968. Sitzung des Bundesrates am 8. Juni 2018
A
Der federführende Ausschuss für Innere Angelegenheiten (In), der Ausschuss für Arbeit, Integration und Sozialpolitik (AIS), der Ausschuss für Frauen und Jugend (FJ), der Ausschuss für Familie und Senioren (FS) und der Rechtsausschuss (R) empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:
1. Zum Gesetzentwurf insgesamt
- a) Der Bundesrat stellt fest, dass der vom 17. März 2016 bis 16. März 2018 ausgesetzte Anspruch auf Familiennachzug bereits mit dem "Gesetz zur Verlängerung der Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten" vom 8. März 2018 (BGBl. I, Seite 342) zunächst bis zum 31. Juli 2018 weiter ausgesetzt wurde und zwar für diejenigen Personen, denen zwar keine politische Verfolgung, aber ein ernsthafter Schaden im Herkunftsland droht (sogenannte subsidiär Schutzberechtigte). Die im Jahr 2015 angestrebte Erleichterung des Anspruchs konnte nur für wenige Monate in Kraft treten.
- b) Der Bundesrat stellt weiter fest, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf geregelt werden soll, welchen Ehegatten oder minderjährigen ledigen Kindern eines subsidiär Schutzberechtigten ab dem 1. August 2018 aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann. Die Anzahl der nach dieser Vorschrift erteilten Aufenthaltserlaubnisse ist auf monatlich 1 000 Personen begrenzt (so genanntes Kontingent).
- c) Der Bundesrat ist der Auffassung, dass sich humanitäre Schutzbedürftigkeit und eine starre Kontingentlösung rechtlich schwerlich vereinbaren lassen. Ein humanitäres Kontingent schließt von vornherein aus, dass jedem Einzelfall tatsächlich Rechnung getragen wird. Auch aus integrationspolitischen Gründen ist eine Kontingentierung abzulehnen. Eine dauerhafte zahlenmäßige Beschränkung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten und damit ein faktischer Ausschluss des Familiennachzugs für eine gewisse Zahl an subsidiär Schutzberechtigten erschweren den Integrationsprozess für diese Menschen deutlich. Wer sich um seine Angehörigen im Herkunftsland sorgen muss, kann nur schwerlich im Aufnahmeland "ankommen" und sich um Spracherwerb und Arbeitsmarktintegration bemühen.
- d) Der Bundesrat kritisiert, dass subsidiär Schutzberechtigte im Vergleich zu anderen vergleichbaren Personengruppen wie zum Beispiel anerkannten Flüchtlingen schlechter gestellt werden, ohne dass diese Ungleichbehandlung sachlich überzeugend gerechtfertigt werden kann. Deren tatsächliche Lebenssituation unterscheidet sich nicht von der subsidiär Schutzberechtigter: Beiden Personengruppen ist es aufgrund der Situation in ihrem Herkunftsland nicht möglich, die Familieneinheit dort wieder herzustellen. Eine Ungleichbehandlung subsidiär Schutzberechtigter liegt aber auch im Vergleich zu anderen Ausländern vor, die im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sind. Diese haben gemäß §§ 27, 29 Absatz 1 AufenthG einen Anspruch auf Familiennachzug, wenn sie Lebensunterhalt und Wohnraum der Familie in der Bundesrepublik Deutschland sichern können und die sonstigen Voraussetzungen des § 5 AufenthG erfüllt sind. Jedenfalls dann, wenn subsidiär Schutzberechtigte sämtliche Bedingungen erfüllen, die allgemein für den Familiennachzug zu Ausländern gelten, erscheint ein Ausschluss des Familiennachzugs für diese Personengruppe verfassungsrechtlich auch unter dem Gesichtspunkt des Gleichbehandlungsgrundsatzes bedenklich.
- e) Für den Bundesrat ist sehr fraglich, ob eine dauerhafte Aussetzung des Anspruchs auf Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte sowie die vorgesehene Deckelung auf 1 000 Personen mit dem hohen Wert vereinbar ist, den das Grundgesetz in Artikel 6 dem Schutz der Familie und die UN-Kinderrechtskonvention dem Kindeswohl zumessen.
