Antrag des Landes Berlin
Entschließung des Bundesrates zur Einführung eines Familienpflegegeldes für beschäftigte pflegende Angehörige

Der Regierende Bürgermeister von Berlin Berlin, 28. Februar 2020

An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Dr. Dietmar Woidke

Sehr geehrter Herr Präsident,
der Senat von Berlin hat beschlossen, dem Bundesrat die als Anlage beigefügte Entschließung des Bundesrates zur Einführung eines Familienpflegegeldes für beschäftigte pflegende Angehörige zuzuleiten.

Ich bitte Sie, die Vorlage gemäß § 36 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates auf die Tagesordnung der 986. Sitzung des Bundesrates am 13. März 2020 zu setzen und sie anschließend den zuständigen Ausschüssen zur Beratung zuzuweisen.

Mit freundlichen Grüßen
Michael Müller

Entschließung des Bundesrates zur Einführung eines Familienpflegegeldes für beschäftigte pflegende Angehörige

Der Bundesrat begrüßt die bisherigen Bemühungen der Bunderegierung zur Verbesserung der pflegerischen Versorgung sowie zur Stärkung der Fachkräfte. Der Bundesrat erkennt an, dass Pflege zu einem beträchtlichen Teil von Familienangehörigen oder nahestehenden Personen geleistet wird. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, das Pflegezeitgesetz und das Familienpflegezeitgesetz zusammenzuführen und weiterzuentwickeln. Insbesondere soll die Bundesregierung zur Unterstützung, zur finanziellen Entlastung, aber auch zur Wertschätzung der Pflegenden noch in dieser Legislaturperiode einen Gesetzesentwurf vorlegen, mit dem ein Familienpflegegeld (analog Elterngeld) für beschäftigte pflegende Angehörige eingeführt wird. Der Gesetzesentwurf soll Folgendes beinhalten:

Begründung:

Die 95. ASMK hatte die Bundesregierung bereits 2018 aufgefordert, gesetzliche Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Pflege und Beruf umzusetzen sowie zu prüfen, ob ein verbesserter Rechtsanspruch auf Freistellung und eine steuerfinanzierte Lohnersatzleistung analog zum Elterngeld eingeführt werden können.

Im Juni 2019 hat der Unabhängige Beirat für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf nach § 14 Familienpflegezeitgesetz (FPflZG) seinen ersten Bericht vorgelegt und die bestehenden gesetzlichen Regelungen evaluiert. Die Bilanz ist ernüchternd: Ungefähr 82.000 Personen habe 2017 eine Pflegezeit nach § 3 Pflegezeitgesetz (bis zu 6 Monate vollständige Freistellung) oder eine Familienpflegezeit nach § 2 FPflZG (bis zu 24 Monate Arbeitszeitreduzierung auf mindestens 15 Stunden pro Woche) in Anspruch genommen. Rechnerisch wären dies nicht einmal 5% der 1,76 Mio. Pflegegeldempfangenden. Der Grund liegt u.a. im fehlenden Lohnersatz: Anders als beim Elterngeld müssen pflegende Angehörige - zumeist Frauen - ihre berufliche Auszeit selbst finanzieren. Das ist unattraktiv und für untere Einkommensgruppen nicht leistbar. Das zinslose Darlehen nach § 3 FPflZG haben bisher lediglich 867 Menschen in Anspruch genommen. Eine zentrale Handlungsempfehlung des Beirats ist daher die Einführung einer Entgeltersatzleistung analog zum Elterngeld für bis zu 36 Monate.

Im Einzelnen sprechen folgende Gründe für das vorgeschlagene Modell:

Zu 1.:

Aktuell besteht ein Freistellungsanspruch von maximal 24 Monaten. Durchschnittlich benötigen pflegebedürftige Menschen aber ungefähr drei Jahre Hilfe. Das Familienpflegegeld sollte deshalb bis zu 36 Monate gezahlt werden. Um zu fördern, dass die Pflege auf mehrere Schultern verteilt wird, sollte das Familienpflegegeld von mehreren Personen parallel bzw. hintereinander in Anspruch genommen werden können.

