Der Bundesrat hat in seiner 825. Sitzung am 22. September 2006 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat nimmt die Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament "Das Modernisierungsprogramm für Universitäten umsetzen: Bildung, Forschung und Innovation" zur Kenntnis und sieht darin die Fortsetzung des bereits begonnenen Dialogs, den die Kommission in den vergangenen Jahren mit den Mitgliedstaaten und akademischen und wissenschaftlichen Gruppierungen eingeleitet hat.
- 2. Zur Schaffung des Europäischen Technologieinstituts (ETI) verweist der Bundesrat auf seine Stellungnahmen vom 10. März 2006, 7. April 2006 und 22. September 2006 - BR-Drucksache 093/06(B) , BR-Drucksache 172/06(B) und BR-Drucksache 537/06(B) -.
- 3. Zahlreiche Aktivitäten, die die Kommission von den Mitgliedstaaten fordert, um die wesentlichen Bologna-Reformen bis 2010 in allen Mitgliedstaaten umsetzen zu können, wurden in der Bundesrepublik Deutschland bereits in Angriff genommen. Die Verfolgung und Umsetzung der Bologna-Strategie im Hochschulbereich ist ein Schwerpunkt des derzeitigen deutschen Reformprogramms. Die Modernisierung der Hochschulen ist eine originäre Aufgabe der Länder und der Hochschulen. Diesbezügliche Kontrollmechanismen der EU lehnen die Länder unter Berufung auf die Artikel 149 und 150 EGV ab.
- 4. Die Bewertung, dass die rund 4 000 europäischen Hochschulen mit ihren über 17 Millionen Studenten und ungefähr 1,5 Millionen Mitarbeitern, darunter 435 000 Forscher, über ein enormes Potenzial verfügen, wird vom Bundesrat geteilt. Die Behauptung jedoch, dass dieses Potenzial noch nicht hinreichend genutzt wird, trifft nicht auf alle Mitgliedstaaten zu.
Deutschland ermöglicht durch das Hochschulrecht in Bund und Ländern seinen Universitäten in immer höherem Maße Autonomie und Selbststeuerung in den Bereichen Organisation, Finanzen und Personal; ergänzt wird diese Autonomie in Einzelfällen durch Zielvereinbarungen. Die Vielzahl der Hochschulsysteme im Wettbewerb begünstigt die Optimierung der Leistungen in Lehre, Forschung und Weiterbildung; entscheidend ist die Gewährleistung eines Gestaltungsraums, den die Hochschulen nutzen können.
- 5. Der Bundesrat ist ferner der Ansicht, dass ein größerer Gestaltungsspielraum der Universitäten zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Hochschuleinrichtungen beitragen und die Umsetzung des Wissens in Wirtschaft und Industrie fördern kann, z.B. in neue, innovative Produkte, Verfahren und Dienstleistungen. Der Bundesrat fordert aber, dass die Wettbewerbsbedingungen aller europäischen Hochschulen den gleichen Grundsätzen unterliegen müssen.
- 6. Der Bundesrat weist darauf hin, dass Forschung und Lehre an den Hochschulen nicht nur das Ziel der Verwertung von wissenschaftlichen Erkenntnissen für die Wirtschaft haben. Die erkenntnisleitenden Interessen, die darüber hinausgehen, sind vielmehr ein wesentlicher Beitrag, mit dem die Hochschulen ihrer gesellschaftlichen und sozialen Rolle gerecht werden.
- 7. Stipendien und Darlehen von Bund und Ländern sind personengebunden. Soweit es mit dem Förderziel vereinbar ist, werden schon jetzt Auslandsaufenthalte finanziell unterstützt. Hindernisse entstehen jedoch durch sozial-, steuer-, aufenthalts- und versorgungsrechtliche Regelungen, die beseitigt werden müssen. Gestaltungsspielräume zu Gunsten von Lehre und Forschung müssen stärker als bisher genutzt werden.
- 8. Die Hochschulen haben in Deutschland die Möglichkeit, ihre Mittel im Rahmen der Selbstverwaltung autonom einzusetzen; dabei bedienen sie sich bereits jetzt moderner Managementmethoden. Die Schaffung nationaler Stellen zur Ausbildung für Hochschulmanagement und -leitung ist daher entbehrlich. Das bestehende Angebot für entsprechende Qualifizierungen in Deutschland wird auf freiwilliger Basis gut angenommen; für allgemein verpflichtende Regulierungen besitzt die EU keine Kompetenz.
