.
- Am 31. Dezember 2007 laufen die Antragsfristen nach dem Strafrechtlichen, dem Verwaltungsrechtlichen und dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz aus. Trotz mehrfacher Verlängerung dieser Fristen ist die Rehabilitierung der Opfer der DDR-Diktatur bisher nicht abgeschlossen. Es erscheint höchst fraglich, ob die Rehabilitierung überhaupt in einem so kurzen Zeitraum seit dem Ende der SED-Herrschaft bewältigt werden kann. Zurückgehende Antragszahlen sind nicht das entscheidende Argument für eine Beendigung der Rehabilitierungsverfahren. Dem Schutz der Opfer ist Vorrang vor dem Schutz der Täter einzuräumen.
- Es ist zudem davon auszugehen, dass immer noch eine nicht geringe Zahl potenziell Berechtigter keinen Antrag auf strafrechtliche, berufliche oder verwaltungsrechtliche Rehabilitierung gestellt hat. Ihnen soll nach allen drei Rehabilitierungsgesetzen die Möglichkeit erhalten bleiben, sich über ihre Ansprüche zu informieren und entsprechende Anträge zu stellen.
B. Lösung
Mit dem Entwurf eines Änderungsgesetzes sollen § 20 Abs. 3 und § 21 Abs. 3 StUG aufgehoben werden.
In der Folge bleibt die Verwendung von Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes für die in § 20 Abs. 1 Nr. 6 und 7 sowie § 21 Abs. 1 Nr. 6 und 7 StUG genannten Zwecke zur Überprüfung der dort genannten Personen weiter möglich.
Die Antragsfristen im Strafrechtlichen, im Verwaltungsrechtlichen und im Beruflichen Rehabilitierungsgesetz werden aufgehoben und somit wird die Möglichkeit der Antragstellung unbefristet verlängert.
C. Alternativen
- Alternativen sind:
- Im Regelungsbereich des Stasi-Unterlagen-Gesetzes:
- - gesetzgeberische Untätigkeit mit der Folge des Auslaufens der 15-Jahres-Frist und
- - eine zeitlich befristete Verlängerung der 15-Jahres-Frist.
- Im Regelungsbereich der Rehabilitierungsgesetze:
- - gesetzgeberische Untätigkeit mit der Folge des Auslaufens der Frist zum 31.12.2007
- - eine zeitlich befristete Verlängerung der Frist über den 31.12.2007 hinaus.
- Diese Alternativen tragen jedoch den unter A. dargestellten Gründen für die Aufhebung der Fristen nicht Rechnung. Auch eine Verlängerung der Fristen wäre letztlich mit einem Schlussstrich gleichzusetzen.
D. Finanzielle Auswirkungen
- Durch die Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes sind keine nennenswerten finanziellen Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte (Bund, Länder und Kommunen) zu erwarten. Die Haushaltsmittel für die Bundesanstalt müssen nicht aufgestockt werden.
- Die durch die Änderung der Rehabilitierungsgesetze entstehenden Kosten können nicht genauer bestimmt werden, da diese in Abhängigkeit von der Anzahl der eingehenden Anträge stehen. Die Mehrkosten werden im Wesentlichen durch die Fristverlängerung im Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz nach § 7 Abs. 1 und § 17 Abs. 4 für die Kapitalentschädigung entstehen.
- Aufgrund der Verlängerung der Antragsfristen in den Rehabilitierungsgesetzen entstehen den Ländern zusätzliche Verwaltungskosten, die aber im Einzelnen nicht bezifferbar sind..
E. Sonstige Kosten
- Kosten für die Wirtschaft, für soziale Sicherungssysteme sowie Auswirkungen auf das Preisniveau sind nicht zu erwarten.
Gesetzesantrag des Freistaats Thüringen
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes und zur Änderung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften
Freistaat Thüringen Thüringen, den 13. Juni 2006
Der Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei
An den
Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Peter Harry Carstensen
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierung des Freistaats Thüringen hat beschlossen, dem Bundesrat den anliegenden
- Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes und zur Änderung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften
mit dem Antrag zuzuleiten, seine Einbringung beim Deutschen Bundestag gemäß Artikel 76 Abs. 1 GG zu beschließen.
Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf die Tagesordnung der Sitzung des Bundesrates am 16. Juni 2006 zu setzen und anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Gerold Wucherpfennig
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes und zur Änderung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften
Vom ...
Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes
§ 20 Abs. 3 und § 21 Abs. 3 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes vom 20. Dezember 1991 (BGBl. I S. 2272), das zuletzt durch Gesetz vom 14. August 2003 (BGBl. I S. 1654) geändert worden ist, werden aufgehoben.
Artikel 2
Änderung des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes
- Das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Dezember 1999 (BGBl. I S. 2664), zuletzt geändert durch Gesetz vom 3. August 2005 (BGBl. I S. 2266), wird wie folgt geändert:
- 1. In § 7 Abs. 1 Satz 1 werden die Worte "bis zum 31. Dezember 2007" gestrichen.
- 2. § 17 wird wie folgt geändert:
- a) Absatz 4 wird aufgehoben.
- b) Absatz 5 Satz 4 wird aufgehoben.
- 3. § 25 Abs. 2 Satz 3 und 4 wird aufgehoben.
Artikel 3
Änderung des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes
§ 9 Abs. 3 des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Juli 1997 (BGBl. I S. 1620), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 22. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2834) geändert worden ist, wird aufgehoben.
Artikel 4
Änderung des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes
- § 20 Abs. 2 und § 23 des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Juli 1997 (BGBl. I S. 1625), das zuletzt durch Artikel 28 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I S. 3022) geändert worden ist, werden aufgehoben.
Artikel 5
Änderung des Bundeszentralregistergesetzes
- § 64b Abs. 1 des Bundeszentralregistergesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. September 1984 (BGBl. I S. 1229, 1985 I S. 195), das zuletzt durch Artikel 7 des Gesetzes vom 15. Juni 2005 (BGBl. I S. 1626) geändert worden ist, wird wie folgt gefasst:
(1) Die nach § 64a Abs. 1 gespeicherten Eintragungen und Eintragungsunterlagen aus dem ehemaligen Strafregister der Deutschen Demokratischen Republik dürfen den für die Rehabilitierung zuständigen Stellen für Zwecke der Rehabilitierung übermittelt werden. Eine Verwendung für andere Zwecke ist nur mit Einwilligung des Betroffenen zulässig."
Artikel 6
In-Kraft-Treten
- Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft.
Begründung
I. Allgemeines
1. Wegfall der Frist für die Verwendung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes
Am 29. Dezember 2006 endet die durch § 20 Abs. 3 und § 21 Abs. 3 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (StUG) geregelte Frist von 15 Jahren für die Verwendung von Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR zur Überprüfung der in § 20 Abs. 1 Nr. 6 und 7 und § 21 Abs. 1 Nr. 6 und 7 StUG genannten Personen.
Mit dem Ablauf dieser Frist
- - wird die Verwendung vorhandener Unterlagen für Überprüfungen von Personen nach den einschlägigen beamtenrechtlichen sowie auch nach den für die Wahrnehmung anderer hoheitlicher Funktionen geltenden Regelungen regelmäßig unzulässig,
- - darf die Tatsache einer Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst dem ehemaligen Mitarbeiter im Rechtsverkehr grundsätzlich nicht mehr vorgehalten werden und
- - dürfen keine Mitteilungen des Bundesbeauftragten nach § 27 Abs. 1 und § 28 Abs. 1 StUG an zuständige öffentliche und nicht-öffentliche Stellen weiter gegeben werden.
Das Bundesverfassungsgericht hat in der Entscheidung vom 8. Juli 1997 - 1 BvR 1934/93 - BVerfGE 96, 189, u.a. ausgeführt:
"Die systematische und umfassende Ausforschung der eigenen Bevölkerung mit nachrichtendienstlichen Mitteln war ein besonders abstoßendes Herrschaftsinstrument des Einparteiensystems."
