Empfehlungen der Ausschüsse
Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung

945. Sitzung des Bundesrates am 13. Mai 2016

A

Der federführende Rechtsausschuss (R) und der Ausschuss für Frauen und Jugend (FJ) empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:

1. Zum Gesetzesentwurf insgesamt:

Damit geht der vorliegende Gesetzesentwurf, der einen begrüßenswerten ersten Schritt in die richtige Richtung darstellt, nicht weit genug. Er setzt weder das Neinheißt-Nein-Prinzip um, noch erfüllt er die Vorgaben des von der Bundesrepublik Deutschland schon im Jahr 2011 unterzeichneten Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention), deren Erfüllung seitens der Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf die beabsichtigte Ratifizierung unerlässlich ist.

2. Zu Artikel 1 ( § 177 StGB)

Der Bundesrat bittet, im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens zeitnah zu prüfen, anstatt der Modifizierung des § 179 StGB zu einem Tatbestand "Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung besonderer Umstände" eine Änderung des § 177 StGB dahin gehend vorzunehmen, dass im Grundtatbestand mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft wird, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person gegen deren erklärten Willen oder unter Umständen, unter denen die fehlende Zustimmung offensichtlich ist, vornimmt oder von dieser an sich vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung einer solchen Handlung an sich selbst oder mit einem Dritten bestimmt. Besondere, erschwerende Umstände könnten dann als Regelbeispiele und die sexuelle Nötigung als Qualifikation mit erhöhtem Strafrahmen ausgestaltet werden. Das abgestufte System des § 177 StGB wäre im modifizierten Tatbestand zu übernehmen.

§ 184h Nummer 1, § 179 und § 240 Absatz 1 Nummer 4 StGB wären demnach zu streichen und die Strafrahmen der übrigen Delikte des 13. Abschnitts des StGB anzupassen. Ferner soll eine Ausgestaltung des neu geschaffenen Tatbestandes als Antragsdelikt geprüft werden.

Begründung:

3. Zu Artikel 1 Nummer 3a - neu - (§ 184i StGB)

Nach Artikel 1 Nummer 3 ist folgende Nummer einzufügen:

'3a. Nach § 184h wird folgender § 184i eingefügt:

" § 184i Sexuelle Belästigung

Als Folge ist Artikel 1 Nummer 1 wie folgt zu fassen:

'1. Die Inhaltsübersicht wird wie folgt geändert:

Begründung:

Es dürfte inzwischen weitgehend Einvernehmen bestehen, dass insbesondere zur Erfassung der "Grabscher-Fälle" ein Erfordernis für einen neuen Straftatbestand der "Sexuellen Belästigung" besteht.

Zwar werden nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung künftig sexuelle Übergriffe, bei denen der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt, als Sexualdelikt erfasst sein. Allerdings werden damit nicht alle Fälle des "Begrabschens" in den Griff zu bekommen sein. So sind z.B. kurze, belästigende Berührungen über der Kleidung nicht erheblich im Sinne von § 184h Nummer 1 StGB und deshalb nach dem Gesetzentwurf weiterhin nicht tatbestandsmäßig. Auch § 185 StGB in Form der (tätlichen) Beleidigung auf sexueller Basis läuft in solchen Fällen häufig leer, da die erforderliche Ehrverletzungsabsicht schwer nachzuweisen ist.

Daher bedarf es der Einführung eines Tatbestandes der "Sexuellen Belästigung" im 13. Abschnitt des StGB außerhalb der Reichweite der Erheblichkeitsschwelle des § 184h StGB.

Die Ausgestaltung als Antragsdelikt trägt dem vergleichsweise geringen Unrechtsgehalt einzelner in Betracht kommender Taten Rechnung. Eine unerwünschte Kriminalisierung zwischenmenschlicher Bereiche wird damit vermieden. Aufgrund des Strafantragserfordernisses kann das Opfer selbst darüber bestimmen, ob es einen Eingriff in seine sexuelle Selbstbestimmung als verfolgenswert empfindet oder nicht.

