Hessische Staatskanzlei
Wiesbaden, 1. Juli 2015
Der Chef der Staatskanzlei
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Volker Bouffier
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Hessische Landesregierung hat beschlossen, dem Bundesrat die anliegende
Entschließung des Bundesrates zur Förderung von Forschung und Entwicklung im Mittelstand sowie zur Einschränkung von Gewinnverlagerungen mithilfe von Lizenzzahlungen mit dem Antrag zuzuleiten, die Entschließung zu fassen.
Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates in die Tagesordnung der 935. Plenarsitzung am 10. Juli 2015 aufzunehmen und sie anschließend den Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Axel Wintermeyer
Entschließung des Bundesrates zur Förderung von Forschung und Entwicklung im Mittelstand sowie zur Einschränkung von Gewinnverlagerungen mithilfe von Lizenzzahlungen
Der Bundesrat möge beschließen:
- 1. Forschung und Entwicklung (FuE) ist für einen Hochtechnologiestandort wie Deutschland von entscheidender Bedeutung. Wer konkurrenzfähig bleiben will, muss heute das Fundament für die Produkte von morgen legen. Die deutsche Wirtschaft hat ihre internen Ausgaben für FuE in den vergangenen Jahren kontinuierlich bis auf 53,6 Mrd. € im Jahr 2013 steigern können.1 Zusammen mit den FuE-Ausgaben der Hochschulen sowie der staatlichen Forschungseinrichtungen wurden im Jahr 2013 insgesamt 80,2 Mrd. €2 in FuE investiert, was einen Anstieg gegenüber dem Vorjahr von 1,3 Prozent bedeutet. Der Bundesrat sieht Deutschland damit auf einem guten Weg.
- 2. Auch im europäischen Vergleich hat Deutschland seine gute Position weiter ausbauen können. Im Jahr 2012 hat Deutschland 2,98 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für FuE aufgewendet und damit das 3 Prozent-Ziel nach der Europa 2020-Strategie nahezu erreicht. Nach der Umstellung des Europäischen Systems Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen liegt die deutsche FuE-Quote deutlich über dem EU-Durchschnitt von 2,02 Prozent und wird für das Jahr 2013 mit 2,85 Prozent angegeben. Weitere Anstrengungen sind aus Sicht des Bundesrates jedoch notwendig. So weisen z.B. die skandinavischen Länder Schweden und Finnland mit 3,2 bzw. 3,3 Prozent deutlich höhere FuEIntensitäten auf. Messlatte für Deutschland bilden aber nicht nur die europäischen Nachbarn, sondern vor allem auch andere führende Forschungsnationen der Industriestaaten wie die USA, Japan und die Republik Korea, deren FuEQuoten zum Teil schon über 4 Prozent liegen. Auch holen die großen Schwellenländer China und Indien im Hinblick auf die FuE-Intensität erheblich auf.
China verdoppelte die Ausgaben für Forschung und Entwicklung von 2008 bis 2012 und investierte nach den Schätzungen der OECD bereits im Jahr 2014 mehr in Forschung und Entwicklung als Europa insgesamt.3
- 3. Knapp 90 Prozent der internen FuE-Aufwendungen in Deutschland entfallen auf Unternehmen mit 250 und mehr Beschäftigten. Großunternehmen entscheiden somit über das gesamtwirtschaftliche FuE-Volumen und die FuE-Intensität der Wirtschaft. Dennoch spielen kleine und mittlere Unternehmen (KMU) in der deutschen Forschungslandschaft eine immer größere Rolle. Hier ist auch zuletzt die größte Wachstumsdynamik zu verzeichnen: So konnten die KMU mit unter 250 Beschäftigten im Jahr 2013 einen Zuwachs der internen FuEAufwendungen um 5,5 Prozent verzeichnen, während sie bei großen Unternehmen um rund ein Prozent zurückgingen. Gleichwohl besteht gerade für KMU noch erheblicher Nachholbedarf. Vor diesem Hintergrund hält es der Bundesrat für erforderlich, FuE in KMU weiter zu stärken.
- 4. FuE ist vielfach ein finanzieller Kraftaufwand, der von KMU weit schwieriger zu bewältigen ist als von großen Unternehmen. Dieser größenbedingte Nachteil wird dadurch verstärkt, dass viele KMU den derzeitigen umfangreichen und aufwendigen Antragstellungs- und Auswahlprozess bei den Projektträgern zur Erlangung einer direkten FuE-Förderung aus öffentlichen Mitteln scheuen, wodurch ihnen diese Finanzierungsquelle häufig verschlossen bleibt. Der Bundesrat hält es daher für erforderlich, zusätzlich zur bisherigen direkten Projektförderung eine nicht an konkrete Projekte gebundene und technologieoffene Forschungsprämie für kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland einzuführen.
