Zugeleitet mit Schreiben des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments - 6408 - vom 17. Dezember 2008.
Das Europäische Parlament hat die Entschließung in der Sitzung am 4. Dezember 2008 angenommen.
Das Europäische Parlament,
- unter Hinweis auf die Artikel 6 und 49 des Vertrags über die Europäische Union,
- unter Hinweis auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union,
- unter Hinweis auf das von der UN-Generalversammlung am 18. Dezember 1979 angenommene Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW),
- unter Hinweis auf die Resolution 1325 (2000) des UN-Sicherheitsrats vom 31. Oktober 2000 zu Frauen, Frieden und Sicherheit,
- unter Hinweis auf die Arbeiten der Wiener Menschenrechtskonferenz von 1993, auf der die Menschenrechte bekräftigt wurden und deren Verletzung im Namen der Kultur oder der Tradition verurteilt wurde,
- unter Hinweis auf die am 20. September 2002 angenommene Brüsseler Erklärung zur Prävention und Bekämpfung des Menschenhandels,
- unter Hinweis auf die Fortschrittsberichte der Kommission von 2007 zu den Kandidatenländern und potenziellen Kandidatenländern, die der Mitteilung der Kommission vom 6. November 2007 mit dem Titel "Erweiterungsstrategie und wichtigste Herausforderungen 2007-2008" (KOM (2007) 0663) beigefügt sind,
- unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 25. Oktober 2007 mit dem Titel "Überlegungen zur Vorgehensweise der EU in Situationen der Fragilität - Engagement für nachhaltige Entwicklung, Stabilität und Frieden in schwierigen Kontexten" (KOM (2007) 0643),
- unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 5. März 2008 mit dem Titel "Westlicher Balkan: Stärkung der europäischen Perspektive" (KOM (2008) 0127),
- unter Hinweis auf die Tätigkeit und den Fortschrittsbericht der Gender Task Force, die im Rahmen des Stabilitätspakts für Südosteuropa (2004) eingesetzt wurde,
- unter Hinweis auf die Studie zum Thema Situation der Frauen in den Balkanländern: eine vergleichende Perspektive ("Women"s Situation in the Balkan Countries: comparative perspective"), die von Marina Blagojeviæ für das Europäische Parlament erstellt wurde (Belgrad, Februar 2003),
- unter Hinweis auf seine Entschließung vom 22. April 2004 zu den Frauen in Südosteuropa1,
- unter Hinweis auf seine Entschließung vom 6. Juli 2005 zu der Rolle der Frauen in der Türkei im gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Leben2 und seine Entschließung vom 13. Februar 2007 zu der Rolle der Frauen in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik der Türkei3,
- unter Hinweis auf seine Entschließung vom 1. Juni 2006 zur Situation der Roma-Frauen in der Europäischen Union4,
- unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen der internationalen Konferenz zum Thema Frauan in der Konfliktbewältigung ("Women in conflict resolution"), die am 21. und 22. Juni 2008 im Institutum Studiorum Humanitatis in Ljubljana - Ljubljana Graduate School in Humanities - stattfand,
- gestützt auf Artikel 45 seiner Geschäftsordnung,
- in Kenntnis des Berichts des Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter (A6-0435/2008),
- 1. ist der Auffassung, dass die Weiterführung der politischen und wirtschaftlichen Stabilisierung und der Aufbau demokratischer Institutionen in den Balkanländern die aktive Beteiligung von Frauen erfordern (die etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmachen);
- 2. stellt besorgt fest, dass die Einhaltung von Gesetzen und Praktiken zur Gleichstellung der Geschlechter (auf institutioneller, finanzieller und menschlicher Ebene) nicht voll und ganz garantiert ist, obwohl ein Unterschied zwischen Ländern besteht, die Beitrittsverhandlungen aufgenommen haben, und Ländern, die dies noch nicht getan haben;
- 3. betont die Bedeutung der Gleichberechtigung von Frauen und ihrer gleichberechtigten Beteiligung am Arbeitsmarkt, die für die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen, für das Wirtschaftswachstum in den Ländern sowie für die Bekämpfung der Armut, für die Frauen anfälliger sind als Männer, unerlässlich ist;
- 4. stellt fest, dass Frauen von Kürzungen bei den Sozialdienstleistungen und öffentlichen Ausgaben wie Gesundheitsfürsorge, Kinder- und Familienbetreuung überdurchschnittlich betroffen waren; weist darauf hin, dass diese Leistungen und Dienste, die Frauen früher neben dem Lohn erhielten, diese in die Lage versetzt haben, an bezahlter Beschäftigung teilzuhaben und infolgedessen Berufs- und Familienleben miteinander zu vereinbaren;
