Der Bundesrat hat in seiner 910. Sitzung am 7. Juni 2013 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Absicht der Kommission, die seit 1996 bestehende Richtlinie über die höchstzulässigen Gewichte und Abmessungen der Fahrzeuge im Straßenverkehr zu überarbeiten, um damit aerodynamischere Fahrzeuge mit verbesserter Energieeffizienz sowie mit alternativen - hybriden oder elektrischen - Antriebssystemen auf den Markt zu bringen.
- 2. Er begrüßt weiterhin, dass diese Überarbeitung auch zur Erhöhung der Straßenverkehrssicherheit genutzt wird, indem die Form des Führerhauses verbessert wird, so dass die toten Winkel im Sichtfeld des Fahrers verringert werden, eine Struktur zur Aufnahme der Aufprallenergie ergänzt wird sowie die Sicherheit und der Komfort des Fahrers erhöht werden.
- 3. Der Bundesrat unterstützt die Bundesregierung in ihrer ablehnenden Positionierung zum grenzüberschreitenden Verkehr von Lang-Lkw mit einer Gesamtmasse von bis zu 60 Tonnen.
- 4. Die Bundesregierung wird daher gebeten, sich bei der Kommission dafür einzusetzen, dass in Artikel 1 Nummer 2 Buchstabe b gestrichen wird. Mit der genannten Änderung der bestehenden Richtlinie 96/53/EG wird der grenzüberschreitende Verkehr mit Fahrzeugen und Fahrzeugkombinationen erleichtert, welche die EU-einheitlichen Standards überschreiten. Auch wenn dies nur zwischen benachbarten Mitgliedstaaten der EU erlaubt werden soll, die solche Abweichungen bereits im nationalen Binnenverkehr gestatten, ist dies ein falsches Signal für den Verkehr im gemeinsamen EU-Markt.
- 5. Fahrzeuge und Fahrzeugkombinationen, welche außerhalb von Großraum- oder Schwertransporten oder Arbeitsmaschinen, die in der Richtlinie vorgeschriebenen Maße und Gewichte beim Transport teilbarer Ladung überschreiten, sind prädestiniert für Mittel- und Langstreckenverkehre, die auch nach Ansicht der EU vornehmlich im Schienenverkehr und Kombinierten Verkehr ausgeführt werden sollten. Die geplante Erlaubnis begünstigt Straßentransporte einseitig und ermöglicht Wettbewerbsverzerrungen im Transportwesen des gemeinsamen EU-Markts (nationale Binnenverkehre, grenzüberschreitende EU-Verkehre, Kabotageverkehre, Verkehre mit Drittstaaten). Die vorgesehene Erlaubnis würde den Straßenverkehr begünstigen und die Verlagerungspotenziale schmälern. Dies steht der Zielsetzung des Weißbuches "Fahrplan zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum - Hin zu einem wettbewerbsorientierten und ressourcenschonenden Verkehrssystem" von 2011 entgegen. Eine Studie des Fraunhofer Instituts für System- und Innovationsforschung belegt, dass es zu einer Verlagerung von bis zu 35 Prozent im Einzelwagenverkehr und 13 Prozent im Kombinierten Verkehr kommen kann.
Die Kommission führt aus, dass die Mitgliedstaaten freiwillig entscheiden könnten, Lang-Lkw auf den Straßen zuzulassen oder nicht. Derzeit finden wie in Deutschland auch Pilotversuche mit Lang-Lkw auf den Straßen in Schweden, Finnland, den Niederlanden und Dänemark statt. Für den Fall, dass in einem Mitgliedstaat keine Lang-Lkw erlaubt sind, weil der Mitgliedstaat sich dagegen ausspricht, besteht das hohe Risiko von Wettbewerbsnachteilen und einer Verzerrung des Binnenmarktes. Eine Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, sich gegen die Zulassung von Lang-Lkw auszusprechen, ist daher nicht ausreichend.
Die Kommission begründet ihren Vorschlag auch mit einer Verbesserung der Verkehrssicherheit, da die toten Winkel im Sichtfeld des Fahrers/der Fahrerin verringert werden. Aus der Sicht des Bundesrates verschlechtert sich jedoch die Verkehrssicherheit durch die längeren Überholwege.
