A. Problem und Ziel
Das Recht auf unentgeltliche Beförderung vieler schwerbehinderter Kinder, Jugendlicher, Frauen und Männer im öffentlichen Personennahverkehr sichert den Berechtigten ein hohes Maß an Mobilität. Die zur Beförderung verpflichteten Verkehrsunternehmen erhalten für die ihnen hierdurch entstehenden Einnahmeverluste einen Ausgleich nach Maßgabe der §§ 148 ff. SGB IX. Zum Ausgleich verpflichtet sind - je nach anspruchsberechtigten Personen und Verkehrsmitteln - sowohl der Bund wie auch die Länder. Die hierzu bestehenden gesetzlichen Regelungen sind auch im Verhältnis zwischen Bund und Ländern außerordentlich kompliziert und führen zu einem hohen Verwaltungsaufwand. Es erscheint daher sachgerecht, diese Regelungen so zu verändern, dass sie zu einer erheblichen Verwaltungsvereinfachung sowohl beim Bund wie auch bei den Ländern führen.
Im gleichen Kapitel des SGB IX ist auch die Eigenbeteiligung der freifahrtberechtigten Personen in Form des Erwerbs einer Wertmarke geregelt. Bestimmte Personengruppen, insbesondere Bezieherinnen und Bezieher von Leistungen der Grundsicherung erhalten die Wertmarke unentgeltlich (§ 145 Absatz 1 SGB IX). Die Höhe der Eigenbeteiligung ist seit 1984 unverändert, obwohl sich die Nutzungsmöglichkeiten und folglich auch der damit verbundene Wert erheblich erhöht haben. Mit dem Wegfall des Streckenverzeichnisses hat sich die Nutzungsmöglichkeit nochmals erhöht. Eine Anpassung der Eigenbeteiligung für den Erwerb der Wertmarke erscheint daher angemessen.
B. Lösung
Die Zahl der Tatbestände, für die der Bund beziehungsweise die Länder kostenerstattungspflichtig sind, wird vereinfacht; die auf die verschiedenen Einnahmetatbestände des Bundes bezogenen individuellen Regelungen zur Erstattung durch die Länder wird auf einen durchgängigen einheitlichen Prozentsatz festgelegt.
Durch die aus anderen Gründen vorgeschlagene Erhöhung der Eigenbeteiligung an der Wertmarke ist zugleich sichergestellt, dass weder der Bund noch die Länder aufgrund dieser Änderungen mit Einnahmeverlusten zu rechnen haben.
C. Alternativen
Keine.
D. Finanzielle Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte
Insbesondere durch die Vereinfachung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern ist - verglichen mit den derzeitigen Verfahren - bei der Gesamtkalkulation von unterschiedlichen Auswirkungen bei den einzelnen Posten auszugehen. Im Ergebnis ist durch die Verbindung von Mehrausgaben, Minderausgaben und Mehreinnahmen, sowohl beim Bund also auch bei den Ländern von einer Reduzierung der finanziellen Lasten für die "Unentgeltliche Beförderung" nach den §§ 145 ff. SGB IX auszugehen.
F. Sonstige Kosten
Keine.
Gesetzentwurf des Bundesrates
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch
Der Bundesrat hat in seiner 896. Sitzung am 11. Mai 2012 beschlossen, den beigefügten Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 1 des Grundgesetzes beim Deutschen Bundestag einzubringen.
Anlage
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch
Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen:
Artikel 1
Änderung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch
Das Neunte Buch Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (Artikel 1 des Gesetzes vom 19. Juni 2011, BGBl. I S. 1046, 1047), das zuletzt durch ... geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. § 145 Absatz 1 wird wie folgt geändert:
- a) In Satz 3 wird die Zahl "60" durch die Zahl "72" und die Zahl "30" durch die Zahl "36" ersetzt.
- b) Nach Satz 3 werden folgende Sätze eingefügt:
"Der Betrag erhöht sich in entsprechender Anwendung des § 77 Absatz 3 erstmals zu dem Zeitpunkt, zu dem die nächste Neubestimmung der Beträge der Ausgleichsabgabe erfolgt. Liegt dieser Zeitpunkt innerhalb der Gültigkeitsdauer einer bereits ausgegebenen Wertmarke, ist der höhere Betrag erst im Zusammenhang mit der Ausgabe der darauffolgenden Wertmarke zu entrichten. Abweichend von § 77 Absatz 3 Satz 4 sind die sich ergebenden Beträge auf den nächsten durch zwölf teilbaren vollen Eurobetrag aufzurunden. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gibt den Erhöhungsbetrag und die sich nach entsprechender Anwendung des § 77 Absatz 3 Satz 3 ergebenden Beträge im Bundesanzeiger bekannt."