Zu 2.:

Menschen, die Angehörige pflegen, benötigen Rahmenbedingungen, die neben der Übernahme von Pflegeaufgaben Raum für eine existenzsichernde Erwerbstätigkeit bieten. Gleichzeitig müssen Pflegeaufgaben zusammen mit Erwerbstätigkeit gelebt werden können. Menschen, die Pflegeaufgaben wahrnehmen, sollte daher die Fortführung der Berufstätigkeit ermöglicht werden. Die Beibehaltung einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von mind. 15 Stunden wird auch vom Beirat empfohlen, um zu vermeiden, dass die pflegende Person ganz aus dem Beruf aussteigt und negative langfristige Folgen für ihre Teilhabe am Erwerbsleben sowie ihre eigenständige Existenzsicherung entstehen. Kommt es im Verlauf der Pflege zu einer Situation, in der das Ausmaß der Pflege nicht mehr mit einer Berufstätigkeit vereinbart werden kann, kann eine vollständige Freistellung von bis zu sechs Monaten erfolgen.

Zu 3.:

Die Pflegebereitschaft im persönlichen Umfeld sollte auch außerhalb des engeren Familienkreises gestärkt werden. Durch neue Familienformen und den demographischen Wandel nimmt die Zahl der Kinder ab, die ihre Eltern pflegen können. Allen, die bereit sind, die Pflege eines Menschen zu übernehmen, sollte dies auch ermöglicht werden. Ein größerer Kreis von Anspruchsberechtigten erhöht die Chance auf paritätische Verteilung der Geschlechter.

Zu 4.:

Aktuell besteht der Freistellungsanspruch erst ab einer Betriebsgröße von 15 (Pflegezeit) bzw. 25 (Familienpflegezeit) Beschäftigten. Damit greifen diese Regelungen für viele Betroffene nicht. In Berlin arbeiten z.B. 20% der Beschäftigten in Betrieben mit 15 oder weniger Beschäftigten und 26% in Betrieben mit weniger als 25 Beschäftigten. 90% der Berliner Betriebe haben weniger als 10 Beschäftigte. Um die besonderen Herausforderungen bei Kleinstbetrieben mit bis zu 5 Beschäftigten anzuerkennen, soll der Anspruch ab einer Betriebsgröße von mindestens 5 Beschäftigten gelten.

Zu 5.:

Allen, die Pflegeaufgaben übernehmen, muss der Weg zu einer eigenständigen Existenz gesichert werden. Das Familienpflegegeld sollte sich am Elterngeld orientieren. In beiden Fällen handelt es sich um eine Entgeltersatzleistung für Menschen, die ihre Erwerbstätigkeit reduzieren oder vorübergehend unterbrechen, um sich um einen Angehörigen zu kümmern. Die Höhe des Familienpflegegelds sollte i.d.R. bei 65 % des entgangenen Nettogehalts liegen. Die Inanspruchnahme des Familienpflegegeldes soll - wie im Elternzeitgesetz - im Sinne der sozialen Gerechtigkeit auch Pflegepersonen ermöglicht werden, die selbst Sozialleistungen beziehen. Es soll daher ein nicht anrechenbarer Sockelbetrag gewährt werden.

Zu 6.:

Der Anspruch auf Familienpflegegeld sollte ab Pflegegrad 2 bestehen, da erst ab einem gewissen Umfang des Hilfebedarfs mit einer Einschränkung der Berufstätigkeit und Einkommenseinbußen zu rechnen ist. Ab Pflegegrad 2 wird die Pflege in der Regel deutlich aufwendiger.

Zu 7.:

Der Leistungsbezug darf sich nicht negativ auf den Anspruch auf andere pflegerische Leistungen auswirken. Professionelle Pflege soll nicht durch die Angehörigenpflege ersetzt, sondern ausschließlich positiv ergänzt werden. Auch ist den Angehörigen weiterhin Entlastungs- oder Verhinderungspflege zu gewähren.

Zu 8.:

Pflege ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Das Familienpflegegeld sollte daher aus Steuern finanziert werden. Eine stärkere finanzielle Belastung der Pflegeversicherung scheint in Anbetracht des bereits mehrfach angehobenen Beitragssatzes nicht sinnvoll.

Um die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf deutlich zu verbessern, pflegende Angehörige weiter zu entlasten und die Geschlechtergerechtigkeit in unserer Gesellschaft zu fördern, sollte noch in dieser Legislaturperiode das Familienpflegegeld eingeführt werden.