COM (2018) 383 final; Ratsdok. 9605/18
971. Sitzung des Bundesrates am 19. Oktober 2018
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU) und der Ausschuss für Frauen und Jugend (FJ) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt den Vorschlag der Kommission zur Aufstellung des Programms "Rechte und Werte" für die Jahre 2021 bis 2027, dessen Ziel der Schutz und die Förderung der in den EU-Verträgen verankerten Rechte und Werte ist.
- 2. Der Bundesrat betont, dass die in Artikel 2 EUV verankerten Werte der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit sowie die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Minderheitenrechte die Grundpfeiler der bilden und von den Mitgliedstaaten ebenso wie von den Organen der zu achten sind.
- 3. Der Bundesrat beobachtet mit Sorge, dass diese europäischen Werte durch Rechts- und Verfassungsänderungen sowie staatliche Maßnahmen oder Unterlassungen in einzelnen Mitgliedstaaten unter Druck geraten. Wenn grundlegende Werte nicht mehr hinreichend geachtet werden, besteht die Gefahr, dass die Gemeinschaft erodiert.
- 4. Er verweist diesbezüglich auf die Möglichkeiten der Länder, auf regionaler und lokaler Ebene den Dialog über die Europäischen Werte und die Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten, in denen die Rechtsstaatlichkeit unter Druck geraten ist, zu verstärken und die guten Beziehungen zu den Partnern und Nachbarn hierfür einzusetzen und weiterzuentwickeln.
- 5. Der Bundesrat fordert, den Wert der Rechtsstaatlichkeit auch in einem institutionellen Sinn stärker zu berücksichtigen. Zu einem Rechtsstaat gehören nicht nur die in Artikel 3 Buchstabe a) des Verordnungsvorschlags genannten Gleichheitsrechte, sondern auch Gewaltenteilung und unabhängige Gerichte. Diese Aspekte sollten bei der Ausgestaltung des Programms stärker Beachtung finden.
- 6. Der Bundesrat fordert darüber hinaus, die Bedeutung der Freiheitsrechte im Programm "Rechte und Werte" stärker zu verankern. Insbesondere Meinungs-und Pressefreiheit sind für eine demokratische Gesellschaft schlechthin konstitutiv. Dies findet im Verordnungsvorschlag nicht ausreichend Berücksichtigung.
- 7. Der Bundesrat begrüßt die Förderung der Bürgerbeteiligung, der demokratischen Teilhabe und des Dialogs mit der Zivilgesellschaft im Sinne von Artikel 11 EUV. Er erinnert aber zugleich daran, dass die Arbeitsweise der Union nach Artikel 10 Absatz 1 EUV auf dem Prinzip der repräsentativen Demokratie beruht. Die in Artikel 4 des Verordnungsvorschlags genannten Maßnahmen sollten daher auch darauf abzielen, Tendenzen entgegenzuwirken, die das repräsentative Element von Demokratien im öffentlichen Diskurs zu delegitimieren versuchen.
- 8. Im Sinne der Stärkung des Dialogs mit und in der Zivilgesellschaft fordert der Bundesrat die Öffnung des Programms für Maßnahmen im Sinne von Artikel 11 Absätze 2 und 3 EUV.
- 9. Der Bundesrat fordert, bei den Zielsetzungen des Programms als weiteren wichtigen Aspekt des europäischen Wertekanons den gesellschaftlichen Zusammenhalt aufzunehmen, der mit Blick auf das Programm "Rechte und Werte" und in Abgrenzung zu den Programmen des ESF und anderen Förderprogramme hier im Sinne von gesellschaftlicher Diskursfähigkeit in und zwischen den Mitgliedstaaten zu verstehen ist und Aspekte des wirtschaftlichen oder sozialen Zusammenhalts ergänzt.