- c) Der bisherige Satz 4 wird wie folgt gefasst:
"Wird die für ein Jahr ausgegebene Wertmarke vor Ablauf eines halben Jahres ihrer Gültigkeitsdauer zurückgegeben, wird auf Antrag die Hälfte der Gebühr erstattet; entsprechendes gilt für den Fall, dass der schwerbehinderte Mensch vor Ablauf eines halben Jahres der Gültigkeitsdauer der für ein Jahr ausgegebenen Wertmarke verstirbt."
- d) Im bisherigen Satz 5 werden nach den Wörtern "nach Satz 3" die Wörter "in seiner jeweiligen Höhe" eingefügt.
2. § 148 wird wie folgt geändert:
- a) In Absatz 1 werden nach dem Wort "Unternehmern" die Wörter "oder den Nahverkehrsorganisationen im Sinne des § 150 Absatz 2" eingefügt.
- b) Nach Absatz 5 wird folgender Absatz angefügt:
(6) Absatz 5 gilt nicht in Fällen des § 150 Absatz 2."
3. § 150 wird wie folgt geändert:
- a) Nach Absatz 1 wird folgender Absatz eingefügt:
(1a) Haben sich in einem Bundesland mehrere Aufgabenträger des öffentlichen Personennahverkehrs auf lokaler oder regionaler Ebene zu Verkehrsverbünden zusammengeschlossen und erhalten die im Zuständigkeitsbereich dieser Aufgabenträger öffentlichen Personennahverkehr betreibenden Verkehrsunternehmen für ihre Leistungen ein mit diesen Aufgabenträgern vereinbartes Entgelt (Bruttoprinzip), können anstelle der antrags- und erstattungsberechtigten Verkehrsunternehmen auch die Nahverkehrsorganisationen Antrag auf Erstattung der in ihrem jeweiligen Gebiet entstandenen Fahrgeldausfälle stellen, sofern die Verkehrsunternehmen hierzu ihr Einvernehmen erteilt haben."
- b) In Absatz 2 Satz 1 werden nach dem Wort "Unternehmer" die Wörter "oder die Nahverkehrsorganisationen im Sinne des Absatzes 1a" eingefügt.
4. § 151 wird wie folgt geändert:
- a) Absatz 1 wird wie folgt geändert:
- aa) Satz 1 wird wie folgt geändert:
- aaa) In Nummer 1 wird das Komma am Ende durch das Wort "sowie" ersetzt.
- bbb) Nummer 2 wird aufgehoben.
- ccc) Nummer 3 wird Nummer 2.
- bb) In Satz 2 werden die Wörter "der übrigen Personengruppen und der mitgeführten Gegenstände" gestrichen und nach dem Wort "im" das Wort "übrigen" eingefügt.
- aa) Satz 1 wird wie folgt geändert:
- b) Die Absätze 2 bis 4 werden aufgehoben.
5. § 152 wird wie folgt gefasst:
" § 152 Einnahmen aus Wertmarken
Von den durch die Ausgabe der Wertmarke erzielten jährlichen Einnahmen erhält der Bund einen Anteil von 20 Prozent. Dieser ist unter Berücksichtigung der in der Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni eines Kalenderjahres eingegangenen Einnahmen zum 15. Juli und unter Berücksichtigung der vom 1. Juli bis 31. Dezember eines Kalenderjahres eingegangenen Einnahmen zum 15. Januar des darauffolgenden Kalenderjahres an den Bund abzuführen."