4. Zu Artikel 1 Nummer 3a - neu - (§ 179a - neu - StGB)

In Artikel 1 ist nach Nummer 3 folgende Nummer einzufügen:

'3a. Nach § 179 wird folgender § 179a eingefügt:

" § 179a Tätliche Sexuelle Belästigung

Als Folge ist Artikel 1 Nummer 1 ist wie folgt zu fassen:

'1. Die Inhaltsübersicht wird wie folgt geändert:

Begründung:

Der vorgelegte Gesetzentwurf geht nicht weit genug, das hat der Bundesrat auch in der Entschließung vom 18. März 2016, vgl. BR-Drucksache 091/16(B) HTML PDF deutlich gemacht. Durch den Gesetzentwurf werden nicht alle nicht einverständlichen sexuellen Handlungen unter Strafe gestellt, wie es aber das von der Bundesrepublik unterzeichnete Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt vom 11. Mai 2011 (sogenannte Istanbul-Konvention) fordert. Es bleiben Strafbarkeitslücken bestehen. Denn die Strafbarkeit einer sexuellen Handlung gegen den Willen einer anderen Person hängt auch nach dem Gesetzentwurf weiterhin davon ab, ob die Person Widerstand leistet oder aufgrund bestimmter Umstände keinen Widerstand leisten kann. Sexuelle Handlungen ohne Überraschungs- oder Nötigungselement bleiben weiterhin ungeregelt, auch wenn sie gegen den explizit vorgetragenen Willen einer anderen Person vorgenommen werden. In Anlehnung an die Stellungnahme des Juristinnenbundes vom 18. Februar 2016 zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz "Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung", sollte daher ein neuer Straftatbestand " § 179a Tätliche Sexuelle Belästigung" eingeführt werden.

Durch die Schaffung eines neuen Straftatbestandes " § 179a Tätliche Sexuelle Belästigung" werden bestehende Strafbarkeitslücken geschlossen. Bisher blieben sexuelle Handlungen, die unterhalb der Erheblichkeitsschwelle des § 184h Nummer 1 StGB liegen, straflos oder konnten nur nach § 240 StGB (Nötigung) oder § 185 StGB (Beleidigung) bestraft werden. Der neue Straftatbestand wird dem erforderlichen Schutz der sexuellen Selbstbestimmung, die bei sexuellen Handlungen gegen den Willen einer Person verletzt ist, besser gerecht als § 240 StGB (Nötigung), der vorrangig die Freiheit der Willensentschließung schützt und als § 185 StGB, der die Ehre schützt. Das Tatbestandsmerkmal "sexuelle Belästigung" lässt einen Rückgriff auf die Rechtsprechung zu § 3 Absatz 4 AGG zu. Eine sexuell bestimmte körperliche Berührung ist danach eine sexuelle Belästigung, ohne dass es dabei auf deren Erheblichkeit ankommt. Hierunter lässt sich auch das sogenannte Grabschen subsummieren. Damit wäre künftig auch etwa ein Griff an das bekleidete Gesäß, den Busen oder zwischen die Beine strafbar und zwar unabhängig davon, ob sich der Übergriff im öffentlichen oder im privaten Raum ereignet. Des Weiteren werden auch Fälle erfasst, die nach dem Gesetzentwurf noch straflos bleiben würden. Beispielsweise eine sexuelle Handlung gegen den Willen einer Person, die zwar erheblich ist, bei der aber die weiteren Voraussetzungen des § 179 Absatz 1 StGB (Ausnutzen besonderer Umstände) nicht erfüllt sind. Der § 179a StGB dient damit auch als Auffangtatbestand für die Fälle, die zwar strafwürdig sind, sich aber (etwa aufgrund von Besonderheiten im Einzelfall) nicht unter die Tatbestänr §§ 177, 179 StGB subsumieren lassen. Das Tatbestandsmerkmal "tätliche sexuelle Belästigung" verhindert eine Ausuferung der Strafbarkeit, indem klargestellt wird, dass es sich um eine unmittelbare körperliche Einwirkung auf das Opfer handeln muss. Rein verbale Angriffe reichen für eine Strafbarkeit nicht aus.

Der Strafrahmen, der von Geldstrafe bis zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren reicht, lässt es zu, dass der Schwere der Tat im Einzelfall Rechnung getragen wird.

Die Ausgestaltung als reines Antragsdelikt wahrt die Opferautonomie.

5. Zu Artikel 1 Nummer 3 (§ 179 StGB)

Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, auf welche Weise sexuellen Übergriffen aus Gruppen heraus mit strafgesetzgeberischen Mitteln besser entgegengetreten werden kann.

Begründung:

Nicht zuletzt die Vorfälle in der letzten Silvesternacht in Köln und anderen Städten haben gezeigt, dass der strafrechtliche Schutz vor sexuellen Übergriffen verbessert werden muss. Außerhalb von Abhängigkeitsverhältnissen und Situationen eingeschränkter Entscheidungs- und Einwilligungsfähigkeit sind sexuelle Handlungen grundsätzlich nur dann strafbar, wenn sie mit einem Nötigungselement verbunden sind. Der Gesetzentwurf erweitert hier den strafrechtlichen Schutz, indem durch die vorgeschlagenen Neuregelungen in § 179 StGB-E weitere Konstellationen sexueller Übergriffe strafrechtlich erfasst werden.

