Der Bundesrat hat in seiner 883. Sitzung am 27. Mai 2011 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission mit ihrem Verordnungsvorschlag ihre langjährigen und intensiven Bemühungen um die Schaffung eines EU-weit einheitlichen Patentschutzes im Verfahren der Verstärkten Zusammenarbeit fortsetzt.
- 2. Der Bundesrat erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass er sich im Interesse der Integration des Binnenmarktes, der Verringerung der Kosten des Patentschutzes in Europa und der Verbesserung der Rechtssicherheit wiederholt für einen effektiven und kostengünstigen einheitlichen Patentschutz in der EU ausgesprochen hat (vgl. BR-Drucksache 244/07(B) , Ziffer 1; BR-Drucksache 865/07(B) , Ziffer 24; BR-Drucksache 188/10(B) , Ziffer 37; BR-Drucksache 616/10(B) , Ziffer 11; BR-Drucksache 698/10(B) , Ziffer 7). Der Bundesrat bittet die Bundesregierung jedoch, bei den weiteren Verhandlungen auch die nachfolgenden Aspekte zu berücksichtigen.
- 3. Bereits der Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das EU-Patent, welcher dem Wettbewerbsfähigkeitsrat am 4. Dezember 2009 vorlag, sah vor, nur einen Teil der materiellen Regelungen zum einheitlichen Patentschutz in der Verordnung zu regeln und im Übrigen primär auf das nationale Recht des Staates zu verweisen, in dessen Hoheitsgebiet der Anmelder des Patents am Tag der Hinterlegung der Anmeldung des EU-Patents seinen Wohnsitz oder Sitz hatte (Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe a des damaligen Verordnungsvorschlags, Addendum 1 zum Ratsdokument 16113/09). Dieser Ansatz wird in Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe a des vorliegenden Vorschlags beibehalten, aber insofern erweitert, als der Umfang der im Verordnungstext selbst enthaltenen Regelungen (Artikel 6 bis 9 des Vorschlags) deutlich geringer ist. Dadurch erhält das gemäß Artikel 10 des Verordnungsvorschlags berufene nationale Patentrecht (einheitlich für das gesamte Gebiet der EU) in größerem Umfang Bedeutung. Das bedeutet, dass auch eine künftige europäische Patentgerichtsbarkeit in größerem Umfang das gemäß Artikel 10 des Verordnungsvorschlags jeweils berufene nationale Patentrecht der einzelnen Mitgliedstaaten anwenden müsste. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, im Lauf der weiteren Verhandlungen die Praktikabilität dieser Konstruktion zu prüfen.
- 4. Der Bundesrat weist darauf hin, dass nach § 9c Absatz 3 des Patentgesetzes der Patentschutz nicht für biologisches Material gilt, das im Bereich der Landwirtschaft zufällig oder technisch nicht vermeidbar gewonnen wurde. Daher kann ein Landwirt nach deutschem Patentrecht im Regelfall nicht in Anspruch genommen werden, wenn er nicht diesem Patentschutz unterliegendes Saat- und Pflanzgut angebaut hat.
Darüber hinaus erstreckt sich nach § 11 Nummer 2a des Patentgesetzes die Wirkung des Patents nicht auf die Nutzung biologischen Materials zum Zweck der Züchtung, Entdeckung und Entwicklung einer neuen Pflanzensorte.
Diese Bestimmungen, die nicht ausdrücklich in der Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen (Biopatentrichtlinie) enthalten, aber in Deutschland im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie eingeführt worden sind, haben anders als die Bestimmungen der Biopatentrichtlinie in Artikel 8 des Verordnungsvorschlags keine Entsprechung.
Mit Blick auf die Bedeutung dieser Bestimmungen für die Akzeptanz der Patentierbarkeit biotechnologischer Erfindungen bittet der Bundesrat die Bundesregierung, sich in den weiteren Verhandlungen für die Berücksichtigung der in § 9c Absatz 3 und § 11 Nummer 2a des Patentgesetzes enthaltenen Regelungen im Verordnungsvorschlag einzusetzen.
- 5. Der Bundesrat weist darauf hin, dass nach Artikel 11 Absatz 3 der Biopatentrichtlinie das Ausmaß und die Modalitäten für das in Artikel 11 Absatz 2 der Biopatentrichtlinie für den Bereich der Tierzucht geregelte Landwirteprivileg durch nationale Gesetze, Rechts- und Verwaltungsvorschriften und Verfahrensweisen geregelt werden.
Auch der Verordnungsvorschlag schafft neben der Regelung in Artikel 8 Buchstabe j keine diesbezügliche EU-rechtliche Regelung, so dass es insoweit bei der Maßgeblichkeit nationaler Vorschriften bleibt. Dies dürfte auch mit Blick auf die im Verordnungsvorschlag geregelten Unterlassungsansprüche gelten, auch wenn der Vorschlag keine Artikel 11 Absatz 3 der Biopatentrichtlinie entsprechende Bestimmung enthält.
Dieser Umstand kann dazu führen, dass bei einem europäischen Patent mit einheitlicher Wirkung Ausmaß und Modalitäten des Landwirteprivilegs im Bereich der Tierzucht zwar bezogen auf das jeweilige Patent stets EU-weit einheitlich geregelt sind, aber von Patent zu Patent je danach unterschiedlich sein können, welches nationale Recht durch Artikel 10 des Verordnungsvorschlags jeweils zur Anwendung berufen wird.
Soweit danach in den Grenzen des Artikel 11 Absatz 2 der Biopatentrichtlinie EU-weit restriktive Ausgestaltungen des Landwirteprivilegs zur Anwendung kommen, befürchtet der Bundesrat, dass sich hieraus Beeinträchtigungen für die bäuerliche Tierzucht und Tierhaltung oder eine Gefährdung der genetischen Vielfalt bei landwirtschaftlichen Nutztieren ergeben können. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, diese Problematik in den weiteren Verhandlungen im Auge zu behalten und erforderlichenfalls auf eine EU-weit einheitliche Regelung in der Verordnung hinzuwirken.
- 6. Anders als Artikel 63 Absatz 2 des Verordnungsvorschlags gemäß Addendum 1 zum Ratsdokument 16113/09 enthält der vorliegende Verordnungsvorschlag keine rechtliche Verklammerung mehr zwischen einheitlichem Patentschutz und dem Bestehen einer europäischen Patentgerichtsbarkeit. Da die Funktionsfähigkeit eines EU-weit einheitlichen Patentschutzes ohne eine europäische Patentgerichtsbarkeit fraglich erscheint, bittet der Bundesrat die Bundesregierung mit Blick auf die weiteren Verhandlungen zu prüfen, ob die Möglichkeit der Beantragung einheitlichen Patentschutzes vom Bestehen einer europäischen Patentgerichtsbarkeit abhängig zu machen ist.