Der Bundesrat hat in seiner 966. Sitzung am 23. März 2018 die aus der Anlage ersichtliche Entschließung gefasst
Anlage
Entschließung des Bundesrates - Die Situation der Pflege durch Pflegepersonaluntergrenzen spürbar verbessern
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Regelungen des § 137i SGB V, durch die Pflegepersonaluntergrenzen in pflegesensitiven Bereichen in Krankenhäusern verbindlich eingeführt werden sollen.
- 2. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Vereinbarung der Vertragsparteien (Spitzenverband Bund der Krankenkassen und Deutsche Krankenhausgesellschaft) zu einer spürbaren Verbesserung der Personalschlüssel im Pflegebereich in den Krankenhäusern führen muss. Sollte diese Vereinbarung ganz oder teilweise nicht zustande kommen, muss das Bundesministerium für Gesundheit sachgerechte Pflegepersonaluntergrenzen zeitnah in einer Rechtsverordnung nach § 137i Absatz 3 SGB V festlegen.
- 3. Aus Sicht des Bundesrates entspricht eine Vereinbarung der Vertragsparteien oder eine diese ersetzende oder ergänzende Rechtsverordnung nur dann den Vorgaben des § 137i Absatz 1 Satz 1 bis 4 und 6 SGB V, wenn folgende Maßgaben erfüllt werden:
- a) Der Personalschlüssel gilt für alle Stationen und Notaufnahmen der Krankenhäuser, in denen Pflegepersonal tätig ist.
- b) Der Personalschlüssel muss so hoch sein, dass eine bedarfsgerechte Versorgung und Pflege der Patientinnen und Patienten sichergestellt ist. Hierfür ist eine Pflegekraft-Patienten-Verhältniszahl zu verwenden.
- c) Der Personalschlüssel muss zeitlich umfassend, also sowohl tagsüber als auch nachts, gelten.
- d) Der Personalschlüssel darf ausschließlich durch die Zählung von Fachpersonal als erfüllt gelten.
Der Bundesrat fordert die Bundesregierung daher auf, im Rahmen des ihr nach § 137i Absatz 2 SGB V zugewiesenen fachlichen Austauschs mit den Vertragsparteien auf die Verwirklichung dieser Maßgaben hinzuwirken und diese bei Erlass der Rechtsverordnung nach § 137i Absatz 3 SGB V zu berücksichtigen.
- 4. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung dazu auf, dafür Sorge zu tragen, dass die Krankenhäuser unabhängig von der Trägerschaft durch die Maßnahmen nicht finanziell belastet werden. Die zusätzlichen Personalkosten der Krankenhäuser sind aus GKV-Mitteln vollständig zu finanzieren.
- 5. Der Bundesrat erwartet, dass auch für die Hebammenbetreuung im Kreißsaal und auf Wöchnerinnenstationen angemessene Personalschlüsselzahlen verbindlich festgesetzt werden.
- 6. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung darüber hinaus dazu auf, gesetzliche Personalschlüssel für stationäre Pflegeeinrichtungen nach dem SGB XI einzuführen, die bundeseinheitlich gleich sind, und sicherstellen, dass überall gleich hohe Maßstäbe verbindlich gelten. Zur Finanzierung sind die Sachleistungen der Pflegeversicherung kontinuierlich an die Personalentwicklung anzupassen.
- 7. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, ihn zeitnah über den Fortgang der Beratungen zu der Vereinbarung nach § 137i Absatz 1 SGB V zu informieren.
- 8. Der Bundesrat sieht es für erforderlich an, dass die Einführung und Umsetzung von Personaluntergrenzen nicht zu Versorgungslücken und -engpässen - insbesondere im ländlichen Raum - führen.
- 9. Der Bundesrat sieht Bund, Länder und die Partner der Selbstverwaltung gemeinsam in der Verantwortung, umfassende Maßnahmen zur Fachkräftesicherung und -gewinnung zu ergreifen, damit Personaluntergrenzen umgesetzt und eingehalten werden können.
Begründung:
Zum 1. Januar 2019 werden Personaluntergrenzen für alle pflegesensitiven Bereiche in den Krankenhäusern eingeführt. Das SGB V verpflichtet den Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Deutsche Krankenhausgesellschaft unter Beteiligung des Verbandes der Privaten Krankenversicherung die Umsetzung dieser gesetzlichen Vorgabe in einer Vereinbarung zu konkretisieren.
