Zugeleitet mit Schreiben des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments - 313128 - vom 30. November 2004. Das Europäische Parlament hat die Entschließung in der Sitzung am 28. Oktober 2004 angenommen. Entschließung des Europäischen Parlaments zur politischen Lage in Belarus nach den Parlamentswahlen und dem Referendum vom 17. Oktober 2004
Das Europäische Parlament,
- - seine Entschließung vom 16. September 2004,
- - in Kenntnis der Stellungnahme zum Referendum vom 17. Oktober 2004 in Belarus, die von der 60. Plenarsitzung der Venedig-Kommission am 8. und 9. Oktober 2004 angenommen wurde,
- - unter besonderem Hinweis auf seine Entschließung vom 24. Oktober 1996 zur Lage in Belarus2, in der es beschloss, von jedem weiteren Schritt auf dem Weg zur Ratifizierung des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens abzusehen, bis die weißrussischen Behörden deutliche Zeichen ihres Willens, die grundlegenden demokratischen Rechte und Menschenrechte uneingeschränkt zu achten, setzen,
- - unter besonderem Hinweis auf seine Entschließung vom 5. Juli 2001 zu Belarus3, die vor den Präsidentschaftswahlen von 2001 angenommen wurde, und auf die Berichte der Parlamentarischen Troika (Parlamentarische Versammlung der OSZE, Parlamentarische Versammlung des Europarates und Europäisches Parlament), die nach den allgemeinen Wahlen 2000 (30. Januar 2001) und den Präsidentschaftswahlen 2001 (4. Oktober 2001) veröffentlicht wurden,
- - Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Belarus: auf dem Weg zu einer künftigen Zusammenarbeit4,
- - unter Hinweis auf die Parlamentswahlen und das Verfassungsreferendum in Belarus am 17. Oktober 2004,
- - in Kenntnis der Erklärung über vorläufige Erkenntnisse und Schlussfolgerungen der internationalen Wahlbeobachtermission für die Parlamentswahlen in Belarus,
- - in Kenntnis der Erklärung des Ratsvorsitzes im Namen der Europäischen Union zu den Parlamentswahlen und dem Referendum vom 17. Oktober 2004 in Belarus,
- - Oppositionspolitiker in Minsk am 19. Oktober 2004,
- - unterzeichneten "Belarus Democracy Act" von 2004,
A. in der Erwägung, dass die internationale Wahlbeobachtermission für die Parlamentswahlen in Belarus zu dem Schluss gelangt ist, dass die belarussischen Behörden es versäumt haben, die erforderlichen grundlegenden Voraussetzungen dafür zu gewährleisten, dass der Volkswille als Grundlage für Regierungsautorität dienen kann, und dass die demokratischen Grundsätze von den Behörden weitestgehend missachtet wurden,
B. in der Erwägung, dass die Wahlen durch aktive Ausgrenzung und Nichtregistrierung von Oppositionskandidaten, aggressive repressive Maßnahmen gegen Oppositionskandidaten, ihre Familien und Wahlhelfer, durch Inhaftierung von Wahlhelfern und Beschlagnahmung von oppositionellem Wahlkampfmaterial, durch stark tendenziöse Medienberichterstattung, Druck auf einige Wählergruppen und mangelnde Transparenz in der Mehrzahl der Wahllokale beeinträchtigt wurden,
C. in der Erwägung, dass Oppositionsvertreter von den Wahlausschüssen ausgeschlossen und lokale und internationale Beobachter häufig daran gehindert wurden, den Wahlverlauf uneingeschränkt zu beobachten, und ihnen in einigen Fällen der Zugang zu den Wahllokalen verweigert wurde,
D. in der Erwägung, dass Präsident Lukaschenko mit der gleichzeitigen Abhaltung eines Verfassungsreferendums von den Parlamentswahlen eindeutig ablenken wollte,
E. in der Erwägung, dass die im Verfassungsreferendum in Belarus gestellte Frage nicht ordnungsgemäß formuliert war und einen Verstoß gegen die Artikel 22, 83 und 113 der Verfassung der Republik Belarus sowie gegen Artikel 112 des Wahlrechts der Republik Belarus darstellte,
F. in der Erwägung, dass das Fehlen einer zeitlichen Begrenzung der Amtszeit des Präsidenten von Belarus gegen den demokratischen Grundsatz eines Machtgleichgewichts verstößt,
G. in der Erwägung, dass in den Tagen nach den Wahlen friedliche Demonstrationen der Opposition durch belarussische Polizei in Kampfausrüstung gewaltsam aufgehalten wurden und der Führer der Vereinigten Bürgerpartei, Anatoli Lebedko, ins Krankenhaus eingeliefert werden musste, nachdem er in einem Restaurant zusammengeschlagen worden war,
H. in der Erwägung, dass der Vorsitzende der Belarussischen Sozialdemokratischen Partei, Nikolai Statkewitsch, und der Führer der "Malady"-Front, Pavel Severinets, zusammen mit circa weiteren 40 Personen nach diesen Demonstrationen festgenommen und inhaftiert wurden; in der Erwägung, dass mehrere Journalisten an der Berichterstattung über die Demonstration gehindert und festgenommen, jedoch nach Feststellung ihrer Personalien wieder freigelassen wurden,
L.in der Erwägung, dass die junge Journalistin Vieronika Cherkasova, die für die