- f) Der Bundesrat teilt nicht die Auffassung, dass eine Aufrechterhaltung des Anspruchs die Integrationsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschlands übersteigt. Die Begründung, die zur erstmaligen Aussetzung des Familiennachzugs vorgetragen wurde (das heißt die größte Zahl von Asylsuchenden seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland, vgl. "Gesetzentwurf zur Einführung beschleunigter Asylverfahren", BT-Drucksache 18/7538, Seite 1) liegt jedenfalls jetzt ersichtlich nicht mehr vor. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) geht von nur zusätzlichen 50 000 bis 60 000 nachziehenden Angehörigen aus. Es liegen keine empirischen Erfahrungen seit der Änderung der Anspruchsvoraussetzungen im Jahr 2015 vor.
- g) Der Bundesrat begrüßt gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf Anpassungen wie etwa, dass sich die Regelung nicht mehr auf einen reinen Negativkatalog für den Nachzug beschränkt. Dies ist jedoch nicht ausreichend, um die durchgreifenden und grundlegenden Bedenken gegen die vorgeschlagene Neuregelung des § 36a Absatz 2 Satz 2 AufenthG-E auszuräumen.
- h) Der Bundesrat kritisiert zudem, dass der Gesetzentwurf zusätzlich zu der Kontingentierung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte den Familiennachzug auch für weitere Personengruppen einschränkt. So wird in § 27 Absatz 3a AufenthG-E der Familiennachzug insgesamt unter bestimmten Voraussetzungen beschränkt, das heißt auch zu Deutschen und Ausländerinnen und Ausländern, die nicht subsidiär schutzberechtigt sind. Dieses ist im Hinblick auf den Nachzug zu Deutschen und insbesondere Minderjährigen mit Blick auf Artikel 6 GG verfassungsrechtlich höchst bedenklich, da diese Personen effektiv auf das Familienleben im Ausland verwiesen werden.
2. Zu Artikel 1 Nummer 2 Buchstabe b (§ 27 Absatz 3a AufenthG)
Der Bundesrat begrüßt die nach Zuleitung des Gesetzentwurfs bekannt gewordene Absicht der Koalitionsfraktionen im Deutschen Bundestag zu einer Streichung der Ausnahmeregelungen für den Familiennachzug zu "geläuterten Gefährdern" und unterstützt diese in der Sache. Damit wird ein entsprechender Passus im Koalitionsvertrag umgesetzt.
Im Hinblick auf den notwendigen konsequenten Umgang mit Gefährdern wäre die Schaffung von Ausnahmetatbeständen ein falsches Signal.
3. Zu Artikel 1 Nummer 4 Buchstabe a (§ 32 Absatz 1 Nummer 5 AufenthG)
In Artikel 1 Nummer 4 Buchstabe a § 32 Absatz 1 ist Nummer 5 zu streichen.
Begründung:
Die Blaue Karte EU, die ICT-Karte und die Mobiler-ICT-Karte sind Titel des Abschnitts 4 und somit bereits in § 32 Absatz 1 Nummer 1 AufenthG-E enthalten.
4. Zu Artikel 1 Nummer 4 Buchstabe a ( § 32 Absatz 1 AufenthG), Nummer 6 (§ 36a AufenthG)
Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren den Ausschluss von verheirateten minderjährigen Kindern vom Familiennachzug zu ihren Eltern zu überprüfen, da insoweit ein Wertungswiderspruch zum grundsätzlichen Umgang mit Kinderehen besteht.
Begründung:
Eheschließungen von Minderjährigen sind im Hinblick auf das Wohl und die Entwicklung Minderjähriger kritisch zu sehen. Mit dem Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen wurden diese Ehen weitgehend geächtet. Im Inland sind Eheschließungen mit Minderjährigen nicht mehr möglich. Ehen, die im Ausland mit einer Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, geschlossen wurden, sind per se unwirksam; Ehen, die mit älteren Minderjährigen geschlossen wurden, sind gerichtlich unter dem Aspekt der Wahrung des Kindeswohl zu überprüfen und aufhebbar. Nur ausnahmsweise sollen sie Bestand haben. Vor diesem Hintergrund muss auch der Nachzug von verheirateten Minderjährigen zu ihren Eltern gewährleistet werden. Anderenfalls würde man diese Minderjährigen schutzlos stellen und sie zwingen, in einer potenziell kindeswohlschädlichen ehelichen Lebensgemeinschaft zu verharren. Der Ehegatte des oder der Minderjährigen würde von diesem Nachzugsrecht nicht erfasst, da dieser nicht zur Kernfamilie des subsidiär Schutzberechtigten gehört.