Das Bundesverfassungsgericht stellt hierzu weiter fest, dass eine Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit nachhaltig die Integrität des Betroffenen sowie seine innere Bereitschaft infrage stellt, Bürgerrechte zu respektieren und sich rechtsstaatlichen Regelungen zu unterwerfen. Ein ehemaliger Stasi-Mitarbeiter erfüllt danach in der Regel nicht die Voraussetzungen für eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst der Bundesrepublik Deutschland.
Diese Grundsätze wurden in der verfassungsgerichtlichen, arbeitsgerichtlichen und verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung weiter ausgeformt.
Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung auch die "Berücksichtigung des Zeitfaktors" bei der Prüfung der Konsequenzen einer zurückliegenden Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst gefordert:
- "Persönliche Haltungen können sich ebenso wie die Einstellung zur eigenen Vergangenheit im Laufe der Zeit ändern. Längere beanstandungsfreie Zeiträume können auf Bewährung, innere Distanz, Abkehr von früheren Einstellungen und Taten hinweisen. Auch die gesellschaftliche Ächtung von Fehlverhalten verliert sich mit der Zeit. Die Rechtsordnung trägt dieser Erkenntnis in vielfältiger Weise Rechnung. Strafrechtliche Verjährungsfristen und die Tilgungsvorschriften der Strafregisterbestimmungen sind Beispiele dafür. Nach § 19 Abs. 1 Satz 2 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes in der Fassung des Dritten Änderungsgesetzes vom 20. Dezember 1996 (BGBl. I S. 2026) unterbleiben nunmehr Mitteilungen über den Inhalt von Akten des Ministeriums für Staatssicherheit grundsätzlich, wenn keine Anhaltspunkte vorhanden sind, dass nach dem 31. Dezember 1975 eine inoffizielle Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst vorgelegen hat.
Zieht man dies in Betracht, so drängt sich auf, dass Tätigkeiten für das Ministerium für Staatssicherheit, die - wie hier - vor dem Jahre 1970 abgeschlossen sind, keine oder jedenfalls nur äußerst geringe Bedeutung für den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses haben können. Ein verlässlicher Schluss auf die heutige Einstellung des Betroffenen zur freiheitlichen und demokratischen Verfassung des Grundgesetzes lässt sich aus ihnen nicht herleiten. Als Indiz für eine mangelnde Eignung taugen sie regelmäßig nicht mehr. Auch eine Diskreditierung des öffentlichen Dienstes in den Augen des Publikums droht bei weit zurückliegenden Vorgängen nicht in der gleichen Weise." (BVerfG, Urteil vom 8.7.1997 - 1 BvR 2111/94 u.a. - BVerfGE 96, 171)
Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Urteil vom 16. Dezember 2004 - 2 AZR 148/04 - AP Nr. 64 zu § 123 BGB ausdrücklich offen gelassen, ob die vom Bundesverfassungsgericht herausgearbeiteten Grundsätze zur "Berücksichtigung des Zeitfaktors" auch dann in vollem Umfang gelten, wenn die Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) erst mit der Auflösung desselben ihr Ende gefunden hat und die "Beanstandungsfreiheit" möglicherweise allein auf der fehlenden Gelegenheit zur Fortsetzung der MfS-Tätigkeit beruht.
Der Zeitfaktor ist nach dieser Rechtsprechung also kein schematisches Element, sondern Bestandteil einer im Einzelfall notwendigen Prüfung der Vorbelastung eines Betroffenen. Offen ist die Bedeutung des Zeitfaktors insbesondere, wenn die Tätigkeit für das MfS erst mit der Auflösung desselben ihr Ende gefunden hat. Zu berücksichtigen ist auch, dass die in § 19 Abs. 1 Satz 2 StUG geregelte Zäsur des 31. Dezember 1975 von der vorliegenden Gesetzesänderung unberührt bleibt.
