A. Problem und Ziel
Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr unterliegen auch bei besonderer Auslandsverwendung ( § 62 Absatz 1 des Soldatengesetzes) dem deutschen Strafrecht, das gemäß § 1a Absatz 2 des Wehrstrafgesetzes unabhängig vom Recht des Tatorts für Straftaten gilt, die von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr während eines dienstlichen Aufenthalts oder in Beziehung auf den Dienst im Ausland begangen werden. Für entsprechende Sachverhalte besteht derzeit kein besonderer Gerichtsstand. Dies führt dazu, dass nach den allgemeinen Gerichtsstandsregelungen der Strafprozessordnung Gerichte und Staatsanwaltschaften an verschiedenen Orten für solche Strafverfahren zuständig sein können. Das kann zu verfahrensverzögernden Zuständigkeitsproblemen sowie zur Zuständigkeit mehrerer Staatsanwaltschaften führen, etwa wenn Soldatinnen und Soldaten verschiedener Stammeinheiten beteiligt sind.
Diese Rechtslage wird weder den Anforderungen an eine effiziente Strafverfolgung noch den Besonderheiten der Verfahren, an denen Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz beteiligt sind, gerecht. Neben der Kenntnis der militärischen Abläufe und Strukturen sowie der rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen der besonderen Auslandsverwendung sind spezielle Erfahrungen bei Ermittlungen mit Auslandsbezug erforderlich. Um diesen vielfältigen besonderen Anforderungen gerecht zu werden und um eine effektive, zügige Strafverfolgung zu gewährleisten, soll ein einheitlicher Gerichtsstand für diese Strafverfahren geschaffen werden.
Der zweite Teil des Gesetzentwurfes dient der Stärkung der Rechtssicherheit sowie der Opferrechte im Strafverfahren. Bereits in Artikel 11 Absatz 2 des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI des Rates vom 15. März 2001 über die Stellung des Opfers im Strafverfahren (ABl. L 82 vom 22.3.2001, S. 1) ist vorgesehen, dass das Opfer bei den zuständigen Behörden seines Wohnsitzstaats Strafanzeige erstatten kann und diese - sofern sie von einer eventuellen eigenen Strafverfolgungskompetenz keinen Gebrauch machen - die Strafanzeige unverzüglich an die zuständige Behörde eines anderen Mitgliedstaats weiterzuleiten haben. Diese Weiterleitungsverpflichtung ist mit dem am 1. Oktober 2009 in Kraft getretenen § 158 Absatz 3 der Strafprozessordnung umgesetzt worden. Bisher gibt es jedoch keine gesetzliche Regelung, welche die Zuständigkeit einer Staatsanwaltschaft in Deutschland begründet, wenn ein Deutscher oder eine Deutsche Opfer einer Straftat im Ausland wird und diese im Inland anzeigt.
B. Lösung
Der Entwurf begründet am Sitz des für Kempten zuständigen Gerichts einen Gerichtsstand für Straftaten, die von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in besonderer Auslandsverwendung begangen wurden. Hieraus leitet sich die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft aus § 143 Absatz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes ab. Die danach für entsprechende Strafverfahren zuständigen Gerichte sowie die Staatsanwaltschaft können infolge der auf diese Weise erreichten Zuständigkeitskonzentration die Kompetenz aufbauen, die für eine effektive und zügige Durchführung der Strafverfahren erforderlich ist.
Zur Stärkung der Rechtssicherheit und der Stellung des Opfers im Strafverfahren sieht der Entwurf ferner vor, dass die zuerst mit einer Sache befasste Staatsanwaltschaft für das Verfahren zuständig ist, wenn es an einem zuständigen Gericht fehlt oder dieses noch nicht ermittelt ist. Durch die neue Regelung des § 143 Absatz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes wird dieser Staatsanwaltschaft die Verpflichtung auferlegt, das Erforderliche zu veranlassen.
C. Alternativen
Fortgeltung der unbefriedigenden geltenden Rechtslage.
D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand
Die Neuregelungen verursachen keine unmittelbaren Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand.
E. Erfüllungsaufwand
E.1 Erfüllungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger
Keiner.
E.2 Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft
Keiner.
Davon Bürokratiekosten aus Informationspflichten
Keine.