5. Zu Artikel 1 Nummer 4 Buchstabe b (§ 32 Absatz 4 Satz 3 AufenthG)
In Artikel 1 ist Nummer 4 Buchstabe b zu streichen.
Begründung:
§ 32 Absatz 4 AufenthG enthält bisher eine besondere Härtefallregelung für minderjährige ledige Kinder. Der Kindernachzug kann danach ermöglicht werden, wenn es auf Grund der Umstände des Einzelfalls zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist. Diese Härtefallregelung soll durch die Neuregelung des Familiennachzugsneuregelungsgesetzes für minderjährige ledige Kinder von subsidiär geschützten Eltern entfallen. Für die Betroffenen soll nur noch § 36a AufenthG-E in seiner neuen Fassung maßgeblich sein.
Eine Unterscheidung nach dem Schutzstatus der Eltern erscheint bei minderjährig ledigen Kindern, die eines besonderen Schutzes bedürfen, nicht sachgerecht. Dies umso mehr als es sich hier um eine Härtefallregelung handelt. Schon die Europäische Menschenrechtskonvention und die UN-Kinderrechtskonvention gebieten, das Kindeswohl bei Entscheidungen über eine Familienzusammenführung vorrangig zu berücksichtigen. Eine Einbeziehung in das in § 36a AufenthG-E vorgesehene Kontingent würde die Härtefallregelung konterkarieren.
6. Zu Artikel 1 Nummer 6 (§ 36a AufenthG)
- a) Der Bundesrat ist der Auffassung, dass der vorliegende Gesetzentwurf zu Einschnitten insbesondere für unbegleitete subsidiär geschützte Kinder und Jugendliche führen wird. Die Familie ist für die Entwicklung eines Kindes oder Jugendlichen von essentieller Bedeutung. Eltern geben ihren Kindern die nötige Stabilität und Unterstützung, die sie für ihre Entwicklung benötigen. Gerade geflüchtete Kinder und Jugendliche weisen häufig körperliche und psychische Beeinträchtigungen auf, die unter anderem auf die belastenden Erfahrungen während der Flucht und die Trennung von ihrer Familie zurückzuführen sind. Umso bedeutender ist für sie die Wiederherstellung der Einheit der gesamten Familie.
- b) Der Bundesrat sieht im Hinblick auf die Situation von subsidiär schutzberechtigten unbegleiteten Minderjährigen besonderen Handlungsbedarf und fordert die Bundesregierung auf, die Familienzusammenführung für subsidiär schutzberechtigte unbegleitete Minderjährige vorrangig und besonders dringlich auszugestalten. Auf diese Weise könnte dem besonderen Schutzbedürfnis von Kindern und Jugendlichen in stärkerem Maße Rechnung getragen werden.
7. Zu Artikel 1 Nummer 6 (§ 36a Absatz 1 Satz 2 AufenthG)
In Artikel 1 Nummer 6 § 36a Absatz 1 Satz 2 sind nach den Wörtern "für die Eltern" die Wörter "und minderjährigen Geschwister" einzufügen.
Begründung:
Der Gesetzesentwurf erlaubt nur den Nachzug von Eltern zu ihren unbegleiteten minderjährigen Kindern, aber nicht den Nachzug minderjähriger Geschwister. Damit sind die Eltern vor die Entscheidung gestellt, entweder ihr Kind in der Bundesrepublik Deutschland allein zu lassen oder aber ein Kind im Ausland zurückzulassen. Dies ist unzumutbar. Deshalb bedarf § 36a Absatz 1 Satz 2 AufenthG-E der vorgenannten Ergänzung. Dadurch wird der Elternnachzug gemeinsam mit minderjährigen Geschwistern ermöglicht und die Trennung der grundgesetzlich geschützten Familieneinheit vermieden.
8. Zum Gesetzentwurf im Allgemeinen
Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren die Frage eines Familiennachzugs von Geschwistern zu minderjährigen Kindern zu überprüfen.