6. § 153 wird wie folgt gefasst:
" § 153 Erfassung der Ausweise
Die für die Ausstellung der Ausweise nach § 69 Absatz 5 zuständigen Behörden erfassen
- 1. die am Jahresende im Umlauf befindlichen gültigen Ausweise, getrennt nach Art und besonderen Eintragungen,
- 2. die im Kalenderjahr ausgegebenen Wertmarken, unterteilt nach der jeweiligen Gültigkeitsdauer und die daraus erzielten Einnahmen als Grundlage für die nach § 148 Absatz 4 Nummer 1 und § 149 Absatz 2 Nummer 1 zu ermittelnde Zahl der Ausweise und Wertmarken. Die zuständigen obersten Landesbehörden teilen dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales das Ergebnis der Erfassung nach Satz 1 spätestens bis zum 31. März des Jahres mit, in dem die Prozentsätze festzusetzen sind."
Artikel 2
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am 1. Januar 2013 in Kraft.
Begründung:
A. Allgemeines
I. Ausgangslage
Das Recht auf unentgeltliche Beförderung vieler schwerbehinderter Kinder und Jugendlicher sowie Frauen und Männer im öffentlichen Personennahverkehr sichert den Berechtigten ein hohes Maß an Mobilität. Die zur Beförderung verpflichteten Verkehrsunternehmen erhalten als Ausgleich für die ihnen hierdurch entstehenden Einnahmeverluste Erstattungen entsprechend den §§ 148 bis 152 SGB IX.
Sowohl der Bund als auch die Länder sind hiernach - je nach anspruchsberechtigten Personen und Verkehrsmitteln - erstattungspflichtig. Dies führt bundesweit nicht nur zu Erstattungsleistungen an die Verkehrsunternehmen, sondern auch zu teilweise aufwändigen Verwaltungs- und Finanzbeziehungen zwischen dem Bund und den Ländern.
Mit den folgenden Änderungen lässt sich eine erhebliche Verwaltungsvereinfachung beim Bund und den Ländern sowie eine Vereinfachung der Finanzbeziehungen zwischen dem Bund und den Ländern erreichen, ohne dass die zur unentgeltlichen Beförderung verpflichteten Verkehrsunternehmen belastet werden.
Unabhängig davon sollte die Eigenbeteiligung der freifahrtberechtigten Personen für die Wertmarke entsprechend § 145 Absatz 1 SGB IX angemessen angepasst werden. Ihre Höhe ist seit 1984 unverändert, obwohl sich die Nutzungsmöglichkeiten, der damit verbundene Wert sowie Fahr- und Verbraucherpreise seitdem erheblich erhöht haben.
II. Inhalt des Entwurfes
Die Eigenbeteiligung der die Freifahrt im öffentlichen Personennahverkehr in Anspruch nehmenden schwerbehinderten Menschen wird von monatlich 5,00 Euro auf 6,00 Euro angehoben. Darüber hinaus unterliegt sie künftig einer Dynamisierung.
Die Möglichkeit der Rückerstattung des für die Ausgabe einer Wertmarke entrichteten Betrages wird auf für ein Jahr ausgegebene Wertmarken beschränkt. Unter der Voraussetzung, dass weniger als die Hälfte der Gültigkeitsdauer abgelaufen ist, wird die Hälfte des entrichteten Betrages erstattet.
Die Länder übernehmen künftig die Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr auch, soweit sie durch die unentgeltliche Beförderung
- a) schwerbehinderter Menschen im Sinne des § 145 Absatz 1 SGB IX, die auf Grund eines Grades der Schädigungsfolgen von mindestens 50 Anspruch auf Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz oder nach anderen Bundesgesetzen in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes haben oder Entschädigung nach § 28 des Bundesentschädigungsgesetzes erhalten,
- b) deren Begleitperson im Sinne des § 145 Absatz 2 Nummer 1 SGB IX sowie
- c) deren mitgeführter Gegenstände im Sinne des § 145 Absatz 2 Nummer 2 SGB IX entstehen.
Die Beteiligung des Bundes an den Einnahmen aus dem Verkauf von Wertmarken beschränkt sich künftig auf einen im Gesetz bezifferten Anteil in Höhe von 20 Prozent.
Unter gesetzlich geregelten Bedingungen sind künftig auch Aufgabenträger des öffentlichen Personennahverkehrs berechtigt, einen Antrag auf Erstattung in deren Gebiet entstandener Fahrgeldausfälle zu stellen; dies jedoch ausschließlich nach § 148 Absatz 4 SGB IX ("allgemeiner" vom-Hundert-Satz).