E.3 Erfüllungsaufwand der Verwaltung
Aufgrund der Neuregelung hinsichtlich des besonderen Gerichtsstands für Verfahren betreffend Straftaten von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr kann sich die Bearbeitung entsprechender Strafverfahren auf die Staatsanwaltschaft und die Gerichte bei dem neu geschaffenen Gerichtsstand verlagern. Dem dort möglicherweise entstehenden Mehraufwand, der nicht näher bezifferbar ist, steht ein entsprechender Minderaufwand bei anderen Staatsanwaltschaften und Gerichten gegenüber.
F. Weitere Kosten
Weitere Kosten sind nicht ersichtlich. Auswirkungen auf das Preisniveau, insbesondere das Verbraucherpreisniveau, sind nicht zu erwarten.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Entwurf eines Gesetzes für einen Gerichtsstand bei besonderer Auslandsverwendung der Bundeswehr
Bundesrepublik Deutschland
Berlin, den 30. März 2012
Die Bundeskanzlerin
An den Präsidenten des Bundesrates Herrn Ministerpräsidenten Horst Seehofer
Sehr geehrter Herr Präsident,
hiermit übersende ich gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes den von der Bundesregierung beschlossenen Entwurf eines Gesetzes für einen Gerichtsstand bei besonderer Auslandsverwendung der Bundeswehr mit Begründung und Vorblatt.
Federführend ist das Bundesministerium der Justiz.
Die Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates gemäß § 6 Absatz 1 NKRG ist als Anlage beigefügt.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Angela Merkel
Fristablauf: 11.05.12
Entwurf eines Gesetzes für einen Gerichtsstand bei besonderer Auslandsverwendung der Bundeswehr
Vom ...
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Änderung der Strafprozessordnung
Die Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGB l. S. 1074, 1319), die zuletzt durch ... geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. Nach § 11 wird folgender § 11a eingefügt:
" § 11a
Wird eine Straftat außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes von Soldatinnen oder Soldaten der Bundeswehr in besonderer Auslandsverwendung ( § 62 Absatz 1 des Soldatengesetzes) begangen, so ist der Gerichtsstand bei dem für die Stadt Kempten zuständigen Gericht begründet."
2. In § 12 Absatz 1 wird die Angabe "11" durch die Angabe "11a und 13a" ersetzt.
Artikel 2
Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes
§ 143 Absatz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl. I S 1077), das zuletzt durch ... geändert worden ist, wird wie folgt gefasst:
(1) Die örtliche Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft bestimmt sich nach der örtlichen Zuständigkeit des Gerichts, bei dem die Staatsanwaltschaft besteht. Fehlt es im Geltungsbereich dieses Gesetzes an einem zuständigen Gericht oder ist dieses nicht ermittelt, ist die zuerst mit der Sache befasste Staatsanwaltschaft zuständig. Ergibt sich in den Fällen des Satzes 2 die Zuständigkeit eines Gerichts, ist das Verfahren an die nach Satz 1 zuständige Staatsanwaltschaft abzugeben, sobald alle notwendigen verfahrenssichernden Maßnahmen ergriffen worden sind und der Verfahrensstand eine geordnete Abgabe zulässt. Satz 3 gilt entsprechend, wenn die Zuständigkeit einer Staatsanwaltschaft entfallen ist und eine andere Staatsanwaltschaft zuständig geworden ist."
Artikel 3
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am [einsetzen: erster Tag des dritten auf die Verkündung folgenden Monats] in Kraft.
Begründung
A. Allgemeiner Teil
I. Hintergrund und Ziel der Regelungen
Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sind weltweit in vielen Krisenregionen im Einsatz. Sie unterliegen auch bei besonderer Auslandsverwendung dem deutschen Strafrecht (§ 1a Absatz 2 des Wehrstrafgesetzes - WStG). Für entsprechende Sachverhalte besteht derzeit keine besondere Verfahrenszuständigkeit. Ist eine Soldatin oder ein Soldat der Bundeswehr Beschuldigte oder Beschuldigter, gelten die allgemeinen Gerichtsstandsregelungen der Strafprozessordnung (StPO). Danach ist das für den Wohnsitz des oder der Beschuldigten zuständige Gericht (§ 8 StPO) und die diesem zugeordnete Staatsanwaltschaft für solche Strafverfahren zuständig, auch kann der Gerichtsstand des Ergreifungsortes (§ 9 StPO) begründet sein Gemäß. § 9 Absatz 1 Bürgerlichen Gesetz des buchs (BGB) hat ein Berufs- oder Zeitsoldat grundsätzlich seinen Wohnsitz am Standort.
