Das Europäische Parlament,
- - unter Hinweis auf die Europäische Konvention der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), insbesondere deren Artikel 8,
- - unter Hinweis auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, insbesondere deren Artikel 7 und 8,
- - unter Hinweis auf das Übereinkommen Nr. 108108 des Europarats zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten,
- - unter Hinweis auf auf Artikel 6 EU-Vertrag und Artikel 286 EG-Vertrag,
- - unter Hinweis auf die Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr1,
- - unter Hinweis auf die Verordnung (EG) Nr. 045/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2000 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft und zum freien Datenverkehr2,
- - unter Hinweis auf den Vorschlag für eine Verordnung über die Übermittlung von Angaben zum Auftraggeber bei Geldtransfers (KOM (2005) 0343),
- - in Kenntnis der Beschwerden von Privacy International gegenüber den für den Daten- und Persönlichkeitsschutz zuständigen Aufsichtsbehörden in 33 Ländern dahin gehend, dass die SWIFT-Datentransfers ohne Beachtung von Rechtsmitteln nach dem Datenschutzrecht und die Offenlegungen ohne jegliche Rechtsgrundlage oder Befugnis erfolgten,
- - gestützt auf Artikel 103 Absatz 4 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass Medien in Europa und den Vereinigten Staaten kürzlich die Existenz des Programms zum Aufspüren der Finanzierung des Terrorismus ("Terrorist Finance Tracking Program") enthüllten, das von der US-Regierung installiert wurde und das es den US-Behörden erlaubt, auf alle Finanzdaten von SWIFT (Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunications) zuzugreifen, einer in Belgien ansässigen Banken-Kooperation, der mehr als 8 000 Geschäftsbanken und Institute in 200 Ländern, darunter eine Reihe von Zentralbanken, angeschlossen sind,
B. in der Erwägung, dass die SWIFT-Informationen, auf die die US-Behörden Zugriff hatten, hunderttausende von EU-Bürgern betreffen, da die europäischen Banken das SWIFT-Übermittlungssystem für die weltweite Überweisung von Geldern zwischen Banken nutzen und SWIFT täglich Millionen von Überweisungen und Bankgeschäften durchführt,
C. in der Erwägung, dass jeglicher im Hoheitsgebiet der Europäischen Union erfolgte Transfer von Daten, die außerhalb des EU-Hoheitsgebiets genutzt werden sollen, zumindest einer Angemessenheitsentscheidung gemäß der Richtlinie 95/46/EG unterliegen sollte,
D. in der Erwägung, dass der Zugriff auf die von SWIFT verwalteten Daten es nicht nur ermöglicht, Überweisungen im Zusammenhang mit illegalen Aktivitäten aufzuspüren, sondern auch Informationen über die wirtschaftlichen Tätigkeiten der betroffenen Privatpersonen und Länder festzustellen, was zu Formen der Wirtschafts- und Industriespionage großen Ausmaßes führen könnte,
- 1. verweist auf seine Entschlossenheit, den Terrorismus zu bekämpfen, und seine Überzeugung, dass ein angemessenes Gleichgewicht zwischen Sicherheitsmaßnahmen und dem Schutz der bürgerlichen Freiheiten und Grundrechte gefunden werden muss; äußert seine tiefe Besorgnis über die Tatsache, dass ein Klima der sinkenden Achtung der Privatsphäre und des Datenschutzes entsteht;
- 2. betont, dass die Europäische Union sich auf die Rechtsstaatlichkeit stützt und dass alle Transfers von personenbezogenen Daten an Drittländer den Datenschutzrechtsvorschriften auf nationaler und europäischer Ebene unterliegen; diese sehen vor, dass sämtliche Transfers von einem Gericht genehmigt werden müssen und dass jegliche Abweichung von diesem Grundsatz verhältnismäßig sein und sich auf ein Gesetz oder ein internationales Abkommen stützen muss;
- 3. vertritt die Auffassung, dass die Mitgliedstaaten lediglich gestützt auf Artikel 8 der EMRK und unter Einhaltung des Gemeinschaftsrechts sowie des Artikels 13 der Richtlinie 95/46/EG im Interesse der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung und Sicherheit vom Grundsatz der Zweckbestimmung von Daten abweichen dürfen, nach dem die Weiterleitung von Geschäftsdaten untersagt ist und der die einzige rechtmäßige Grundlage für die Speicherung personenbezogener Daten durch nicht öffentliche Stellen darstellt, und dabei den Umfang des Datenschutzes nur dann verringern dürfen, wenn dies erforderlich, verhältnismäßig und mit einer demokratischen Gesellschaft vereinbar ist;