B. Besonderer Teil
Zu Artikel 1
Zu Nummer 1 (§ 145 Absatz 1)
- a) In Anbetracht der sich seit 1984 stetig weiterentwickelt habenden Nutzungsmöglichkeiten, insbesondere durch die Schaffung von Verkehrsverbünden im Bereich des ÖPNV und des erst kürzlich erweiterten Bewegungsradius bei Fahrten mit Nahverkehrszügen sowie vor dem Hintergrund der gestiegenen Fahr- und Verbraucherpreise erscheint die Erhöhung der Eigenbeteiligung nicht unangemessen.
- b) Die Dynamisierung der Höhe des im Zusammenhang mit der Ausgabe einer Wertmarke zu entrichtenden Betrages in Anlehnung an die Entwicklung der Ausgleichsabgabe-Beträge erscheint sachlich begründet durch die Anknüpfung an das Durchschnittsentgelt in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Die Einheitlichkeit des Zeitpunktes für die Erhöhung der Ausgleichsabgabe-Beträge einerseits und des im Zusammenhang mit der Ausgabe einer Wertmarke zu entrichtenden Betrages andererseits ist zur Minimierung des Verwaltungsaufwandes wünschenswert.
Da die Gültigkeitsdauer einer Wertmarke sich nicht nach dem Kalenderjahr richtet, ist eine Vorschrift zu der Frage, ab wann der höhere Betrag gilt, erforderlich. Die Regelung, ihn erst im Zusammenhang mit der Ausgabe der darauffolgenden Wertmarke entrichten zu müssen, liegt im Interesse der Nutzer und ist zudem aus Erwägungen zur Verwaltungspraktikabilität sinnvoll.
- d) Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass infolge der Erhöhung der Eigenbeteiligung die Nachfrage nach Halbjahres-Wertmarken zunimmt. Die Regelungen sind sowohl geeignet, die Nachfrage nach Wertmarken in der gewünschten Weise zu steuern, als auch unter dem Aspekt der finanziellen Belastung für den berechtigten Personenkreis zumutbar.
Zu Nummern 2 und 3 (§§ 148, 150)
Das System der Erstattung der Fahrgeldausfälle nach dem Modell des § 148 SGB IX ist nicht immer kompatibel mit der Realität des öffentlichen Personennahverkehrs. Antrags- und erstattungsberechtigte Verkehrsunternehmen sind häufig vertraglich an Aufgabenträger gebunden. Es ist daher ein alternatives Erstattungsverfahren mit Ausweitung der Antragsbefugnis sinnvoll. Künftig sind auch Aufgabenträger des öffentlichen Personennahverkehrs berechtigt, einen Antrag auf Erstattung in deren Gebiet entstandener Fahrgeldausfälle zu stellen; dies jedoch ausschließlich nach § 148 Absatz 4 SGB IX ("allgemeiner" vom-Hundert-Satz).
Zu Nummer 4 (§ 151)
Es entfällt die je Verkehrsunternehmen anteilig für Rechnung des Bundes zu leistende Erstattung der Fahrgeldausfälle und die Abführung der damit zusammenhängenden Einnahmen an den Bund (§ 151 Absatz 3 Satz 1 und 2 SGB IX/Entlastung der Länder).
Zu Nummer 5 (§ 152)
Die jährlich erzielten Einnahmen durch die Ausgabe der Wertmarke an schwerbehinderte Menschen im Sinne des § 151 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 SGB IX verbleiben bei den Ländern, es entfällt die Abführung dieses Anteils an den Bund (§ 152 Satz 1 Nummer 1 SGB IX - alt -/Entlastung der Länder). Im Übrigen erfolgt zukünftig eine pauschale Abführung an den Bund. Es entfällt dabei die jährliche Ermittlung des bundeseinheitlichen Anteils aus dem Verkauf von Wertmarken (§ 152 Satz 1 Nummer 2 SGB IX - alt -/Entlastung des Bundes).
Zu Nummer 6 (§ 153)
Es entfällt die Erfassung der Ausweise und der Wertmarken, soweit sie bisher auch getrennt nach der Zugehörigkeit zu einer der in § 151 Absatz 1 Satz 1 SGB IX genannten Gruppen erforderlich war (§ 153 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c und Nummer 2 SGB IX/Entlastung der Länder).
Zu Artikel 2
Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes. Übergangsvorschriften sind nicht erforderlich.