Als gesetzlicher Wohnsitz eines Soldaten, der im Inland keinen Standort hat, gilt der letzte inländische Standort (§ 1 Satz 2 BGB). Der letzte inländische Standort ist der 9 Absatz
Ort, an dem der Truppenteil, dem der Soldat angehört, in Garnison liegt, d.h. seine regelmäßige Unterkunft hat, nicht jedoch der Ort im Inland, an dem das deutsche Einsatzkontingent national geführt wird (in der Regel der Standort des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr). Der gesetzliche Wohnsitz nach § 9 Absatz 1 BGB gilt nicht für Soldaten, die nur auf Grund der Wehrpflicht Wehrdienst leisten oder die nicht selbständig einen Wohnsitz begründen können (§ 9 Absatz 2 BGB). Ihr Wohnsitz bestimmt sich nach den allgemeinen Vorschriften in den §§ 7, 8 und 11 BGB.
Diese Rechtslage führt zu unübersichtlichen Zuständigkeitsverteilungen. Danach kommt die Zuständigkeit örtlich unterschiedlicher Staatsanwaltschaften und Gerichte in der Bundesrepublik Deutschland in Betracht. Sind an einem aufklärungsbedürftigen Sachverhalt mehrere Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr verschiedener Stammeinheiten beteiligt, kann es zu mehreren örtlich zuständigen Ermittlungsbehörden und zu verfahrensverzögernden Zuständigkeitsproblemen kommen.
Zudem erfordert die Ermittlung der Tatumstände besondere Kenntnisse, so zu den rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen der besonderen Auslandsverwendung. Ferner sind Kenntnisse konkreter militärischer Abläufe und Strukturen sowie technischer Ausstattungen und organisatorischer Abläufe erforderlich. Darüber hinaus können dienstrechtliche Besonderheiten im Rahmen einer möglichen Rechtfertigung der Tat oder bei etwaigen Irrtümern eine Rolle spielen. Nicht zuletzt sind in der Regel auch Fähigkeiten und Kenntnisse hinsichtlich Ermittlungen mit Auslandsbezug erforderlich.
Durch die in § 11a StPO-E mit einer konzentrierten Zuständigkeit geförderte Spezialisierung kann eine Verbesserung der Abläufe bewirkt werden. Schon in anderen Bereichen wie der Wirtschafts- und Korruptionskriminalität hat sich die Einrichtung von Staatsanwaltschaften mit speziellen Zuständigkeiten bewährt, weil auf diese Weise Einheiten mit besonderem Fachwissen errichtet werden können. Auch bei den für die Stadt Kempten zuständigen Gerichten kann so eine besondere Sachkunde gefördert werden.
Ferner wird die in § 143 Absatz 1 GVG-E vorgesehene Neuregelung zu einer Verbesserung der Verfahrensabläufe beitragen. Betroffen sind hiervon vor allem Fallgestaltungen, in denen die Zuständigkeit eines inländischen Gerichts und damit einer inländischen Staatsanwaltschaft nicht gegeben oder erkennbar ist. Wenn z.B. das Opfer einer Straftat im Ausland die Tat in Deutschland anzeigen möchte, sieht das Gesetz bisher keine ausdrückliche Regelung vor, welche die Zuständigkeit einer Staatsanwaltschaft für solche auf Grund von Opferanzeigen eingeleiteten Verfahren begründet. Die nunmehr geregelte
Verpflichtung der angerufenen Staatsanwaltschaft zum Tätigwerden fördert die Rechtssicherheit und das Vertrauen in die ordnungsgemäße Durchführung eines Verfahrens.
II. Gesetzgebungskompetenz
Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes folgt für die vorgesehene Änderung der Strafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes aus dem Kompetenztitel des Artikels 74 Absatz 1 Nummer 1 des Grundgesetzes für das gerichtliche Verfahren.
Durch die Begründung des zusätzlichen besonderen Gerichtsstands im Freistaat Bayern wird den anderen Ländern keine Zuständigkeit für eine Verfolgung der von § 11a StPO-E erfassten Delikte genommen. Die Begründung weiteren Gerichtsstands hat insofern des keine kompetenzrechtlichen Auswirkungen auf die Strafverfolgungszuständigkeit anderer Gerichte und Staatsanwaltschaften nach Maßgabe der geltenden Gerichtsstände der Strafprozessordnung.