Begründung:
Nach der geltenden Rechtslage können minderjährige Kinder im Rahmen des Familiennachzugs bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen nur ins Bundesgebiet nachziehen, wenn sich bereits mindestens ein Elternteil im Bundesgebiet befindet. Wenn sich - wie es bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern der Fall ist - kein Elternteil im Bundesgebiet befindet, können zwar die Eltern nachzugsberechtigt sein, nicht aber Geschwister. In Fällen, in denen - was häufig der Fall ist - noch weitere minderjährige Geschwister mit den Eltern im Herkunfts- oder einem Transitland leben, stellt dies Eltern vor die nicht zumutbare Situation, dass sie nur mit einem ihrer minderjährigen Kinder zusammenleben können und, wenn sie sich für einen Familiennachzug entschieden, andere minderjährige Kinder für ungewisse Dauer im Herkunfts- oder Transitland zurücklassen müssten. Das schließt den Nachzug zu unbegleiteten minderjährigen Ausländern häufig faktisch aus, obwohl gerade diese besonders auf die Familienzusammenführung angewiesen wären und erhebliche staatliche Anstrengungen notwendig sind, um diesen Minderjährigen die Eltern zu ersetzen.
9. Zu Artikel 1 Nummer 6 (§ 36a Absatz 1 und 2 AufenthG)
Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob und gegebenenfalls wie die Voraussetzungen und das Verfahren für den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten insgesamt noch klarer und rechtssicherer geregelt werden können. Es sollte insbesondere klar bestimmt werden, ob die humanitären Gründe im Sinne von § 36a Absatz 1 und 2 AufenthG-E als Tatbestandsvoraussetzungen (volle gerichtliche Überprüfbarkeit) oder als ermessenslenkende Kriterien (eingeschränkte gerichtliche Überprüfbarkeit) zu verstehen sind. Gleiches gilt für die nach § 36a Absatz 2 Satz 3 und 4 AufenthG-E zu berücksichtigenden Belange des Kindeswohls und Integrationsaspekte. Zudem sollte das Verhältnis dieser Belange zu den humanitären Gründen aus der Vorschrift klar ersichtlich sein. Die Kontingentbestimmung in § 36a Absatz 2 Satz 2 AufenthG-E sollte als Verfahrensregelung bevorzugt getrennt von den materiellen Kriterien in einem eigenen Absatz geregelt werden. Darüber hinaus sollte erwogen werden, eine Verordnungsermächtigung für die Regelung der Einzelheiten des Auswahlverfahrens nach § 36a AufenthG-E mit aufzunehmen.
Begründung:
Es ist zu erwarten, dass die Verwaltungsgerichte über eine Vielzahl von Eilanträgen oder Klagen gegen ablehnende Entscheidungen zum Familiennachzug nach § 36a AufenthG-E zu entscheiden haben. Daher besteht ein besonderes justizielles Interesses an einer praktikablen und rechtssicher zu handhabenden Regelung. Unklarheiten bei der Auslegung der Vorschrift sollten so weit wie möglich vermieden werden. Insbesondere sollte klargestellt werden, ob es sich bei den humanitären Gründen im Sinne von § 36a Absatz 1 und 2 AufenthG-E um Tatbestandsmerkmale oder ermessenslenkende Kriterien handelt. Gleiches gilt für die weiteren Belange in § 36a Absatz 2 Satz 3 und 4 AufenthG-E. Zudem ist das Verhältnis zwischen den aufgeführten humanitären Gründen und den darüber hinaus zu berücksichtigenden Belangen des Kindeswohls und Integrationsaspekten nicht hinreichend klar. Es empfiehlt sich zudem, die Kontingentbestimmung als Verfahrensregelung in einem eigenen Absatz zu regeln. Schließlich sollte erwogen werden, eine Verordnungsermächtigung zur Regelung der Einzelheiten des Verfahrens mit aufzunehmen.
10. Zu Artikel 1 Nummer 6 (§ 36a Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 AufenthG)
Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren die Formulierung des Regelbeispiels für einen humanitären Grund zu überprüfen, dass die Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft seit langer Zeit nicht möglich ist.
