Der Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz Mainz, den 22. Juni 2011
An die Präsidentin des Bundesrates
Frau Ministerpräsidentin
Hannelore Kraft
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
Tierschutz ist ein gesamtgesellschaftliches Anliegen. Rheinland-Pfalz verfolgt die bundespolitischen Entwicklungen im Bereich des Tierschutzes mit großer Aufmerksamkeit und sieht dabei mit Sorge, dass zwei zentrale Tierschutzthemen derzeit seitens der Bundesregierung nicht mit dem im Interesse unserer Mitgeschöpfe gebotenen Nachdruck verfolgt werden.
Rheinland-Pfalz möchte daher die anliegenden Fragen zum Verbot des Schenkelbrandes bei Pferden und zum Entwurf einer Fünften Verordnung zur Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung an die Bundesregierung stellen.
Namens der Landesregierung bitte ich Sie, diese Fragen gemäß § 19 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Bundesrates an die Bundesregierung weiterzuleiten und auf die Tagesordnung der 885. Sitzung des Bundesrates am 8. Juli 2011 zu setzen.
Mit freundlichen Grüßen
Kurt Beck
Fragen an die Bundesregierung zum Verbot des Schenkelbrandes bei Pferden und zum Entwurf einer Fünften Verordnung zur Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung
I. Verbot des Schenkelbrandes bei Pferden
Der Bundesrat hat am 15. Oktober 2010 den rheinlandpfälzischen Entschließungsantrag zum Verbot des Schenkelbrandes bei Pferden angenommen (BR-Drs. 479/10(B) ).
Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, einen Gesetzentwurf zur Änderung des Tierschutzgesetzes vorzulegen, der den Schenkelbrand bei Pferden verbietet.
Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) hat im Januar 2011 zum vorgenannten Bundesratsbeschluss Stellung genommen. Danach unterstützt die Bundesregierung das Anliegen, den Schenkelbrand bei Pferden aus Gründen des Tierschutzes zu verbieten. Bis heute liegt jedoch den für den Tierschutz zuständigen Obersten Landesbehörden kein entsprechender Gesetzentwurf vor.
Ein von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gestellter Antrag zum Verbot des Schenkelbrandes bei Pferden (BT-Drs. 17/4438) wurde vom Bundestag am 25. März 2011 abgelehnt.
Zu einem von der SPD-Fraktion (BT-Drs. 17/4850) gestellten Antrag hat der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz im April dieses Jahres ebenfalls Ablehnung empfohlen.
Bei den Beratungen zu beiden Anträgen wurde deutlich, dass die Regierungsfraktionen dem eindeutigen Votum des Bundesrates für ein Verbot des Schenkelbrandes bei Pferden offenbar nicht folgen wollen. So betonte etwa die Fraktion der CDU/CSU, dass der Schenkelbrand zur Kennzeichnung von Equiden notwendig und ein Markenzeichen sei. Zudem folge er einer langjährigen Tradition.
Vor diesem Hintergrund stellt die rheinlandpfälzische Landesregierung folgende Fragen:
- 1. Warum hat die Bundesregierung zu der mit der Entschließung in BR-Drs. 479/10(B) erhobenen Forderung, den Schenkelbrand bei Pferden zu verbieten, bisher keine Gesetzesinitiative ergriffen und warum ist die angekündigte Tierschutzinitiative bisher nicht umgesetzt worden?
- 2. Steht die Bundesregierung noch zu Ihrer Stellungnahme vom 27.01.2011, wonach sie das Anliegen des Bundesrates unterstützt und eine entsprechende Änderung des Tierschutzgesetzes ankündigt?
- 3. Wie weit sind die in der Stellungnahme angekündigten Vorbereitungen des für den Tierschutz zuständigen Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz inzwischen fortgeschritten?
- 4. Welche Inhalte zur Änderung des Tierschutzgesetzes mit dem Ziel des Verbots des Schenkelbrandes, wie in der oben genannten Stellungnahme angekündigt, sind zu erwarten?
- 5. Wann ist gegebenenfalls mit einer Vorlage zu rechnen und mit welchem Zeitplan rechnet die Bundesregierung für das weitere parlamentarische Verfahren?