III. Vereinbarkeit mit dem Recht der Europäischen Union und mit völkerrechtlichen Verträgen, die die Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen hat
Die Neuregelungen sind mit dem Recht der Europäischen Union und mit völkerrechtlichen Verträgen, die die Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen hat, vereinbar.
IV. Gesetzesfolgen
1. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand
Es entstehen keine Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand.
2. Erfüllungsaufwand
Es werden keine Informationspflichten für Unternehmen, Bürgerinnen und Bürger und die Verwaltung eingeführt, vereinfacht oder abgeschafft.
Die Neuregelung hinsichtlich des besonderen Gerichtsstands für die Verfahren betreffend Straftaten von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr verursacht keine unmittelbaren Haushaltsausgaben. Voraussichtlich wird sich die Bearbeitung entsprechender Strafverfahren auf die Staatsanwaltschaft und die Gerichte bei dem neu geschaffenen Gerichtsstand verlagern. Dem dort möglicherweise entstehenden Mehraufwand, der nicht näher bezifferbar ist, steht ein entsprechender Minderaufwand bei anderen Staatsanwaltschaften und Gerichten gegenüber.
Die Neuregelung hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit der zuerst befassten Staatsanwaltschaft verursacht keinen Erfüllungsaufwand.
3. Nachhaltigkeitsaspekte
Das Vorhaben berührt keine Aspekte einer nachhaltigen Entwicklung im Sinne der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie.
4. Weitere Kosten
Weitere Kosten sind nicht ersichtlich. Auswirkungen auf das Preisniveau, insbesondere das Verbraucherpreisniveau, sind nicht zu erwarten.
5. Gleichstellungspolitische Auswirkungen
Die vorgeschlagenen Neuregelungen betreffen Frauen und Männer in gleicher Weise. Der Entwurf berücksichtigt die Vorschrift des § 1 Absatz 2 des Bundesgleichstellungsgesetzes.
B. Besonderer Teil
Zu Artikel 1 (Änderung der Strafprozessordnung)
Zu Nummer 1 (§ 11a StPO-E)
Der neue besondere Gerichtsstand für von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in besonderer Auslandsverwendung begangene Straftaten wird in das bestehende System der gesetzlichen Gerichtsstände der Strafprozessordnung eingefügt. Erfasst werden nur außerhalb des Geltungsbereiches der Strafprozessordnung, d.h. des Hoheitsgebietes der Bundesrepublik Deutschland, begangene Straftaten. Es wird eine ausdrückliche örtliche Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit für Taten begründet, die gemäß § 1a Absatz 2 WStG dem deutschen Strafrecht unterfallen, allerdings nur bezogen auf Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in besonderer Auslandsverwendung. Damit sind die Verwendungen sämtlicher Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr erfasst, die auf Beschluss der Bundesregierung auf Grund eines Übereinkommens, eines Vertrages oder einer Vereinbarung mit einer über- oder zwischenstaatlichen Einrichtung oder mit einem auswärtigen Staat im Ausland oder außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes auf Schiffen oder Luftfahrzeugen stattfinden (vgl. § 62 Absatz 1 des Soldatengesetzes). In diesen Fällen sind die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in besonderer Weise auf eine zügige Erledigung der sie betreffenden Strafverfahren angewiesen. Insbesondere bei dieser Art von Einsätzen sind sie bei der täglichen Dienstausübung neben der physischen einer besonderen psychischen Belastung auf Grund ständiger Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt. Jene psychische Belastung wird durch schwebende Ermittlungsverfahren noch verstärkt. Diese Verfahren sollen deshalb mit besonderer Fachkompetenz zügig bearbeitet werden.
Die Personengruppe der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im Sinne des § 11a StPO-E erfasst auch 18- bis unter 21-Jährige, für die als Heranwachsende nach § 108 Absatz 1 in Verbindung mit § 42 des Jugendgerichtsgesetzes (JGG) zusätzliche Gerichtsstände in Jugendsachen vorgesehen sind, nämlich bei dem Gericht, in dessen Bezirk sich die oder der auf freiem Fuß befindliche Beschuldigte zur Zeit der Anklage aufhält (§ 42 Absatz 1 Nummer 2 JGG), und bei dem Richter oder der Richterin, dem oder der die Aufgaben der Vollstreckungsleit obliegen, sofern die oder ung der Verurteilte eine Jugendstrafe noch nicht vollständig verbüßt hat (§ 42 Absatz 1 Nummer 3 JGG). Diese Gerichtsstände gelten neben denen nach dem allgemeinen Verfahrensrecht oder nach besonderen Vorschriften, bleiben also auch neben § 11a StPO-E bestehen.
