833. Sitzung des Bundesrates am 11. Mai 2007
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Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union und der Rechtsausschuss empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission mit der Mitteilung "Vertiefung des Patentsystems in Europa" die Ergebnisse der Konsultation aus dem Jahr 2006 aufgreift und Optionen für ein weiteres Vorgehen im Bereich des Europäischen Patentrechts vorlegt. Er teilt die Auffassung der Kommission, dass eine Verbesserung des Umgangs mit geistigem Eigentum ein Kernbestandteil der Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung ist. Die EU braucht ein bezahlbares, rechtlich abgesichertes und benutzerfreundliches System für den Schutz geistigen Eigentums, wenn sie ein attraktiver Standort für innovative und forschende Unternehmen sein will - vgl. die Entschließung des Bundesrates vom 7. April 2006 zu einem Gemeinschaftspatentsystem in Europa, BR-Drucksache 209/06(B) ).
- 2. Der Bundesrat stellt fest, dass die außergewöhnlich zahlreichen Stellungnahmen zu der Konsultation vor allem vier Erkenntnisse erbracht haben, die sich mit der Entschließung des Bundesrates vom 7. April 2006 (a. a. O.) decken:
- - Wichtig ist die gute Qualität der erteilten Patente.
- - Weder ist eine weitgehende Harmonisierung des Patentrechts gewollt noch der Weg der gegenseitigen Anerkennung.
- - Der Vorschlag für ein Gemeinschaftspatent in der Fassung der politischen Einigung des Rates vom März 2003 wird abgelehnt, vor allem wegen der Sprachenregelung und der zentralisierten Gerichtsbarkeit.
- - Der Vorschlag für ein Streitregelungsabkommen im Rahmen der Europäischen Patentorganisation (EPLA) erfuhr große Unterstützung, vor allem von Industrie und Mittelstand.
Der Bundesrat begrüßt es, dass die ersten drei Punkte von der Mitteilung aufgegriffen werden. Er bedauert es aber, dass die wesentliche, weil weiterführende, vierte Erkenntnis von der Kommission nicht favorisiert wird, da sie wegen des Widerstands einiger Mitgliedstaaten keine Aussicht auf Erfolg verspreche (vgl. Ziffer 2.2.3 der Mitteilung). Bei dem von der Kommission vorgeschlagenen Kompromiss sieht er dagegen noch viele grundsätzliche Fragen offen.
- 3. Der Bundesrat hat deshalb erhebliche Zweifel, ob die Mitteilung der Kommission geeignet ist, die festgefahrene Debatte zum Patentsystem in Europa wirklich voranzubringen. Seit vielen Jahren sind hier insbesondere die Sprachenfrage (Übersetzungserfordernisse) und das Gerichtssystem umstritten. Das gilt sowohl für das - noch zu schaffende - Gemeinschaftspatent als auch für das - seit langem existierende - Europäische Bündelpatent. Die Sprachenfrage wird in der Mitteilung weitgehend ausgeklammert; lediglich im Zusammenhang mit den Ausführungen zum Gemeinschaftspatent (vgl. Ziffer 2.1 der Mitteilung) weist die Kommission darauf hin, dass sie mit den Mitgliedstaaten prüfen will, wie die Sprachenregelung mit dem Ziel verbessert werden kann, die Übersetzungskosten für das Gemeinschaftspatent zu verringern. Der Bundesrat hält es für wenig wahrscheinlich, dass hier in absehbarer Zeit Fortschritte erzielt werden können. Er erinnert deshalb daran, dass im Hinblick auf das Europäische Bündelpatent die Sprachenfrage durch das Londoner Abkommen vom 17. Oktober 2000 eine sinnvolle Lösung gefunden hat. Der Bundesrat spricht sich deshalb erneut dafür aus, auf ein möglichst rasches Inkrafttreten des Londoner Abkommens hinzuwirken - vgl. bereits die Entschließung des Bundesrates vom 7. April 2006, BR-Drucksache 209/06(B) .
- 4. Die Mitteilung der Kommission befasst sich in erster Linie mit einem zukünftigen Streitregelungssystem in Europa. Die Kommission schlägt hier drei Handlungsalternativen vor:
- - Einführung einer Europäischen Patentgerichtsbarkeit auf der Grundlage des Entwurfs für ein Europäisches Übereinkommen über Patentstreitigkeiten (EPLA) - Option A;
- - Errichtung einer Gemeinschaftsgerichtsbarkeit für Europäische Patente und Gemeinschaftspatente - Option B;
- - Kompromissvorschlag der Kommission - Option C.