- 4. nimmt den oben genannten Verordnungsvorschlag zur Kenntnis, der zur Schaffung eines Rechtsrahmens für die Übermittlung dieser Angaben beitragen kann; bedauert, dass das Europäische Parlament - entgegen dem Grundsatz einer loyalen und beständigen Zusammenarbeit zwischen den Gemeinschaftsorganen - während der Verhandlungen und der Triloge von den anderen Institutionen, insbesondere der Europäischen Zentralbank, nicht von der Existenz der SWIFT-Transfers in Kenntnis gesetzt wurde;
- 5. fordert, dass die Kommission, der Rat und die Europäische Zentralbank (EZB) umfassend erläutern, inwieweit sie von der geheimen Vereinbarung zwischen SWIFT und den US-Behörden Kenntnis hatten;
- 6. fordert in diesem Zusammenhang, dass die Rolle und die Funktionsweise der EZB geklärt werden, und fordert den Europäischen Datenschutzbeauftragten auf, möglichst rasch zu überprüfen, ob die EZB gemäß der Verordnung (EG) Nr. 045/2001 verpflichtet war, auf den möglichen Verstoß gegen den Datenschutz, von dem sie Kenntnis erhalten hatte, zu reagieren;
- 7. weist darauf hin, dass die EZB garantieren sollte, dass die Zentralbanken nur innerhalb eines Rechtsrahmens Zugriff auf SWIFT haben;
- 8. fordert, dass die Mitgliedstaaten überprüfen und sicherstellen, dass auf nationaler Ebene kein Rechtsvakuum besteht und dass die gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften über den Datenschutz auch auf die Zentralbanken Anwendung finden; fordert, dass die Mitgliedstaaten die Ergebnisse dieser Überprüfung der Kommission, dem Rat und dem Europäischen Parlament übermitteln;
- 9. fordert, dass der Rat dringend den Vorschlag für einen Rahmenbeschluss über den Schutz personenbezogener Daten, die im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen verarbeitet werden (KOM (2005) 0475), prüft und verabschiedet, um zu gewährleisten, dass die europäischen Bürger im gesamten Hoheitsgebiet der Union ein einheitliches und hohes Datenschutzniveau genießen;
- 10. lenkt die Aufmerksamkeit des Rates insbesondere auf die Abänderungen 26 und 58 der am 14. Juni 2006 angenommenen Stellungnahme des Parlaments zu dem oben genannten Rahmenbeschlussvorschlag, die darauf abzielen, die Verarbeitung von Daten zu regeln, die im öffentlichen Interesse an nicht öffentliche Stellen übermittelt werden;
- 11. bekräftigt seine tiefe Enttäuschung über die fehlende Bereitschaft des Rates, eine Lösung für die derzeitige Rechtslage zu finden, bei der je nachdem, ob Tätigkeiten der ersten oder der dritten Säule betroffen sind, zwei verschiedene Verfahren für den Schutz der Grundrechte gelten; wiederholt seine Forderung nach einer Abschaffung dieses doppelten Regelwerks durch eine Aktivierung der in Artikel 42 EU-Vertrag vorgesehenen Überleitungsklausel;
- 12. fordert, dass die Kommission eine Bewertung aller angenommenen EU-Rechtsvorschriften zur Terrorismusbekämpfung im Hinblick auf ihre Wirksamkeit, Notwendigkeit, Verhältnismäßigkeit und die Achtung der Grundrechte durchführt; drängt die Kommission und den Rat nachdrücklich, darüber nachzudenken, welche Maßnahmen ergriffen werden sollten, um Wiederholungen solch schwerwiegender Verletzungen der Privatsphäre künftig zu vermeiden;
- 13. missbilligt aufs Äußerste alle geheimen Tätigkeiten im Hoheitsgebiet der Europäischen Union, die die Privatsphäre der EU-Bürger beeinträchtigen; zeigt sich tief besorgt darüber, dass derartige Tätigkeiten mutmaßlich durchgeführt werden, ohne dass die Bürger Europas und deren parlamentarische Vertreter davon in Kenntnis gesetzt worden sind; drängt die Vereinigten Staaten und ihre Geheim- und Sicherheitsdienste, im Geiste der guten Zusammenarbeit zu handeln und ihre Verbündeten von Sicherheitsmaßnahmen zu verständigen, die sie im Hoheitsgebiet der Europäischen Union durchzuführen beabsichtigen;
- 14. fordert den Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres auf, gemeinsam mit dem Ausschuss für Wirtschaft und Währung so rasch wie möglich eine gemeinsame Anhörung der EZB, der Kommission, des Rates, des Europäischen Datenschutzbeauftragten und anderer an dieser Angelegenheit von privater und öffentlicher Seite Beteiligter zu organisieren, um festzustellen, welche Informationen ihnen möglicherweise vorlagen;
- 15. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, der EZB, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten und der Beitrittsländer sowie der Regierung der Vereinigten Staaten und den beiden Kammern des US-Kongresses zu übermitteln.
1 ABl. L 281 vom 23.11.1995, S. 31.
2 ABl. L 8 vom 12.1.2001, S. 1.