Angesichts der Überlastung des Pflegepersonals in den Krankenhäusern, die sowohl die Patientenversorgung beeinträchtigt als auch zur Abwanderung des Fachpersonals aus den Pflegeberufen führt, ist die Einführung von Personaluntergrenzen ein überfälliger Schritt. Damit er Wirkung erzielt, muss die Vereinbarung der Vertragsparteien auf Bundesebene Personalschlüssel zugrunde legen, die die Erbringung guter Pflegequalität ermöglichen und das Pflegepersonal entlasten. Die Nichteinhaltung der Pausenzeiten, Doppelschichten und Überstunden müssen auch in der Urlaubszeit oder bei Erkrankungen des Personals der Vergangenheit angehören. Eine Vereinbarung, die diesen Vorgaben nicht entspricht, muss vom Bundesministerium für Gesundheit durch eine eigene Regelung ersetzt werden.
§ 137i SGB V überlässt die Festlegung pflegesensitiver Bereiche den Vertragsparteien. Das darf nicht dazu führen, dass nur ein kleiner Ausschnitt der Krankenhausabteilungen erfasst wird. Ansonsten droht, dass Personal aus nicht vom Personalschlüssel erfassten Bereichen abgezogen wird. Die Personalschlüssel müssen deswegen umfassend gelten. Des Weiteren ist auszuschließen, dass der Personalschlüssel auf anderem Wege - etwa durch zeitliche Beschränkungen oder die Erfüllung des Personalschlüssels durch Auszubildende oder Hilfskräfte - ausgehebelt wird. Insbesondere ist darüber hinaus wichtig, dass der Personalschlüssel ausreichend hoch ist für eine bedarfsgerechte Versorgung. Denn die Personalschlüssel sollen nicht nur Untergrenzen sein, sondern eine bedarfsgerechte medizinische Versorgung ermöglichen. Hierfür ist wichtig, dass er die Relation Pflegepersonal zu Patientinnen und Patienten ausreichend abbildet.
Die Einführung von Pflegepersonalschlüsseln wird dazu führen, dass die Krankenhäuser mehr Personal einstellen müssen. Es muss ihnen ermöglicht werden, die Kosten für das Pflegepersonal in Gänze aus ihren Entgelten zu refinanzieren. Höhere Kosten für Pflegepersonal dürfen nicht zu Einsparungen in anderen Bereichen des Krankenhauses führen.
Eine Geburt wird belastender und risikoreicher je mehr Gebärende eine Hebamme gleichzeitig betreuen muss. Hebammen verlassen den Beruf, weil sie die Situation im Kreißsaal, in dem sie häufig mehrere Geburten zur selben Zeit betreuen sollen, nicht mehr verantworten können. Ein gravierender Mangel an klinisch tätigen Hebammen und die zusätzliche Belastung der noch in den Krankenhäusern tätigen Hebammen ist das Resultat dieser Überforderung. Daher muss auch für diesen Bereich eine angemessene Personalmindestbesetzung verbindlich festgelegt werden.
Darüber hinaus muss sichergestellt werden, dass auch für die stationären Pflegeeinrichtungen bundesweit die gleichen Personalschlüssel gelten. Dies entspannt die Arbeitssituation und stellt sicher, dass unter den Bedingungen einer generalistischen Ausbildung stationäre Pflegeeinrichtungen nicht einen Wettbewerbsnachteil gegenüber Krankenhäusern haben, wenn es um die Personalausstattung geht.
Bei unveränderten Pflegeversicherungsleistungen treffen die finanziellen Folgen einer Personalverbesserung alleine die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen. Um dem entgegenzuwirken, sind die Leistungen der Pflegeversicherung an die Personalentwicklung anzupassen.
Bereits heute gibt es einen Fachkräftemangel in der Pflege. Allein durch die Einführung von Personaluntergrenzen wird daher die Situation in der Pflege nicht verbessert werden können. Daher muss die Einführung von verpflichtenden Personaluntergrenzen durch weitere Maßnahmen begleitet werden, um zum einen negative Folgen für die Versorgungssituation zu verhindern und zum anderen mehr Fachkräfte für die Pflege zu gewinnen. Verpflichtende Personaluntergrenzen können - auch wenn das Personal vollständig refinanziert wird - sehr schnell negative Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit haben, wenn weiterhin nicht ausreichend Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.