- 9. Auch bei der Gestaltung der Studienprogramme der Hochschulen hat die EU keine Kompetenzen. Der in der Mitteilung angesprochene Aspekt der Beschäftigungsfähigkeit ebenso wie die Befähigung zu unternehmerischen Aktivitäten sind Kernelemente von Studienprogrammen für Bachelor- und Master-Abschlüsse. Ein unmittelbarer und eindeutiger Zusammenhang zwischen der Arbeitslosigkeit der Hochschulabsolventen und der Konzeption von Studienprogrammen, die mit einem formellen Abschluss enden, ist für den Bundesrat daher nicht erkennbar. Zahlreiche Hochschulen bieten darüber hinaus schon jetzt - in Rückkoppelung zwischen der Wirtschaft und den Hochschulen - zertifizierte Weiterbildungsmöglichkeiten an, mit denen durch den Erwerb zusätzlicher Kompetenzen die Beschäftigungschancen der Absolventen gesteigert werden. Außerdem sind an den meisten Hochschulen so genannte Career Centers eingerichtet, durch deren Aktivitäten die Beschäftigungsmöglichkeiten von Studierenden erhöht werden.
- 10. Der Bundesrat sieht, wie die Kommission, die Notwendigkeit, die Finanzausstattung für das Hochschulwesen zu stärken. Der Bundesrat weist aber darauf hin, dass insbesondere auch die Frage, ob und in welchem Umfang die Mitgliedstaaten Finanzmittel für das Hochschulwesen bereitstellen, Teil der alleinigen Bildungsverantwortung der Mitgliedstaaten nach Artikel 149 und 150 EGV ist. Das vorgeschlagene Ziel, innerhalb eines Jahrzehnts mindestens 2 % des Bruttoinlandsprodukts für einen modernisierten Hochschulsektor und 3 % für die Bereiche F&E von den Mitgliedstaaten aufzuwenden, wird nicht allein durch öffentliche Mittel zu erreichen sein. Vielmehr wird es darauf ankommen, in höherem Maße als bisher private Investitionen (z.B. durch Stiftungskapital) zu erschließen.
- 11. Die in der Mitteilung in Abschnitt 3 "Anreize für strukturierte Partnerschaften" formulierten Ansätze werden grundsätzlich begrüßt. Hierzu gibt es aber in den Ländern bereits Initiativen, in denen diese Ideen umgesetzt werden. Weiterer Regelungen auf EU-Ebene bedarf es daher nicht.
Der Bundesrat begrüßt aber jede Initiative innerhalb des Kompetenzrahmens der EU, die zur Verwirklichung der Ziele beitragen, dass die Universitäten gut und schnell auf die Anforderungen des Marktes reagieren und sich Partnerschaften zwischen Universitäten/Hochschulen und Wirtschaft entwickeln können.
- 12. Der Bundesrat begrüßt ferner die von der Kommission aufgezeigten Unterstützungsinstrumente, um eine strukturierte Partnerschaft zwischen Universitäten/ Hochschulen und Wirtschaft zu schaffen, z.B. die Schaffung lokaler Cluster für Wissensgenerierung oder von Verbindungsbüros zur Wirtschaft und Büros für gemeinsame Forschung und Wissenstransfers. Um diese externe Unterstützung auch finanzieren zu können, begrüßt der Bundesrat die Möglichkeit, relevante EU-Förderprogramme, wie z.B. das Siebte Forschungsrahmenprogramm (FRP7), das Programm für Lebenslanges Lernen oder die EU-Strukturfonds dafür in Anspruch nehmen zu können.
- 13. Der Bundesrat sieht die Aussage, dass Forschung nicht unbedingt eine Schlüsselaufgabe für alle Hochschulen bleiben müsse, äußerst kritisch. An den Universitäten in Deutschland bilden Forschung und Lehre eine notwendige Einheit, die gerade im Verbund eine angemessene Ausbildung und weitere Synergien ermöglicht. Der Bundesrat unterstreicht ausdrücklich, dass der Kommission jegliche Kompetenzen zur Etablierung eines einheitlich gegliederten Hochschulsystems in Europa fehlen.
- 14. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, seine Stellungnahme gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 EUZBLG maßgeblich zu berücksichtigen, weil die Angelegenheit im Schwerpunkt die internen Strukturen der Hochschulen, deren Finanzierung und die inhaltliche Gestaltung von Studiengängen an Hochschulen betrifft und damit in die ausschließliche Gesetzgebungsbefugnis der Länder fällt.