- 5. stellt besorgt fest, dass Frauen zwar auf dem Arbeitsmarkt generell unterrepräsentiert, in manchen (traditionell "weiblichen") Arbeitsverhältnissen jedoch überrepräsentiert sind und sich dort - vor allem in ländlichen Gebieten - in einer schwierigeren Lage befinden; fordert in diesem Zusammenhang besondere Maßnahmen zur Vermeidung der Feminisierung "schlechter bezahlter" Sektoren; ist ferner besorgt darüber, dass es ein geschlechtsspezifisches Lohngefälle gibt und dass Frauen Schwierigkeiten haben, sich selbständig zu machen;
- 6. fordert die Regierungen der Balkanländer auf, einen Rechtsrahmen für die gerechte Entlohnung beider Geschlechter zu schaffen, Frauen bei der Vereinbarung von Privat- und Berufsleben zu unterstützen und zu diesem Zweck qualitativ gute, zugängliche und bezahlbare Kinderbetreuungseinrichtungen und Betreuungseinrichtungen für ältere Menschen zu schaffen sowie Hindernisse zu beseitigen, die dem weiblichen Unternehmertum im Wege stehen;
- 7. betont den Stellenwert der Bildung bei der Abschaffung von mit sozialen Rollen von Frauen und Männern verbundenen und kulturellen Stereotypen und die Tatsache, dass das Bildungssystem als solches auch bei der Berufswahl keine stereotypen Vorstellungen vermitteln sollte;
- 8. macht auf die im allgemeinen unzureichenden Gesundheitsinfrastrukturen vor allem in ländlichen Gebieten aufmerksam und fordert die Regierungen auf, für ein routinemäßiges Screening auf Krankheiten wie Gebärmutterhals- und Brustkrebs sowie HIV/Aids zu sorgen, für die Frauen stärker anfällig sind als Männer; betont die Bedeutung der psychologischen und medizinischen Rehabilitation weiblicher Kriegsopfer;
- 9. ist der Auffassung, dass Frauen auf dem Balkan, die Kriegsopfer waren, nicht mehr nur als Kriegsopfer betrachtet werden sollten, sondern vielmehr als Gestalterinnen der Stabilisierung und Konfliktlösung; betont, dass Frauen auf dem Balkan diese Rolle generell erst dann übernehmen können, wenn sie in gleichem Umfang an politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen beteiligt sind; begrüßt Quoten und fordert die Länder, die dies noch nicht getan haben, auf, die Vertretung von Frauen zu fördern und erforderlichenfalls Quoten in politischen Parteien und Nationalversammlungen wirksam einzuführen, und ermutigt die Länder, die dies bereits getan haben, diesen Prozess fortzusetzen, damit die Beteiligung der Frauen am politischen Leben gewährleistet wird und sie nicht mehr unterrepräsentiert sind, so dass die "gläserne Decke" auf Dauer verschwindet; ermutigt diese Länder weiter, einen Lernprozess und eine frühzeitige Beteiligung von Frauen und Männern an der Bürgerschaft umzusetzen;
- 10. stellt besorgt fest, dass trotz der rechtlichen Rahmenbedingungen, die in den meisten Balkanstaaten in neuerer Zeit eingeführt wurden, häusliche Gewalt und verbale Beleidigung immer noch fortbestehen; fordert die betroffenen Länder daher auf, Maßnahmen zu ergreifen, um die Opfer zu schützen und sicherzustellen, dass die Vollzugsbehörden, Rechtsbehörden und öffentlichen Bediensteten aufmerksamer mit dieser Erscheinung umgehen;
- 11. betont, dass häusliche Gewalt weiter verbreitet ist, als die vorliegenden Daten es zeigen, und dass die einschlägigen Statistiken und Daten zersplittert, mangelhaft erhoben und nicht standardisiert sind, auch in den Ländern, die spezifische einschlägige Rechtsvorschriften angenommen haben;
- 12. betont die Bedeutung von Sensibilisierungskampagnen bei der Bekämpfung von Stereotypen, Diskriminierung (aufgrund von Geschlecht, Kultur und Religion) und häuslicher Gewalt sowie für die Gleichstellung der Geschlechter allgemein; stellt fest, dass diese Kampagnen durch die Förderung eines positiven Bildes durch weibliche Rollenvorbilder in den Medien und der Werbung, in Bildungsmaterialien und dem Internet ergänzt werden sollten;
- 13. begrüßt die jüngste Entwicklung des rechtlichen und institutionellen Rahmens, der großes Engagement zur Sicherstellung von Chancengleichheit für Frauen und Männer in den betroffenen Ländern widerspiegelt; wiederholt gleichzeitig, dass es wirkungsvoller Maßnahmen bedarf, damit diese Gegebenheiten voll und ganz in die Praxis umgesetzt werden;
- 14. fordert die Regierungen der Balkanländer auf, Maßnahmen zu ergreifen und den Weg zur Umsetzung eines integrierten Ansatzes für Geschlechtergerechtigkeit auf allen Ebenen und in allen Bereichen des gesellschaftlichen und politischen Lebens zu bahnen;