Gewerkschaftszeitung "Salidarnasc" tätig war, unter ungeklärten Umständen ermordet in
ihrer Wohnung aufgefunden wurde,
in der Erwägung, das diese Wahlen und das Klima der Furcht und des Missbrauchs, in dem
sie abgehalten wurden, es noch unwahrscheinlicher erscheinen lassen, dass Belarus sich in
die demokratischen Strukturen und Institutionen Europas integrieren kann,
K. mit Bedauern feststellend, das die russische Regierung das Wahlergebnis vorbehaltlos anerkannt hat,
- 1. unterstreicht, dass die Parlamentswahlen und das Referendum vom 17. Oktober 2004 internationalen Normen für demokratische Wahlen nicht entsprochen haben und daher nicht als frei und fair betrachtet werden können;
- 2.ist der Auffassung, dass das in Belarus gewählte Parlament kein wirklich demokratisches Mandat als Repräsentant des belarussischen Volkes hat;
- 3. erkennt die Legitimität des Referendums nicht an;
- 4. ist der Auffassung, dass Präsident Aleksander Lukaschenko sich bei seiner Kandidatur für die Wahlen im Jahr 2006 auf gar keinen Fall auf die Verfassung berufen kann;
- 5. verurteilt entschieden die gewalttätigen Übergriffe des belarussischen Regimes auf Studenten, Oppositionsführer und Journalisten nach friedlichen politischen Demonstrationen in Minsk; fordert die belarussischen Behörden nachdrücklich auf, alle Personen, die nach diesen Demonstrationen inhaftiert wurden, unverzüglich freizulassen;
- 6. bringt der Familie von Vieronika Cherkasova seine Anteilnahme zum Ausdruck und würdigt eine bedeutende Persönlichkeit, die für die Informationsfreiheit eingetreten ist; fordert die belarussischen Behörden nachdrücklich auf, dieses Verbrechen tatsächlich aufzuklären und den Mörder und die Personen, die hinter dieser Tat stehen, zu verfolgen;
- 7. ist der Auffassung, dass die Art und Weise, in der diese Wahlen und das Referendum stattfanden, sowie die anschließenden gewalttätigen Übergriffe auf politische Regimegegner Ausdruck eines weiteren Schritts in Richtung auf die Errichtung eines nahezu diktatorischen Regimes in Belarus durch Präsident Lukaschenko sind;
- 8. erklärt seine Solidarität mit allen Belarussen, die für ein unabhängiges, demokratisches und rechtsstaatliches Belarus als Mitglied der europäischen Völkergemeinschaft kämpfen;
- 9.zeigt sich überzeugt davon, dass die Politik der Europäischen Union gegenüber Belarus nach dem Referendum und der Wahl unbedingt im Lichte dieser Ereignisse überprüft und auch entsprechend geändert werden muss;
- 10. fordert die Kommission, den Rat und die Regierungen der Mitgliedstaaten auf, ihre Politik der Isolierung von Präsident Lukaschenko und seiner Regimeangehörigen fortzusetzen und, wo immer möglich, zu verstärken, bis klare Schritte unternommen werden, mit denen diese ihre Bereitschaft zur Respektierung demokratischer Werte und der Rechtsstaatlichkeit unter Beweis stellen;
- 11. fordert die Kommission, den Rat und die Regierungen der Mitgliedstaaten nachdrücklich auf, gemeinsam mit anderen demokratischen Ländern und internationalen Institutionen einen Aktionsplan zur stärkeren Unterstützung aller noch vorhandenen demokratischen Kräfte in Belarus auszuarbeiten und durch eine Überprüfung der EU-Finanzinstrumente für dieses Land diejenigen in der belarussischen Zivilgesellschaft stärker zu unterstützen, die sich für den demokratischen Wandel in Belarus einsetzen;
- 12. fordert die Kommission insbesondere auf, umgehend Möglichkeiten der Unterstützung neutraler Berichterstattung für die Bürger von Belarus zu untersuchen; fordert die Schaffung eines spezifischen Bildungsprogramms, in dessen Rahmen jungen Menschen und Studenten aus Belarus, die gern in der Europäischen Union studieren möchten, Stipendien gewährt würden, und fordert finanzielle Unterstützung für akademische Institutionen, die bereit sind, Studenten aus Belarus aufzunehmen;
- 13. fordert den Rat auf, ein Bündel gezielter Sanktionen gegen Mitglieder des belarussischen Regimes zu beschließen, unter anderem auch die Ausdehnung der Visumverbotsregelung für die Mitarbeiter der belarussischen Behörden auf diejenigen, die für die gravierenden Wahlverstöße verantwortlich sind, sowie verstärkte konkrete Unterstützung durch humanitäre und Wirtschaftshilfe für die Gemeinden, die sich dem Regime widersetzen;
- 14. fordert den amtierenden Ratsvorsitz auf, die Lage in Belarus in Anbetracht der engen Beziehungen zwischen diesem Land und Russland auf die Tagesordnung des bevorstehenden Gipfeltreffens EU-Russland am 11. November 2004 in Den Haag zu setzen;
- 15. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten, der Regierung und dem Parlament von Belarus sowie den Parlamentarischen Versammlungen der OSZE und des Europarates zu übermitteln.