Der Bundesrat hat in seiner 971. Sitzung am 19. Oktober 2018 die aus der Anlage ersichtliche Entschließung gefasst
Anlage
Entschließung des Bundesrates zur Verbesserung der sozialen Lage anerkannter politisch Verfolgter durch Novellierung der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, unter besonderer Berücksichtigung der sozialen Lage von in der ehemaligen Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) politisch Verfolgten zu prüfen, welcher gesetzgeberische Handlungsbedarf in Folge möglicher Gerechtigkeitslücken besteht. Dabei soll insbesondere nach Möglichkeiten gesucht werden,
- a) Opfern von Zersetzungsmaßnahmen den Zugang zu Ausgleichsleistungen zu eröffnen,
- b) den gemäß § 3 BerRehaG anerkannten verfolgten Schülerinnen und Schülern den Zugang zu Leistungen des § 8 BerRehaG zu eröffnen,
- c) die Opfer von Zwangsaussiedlungsmaßnahmen in einer Weise zu berücksichtigen, die deren spezifischem Verfolgungsschicksal und den damit verbundenen Schwierigkeiten, einen angemessenen Ausgleich für das erlittene Unrecht zu erhalten, gerecht wird,
- d) die Mindestdauer der Verfolgung für die Ausgleichsleistungen in § 8 Absatz 2 Satz 1 BerRehaG und in § 17a Absatz 1 Satz 1 StrRehaG einander anzugleichen,
- e) auf eine Minderung der Ausgleichsleistung bei Bezug einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung aus eigener Versicherung gemäß § 8 Absatz 1 Satz 2 BerRehaG zu verzichten,
- f) eine Dynamisierung der Ausgleichsleistungen nach § 8 BerRehaG und § 17a StrRehaG vorzusehen,
- g) die "komplexen Traumafolgestörungen" auf Grund von politischer Verfolgung in der DDR bei der Feststellung und Bewertung von verfolgungsbedingten Gesundheitsschäden angemessener zu berücksichtigen und
- h) Haftopfern, die weniger als 180 Tage in Haft waren, regelmäßige Ausgleichsleistungen zu gewähren.
Begründung:
Der Bundesgesetzgeber hat mit den drei Gesetzen zur Rehabilitierung von SED-Unrecht - Strafrechtliches Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG), Berufliches Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) und Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG) - in den 1990er Jahren ein umfangreiches System von Ausgleichsmaßnahmen entwickelt, um Opfern politischer Verfolgung in der SBZ/DDR durch eine Wiedergutmachung des erlittenen Unrechts zu helfen, auch wenn eine vollständige Wiedergutmachung des erlittenen Unrechts nicht erreichbar ist.
Jahrzehnte nach der deutschen Wiedervereinigung zeigt sich, dass nicht alle von politischer Verfolgung in der DDR
Betroffenen gleichermaßen und in ausreichendem Umfang von den sozialen und finanziellen Ausgleichsleistungen in Folge ihrer Rehabilitierung profitieren. Politisch Verfolgte klagen oftmals als unmittelbare Auswirkungen aus der Verfolgung über zu geringe Einkünfte und über ein Leben in unserer Gesellschaft an der Armutsgefährdungsgrenze. Viele haben durch die politischen Verfolgungsmaßnahmen in der DDR bleibende Gesundheitsschäden mit wirtschaftlichen Folgewirkungen erlitten. Die Rehabilitierungsgesetze bedürfen daher nach Auffassung des Bundesrates einer Anpassung und Weiterentwicklung unter Berücksichtigung der im Laufe der Jahre bekannt gewordenen tatsächlichen Verhältnisse. Die vorzunehmenden Veränderungen sollen angesichts der sozial prekären Lage einer beträchtlichen Anzahl der in der DDR politisch Verfolgten die gesetzlichen Voraussetzungen dafür schaffen, auch Verfolgtengruppen, die bisher nicht oder nur unzureichend unterstützt werden, besser in das Leistungsspektrum der Rehabilitierungsgesetze einzubinden. Insbesondere sollen künftig diejenigen Rehabilitierten eine effektivere Unterstützung durch die staatliche Gemeinschaft erfahren, die sich verfolgungsbedingt andauernd in einer besonders schwierigen wirtschaftlichen Situation befinden.
Zu Buchstabe a
Der Bundesrat ist der Auffassung, dass auch Opfern von Zersetzungsmaßnahmen in der SBZ/DDR ein Anspruch auf soziale Leistung im Sinne monatlicher Unterstützungsleistungen zustehen sollte.