Gleiches gilt bei Straftaten von Soldatinnen und Soldaten für die Gerichtsstände etwa des Wohnorts oder des Ergreifungsortes. Auch diese Gerichtsstände werden durch § 11a StPO-E nicht verdrängt, da diese Norm keinen ausschließlichen Gerichtsstand begründet, welcher dem System des deutschen Strafverfahrensrechts fremd wäre.
Der neue Gerichtsstand gilt für alle Straftaten im Rahmen der besonderen Auslandsverwendung. Unabhängig von der Schwere oder Art des verletzten Rechtsguts erfordert die Aufklärung solcher Straftaten regelmäßig eine besondere Kenntnis der völker-, verfassungs- und einsatzrechtlichen Grundlagen sowie der militärischen Strukturen und Abläufe, die mit der Begründung eines besonderen Gerichtsstands bei Gericht und Staatsanwaltschaft aufgebaut werden kann.
Der besondere Gerichtsstand ist bei dem für die Stadt Kempten zuständigen Gericht begründet. Für amts- und landgerichtliche Verfahren führt dies zur Zuständigkeit des Amts- beziehungsweise des Landgerichts Kempten. Für Verfahren, die in die Zuständigkeit der Oberlandesgerichte fallen, wird die Zuständigkeit Oberlandesgericht des s München begründet. Gemäß § 143 Absatz 1 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) wäre für amts- und landgerichtliche Strafverfahren auf Seiten der Staatsanwaltschaft die Staatsanwaltschaft Kempten zuständig, für Verfahren in der erstinstanzlichen Zuständigkeit der Oberlandesgerichte bleibt es bei der Zuständigkeit des Generalbundesanwalts.
Grund für die Wahl des Gerichtsstands bei den für die Stadt Kempten zuständigen Gerichten ist, dass die Staatsanwaltschaft Kempten bereits aufgrund eines entsprechenden Erlasses des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz als Schwerpunktstaatsanwaltschaft für den Bereich des Freistaates Bayern für die Verfolgung von Straftaten, die Soldaten in Ausübung des Dienstes im Rahmen von Auslandseinsätzen zur Last gelegt werden, zuständig ist, mithin bei den für Kempten zuständigen Justizbehörden entsprechende Erfahrungen vorhanden sind, die bei der nun vorgesehenen Ausdehnung der örtlichen Zuständigkeit auf das gesamte Bundesgebiet von Nutzen sein werden.
Zu Nummer 2 (§ 12 Absatz 1 StPO-E)
Nach der bisherigen Fassung des § 12 Absatz 1 StPO gebührt unter mehreren nach den Vorschriften der §§ 7 bis 11 zuständigen Gerichten dem der Vorzug, das die Untersuchung zuerst eröffnet hat. § 12 StPO bestimmt also einen Prioritätsgrundsatz, nach dessen Maßgabe mit dem Zeitpunkt der Eröffnung der Untersuchung durch ein Gericht die ebenfalls gegebene (potentielle) Zuständigkeit anderer Gerichte verdrängt wird.
Die Änderung dieser Bestimmung ist zum einen erforderlich, weil auch der besondere Gerichtsstand des § 11a hiervon zu erfassen ist.
Zum anderen ist in § 12 Absatz 1 StPO bislang der mit dem 3. Strafrechtsänderungsgesetz eingeführte § 13a StPO (Zuständigkeitsbestimmung durch den Bundesgerichtshof) nicht berücksichtigt. Dies wird nunmehr nachgeholt.
Zu Artikel 2 (Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes - § 143 Absatz 1 neu)
Durch die Neufassung des § 143 Absatz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) wird insbesondere in Fällen von im Ausland begangenen Straftaten eine klare und effektive
Bestimmung der für die Verfahrensbearbeitung zunächst zuständigen nationalen Staatsanwaltschaft ermöglicht.
Zu Satz 1
Es erfolgt lediglich eine redaktionelle Änderung, nach der für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit die Staatsanwaltschaft selbst und nicht wie bisher ihre Beamten in Bezug genommen wird. Dieser zeitgerechte Ansatz wurde bereits in dem im Jahr 2000 angefügten § 143 Absatz 5 GVG gewählt.