Das schöpft den Regelungsbedarf jedoch nicht aus. Weiterhin nicht hinreichend berücksichtigt wird die Situation, dass sexuelle Übergriffe aus Gruppen heraus oder durch diese begangen werden. Derartige Phänomene stellen eine besondere Gefahr für das geschützte Rechtsgut dar, denn die Übermacht einer Personenmehrheit verschlechtert die Lage für die betroffene Person deutlich. So ist die für Gruppen typische Eigendynamik geeignet, bei dem einzelnen Beteiligten das Gefühl persönlicher Verantwortung zurückzudrängen, eine gegenseitige Stimulierung der Mitglieder und einen entsprechenden Gruppendruck zu bewirken und die Verfolgung entsprechender Taten zu erschweren. Das Opfer wird häufig auch nicht erkennen können, ob und wenn ja aus welcher Richtung die Übergriffe drohen. Es ist daher angezeigt, für derartige Formen sexueller Übergriffe eine klare und spezifische strafrechtliche Regelung vorzusehen, die das Unrecht entsprechender Taten hinreichend abbildet.

Die vorgeschlagenen Neuregelungen in § 179 StGB-E werden diesem Erfordernis nicht hinreichend gerecht. Zum einen sind sexuelle Übergriffe nur dann erfasst, wenn sie eine der angeführten Tatvarianten erfüllen. Ein bloßes Handeln gegen oder ohne den Willen des Opfers genügt nicht. Zum anderen blenden die Regelungen das "Gruppenphänomen" weitgehend aus und orientieren sich am Einzeltäter. Zwar ist in § 179 Absatz 5 Nummer 2 StGB-E ein Qualifikationstatbestand für Fälle vorgesehen, in denen die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird (s. auch § 177 Absatz 2 Satz 2 Nummer 2 StGB). Voraussetzung hierfür ist jedoch nach herrschender Meinung, dass mindestens zwei Personen mit derselben Zielrichtung als Täter handeln. Davon wird man häufig nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgehen können. Schließlich werden auch die allgemeinen Regelungen zur Täterschaft und Teilnahme dem Phänomen nicht gerecht.

Es bedarf daher weitergehender Überlegungen, auf welche Weise der Schutz vor derartigen Taten durch den Strafgesetzgeber verbessert werden kann.

Zu denken ist dabei nicht nur an eine Erweiterung der bestehenden Qualifikationstatbestände in den §§ 177, 179 StGB, sondern beispielsweise auch an eine Regelung, nach der sich bereits derjenige - als Täter - strafbar macht, der sich an einer Gruppe beteiligt, aus der heraus oder durch die, sexuelle Handlungen an einer anderen Person, gegen oder ohne deren Willen, vorgenommen werden.

6. Zu Artikel 1 Nummer 3 Buchstabe b (§ 179 Absatz 1 Nummer 2 StGB)

Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, wie von der Strafbarkeit der überraschenden Vornahme sexueller Handlungen nicht strafwürdige Fallgestaltungen ausgenommen werden können.

Begründung:

Es ist grundsätzlich zu begrüßen, dass durch die Neufassung des § 179 Absatz 1 Nummer 2 StGB die Vornahme einer sexuellen Handlung unter Ausnutzung einer Lage, in der eine andere Person aufgrund der überraschenden Begehung der Tat zum Widerstand unfähig ist, unter Strafe gestellt werden soll. Allerdings reicht diese Strafdrohung sehr weit und erfasst Sachverhalte, die kaum als strafwürdig angesehen werden können.

So würde es auch unter die Strafnorm fallen, wenn in einer intimen Beziehung der eine Partner überraschend eine sexuelle Handlung an dem anderen Partner vornimmt, beispielsweise um ihn zu weiteren, einvernehmlichen sexuellen Handlungen zu motivieren. Ein solches Verhalten ist nicht strafwürdig. Es sollte deshalb nicht als Straftat erfasst werden, die auch noch, selbst im minder schweren Fall, mit erhöhter Mindeststrafdrohung versehen ist. Die Erwartung, dass solche Sachverhalte wohl kaum angezeigt würden, wäre trügerisch. Nach der Beendigung von Beziehungen wäre durchaus mit Strafanzeigen zu rechnen, und sei es nur, um sich in einem Sorgerechtsstreit eine bessere Position zu verschaffen. Die Verjährungsfrist beträgt zehn Jahre (§ 78 Absatz 3 Nummer 3 StGB); sie endet frühestens mit Vollendung des vierzigsten Lebensjahres des Opfers (§ 78b Absatz 1 Nummer 1 StGB). Deshalb wäre der "Täter", der sich einmal solchermaßen in einer Beziehung verhalten hat, unter Umständen über Jahrzehnte von Freiheitsstrafe bedroht.