- 15. fordert alle Mitgliedstaaten, die dies noch nicht getan haben, auf, nationale Pläne zur Umsetzung der oben genannten Resolution des UN-Sicherheitsrats anzunehmen und im Rahmen ihrer Beziehungen zu den Balkanstaaten umzusetzen;
- 16. stellt besorgt fest, dass die Balkanländer Transitländer für den Menschenhandel sind und dass die Opfer des Menschenhandels im Allgemeinen Frauen und Kinder sind; betont, dass die Gleichstellung der Geschlechter, Sensibilisierungskampagnen und Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption und der organisierten Kriminalität wesentlich für die Verhütung negativer Erscheinungen in den Balkanstaaten wie Prostitution und Menschenhandel und für den Schutz potenzieller Opfer sind;
- 17. fordert die Balkanstaaten auf, rasch Maßnahmen zur Prävention von Prostitution insbesondere von Kindern sowie von Pornografie zu ergreifen, die Strafen für Nötigung oder Anstiftung zur Prostitution und/oder Mitwirkung an der Erstellung pornografischen Materials zu verschärfen und Kinderpornografie im Internet unter Strafe zu stellen;
- 18. betont die Bedeutung von Nichtregierungsorganisationen (NGO) und Frauenorganisationen für die Benennung der Probleme von Frauen und die Suche nach angemessenen Lösungen, insbesondere die Bedeutung der Gender Task Force des Stabilitätspakts für Südosteuropa für die Fortentwicklung des Demokratieprozesses und der Stabilität in der Region; steht hinter der Arbeit dieser NGO und schlägt vor, dass bewährte Verfahrensweisen im Bereich der Gleichstellung der Geschlechter zwischen den betroffenen Ländern sowie an die europäischen NGO-Netzwerke weitergegeben werden;
- 19. fordert die Kommission auf, Heranführungshilfen zur Stärkung der Rechte der Frauen auf dem Balkan, insbesondere über Frauen-NGO und Frauenorganisationen zur Verfügung zu stellen;
- 20. fordert die Kommission auf, die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien genau zu überwachen und insbesondere in Bezug auf Chancengleichheit für Frauen und Männer und Frauenrechte in den Kandidatenländern und den potenziellen Kandidatenländern einzufordern; fordert die Kandidatenländer und die potenziellen Kandidatenländer des Balkans auf, im Hinblick auf einen künftigen möglichen Beitritt ihre Rechtsvorschriften zur Bekämpfung von Diskriminierung und für die Gleichstellung der Geschlechter an den gemeinschaftlichen Besitzstand anzugleichen;
- 21. fordert die Kommission auf sicherzustellen, dass ihre in der oben genannten Mitteilung vom 5. März 2008, mit der die NGO des westlichen Balkans gestärkt werden sollen, formulierte Politik besonders auf eine eigenverantwortliche Teilhabe von Frauen an der Zivilgesellschaft ausgerichtet ist;
- 22. betont, dass Frauen aus der Bevölkerungsgruppe der Roma mehrfach (rassisch, ethnisch, geschlechtsspezifisch) diskriminiert werden und anfälliger für Armut und soziale Ausgrenzung sind, weswegen ein differenzierter Ansatz zur Lösung dieser Probleme entwickelt werden sollte; weist weiter darauf hin, dass insbesondere Frauen aus der Bevölkerungsgruppe der Roma in vielen Ländern auf Vorurteile stoßen, durch das Fehlen der entsprechende Staatsbürgerschaft beeinträchtigt sind, nur begrenzten Zugang zu qualitativ guten Ausbildungsmöglichkeiten haben, unter unangemessenen Bedingungen leben, keinen Zugang zur Gesundheitsfürsorge haben und mit hoher Arbeitslosigkeit und geringer politischer und öffentlicher Beteiligung in der Gesellschaft kämpfen;
- 23. stellt besorgt fest, dass aktuelle statistische Daten und Indikatoren fehlen, die zur Bewertung der Situation der Frauen auf dem Balkan beitragen könnten;
- 24. fordert die Kandidatenländer und potenziellen Kandidatenländer des Balkans auf, für die Beseitigung aller Formen der Diskriminierung und der Vorurteile gegen Frauen zu sorgen, die mehrfacher Diskriminierung unterliegen, insbesondere Roma-Frauen; fordert die Balkanländer auf, eine wirksame und praktische Strategie zur Bekämpfung von Diskriminierung einzuführen, die auf allen Ebenen (national und lokal) umgesetzt werden soll;
- 25. fordert das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen auf, auch Gleichstellungsfragen in den Balkanstaaten zu beobachten und dabei besonderes Augenmerk auf die Kandidatenländer zu legen;
- 26. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat und der Kommission sowie den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten und den betroffenen Kandidatenländern und potenziellen Kandidatenländern zu übermitteln.
- 1 ABl. C 104 E vom 30.4.2004, S. 1070.
- 2 ABl. C 157 E vom 6.7.2005, S. 385.
- 3 ABl. C 287 E vom 29.11.2007, S. 174.
- 4 ABl. C 298E vom 8.12.2006, S. 283.