Begründung:
Zum einen ist unklar, ab welchem Zeitablauf von einer "langen Zeit" auszugehen ist. Zum anderen soll nach der Gesetzesbegründung das Kriterium nicht erfüllt sein, wenn die Familienzusammenführung in einem Drittstaat möglich ist bzw. möglich gewesen wäre. Erst in der Gesetzesbegründung wird klar, dass das Regelbeispiel auch erfüllt sein soll, wenn die Herstellung der familiären Gemeinschaft in einem Drittstaat nicht zumutbar ist. Zumindest dies sollte auch im Gesetzeswortlaut selbst hinreichenden Niederschlag finden. Es erscheint aber insgesamt zweifelhaft, ob die Formulierung dieses Regelbeispiels geglückt ist. Die Frage, ob die Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft in einem Drittstaat möglich und zumutbar ist, führt zu erheblichen Prognose- und Beurteilungsunsicherheiten auf Seiten der Betroffenen, aber auch der Rechtsanwender. Da für den Familiennachzug ohnehin Voraussetzung ist, dass einem Angehörigen subsidiärer Schutz im Inland gewährt wurde, eine lange Dauer der familiären Trennung erforderlich ist und Integrationsleistungen im Inland eine besondere Rolle spielen, erscheint es zweifelhaft, ob bzw. in welchen Fällen es überhaupt sachgerecht sein kann, die Betroffenen darauf zu verweisen, dass die Möglichkeit besteht oder bestanden hätte, die familiäre Lebensgemeinschaft an einem anderen Ort herzustellen. Alternativ könnte lediglich auf die Dauer der familiären Trennung abgestellt werden.
11. Zu Artikel 1 Nummer 6 (§ 36a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 Satz 2 AufenthG)
In Artikel 1 Nummer 6 ist in § 36a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 Satz 2 nach dem Wort "qualifizierte" das Wort "ärztliche" einzufügen.
Begründung:
Nach der Begründung des Gesetzentwurfs ist hinsichtlich der Anforderungen an eine qualifizierte Bescheinigung die Regelung des § 60a Absatz 2c Satz 3 AufenthG-E heranzuziehen, wonach eine ärztliche Bescheinigung erforderlich ist. In den Wortlaut ist dementsprechend - wie bei § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 AufenthG-E - der Zusatz "ärztliche" aufzunehmen.
12. Zu Artikel 1 Nummer 6 (§ 36a Absatz 2 Satz 1 AufenthG)
Der Bundesrat bittet, im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zu prüfen, ob der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten unabhängig von humanitären Gründen in den Fällen erlaubt werden kann, in denen der Integrationsaufwand voraussichtlich gering sein wird. Dies ist in den Fällen anzunehmen, in denen die Person, zu welcher der Nachzug erfolgt, den Lebensunterhalt sowohl für sich als auch für die nachzugsberechtigten Personen überwiegend sichern kann.
13. Zu Artikel 1 Nummer 6 (§ 36a Absatz 2 Satz 2 AufenthG)
- a) Der Bundesrat hat Bedenken, ob mit dem vorliegenden Gesetzentwurf das Ziel erreicht wird, zum angemessenen Ausgleich des Interesses an Migrationssteuerung mit dem Schutz von Ehe und Familie monatlich 1 000 Personen den Nachzug zu ihren subsidiär schutzberechtigten Angehörigen ins Bundesgebiet zu gewähren.
- b) Durch die Ausgestaltung als Kontingentlösung sind die Entscheidungen für die Betroffenen nur eingeschränkt justitiabel. Es bedarf daher einer dauerhaften gesetzlichen Regelung zu den Folgen eines nicht ausgeschöpften Kontingents, damit der angestrebte Ausgleich zwischen dem völker-, europa- und grundrechtlich gebotenen Ehe- und Familienschutz und dem öffentlichen Interesse an einer Steuerung der Zuwanderung erreicht wird.
- c) Angesichts der hohen Bedeutung des Schutzes von Ehe und Familie muss gewährleistet sein, dass der Familiennachzug nicht an Problemen im Verwaltungsvollzug scheitert. Die angemessene Berücksichtigung des Ehe- und Familienschutzes sollte daher durch eine rechtlich gesicherte und dauerhafte Übertragung nicht ausgeschöpfter Kontingentanteile auf Folgemonate gewährleistet werden.