Es erscheint geboten, die Strafnorm auf strafwürdige Sachverhalte zu begrenzen und insbesondere nicht zu beanstandendes Sexualverhalten innerhalb von intimen Beziehungen auszunehmen.

7. Zu Artikel 1 Nummer 3 Buchstabe b (§ 179 Absatz 1 Nummer 3 StGB)

Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob die Strafbarkeit gemäß § 179 Absatz 1 Nummer 3 StGB-E auf Fälle zu beschränken ist, in denen das Opfer Anlass hat, im Falle des Widerstands ein empfindliches Übel zu befürchten.

Begründung:

Die vorgesehene Strafbarkeit gemäß § 179 Absatz 1 Nummer 3 StGB-E reicht unter verschiedenen Aspekten sehr weit. Jedenfalls wenn sich die Rechtsanwendung an § 240 StGB orientiert, werden auch weniger gewichtige Bedrängnisse, die eine Person als belastend empfinden kann, erfasst. Ein dem Erfordernis der Verwerflichkeit der Zweck-Mittel-Relation (§ 240 Absatz 2 StGB) entsprechendes Korrektiv ist nicht vorgesehen. Der Täter muss die Befürchtung nicht ausgelöst haben und das Opfer muss das empfindliche Übel nicht von ihm befürchten. Selbst völlig irreale Vorstellungen des Opfers werden erfasst.

Es erscheint sachgerecht, jedenfalls solche Fälle aus der Strafbarkeit auszunehmen, in welchen es für das vom Opfer befürchtete empfindliche Übel keinen objektiven Anhaltspunkt in der Außenwelt gibt. Strafwürdig erscheinen nur Sachverhalte, in welchen das Opfer Anlass hat, im Falle des Widerstands ein empfindliches Übel zu befürchten. Das würde immer noch Sachverhalte erfassen, in welchen der Eintritt des Übels zwar objektiv nicht zu erwarten ist, es aus Sicht des Opfers aber objektivierbare Anhaltspunkte dafür gibt, dass das Übel eintreten könnte.

8. Zu Artikel 1 Nummer 3 Buchstabe e (§ 179 Absatz 5 StGB)

Der Bundesrat bittet, im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu prüfen, ob die Strafdrohungen für die Qualifikationen des § 179 Absatz 5 StGB je nach Tatvariante des § 179 Absatz 1 StGB-E differenziert auszugestalten sind.

Begründung:

Der Gesetzentwurf sieht bisher vor, bei den Qualifikationen des § 179 Absatz 5 StGB lediglich eine Folgeänderung vorzunehmen.

Durch die Erweiterung des Grundtatbestandes des § 179 Absatz 1 StGB-E über die bisherigen Fälle der Widerstandsunfähigkeit hinaus, würden dadurch aber sehr unterschiedliche Fallgestaltungen, die auch unterschiedliches Gewicht haben, unterschiedslos als Verbrechenstatbestand einer Strafdrohung von zwei bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe unterworfen. In gewisser Weise erkennt auch der Gesetzentwurf, dass eine differenzierte Strafdrohung angezeigt ist, indem für die minder schweren Fälle der Qualifikationen des § 179 Absatz 1 Nummer 1 StGB-E einerseits und der Qualifikationen des § 179 Absatz 1 Nummer 2 und 3 StGB-E andererseits unterschiedliche Strafrahmen vorgesehen sind (§ 179 Absatz 6 StGB-E).