- 6. Der Bundesrat bittet die Kommission, auf die vorgeschlagenen Regelungen zur Einrichtung eines Systems der Vorauswahl und gezielten Kontrolle in Betrieb befindlicher Fahrzeuge und Fahrzeugkombinationen (Artikel 12 des Richtlinienvorschlags) zu verzichten. Er gibt Folgendes zu bedenken:
- - Die Aufgabe der polizeilichen Verkehrsüberwachung wurde nicht an die EU übertragen. Die EU verfügt damit im Bereich der Verkehrsüberwachung grundsätzlich nicht über Kompetenzen zur Regelung (polizeilicher) Fahrzeugkontrollen. Soweit sich die Kommission beispielsweise auf die Kompetenzergänzungsklausel des Artikels 352 AEUV beruft, weil europaweit einheitliche Kontrollen zur Sicherstellung eines reibungslosen Funktionierens des Binnenmarktes erforderlich sind, muss das Erfordernis näher begründet werden. - Die gezielte Kontrolle von Schwerverkehrsfahrzeugen zu verstärken, ist grundsätzlich zu begrüßen. Von den Polizeien der Länder werden bereits jetzt verdachtsunabhängig Kontrollen des Schwerverkehrs durchgeführt. Dabei wird die Einhaltung aller einschlägigen Regeln, seien es die Regeln für das Fahrzeug, den Fahrer oder das Verkehrsverhalten überwacht. Maßstab ist die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer, aber auch die Schonung der Straßeninfrastruktur beispielsweise durch Erkennen von Kraftfahrzeugen mit Überschreitung der zulässigen Gesamtmasse und der Achslasten.
- - Der Bundesrat ist zwar der Auffassung, dass eine europaweite Harmonisierung der Kontrolle von Schwerverkehrsfahrzeugen, insbesondere auf dem transeuropäischen Straßennetz, durchaus sinnvoll sein könnte, das Erfordernis zum Rückgriff beispielsweise auf die Kompetenzergänzungsklausel für alle öffentlichen Straßen wird aber derzeit bezweifelt. Bevor Vorgaben zur Kontrolle in einer binnenmarktorientierten europäischen Richtlinie gemacht werden, sollte es den Polizeibehörden der Mitgliedstaaten ermöglicht werden, sich in den dafür vorgesehenen Gremien abzustimmen.
- - Den Mitgliedstaaten muss ein ausreichender Gestaltungsspielraum belassen bleiben. Unnötige Eingriffe in deren Sachausstattung, den Personaleinsatz und das Verwaltungsverfahren sind nicht gerechtfertigt. - Die Vorgabe, dass die Mitgliedstaaten im Jahresdurchschnitt im Rahmen der Vorauswahlmessungen mindestens eine Wägung pro 2 000 Fahrzeugkilometer durchführen müssen (vgl. Artikel 12 Absatz 3 des Richtlinienvorschlags), setzt eine gleichzeitige und gleichmäßige Kontrolle in den Mitgliedstaaten voraus. Das verlangt allein schon mit Blick auf die Zahl 2 000 eine in der Regel länderübergreifende Abstimmung des Kontrollnetzes und des Kontrollkonzeptes. Die vorgeschlagene Richtlinie soll für alle in Betrieb befindlichen Fahrzeuge sowohl im innerstaatlichen als auch im grenzüberschreitenden Verkehr und zu jeder Zeit gelten. Sie ist damit weder auf das transeuropäische Netz noch auf Autobahnen beschränkt. Ihr Geltungsbereich umfasst damit alle öffentlichen Straßen, von der Kommunalstraße bis hin zur Bundesautobahn. Da alle öffentlichen Straßen zu jeder Zeit benutzt werden können, müsste an allen überörtlichen Straßen nach Priorität ein mehr oder weniger gleichmäßig dichtes und rund um die Uhr betriebenes Kontrollnetz errichtet und unterhalten werden. Der damit verbundene Investitions- und Verwaltungsaufwand wäre beachtlich. Ungeachtet dessen befürchtet der Bundesrat, wenn nicht europaweit gleichzeitig und einheitlich kontrolliert wird, dass das von der Kommission vorgetragene Ziel, Wettbewerbsvorteile im Sinne eines reibungslosen Funktionieren des Binnenmarktes zu verhindern, in das Gegenteil verkehrt wird.
