891. Sitzung des Bundesrates am 16. Dezember 2011
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union und der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme vom 6. November 2009 zur Mitteilung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften an das Europäische Parlament und den Rat über die Methode zur Erstellung von EU-Statistiken: eine Vision für das nächste Jahrzehnt (BR-Drucksache 706/09(B) ) die Wahrung der nationalen und föderalen Eigenständigkeit hinsichtlich von Organisation und Ausgestaltung der amtlichen Statistik angemahnt, die Beachtung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung gefordert und die Vorteile und Grenzen der Verwaltungsdatennutzung in der amtlichen Statistik hervorgehoben. Die rasche Entwicklung auf europäischer Ebene in Umsetzung der Vision macht es erforderlich, auf Folgendes hinzuweisen:
- - Der Bundesrat begrüßt nun, dass mit Artikel 10a der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken durch die Festlegung von Mindeststandards die fachliche Unabhängigkeit der statistischen Stellen in den Mitgliedstaaten gestärkt wird. Dieser Legislativvorschlag setzt zielgenau und verhältnismäßig Maßnahmen zur erfolgreichen haushaltpolitischen Überwachung innerhalb der EU um, wie dies ebenfalls vom Bundesrat mit seiner Stellungnahme zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 479/2009 im Hinblick auf die Qualität der statistischen Daten im Rahmen des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit vom 26. März 2010 (BR-Drucksache 087/10(B) ) beschlossen wurde. - Der Bundesrat stellt fest, dass die in Artikel 10a der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 genannten Mindestanforderungen bei den statistischen Ämtern der Länder bereits erfüllt sind:
- - Transparente Einstellungs- und Entlassungsprozesse nach ausschließlich fachlichen Kriterien werden durch die Übertragung höherwertiger Dienstposten ausschließlich nach dem Leistungsgrundsatz und durch den beamtenrechtlichen Schutz vor Entlassung sichergestellt.
- - Den statistischen Ämtern der Länder werden feste Haushaltsmittel in ein- oder zweijährigen Haushaltsplänen zugewiesen. - Die Veröffentlichungsdaten von zentralen statistischen Informationen werden von den statistischen Ämtern einen angemessenen Zeitraum im Voraus bekanntgegeben.
- - Der Bundesrat weist darauf hin, dass der von Eurostat an den Ausschuss für das Europäische Statistische System übermittelte Vorschlag zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 223/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2009 über europäische Statistiken (ESSC 2011/11/7/EN - Annex) weit über das nach den Erfahrungen aus der Euro- und Finanzkrise zur Verbesserung des Europäischen Statistischen Systems gebotene Maß hinausgeht. Die in der Stellungnahme des Bundesrates (BR-Drucksache 706/09(B) ) befürchtete Zentralisierung des gesamten europäischen Systems der amtlichen Statistik würde damit Realität und die künftige Wahrung der nationalen bzw. föderalen Eigenständigkeit hinsichtlich der Organisationsentscheidung und der Ausgestaltung der Durchführung der amtlichen Statistik gefährdet. Die Dezentralität, wie in der deutschen amtlichen Statistik seit Jahrzehnten erfolgreich praktiziert, ist auch ein Garant für die Bereitstellung objektiver, manipulationsfreier statistischer Daten.
- 2. Der Bundesrat weist in Bezug auf den konkreten Regelungsvorschlag insbesondere auf Folgendes hin:
- - Eine Änderung von Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe a EU-StatVO lehnt der Bundesrat ab. Bereits die geltende Fassung sichert den für die Entwicklung, Erstellung und Verbreitung europäischer Statistiken zuständigen Stellen die notwendige fachliche Unabhängigkeit. Der zur Streichung vorgesehene Vorbehalt zu den institutionellen Rahmenbedingungen schränkt diese in keiner unzulässigen, die Qualität und die Zuverlässigkeit der statistischen Daten tangierenden Weise ein, sondern trägt nur einzelstaatlichen Besonderheiten und damit dem Subsidiaritätsgrundsatz Rechnung. Eine institutionelle Unabhängigkeit ließe sich nach deutscher Verfassungslage mit dem Demokratieprinzip und dem darin enthaltenen grundsätzlichen Verbot ministerialfreier Verwaltung nicht vereinbaren. - Die EU hat nach Artikel 4 Absatz 2 Satz 1 EUV die nationalen Identitäten der Mitgliedstaaten, die in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen einschließlich der regionalen und lokalen Selbstverwaltung zum Ausdruck kommen, zu achten. Regelungen zu hierarchischen Befugnissen und Kompetenzen des Leiters des Nationalen Statistischen Amtes im innerstaatlichen Bereich, wie sie in Artikel 5a des Vorschlags zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 223/2009 zum Ausdruck kommen, wären mit den bundesstaatlichen Strukturen in der deutschen amtlichen Statistik nicht vereinbar und werden daher vom Bundesrat abgelehnt. Die innerstaatliche Organisation und die Zuständigkeitsverteilung ist Sache der Mitgliedstaaten. Die Bundesregierung wird daher aufgefordert, bei den weiteren Verhandlungen einen Vorbehalt wegen des deutschen föderalen Systems der amtlichen Statistik zu machen und klarzustellen, dass Aufgaben des Nationalen Statistischen Amtes im Sinne der Verordnung auch von den statistischen Ämtern der Länder wahrgenommen werden.
- - Koordinierungsvorschriften zur Zusammenarbeit zwischen dem Nationalen Statistischen Amt und den statistischen Ämtern der Länder sind im Übrigen mit dem Subsidiaritätsprinzip nicht vereinbar.
- - Das Bundesverfassungsgericht hat im Volkszählungsurteil aus dem Jahre 1983 den Grundsatz der Abschottung der Statistik von der Verwaltung betont. Ein genereller Zugriff der amtlichen Statistik auf sämtliche Verwaltungsdaten eines Mitgliedstaates, wie dies in Artikel 17a des Vorschlags zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 223/2009 vorgesehen ist, wäre nicht mit der Wahrung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung und den europarechtlichen Vorschriften zum Datenschutz (insbesondere in Richtlinie 95/46/EG) vereinbar. Einer derartig weitreichenden, fast unbegrenzten Datenerhebungsbefugnis der amtlichen Statistik steht nicht nur das Zweckbindungsgebot, sondern auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entgegen. Insbesondere besteht die Gefahr, dass das Steuergeheimnis beeinträchtigt wird.
- 3. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.