Zu Satz 2
Gemäß § 143 Absatz 1 GVG bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit der Staatsanwaltschaften nach der gerichtlichen örtlichen Zuständigkeit. Fehlt es an einem zuständigen Gericht oder ist ein solches - noch - nicht ermittelt, ist derzeit nicht gesetzlich bestimmt, welche Staatsanwaltschaft für die Ermittlungsführung zuständig ist. Erst wenn der Bundesgerichtshof gemäß § 13a StPO ein zuständiges Gericht bestimmt hat oder ein solches nach den §§ 7 bis 13 StPO nachträglich ermittelt werden konnte, greift die Zuständigkeitsbestimmung des § 143 Absatz 1 GVG. Dadurch bestehen in diversen Fallkonstellationen Lücken, die zu Unsicherheiten bei der Bestimmung der zuständigen Staatsanwaltschaft und damit auch zu Kompetenzkonflikten und Verfahrensverzögerungen führen können. Diese Lücken werden nunmehr durch Satz 2 sachgerecht dadurch geschlossen, dass in derartigen Fällen zukünftig diejenige Staatsanwaltschaft die erforderlichen Maßnahmen zu veranlassen hat, die zuerst - etwa aufgrund einer Strafanzeige - mit der Sache befasst wurde. Dies dürfte in weiten Teilen der schon bisher geübten Praxis entsprechen, für die nunmehr jedoch eine gesetzliche Grundlage geschaffen wird. Hinweise auf Straftaten, die örtlich nicht zugeordnet werden können und die zuerst der Polizei oder dem Amtsgericht bekannt werden, sollten dabei - wie dies ebenfalls bereits die Regel sein dürfte - von diesen Stellen an die für sie zuständige Staatsanwaltschaft weitergeleitet werden.
Damit kann nun insbesondere in den folgenden Fällen eine - zunächst - zuständige Staatsanwaltschaft unproblematisch bestimmt werden:
Die Neuregelung erfasst zum einen die bisher nicht geregelten Verfahren, in denen eine Zuständigkeitsbestimmung durch den Bundesgerichtshof nach § 13a StPO ausscheidet, weil die Tat nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterfällt und es deshalb an einem für die Durchführung eines strafgerichtlichen Verfahrens zuständigen deutschen Gericht dauerhaft fehlt. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs z.B. der Fall, wenn sich der Tatvorwurf auf Personen bezieht, die nach den §§ 18 bis 20 GVG als Exterritoriale von der deutschen Gerichtsbarkeit befreit sind (BGHSt 33, 97, 98) oder wenn für eine im Ausland begangene Tat das deutsche Strafrecht nicht gilt (BGH NStZ 2007, S. 534, 535). Wurde im letztgenannten Fall die Tat in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union begangen und durch sie eine Person verletzt, die im Bundesgebiet wohnhaft ist, hat die Staatsanwaltschaft eine bei den hiesigen Strafverfolgungsbehörden erstattete Anzeige nach § 158 Absatz 3 StPO unter den dort bezeichneten Voraussetzungen an die für die Strafverfolgung zuständige Stelle des anderen Mitgliedstaats zu übermitteln. Die insoweit örtlich zuständige nationale Staatsanwaltschaft kann jetzt durch Satz 2 bestimmt werden.
Zum anderen erfasst die Neuregelung Verfahren, in denen der Verfahrensabschluss die Einbindung eines Gerichts nicht erfordert und in denen deshalb die Bestimmung eines zuständigen Gerichts durch den Bundesgerichtshof ein äußerst aufwändiger und im Ergebnis nicht gewinnbringender Formalismus wäre. Dies betrifft vor allem im Ausland begangene Taten, auf die das deutsche Strafrecht zwar anwendbar ist, für die sich aus den §§ 7 bis 13 StPO jedoch kein Gerichtsstand ergibt und bei denen die Staatsanwaltschaft z.B. von deren Verfolgung gemäß § 153c Absatz 1 Nummer 1 StPO absieht oder das Verfahren gemäß § 170 Absatz 2 StPO einstellt.
Die Neuregelung trägt dabei vor allem auch dazu bei, dass die Staatsanwaltschaften bei Hinweisen auf Straftaten stets zeitnah und effektiv tätig werden können. Gerade im Ermittlungsverfahren ist nicht selten ein sofortiges Handeln geboten, um einen drohenden Beweismittelverlust zu verhindern. Es muss daher jederzeit eine Staatsanwaltschaft leicht feststellbar sein, die in der Lage ist, Ermittlungshandlungen durchzuführen, zu veranlassen oder bei Gericht zu beantragen. Die in § 143 Absatz 2 GVG geregelte Notzuständigkeit reicht hierzu nicht aus, weil sie nur solche Amtshandlungen eines unzuständigen Beamten der Staatsanwaltschaft erfasst, die innerhalb seines Bezirks vorzunehmen sind.