Zu Buchstabe b
Der Bundesrat ist der Ansicht, dass auch die Gruppe der anerkannten verfolgten Schülerinnen und Schüler in das Ausgleichsleistungssystem des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes einbezogen werden sollte. Da der Betroffenenkreis der verfolgten Schülerinnen und Schüler aufgrund seiner gesetzlichen Sonderstellung derzeit nicht dem Anwendungsbereich des § 1 BerRehaG unterfällt, erhält dieser keinen rentenrechtlichen Nachteilsausgleich. Diese Regelung wurde seinerzeit damit begründet, dass im Rahmen des § 1 BerRehaG kein Raum für rein hypothetische Ausbildungs- und Berufsverläufe ist. Dadurch ist diesem Personenkreis aber auch ein Anspruch auf soziale Ausgleichsleistungen nach § 8 BerRehaG verwehrt. Dieser Ausschluss führt bei den Betroffenen zu Härten und stellt für sie eine zunehmend nicht mehr nachvollziehbare Ungleichbehandlung dar.
Zu Buchstabe c
Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Prüfung etwaiger Gerechtigkeitslücken auch auf die von Zwangsaussiedlungsmaßnahmen Betroffenen auszudehnen ist. Dies gilt mit Blick auf die bis heute verstrichenen Zeiträume, die einen Nachweis von Kausalzusammenhängen zwischen Zwangsaussiedlungen und psychischen Traumata kaum noch zulassen und insoweit die Prüfung von gesetzlichen Einmalleistungen als geboten erscheinen lassen. Zudem kann mit einer Überprüfung abschließend geklärt werden, ob bestehende Entschädigungsregelungen dort zu kurz greifen, wo den von Zwangsaussiedelung betroffenen ehemaligen Bürgerinnen und Bürgern der DDR, der Zugang in das geltende Anerkennungs- und Entschädigungssystem erst ab 1994 eröffnet wurde.
Zu Buchstabe d
Der Bundesrat ist der Überzeugung, dass eine Angleichung der Ausgleichsleistungen nach § 8 BerRehaG an diejenigen nach § 17a StrRehaG erreicht werden sollte.
Zu Buchstabe e
Eine Schlechterbehandlung von Rentnerinnen und Rentnern ist nach Ansicht des Bundesrates rational nicht nachvollziehbar. Rentnerinnen und Rentner haben die gleichen Lebenshaltungskosten wie Berufstätige (Miete), haben in der Regel aber ein geringeres Einkommen (Rente), dem höhere Ausgaben (Krankheit, Pflege, medizinische Hilfsmittel) gegenüberstehen.
Zu Buchstabe f
Der Bundesrat ist der Überzeugung, dass eine Dynamisierung der Ausgleichsleistungen nach § 8 BerRehaG und § 17a StrRehaG erreicht werden müsste. Dies erscheint angesichts der wirtschaftlichen Lage vieler Betroffener gerecht. Eine Dynamisierung der Ausgleichsleistungen würde dem den Rehabilitierungsgesetzen innewohnenden Grundgedanken des Befriedungsfaktors und den wirtschaftlichen Gegebenheiten und Interessen der Betroffenen nachhaltig gerecht werden. Zudem hätte es den Vorteil, dass perspektivisch für eine Anpassung keine neuerliche Gesetzesnovellierung notwendig wäre.
Zu Buchstabe g
Der Bundesrat ist der Auffassung, dass eine angemessenere Bewertung der bei Betroffenen von politischer Verfolgung in der SBZ/DDR häufig bestehenden "komplexen Traumafolgestörungen" im Rahmen der Anerkennung verfolgungsbedingter Gesundheitsschäden angezeigt ist. Die Verlaufsformen von posttraumatischen Belastungsstörungen aufgrund politischer Verfolgung in der SBZ/DDR werden bei der bisherigen Begutachtung der Betroffenen im Rahmen der Versorgungsmedizinverordnung (VersMedV) nur unvollständig berücksichtigt. Verschiedene wissenschaftliche Studien legen nahe, dass eine Überarbeitung der maßgeblichen versorgungsmedizinischen Begutachtungsgrundlagen angezeigt sein könnte. Der Bundesrat hält es für erforderlich, dass sich der Ärztliche Sachverständigenbeirat Versorgungsmedizin gemäß § 3 VersMedV mit dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft und versorgungsmedizinischer Erfordernisse zur Bewertung komplexer posttraumatischer Belastungsstörungen aufgrund politischer Verfolgung befasst.
Zu Buchstabe h
Der Bundesrat ist der Auffassung, dass auch Haftopfer, die weniger als 180 Tage in Haft waren, regelmäßige Ausgleichsleistungen erhalten sollten. Sie haben zwar Anspruch auf Kapitalentschädigung und können von der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge in Bonn bei nachgewiesener sozialer Bedürftigkeit jährlich eine Unterstützungsleistung erhalten, von regelmäßigen Ausgleichszahlungen sind sie jedoch ausgenommen.