- 5. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, noch in diesem Jahr einen Gesetzentwurf zur Schaffung einer Forschungsprämie in Form eines Forschungszuschusses für kleine und mittlere Unternehmen mit bis zu 250 Arbeitnehmern vorzulegen. Die Förderfähigkeit entsprechender FuE-Ausgaben sollte dabei nicht von der Finanzverwaltung, sondern von den Wirtschaftsministerien bzw. den Förderbanken bescheinigt werden.
- 6. Patentbox- oder Lizenzbox-Systeme sind dagegen für eine effektive Förderung von FuE nicht geeignet, da sie erst viel zu spät ansetzen, indem sie erfolgreiche Vermarktung steuerlich begünstigen. Eine Subventionierung von FuETätigkeiten ist nur für die Inputseite bei den Forschungsaufwendungen gerechtfertigt. Nur hier liegt ein Marktungleichgewicht vor, da die Gesellschaft von FuE-Tätigkeiten unabhängig vom Erfolg für den Investor profitiert. Daran ändert auch nichts, dass sich zahlreiche Staaten in Europa Patentbox-Systemen bedienen. Außerdem setzen die gegenwärtig existierenden Patentbox-Systeme keine eigene Forschung und Entwicklung voraus, sondern begünstigen auch erworbene Patente oder Markenrechte.
- 7. Patentbox oder Lizenzbox-Systeme, die dem Nexus-Approach entsprechen, sind daneben administrativ extrem aufwändig. Denn der Nexus-Ansatz erfordert die Isolierung und Trennung einzelner Forschungsaufwendungen. Dies ist insbesondere im Bereich der gemischten Kosten kaum leistbar. Dies gilt umsomehr vor dem Hintergrund, dass hochtechnische Produkte heute auf einer Vielzahl von selbst geschaffenen und/oder erworbenen Patenten aufbauen.
- 8. Die bestehenden Patentbox-Systeme sind aus der Sicht des Bundesrates als unfaire Maßnahmen im Steuerwettbewerb zu beurteilen, soweit sie einzig darauf zielen, die Unternehmen zu Gewinnverlagerungen zu veranlassen.
- 9. Der Bundesrat unterstützt die Bemühungen auf OECD- und EU-Ebene, die bestehenden Patentboxen einzudämmen. Die internationale Einigung auf den sog. modifizierten Nexus-Approach ist ein Kompromiss, der die steuerliche Begünstigung von Lizenzeinnahmen an eine FuE-Tätigkeit im betreffenden Staat knüpft. Auch wenn der Nexus-Approach kein effizientes Mittel zur FuEFörderung darstellt, könnte er in begrenztem Umfang geeignet sein, den unfairen Steuerwettbewerb einzudämmen.
- 10. Problematisch erachtet der Bundesrat die in der internationalen Einigung enthaltenen langen Übergangsfristen bis zum Jahr 2021. In dieser Zeit können die bestehenden Patentbox-Systeme aufrechterhalten werden. Darüber hinaus ist nicht abzusehen, ob danach tatsächlich alle Staaten ihre Patentboxen auf den Nexus-Ansatz beschränken.
- 11. Daher hält es der Bundesrat für notwendig, nationale Abwehrmaßnahmen gegen die Patentboxen zu ergreifen, um kurzfristig das inländische Besteuerungssubstrat zu sichern und langfristig Staaten entgegenzuwirken, die die Beschränkung auf den Nexus-Ansatz nicht einhalten.
- 12. Eine nationale Abwehrmaßnahme sollte folgende Elemente enthalten:
- - Sie sollte für alle Lizenzzahlungen an nahestehende Unternehmen gelten. Lizenzzahlungen an Fremde Dritte sollten auch weiterhin uneingeschränkt abzugsfähig sein, um wirtschaftlich notwendige Geschäftsabläufe nicht zu behindern. - Die Regelung sollte gewährleisten, dass konzerninterne Lizenzzahlungen so effektiv besteuert werden, wie es dem inländischen Besteuerungsniveau entspricht. Dies kann beispielsweise dadurch geschehen, dass Lizenzzahlungen gestaffelt je nach steuerlicher Belastung im Empfängerstaat anteilig vom Betriebsausgabenabzug ausgeschlossen werden.
- - Missbrauchsklauseln sollten sicherstellen, dass die Abzugsbeschränkung nicht durch Zwischenschaltung von Gesellschaften in Hochsteuerländer umgangen werden kann.
- 13. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, gemeinsam mit den Ländern eine entsprechende Regelung zu erarbeiten und im Rahmen des beabsichtigten Gesetzgebungsverfahrens zur nationalen Implementierung der BEPS-Ergebnisse umzusetzen.
- 1. Quelle: Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V.; Pressemitteilung vom 23.1.2015
- 2. Quelle: BMBF; Pressemitteilung vom 23.1.2015
- 3. OECD, Pressemitteilung vom 12.11.2014 "China headed to overtake EU, US in science & technology spending"