Zu Satz 3
Ergibt sich in den Fällen, in denen eine Staatsanwaltschaft nach Satz 2 zuständig geworden ist, im Nachhinein die Zuständigkeit eines Gerichts, so erscheint es sachgerecht, dass die weitere Bearbeitung des Verfahrens entsprechend dem allgemeinen Grundsatz des § 143 Absatz 1 Satz 1 GVG-E von der Staatsanwaltschaft übernommen wird, in deren Bezirk das für das Verfahren zuständige Gericht gelegen ist. Für den Fall einer beabsichtigten Anklageerhebung oder Verfahrenseinstellung mit gerichtlicher Zustimmung ist dies auch erforderlich, da § 143 Absatz 1 Satz 2 GVG-E keinen Gerichtsstand zu begründen vermag. Deshalb wird durch den neuen Satz 3 bestimmt, dass die nach Satz 2 zuständig gewordene Staatsanwaltschaft das Verfahren an die nach § 143 Absatz 1 Satz 1 GVG-E zuständige Staatsanwaltschaft abgibt. Dabei wird durch die Formulierung "sobald alle notwendigen verfahrenssichernden Maßnahmen ergriffen worden sind und der Verfahrensstand eine geordnete Abgabe zulässt" verdeutlicht, dass die Zuständigkeit der nach Satz 2 tätig gewordenen Staatsanwaltschaft nicht automatisch zu dem Zeitpunkt endet, zu dem ein zuständiges Gericht ermittelt oder bestimmt worden ist, sondern noch so lange weiterbesteht, bis eine Verfahrensabgabe ohne zu befürchtenden Nachteil für das Strafverfahren erfolgen kann. Die nach Satz 2 zunächst zuständig gewordene Staatsanwaltschaft ergreift daher noch alle Maßnahmen, die keinen Aufschub dulden, weil sie - obwohl zeitnah veranlasst - von der neu zuständig gewordenen Staatsanwaltschaft nicht innerhalb der Zeitspanne vorgenommen werden könnten, die diese benötigt, um das Verfahren zu übernehmen und sich einen angemessenen Überblick über die Sach- und Rechtslage zu verschaffen.
Zu Satz 4
Durch Satz 4 wird bestimmt, dass die Regelung des Satzes 3 über die von der zuständig gewesenen Staatsanwaltschaft noch zu veranlassenden Maßnahmen auch in dem Fall Anwendung findet, in dem die Zuständigkeit einer Staatsanwaltschaft entfällt und eine andere Staatsanwaltschaft zuständig wird. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn sich bei einer gegen einen Deutschen gerichteten Auslandstat die Zuständigkeit einer Staatsanwaltschaft (nur) aus § 8 Absatz 1 StPO auf Grund des in ihrem Bezirk gelegenen Wohnsitzes des oder der Beschuldigten ergeben hat und der oder die Beschuldigte während des Ermittlungsverfahrens in den Bezirk einer anderen Staatsanwaltschaft verzieht.
Zu Artikel 3 (Inkrafttreten)
Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes. Durch den Zeitraum von zwei bis drei Monaten zwischen Verkündung und Inkrafttreten des Gesetzes soll sichergestellt werden, dass etwaig erforderliche organisatorische Maßnahmen bei den für die Stadt Kempten zuständigen Gerichten sowie bei der Staatsanwaltschaft getroffen werden können.
Anlage
Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates gem. § 6 Abs. 1 NKR-Gesetz NKR-Nr. 1311:
Gesetz für einen Gerichtsstand bei besonderer Auslandsverwendung der Bundeswehr
Der Nationale Normenkontrollrat hat den oben genannten Entwurf geprüft.
Der Gesetzentwurf hat keine Auswirkungen auf den Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft, die Verwaltung sowie Bürgerinnen und Bürger.
Der Nationale Normenkontrollrat hat im Rahmen seines gesetzlichen Prüfauftrages keine Bedenken gegen das Regelungsvorhaben.
Dr. Ludewig Schleyer
Vorsitzender Berichterstatter