14. Zu Artikel 1 Nummer 6 (§ 36a Absatz 2 Satz 2 AufenthG)
- a) Für den Fall, dass es bei der im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Kontingentlösung bleibt, bittet der Bundesrat, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, in welcher Weise ein transparentes und mit den Ländern abgestimmtes Verfahren zur Festlegung eines Rankings geschaffen werden kann. Der vorliegende Gesetzentwurf lässt offen, welche Gewichtung das Bundesverwaltungsamt bei der Anwendung der im Gesetz verankerten Kriterien vornehmen wird. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die Länder bei der Entwicklung und Gewichtung von Kriterien für ein Ranking zu beteiligen.
- 15.[b) Er bittet ferner, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob nicht ausgeschöpfte Kontingente in Folgemonate übertragen werden können. Diese Frage ist im vorliegenden Gesetzentwurf offen geblieben.]
16. Zu Artikel 1 Nummer 6 (§ 36a Absatz 3 Nummer 2 Buchstabe a, c AufenthG)
In Artikel 1 Nummer 6 § 36a Absatz 3 ist Nummer 2 wie folgt zu ändern:
- a) In Buchstabe a sind die Wörter "Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr" durch die Wörter "Geldstrafe von mindestens 180 Tagessätzen oder Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten" zu ersetzen.
- b) In Buchstabe c sind die Wörter "einem Jahr" durch die Wörter "sechs Monate" zu ersetzen.
Begründung:
Die Regelausschlussgründe für den Familiennachzug, die sich auf Straftaten desjenigen, zu dem der Familiennachzug erfolgen soll, stützen, sollten strenger gefasst werden. Die Aufenthaltserlaubnis sollte bereits bei Straftaten mit einem geringeren Strafmaß, als zur Annahme eines schwerwiegenden Ausweisungsinteresses in § 54 Absatz 2 Nummer 1 bis 3 AufenthG festgelegt, im Regelfall ausgeschlossen werden.
17. Zu Artikel 1 Nummer 6 (§ 36a AufenthG)
Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsamts für die intern rechtlich verbindlichen Entscheidungen einer neu zu schaffenden Rechtsgrundlage bedarf.
Begründung:
Im Rahmen der Visaverfahren haben bislang stets die Auslandsvertretungen, gegebenenfalls unter Beteiligung der zuständigen Ausländerbehörden, über Visaanträge entschieden. Die entsprechenden Rechtsgrundlagen finden sich in § 71 AufenthG und §§ 31 ff. AufenthV. Die Tätigkeiten des Bundesverwaltungsamtes beschränkten sich dabei in der Regel auf den Datentransfer zwischen Auslandsvertretung und Ausländerbehörde. Nunmehr soll das Bundesverwaltungsamt im Rahmen des § 36a AufenthG intern rechtlich verbindliche Entscheidungen treffen und dabei unter anderem auch sicherheitsrelevante Sachverhalte verarbeiten. Eine derartige Zuständigkeit ist weder im Aufenthaltsgesetz noch in der Aufenthaltsverordnung verankert.
18. Zu Artikel 1 Nummer 6 (§ 36a AufenthG)
- a) Der Bundesrat schließt sich der Auffassung des Normenkontrollrats an, dass erhebliche Unsicherheiten bezüglich der Umsetzbarkeit des vorliegenden Gesetzes bestehen.
- b) Es erscheint zweifelhaft, ob die im Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen für die Annahme von humanitären Gründen hinreichend verlässlich und in angemessener Zeit ermittelbar sind.
- c) Unklar bleibt, auf welche Weise bzw. mit welcher Gewichtung Integrationsaspekte bei der Auswahlentscheidung besonders zu berücksichtigen sind. Da die aufgeführten humanitären Gründe schwer wiegen, erschiene es problematisch, wenn durchschnittliche oder geringere Integrationsleistungen faktisch zu einem - langjährigen - Ausschluss vom Familiennachzug nach § 36a AufenthG-E führen würden.
- d) Es ist außerdem unklar, wie die Priorisierung der Anträge durch das Bundesverwaltungsamt letztendlich erfolgen soll, insbesondere ob die Auswahlentscheidung aufgrund einer qualitativen Gewichtung der verschiedenen Faktoren oder nach reinem Zeitfaktor ("Windhundprinzip") erfolgen soll. Es erscheint problematisch, diese Entscheidungen derart weitgehend dem Verwaltungsvollzug zu überlassen.