Besonders augenfällig tritt das Missverhältnis beim Vergleich des Beischlafs mit einem durch körperliche oder psychische Behinderung im bisherige Sinne widerstandsunfähigen Opfer und dem Beischlaf mit einem Opfer, das im Falle des Widerstands - möglicherweise ohne jeden objektiven Anhaltspunkt - ein empfindliches Übel befürchtet, zu Tage. Während es im ersten Fall durchaus sachgerecht ist, dieselbe Strafe wie im Falle der Vergewaltigung eines nicht widerstandsunfähigen Opfers durch Gewalt oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben anzudrohen (§ 177 Absatz 2 StGB), ist das im zweiten Fall nicht so. So ist in der Begründung des Gesetzentwurfes als Beispielfall für § 179 Absatz 1 Nummer 3 StGB-E genannt, dass sich eine Angestellte auf das sexuelle Ansinnen eines Vorgesetzten einlässt, weil sie ansonsten ihre Kündigung befürchtet. Vergleichbar einzuschätzen wäre wohl der Fall, dass sich eine Ehefrau weiterhin auf den Beischlaf mit ihrem Ehemann einlässt, weil sie befürchtet, dieser werde sich ansonsten - mit erheblichen wirtschaftlichen Folgen für sie - scheiden lassen. Es drängt sich auf, dass es sich bei solchen Fallkonstellationen auch im Falle des Beischlafs nicht um Geschehnisse handelt, die eine Einstufung als Verbrechen mit einer Mindeststrafe von zwei Jahren rechtfertigen.

Es erscheint deshalb geboten, bei der Einstufung als Qualifikation und bei deren Gewichtung zwischen den unterschiedlichen Grundtatbeständen des § 179 Absatz 1 Nummer 1 bis 3 StGB-E zu differenzieren.

9. Zu Artikel 1 Nummer 4 (§ 240 Absatz 4 Satz 2 Nummer 1 StGB)

Artikel 1 Nummer 4 ist zu streichen.

Begründung:

Nach § 240 Absatz 4 Satz 2 Nummer 1 StGB liegt ein besonders schwerer Fall der Nötigung in der Regel vor, wenn der Täter eine andere Person zu einer sexuellen Handlung nötigt. Der Gesetzentwurf sieht vor, dieses Regelbeispiel zu streichen. Die Strafbarkeit decke das Unrecht der Tat, nämlich den Angriff auf die sexuelle Selbstbestimmung, nicht hinreichend ab. Die Strafbarkeit solle sich daher vorrangig aus § 179 Absatz 1 und 2 StGB-E ergeben.

Von der vorgesehenen Streichung des Regelbeispiels ist - jedenfalls derzeit - abzusehen, da die geplante Regelung in § 179 Absatz 1 und 2 StGB-E die bislang von § 240 Absatz 4 Satz 2 Nummer 1 StGB erfassten Fälle nur unzureichend abdeckt und eine klare und transparente gesetzgeberische Antwort auch für diese Fälle geboten ist. Angesprochen sind insoweit vor allem die Fälle, in denen der Täter das Opfer dazu nötigt, sexuelle Handlungen an sich selbst vorzunehmen. Gerade im Bereich der Kommunikation über das Internet werden zunehmend Fälle dergestalt bekannt, dass jemand einer anderen Person mit einer für diese nachteiligen Handlung droht, sofern sie nicht pornografische

Bilder von sich fertigt und übermittelt. Diese Fälle werden von § 179 Absatz 1 und 2 StGB-E nicht erfasst, weil die Regelung unter bestimmten Voraussetzungen die Vornahme von sexuellen Handlungen des Täters am Opfer oder umgekehrt, nicht aber sexuelle Handlungen des Opfers an sich selbst mit Strafe bedroht.

Dem erhöhten Strafbedürfnis derartiger Fälle muss durch eine explizite strafrechtliche Regelung Rechnung getragen werden. Im Zuge der geplanten Gesamtreform des Sexualstrafrechts erscheint mit Blick auf die Angriffsrichtung der Tat eine entsprechende Erweiterung der §§ 177, 179 StGB naheliegend. Bis dahin ist jedoch die Regelung in § 240 Absatz 4 Satz 2 Nummer 1 StGB (jedenfalls) für Fälle der genannten Art beizubehalten. Das erhöhte Unrecht wird durch die Strafbarkeit wegen (einfacher) Nötigung nach § 240 Absatz 1 StGB nicht hinreichend abgedeckt. Der Verweis auf die mögliche Annahme eines unbenannten schweren Falles der Nötigung gemäß § 240 Absatz 4 Satz 1 StGB trägt dem Umstand nicht hinreichend Rechnung, dass es sich hierbei um eine typische Fallkonstellation handelt, in der erhöhtes Unrecht regelhaft indiziert ist, und dies sich zudem in einer Regelung mit plakativem und transparentem Vorstellungsgehalt entsprechend widerspiegeln sollte. Überdies zeigen die Erfahrungen der Praxis, dass von der Annahme unbenannter besonders schwerer Fälle nur äußerst zurückhaltend Gebrauch gemacht wird. Diesen Umständen und Gefahren ist mit Blick auf das betroffene Schutzgut durch Beibehaltung der Regelung in § 240 Absatz 4 Satz 2 Nummer 1 StGB entgegenzutreten.

B