Es lässt sich weiter feststellen, dass auch 16 Jahre nach Auflösung des MfS die Wunden nicht geheilt sind. Ein Schlussstrich unter die Überprüfungen per Gesetz würde ausnahmslos sowohl hauptamtliche als auch inoffizielle ehemalige Mitarbeiter der Staatsicherheit betreffen. Auch dem bis zuletzt im Dienst des MfS stehenden und nur durch dessen Auflösung an der Fortführung seiner Tätigkeit gehinderten ehemaligen Mitarbeiter dürfte diese Tatsache, beispielsweise bei der Bewerbung für den öffentlichen Dienst oder für ein Ehrenamt, nicht einmal entgegen gehalten werden.
Einer differenzierten Bewertung im Wege der Einzelfallprüfung würde der Boden entzogen.
Hinzu kommen gerade derzeit - und wohl nicht zuletzt in Anbetracht des bevorstehenden Fristablaufs - verstärkte Aktivitäten ehemaliger Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes, die gerade die Bedeutung und Wirkungsweise des Staatssicherheitsdienstes als "Schild und Schwert" der SED, als das Herzstück des totalitären Staatswesens der DDR verharmlosen, wenn nicht gar glorifizieren. Das verhöhnt die Opfer der Staatssicherheit, zumal die Rehabilitierung der Betroffenen nicht abgeschlossen ist und schon gar nicht von einer Aufarbeitung dieses Teils der deutschen Geschichte die Rede sein kann.
In Anbetracht vorstehender Einschätzung und in Ansehung der historisch erst kurzen Zeitdauer seit der Auflösung des Staatssicherheitsdienstes ist das Auslaufen der Überprüfungsfristen nach dem geltenden Stasi-Unterlagen-Gesetz nicht hinnehmbar und würde als Signal in die falsche Richtung verstanden werden.
Die dem Charakter der Staatssicherheit und damit auch einer Tätigkeit für die Staatssicherheit entsprechende moralische Bewertung und Vorwerfbarkeit bestimmter Handlungen erledigt sich nicht durch Fristablauf. Im Einzelfall hat der Zeitfaktor in Verbindung mit einer Reihe anderer Faktoren Bedeutung für eine personenbezogene Einschätzung. Der Einzelfall muss aber zunächst überhaupt noch fassbar und überprüfbar bleiben. Dem ist durch den Wegfall der 15-Jahres-Frist Rechnung zu tragen.
Eine weiter zulässige Verwendung der Unterlagen nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 und 7 sowie § 21 Abs. 1 Nr. 6 und 7 StUG und eine hierauf aufbauende Einzelfallprüfung begegnen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken und tragen dem Spannungsfeld zwischen konkreten Eignungsanforderungen für hoheitliche und andere herausgehobene Funktionen und Tätigkeiten einerseits und den Persönlichkeitsrechten und dem "Resozialisierungsgedanken" andererseits gleichermaßen Rechnung.
Mit dem Entwurf eines Änderungsgesetzes sollen deshalb § 20 Abs. 3 und § 21 Abs. 3 StUG aufgehoben werden. Im Ergebnis bleibt die Verwendung von Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes für die in § 20 Abs. 1 Nr. 6 und 7 sowie § 21 Abs. 1 Nr. 6 und 7 StUG genannten Zwecke zur Überprüfung der dort genannten Personen weiter möglich.
2. Wegfall der Antragsfristen in den Rehabilitierungsgesetzen
Mit dem Gesetz zur Änderung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften vom 22. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2834) wurden die bereits mehrfach verlängerten Antragsfristen in den Rehabilitierungsgesetzen bis zum 31. Dezember 2007 erneut verlängert.
Die bisherigen Fristverlängerungen gaben Anlass zur Annahme, dass der jeweils geregelte Zeitraum ausreichend sein würde, allen potenziell Antragsberechtigten die Möglichkeit einzuräumen, sich zu informieren und zu entscheiden, ab sie Anträge auf Rehabilitierung und auf Leistungen nach den Rehabilitierungsgesetzen stellen. Die Statistiken machen jedoch deutlich, dass nach wie vor Anträge auf strafrechtliche, berufliche und verwaltungsrechtliche Rehabilitierung von den Opfern der SED-Diktatur gestellt werden. Das lässt den Schluss zu, dass auch 16 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung eine Anzahl politisch Verfolgter noch nicht von der Möglichkeit der Rehabilitierung Gebrauch gemacht hat.