- 10. Der Bundesrat hält es für notwendig, die Möglichkeiten demokratischer Teilhabe gerade für diejenigen Zielgruppen zu verbessern, die in den politischen Diskurs nicht integriert sind. In die Liste der förderbaren Tätigkeiten in Anhang I des Verordnungsvorschlags sollte daher die Herstellung zivilgesellschaftlicher Handlungsfähigkeit ("empowerment"), die Schaffung von Beteiligungsmöglichkeiten und die Unterstützung von Kommunikation im Sinne von Nutzung einfacher Sprache und digitalen Kommunikationsinstrumenten aufgenommen werden, um auch politikferne und EU-distanzierte Zielgruppen ansprechen zu können. Der Bundesrat fordert, dass entsprechende Maßnahmen auch im Zusammenhang mit Fördermaßnahmen aus anderen EU-Programmen förderfähig sein sollten. So sollte es beispielsweise möglich sein, Maßnahmen zur Verbesserung von demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten zu fördern, die im Zusammenhang von EU-geförderten Infrastrukturmaßnahmen die Akzeptanz und das "Ownership" verbessern.
- 11. Der Bundesrat würde es begrüßen, wenn in Artikel 4 des Verordnungsvorschlags die Bedeutung von jugendpolitischen Maßnahmen bzw. die Einbindung der Jugend Erwähnung fände.
- 12. Der Bundesrat bekräftigt das in seiner Stellungnahme zu der Mitteilung der Kommission zum Mehrjährigen Finanzrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 (vergleiche BR-Drucksache 166/18(B) ) geäußerte Bedauern, dass die beiden Themen "Gleichstellung" und "Bekämpfung sexualisierter Gewalt" in dem künftigen Programm "Rechte und Werte" nicht mehr ausdrücklich benannt sind. Durch die Zusammenlegung geht die notwendige Transparenz verloren, in welchem Umfang Mittel für die Gleichstellung und Verhütung geschlechtsspezifischer Gewalt vorgesehen sind.
- 13. Hinsichtlich der Mittelausstattung vertritt der Bundesrat die Auffassung, dass angesichts der gegenwärtigen Lage in vielen Mitgliedstaaten der die vorgeschlagene Mittelausstattung nicht ausreicht. Es bedarf einer deutlichen Steigerung des Mittelansatzes, insbesondere im Bereich des Artikels 2 Absatz 2 Buchstabe b) des Verordnungsvorschlags.
- 14. Vor dem Hintergrund des sich abzeichnenden Austritts des Vereinigten Königreichs aus der und in Anbetracht der zahlreichen und langjährigen Städtepartnerschaften, zivilgesellschaftlichen Projektpartnerschaften und Kooperationen begrüßt der Bundesrat, dass der Kommissionsvorschlag in Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b) die Möglichkeit für die Beteiligung von Drittstaaten vorsieht.
- 15. Hinsichtlich der Durchführungsmodalitäten des Programms sollten weitere Anstrengungen unternommen werden, um einfache und für viele Personengruppen zugangsoffene Beantragungs- und Abrechnungsmodalitäten sicherzustellen. Insbesondere im Interesse kleinerer Vereine und Kommunen, aber auch in Hinblick auf bisher unterrepräsentierte Zielgruppen wie junge Menschen sollte über neue Formate wie Mikro- und Partizipationsprojekte nachgedacht werden. Auch "Think Tanks" aus Wissenschaft und Politik sowie verstetigte kommunale Partnerschaften sollten als Zielgruppen in den Blick genommen bzw. förderungswürdig werden.
- 16. Das bisherige System der Kontaktstellen in dem Programm "Europa für Bürgerinnen und Bürger" hat sich für die Beratung und Kommunikation bewährt. Sie werden als "One-Stop-Agency" benötigt, die Informationen und Beratungsleistungen zu allen Teilen des Programms bereitstellen. Der Bundesrat ist deshalb überzeugt, dass auch für das zukünftige Programm eine entsprechende Struktur für die Umsetzung benötigt wird.
- 17. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an das Europäischen Parlament und die Kommission.