- - Anders als beispielsweise bei Geschwindigkeitsverstößen sind bei Überladungsverstößen in der Regel polizeiliche Sofortmaßnahmen erforderlich, wie z.B. Anhaltung, unmittelbare Stilllegung des Fahrzeugs, Entladung des Fahrzeugs. Dies bindet an den Kontrollstellen die Einsatzkräfte der Polizei. Die Festlegung der Kontrollquote (vgl. Artikel 12 Absatz 3 des Richtlinienvorschlags) stellt damit auch einen weitgehenden Eingriff in die Verwaltungs- und Personalhoheit insbesondere der Polizeibehörden dar, deren Erfüllung nur durch eine Ressourcenverlagerung aus anderen Bereichen der Verkehrsüberwachung zu bewerkstelligen ist. Der Bundesrat hat daher die konkrete Befürchtung, dass die Festlegung einer Kontrollquote zu einer Verringerung der Verkehrsüberwachungsmaßnahmen in anderen, für die Verkehrssicherheit noch wichtigeren Bereichen, wie Geschwindigkeits-, Abstands- oder Alkoholverstößen, führt.
- 7. Der Bundesrat hält darüber hinaus die vorgeschlagenen Regelungen zur Sanktionierung von Verstößen mit Einteilung entsprechend ihrer Schwere in verschiedene Kategorien (Artikel 13 des Richtlinienvorschlags) nicht für erforderlich. Wenn schon die Kontrollregelungen derzeit verzichtbar sind, gilt dies erst Recht für die Sanktionsregelungen. Für die Polizeibehörden ist dabei auch von Bedeutung, dass die Verfolgung von Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten dem Opportunitätsprinzip (Ermessen) unterliegt. Die vorgeschlagenen Regelungen gehen jedoch von einem zumindest hier nicht geltenden Legalitätsprinzip aus.
- 8. Unbeschadet seiner ablehnenden Haltung zu den Artikeln 12 und 13 des Richtlinienvorschlags weist der Bundesrat auf Folgendes hin:
In Deutschland werden von den Polizeien der Länder und dem Bundesamt für Güterverkehr bereits angemessene Kontrollen auch hinsichtlich der Überladung durchgeführt. Insoweit mit dem Richtlinienvorschlag angestrebt wird, mit den dezidierten Kontrollmaßnahmen auch den fairen Wettbewerb - wieder - herzustellen und die Wettbewerbsregeln einzuhalten, handelt es sich nicht um eine polizeiliche Aufgabenstellung.
Der Bundesrat vertritt die Auffassung, dass die in Rede stehenden Kontrollmaßnahmen zudem ein bundeseinheitliches Vorgehen in technischer und fachlicher Hinsicht sowie die garantierte Übernahme der Investitionskosten im Zusammenhang mit der Durchführung automatischer Gewichtskontrollen durch den Bund erforderlich machen.
Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, den in dem Richtlinienvorschlag enthaltenen Anforderungen an die Kontrollmaßnahmen und deren Umfang in den weiteren Verhandlungen nur unter vorheriger Anerkennung der eigenen Zuständigkeit, d.h. der Zuständigkeit des Bundesamtes für Güterverkehr, und der eigenen Verantwortlichkeit für die Umsetzung zuzustimmen.
Orientiert an dem tatsächlichen Unfallgeschehen werden die Polizeien der Länder darüber hinaus auch weiterhin eigenverantwortlich die polizeiliche Verkehrsüberwachung durchführen und damit einen wirksamen Beitrag zu Erhöhung der Verkehrssicherheit im Sinne der Zielsetzung der Verkehrssicherheitsprogramme der EU leisten.
- 9. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.