II. Entwurf einer Fünften Verordnung zur Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung
Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz hat den für den Tierschutz zuständigen Obersten Landesbehörden den Entwurf einer Fünften Verordnung zur Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung (TierSchNutztV) übersandt.
Mit dieser Änderungsverordnung soll dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Oktober 2010 (2 BvF 1/07) Rechnung getragen werden. Mit dem Beschluss, der auf die abstrakte Normenkontrollklage des Landes Rheinland-Pfalz hin ergangen war, waren die Regelungen zur Haltung von Legehennen in so genannten Kleingruppen sowie die Übergangsfristen für die Legehennenhaltung in so genannten ausgestalteten und in konventionellen Käfigen aus formalen Gründen für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden. Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts bleiben die beanstandeten Bestimmungen noch bis zum 31. März 2012 anwendbar.
Ziel des vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz vorgelegten Verordnungsentwurfs ist es, die vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärten Regelungen zur Kleingruppenhaltung aufzuheben sowie die weitere Nutzung bestehender ausgestalteter Käfige und Kleingruppenhaltungen zu regeln. Im Wesentlichen soll dem durch eine Aufhebung der Regelungen zur Kleingruppenhaltung, durch die Regelung von allgemeinen und besonderen Anforderungen an Haltungseinrichtungen sowie die Bestimmung neuer Übergangsfristen für bestehende ausgestaltete Käfige und für bestehende Kleingruppenhaltungen Rechnung getragen werden.
Eine Begründung zum Neuerlass der Übergangsfrist für bestehende ausgestaltete Käfige bis Ende 2020 enthält der Entwurf nicht. Eine dezidierte Begründung fehlte bereits beim erstmaligen Erlass dieser Übergangsfrist in der Zweiten Verordnung zur Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung aus dem Jahre 2006.
Auch ist die in dem jetzt vorgelegten Entwurf vorgesehene Übergangsfrist für bestehende Kleingruppenhaltungen bis Ende 2035 zu lang. Ausweislich der Begründung des Entwurfs der Änderungsverordnung soll in der Konsequenz des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Oktober 2010 durch Aufhebung des § 13b TierSchNutztV und Einfügung einer Übergangsfrist für bestehende Kleingruppenhaltungen eine Bereinigung der für verfassungswidrig erklärten Rechtslage erreicht werden. Insoweit verwundert zudem die in dem Entwurf vorgesehene Regelung, dass die zuständige Behörde auf Antrag eines Tierhalters im Einzelfall Ausnahmen von der grundsätzlich geforderten Mindesthöhe der Haltungseinrichtungen für Legehennen von 2 Metern genehmigen kann, soweit Gründe des Tierschutzes nicht entgegenstehen. Dies gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass Haltungssysteme für die Kleingruppenhaltung überwiegend eine Grundfläche von mindestens 2,5 qm, also genau die nunmehr ausweislich des Entwurfs erforderliche Mindestgrundfläche, bieten.
Vor diesem Hintergrund stellt die rheinlandpfälzische Landesregierung folgende Fragen:
- 1. Wie rechtfertigt die Bundesregierung die Fortdauer tierschutzwidriger Haltungssysteme durch eine Übergangsfrist für bestehende ausgestaltete Käfige bis Ende 2020?
- 2. Warum soll nach Vorstellung der Bundesregierung die Übergangsfrist für bestehende Kleingruppenhaltungen bis Ende 2035 laufen, obwohl ein schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand dieser tierschutzwidrigen Haltungsform nicht entstehen konnte?
- 3. Welche wirtschaftliche Bedeutung haben die ausgestalteten Käfige und die Kleingruppenhaltung in Deutschland und rechtfertigt dies die lange Übergangsfrist der tierschutzwidrigen Haltungsgruppen?
- 4. Warum ist zu Lasten des Tierschutzes vorgesehen, dass die zuständige Behörde Ausnahmen von der grundsätzlich geforderten Mindesthöhe einer Haltungseinrichtung von 2 Metern genehmigen kann? Warum ist in der Verordnung keine Mindesthöhe der Haltungseinrichtungen vorgeschrieben, die auch durch behördliche Ausnahmeregelungen nicht unterschritten werden darf?