Als weiterer Aspekt ist zu berücksichtigen, dass die mit einer politischen Verfolgung verbundenen psychischen Belastungen und die bis zur Wende bestehende Schweigepflicht der Opfer schwerwiegende Auswirkungen auch auf die Antragstellung haben. Zum Teil ist nur durch sensible Beratung und Betreuung der Opfer über einen langen Zeitraum zu erreichen, dass Betroffene ihr Schweigen brechen. Auch der Aspekt der erst Jahre nach den politischen Repressalien auftretenden Folgeerkrankungen ist von Bedeutung.
Es erscheint höchst fraglich, ob die Rehabilitierung überhaupt in einem so kurzen Zeitraum seit dem Ende der SED-Herrschaft bewältigt werden kann. Zurückgehende Antragszahlen sind nicht das entscheidende Argument für eine Beendigung der Rehabilitierungsverfahren. Die Folgen der Repressalien und die entstandenen Nachteile wirken auch nicht nur für eine bestimmte Zeit, sondern können lebenslang fortwirken. Dem Schutz der Opfer ist Vorrang vor dem Schutz der Täter einzuräumen. Deshalb soll mit dem Wegfall der Antragsfristen auch ein Zeichen für die Opfer gesetzt werden, dass keine Verfristung von berechtigten Ansprüchen droht und die Möglichkeit zur Geltendmachung von Ansprüchen auf Rehabilitierung und Gewährung von sozialen Ausgleichsleistungen unbefristet erhalten bleibt.
II. Zu den einzelnen Vorschriften
Zu Artikel 1:
Der Entwurf sieht die ersatzlose Aufhebung des § 20 Abs. 3 und des § 21 Abs. 3 vor. In der Folge entfällt die 15-Jahres-Frist für die Verwendung von Unterlagen in den Fällen des § 20 Abs. 1 Nr. 6 und 7 sowie des § 21 Abs. 1 Nr. 6 und 7. Damit entfällt auch das mit dem Fristablauf verbundene Verbot des § 20 Abs. 3 Satz 3 und des § 21 Abs. 3 Satz 3, einem ehemaligen Mitarbeiter der Staatssicherheit die Tatsache dieser Tätigkeit im Rechtsverkehr vorzuhalten und zu seinem Nachteil zu verwerten.
Zu Artikel 2:
Dieser Artikel regelt den Wegfall der Antragsfristen für das strafrechtliche (gerichtliche) Rehabilitierungsverfahren sowie für die Gewährung der Kapitalentschädigung an Berechtigte nach strafrechtlicher Rehabilitierung und an Berechtigte nach § 25 Abs. 2 (Personen mit einer Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 des Häftlingshilfegesetzes).
Zu Artikel 3:
Danach sollen auch die Antragsfristen für das verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsverfahren entfallen.
Zu Artikel 4:
Artikel 4 regelt die Aufhebung der Antragsfristen für das berufliche Rehabilitierungsverfahren sowie der Antragsfrist für die Leistungen nach dem Zweiten und Dritten Abschnitt des Gesetzes.
Zu Artikel 5:
Im Hinblick auf den Wegfall der Antragsfrist im Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz ist auch die zeitliche Begrenzung im Bundeszentralregistergesetz aufzuheben. Damit wird sichergestellt, dass weiterhin im strafrechtlichen Rehabilitierungsverfahren durch die Rehabilitierungsgerichte zu Gunsten der von politischer Strafverfolgung in der DDR Betroffenen auf die Informationen aus dem ehemaligen Strafregister der DDR zurückgegriffen werden kann.
Zu Artikel 6:
Die Bestimmung regelt das In-Kraft-Treten der Änderungen. Vorgesehen ist ein In-Kraft-Treten am Tage nach der Verkündung des Artikelgesetzes.
Im Gesetzgebungsverfahren ist zu beachten, dass ein In-Kraft-Treten spätestens am 29. Dezember 2006 (Tag des Fristablaufs nach dem Stasi-Unterlagen-Gesetz) erfolgen muss.