Zunächst begrüßt es der Bundesrat nachdrücklich, dass alle drei Optionen von einem dezentralen Gerichtssystem in erster Instanz ausgehen. Es war stets die Auffassung des Bundesrates, dass sich das Ziel eines effektiven Rechtsschutzes im europäischen Patentrechtssystem im Hinblick auf Ortsnähe, Verfahrensdauer und Kosten am besten durch die erstinstanzliche Zuständigkeit von Gerichten in den Mitgliedstaaten erreichen lässt - vgl. die Stellungnahme des Bundesrates zum Vorschlag zur Einrichtung eines Gemeinschaftspatentgerichts vom 2. April 2004, BR-Drucksache 065/04(B) . Ansonsten unterscheiden sich die drei Vorschläge im Wesentlichen dadurch, dass Option A zunächst auf der Ebene des Europäischen Patentübereinkommens ein einheitliches Gerichtssystem für das Europäische Bündelpatent schaffen will, während die Optionen B und C - weitgehend übereinstimmend - von einer Lösung auf Ebene der EU ausgehen.
- 5. Aus Sicht des Bundesrates spricht aus fachlichen Gründen derzeit weiterhin deutlich mehr dafür, die Option A vorrangig zu verfolgen. Ausschlaggebend ist dafür insbesondere, dass das Europäische Bündelpatent seit langem existiert und deshalb zunächst eine Lösung für dieses europäische Patentrechtssystem gefunden werden muss. Wie bereits ausgeführt, ist dagegen noch völlig unklar, ob und wann die Bemühungen für ein Gemeinschaftspatent erfolgreich sein werden. Hinzu kommt, dass bei einer Gemeinschaftspatentgerichtsbarkeit auf EU-Ebene, die für die außerhalb des EU-Rechts erteilten Bündelpatente zuständig sein soll, sämtliche Regelungen neu ausgehandelt werden müssten. Der Entwurf für EPLA ist dagegen bereits fertig gestellt, auch wenn möglicherweise noch in einigen Punkten Vorgaben des Europarechts berücksichtigt werden müssen. Im Übrigen ist die Annahme der Kommission, dass EPLA dazu führen würde, dass im Fall der Schaffung eines Gemeinschaftspatents zwei Patentgerichtsbarkeiten nebeneinander bestehen, keineswegs zwingend. EPLA könnte vielmehr auch für Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Gemeinschaftspatent geöffnet werden. Nachdem der vorliegende Entwurf einer Verordnung des Rates über das Gemeinschaftspatent (BR-Drucksache 527/00 , KOM (2000) 458 endg.) - insoweit unstrittig - die Erteilung des Gemeinschaftspatents durch das Europäische Patentamt vorsieht, wäre eine Gerichtsbarkeit ebenfalls im Rahmen des Europäischen Patentübereinkommens nur konsequent.
- 6. Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass der EPLA-Ansatz auf politische Vorbehalte einiger Mitgliedstaaten stößt. Er bittet daher die Bundesregierung, in den anstehenden Verhandlungen auf EU-Ebene gründlich zu prüfen, ob und gegebenenfalls wie die Optionen B und C im Einzelnen umgesetzt werden können. Gleichzeitig sollten aber auch die Variante A intensiv beraten und die Bemühungen zur Schaffung eines Gemeinschaftspatents fortgesetzt werden. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, Änderungen des Status quo nur zuzustimmen, wenn sie einen klaren Mehrwert für die Wirtschaft und die Patentrechtspraxis in Deutschland bringen. Änderungen um jeden Preis lehnt der Bundesrat ab. Er ist in diesem Zusammenhang der Auffassung, dass eine Reihe der in der Mitteilung zur Begründung des Reformbedarfs genannten Grundlagen und Fakten einer kritischen Überprüfung bedarf.
- 7. Bei jeder Änderung des Gerichtssystems ist es aus Sicht des Bundesrates unerlässlich, dass Regionalkammern in den Mitgliedstaaten eingerichtet werden können und für den Kläger die Möglichkeit besteht, das Gericht des Verletzungsortes anzurufen, wie es auch die Verordnung (EG) Nr. 044/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG 2001 Nr. L 12, S. 1 (Brüssel-I-Verordnung) vorsieht. Die Ausführungen der Kommission, dass die Zuteilung von Streitfällen durch die Kanzlei des Gerichts erfolgen soll, begegnen vor diesem Hintergrund großen Bedenken. Entscheidend für die Einrichtung und die Zahl von Regionalkammern in den Mitgliedstaaten muss die Zahl der in den jeweiligen Staaten geführten Patentrechtsstreitigkeiten sein. Dabei muss auch sichergestellt werden, dass die etablierten deutschen Patentgerichte mit ihrer auch international anerkannten großen Erfahrung in das System einbezogen werden können.
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- 8. Der Ausschuss für Kulturfragen und der Wirtschaftsausschuss empfehlen dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.