- e) Um sicherzustellen, dass das Gesetz zeitnah nach dem Inkrafttreten auch praktisch angewendet werden kann, ist der Erlass von Hinweisen zur gesetzlichen Umsetzung dringend notwendig.
- f) Der Bundesrat begrüßt, dass ausdrücklich klargestellt ist, dass §§ 22 und 23 AufenthG neben § 36a AufenthG-E weiterhin anwendbar sind.
- g) Es sind zeitnahe Hinweise für die Verwaltung erforderlich, wie sich §§ 22 und 23 AufenthG zu § 36a AufenthG-E verhalten.
- h) Da § 22 AufenthG bislang nur in sehr wenigen Fällen des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten zur Anwendung gekommen ist, ist eine Klarstellung erforderlich, in welchen Fällen die Anwendung dieser Norm geboten ist. Dies ist insbesondere erforderlich, um Härten, die durch die Kontingentlösung oder aufgrund von Schwierigkeiten im Verwaltungsvollzug eintreten können, zu vermeiden.
19. Zu Artikel 1 Nummer 12 (§ 104 Absatz 13 AufenthG)
In Artikel 1 Nummer 12 ist § 104 Absatz 13 wie folgt zu fassen:
(13) Für den Familiennachzug zu Ausländern, denen bis zum 17. März 2016 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative erteilt worden ist, gelten die Vorschriften von Kapitel 2 Abschnitt 6 in der bis zum 16. März 2016 geltenden Fassung. §§ 27 Absatz 3a, 36a Absatz 3 und 79 Absatz 3 gelten entsprechend. Eine Anrechnung auf die Kontingente nach § 36a Absatz 2 Satz 4 findet nicht statt."
Begründung:
Die im Gesetzentwurf vorgeschlagene Regelung ist schwer verständlich und inhaltlich nicht sachgerecht. Es ist nicht nachvollziehbar, warum auch für die Altfälle, die bereits bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren am 17. März 2016 eine Aufenthaltserlaubnis erhalten hatten und für die deshalb der Familiennachzug bisher nicht ausgesetzt war, nun noch eine Verschärfung vorgenommen werden soll. Auch erscheint es unzweckmäßig, zur Geltendmachung solcher Rechte eine - zudem unfair kurze - Frist zu setzen, die die Betroffenen zum Handeln zwingt und damit ohne Not eine zusätzliche Belastung der zuständigen Behörden bewirkt. Zudem sollte Klarheit geschaffen werden, dass derartige Altfälle auf die Kontingente nicht angerechnet werden.
20. Zum Gesetzentwurf allgemein - Evaluierung
Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren eine Regelung zur Evaluierung in das Gesetz aufzunehmen.
[Die im Gesetz vorgesehenen komplexen Prüfvorschriften und deren Ausführung im Zusammenwirken von Bundesverwaltungsamt, Auswärtigem Amt, Auslandsvertretungen, Ausländerbehörden sowie Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern stellen Neuerungen dar, deren Wirkung in der Praxis vorab schwer absehbar ist. Der Normenkontrollrat sieht in seiner Stellungnahme "erhebliche Vollzugsunsicherheiten" und hält eine Evaluierung für angezeigt. Er verweist zudem auf einen Beschluss des Staatssekretärs-Ausschusses Bürokratieabbau, wonach Regelungsvorhaben mit einem Erfüllungsaufwand von über eine Million Euro zu evaluieren sind.]*
21. Zur Vorbereitung eines Einwanderungsgesetzes
Der Bundesrat appelliert an die Bundesregierung, unverzüglich mit den Vorbereitungen für den Erlass eines Einwanderungsgesetzbuches zu beginnen, das einen abgestuften Familiennachzug nach ausschließlich inhaltlichen Kriterien sowohl zu Erwerbseinwanderern als auch zu humanitär Schutzberechtigten vorsieht.
Begründung:
Eine moderne, kohärente und verständlichere Regelung des Zuwanderungsrechts in seiner Gesamtheit kann nur erreicht werden, wenn die Arbeiten an einem Einwanderungsgesetz zügig aufgenommen werden. Diese Aufgabe sollte von der Bundesregierung mit hoher Priorität angegangen werden.
B
22. Der Finanzausschuss empfiehlt dem Bundesrat, gegen den Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes keine Einwendungen zu erheben.
* Der FJ hat [diesen Absatz] lediglich als Begründung beschlossen.