Zugeleitet mit Schreiben des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments - 5309 - vom 27. Oktober 2005. Das Europäische Parlament hat die Entschließung in der Sitzung am 29. September 2005 angenommen.
Entschließung des Europäischen Parlaments zu Belarus
Das Europäische Parlament,
- - unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zur Lage in Belarus,
- - unter besonderem Hinweis auf seine Entschließungen vom 10. März 2005 zu Belarus1 und vom 7. Juli 2005 zur politischen Lage und zur Unabhängigkeit der Medien in Belarus2,
- - unter Hinweis auf den von ihm verliehenen Sacharow-Preis für geistige Freiheit, der im Dezember 2004 an den Journalistenverband von Belarus vergeben wurde,
- - in Kenntnis der UN-Resolution vom 12. April 2005 zur Lage der Menschenrechte in Belarus,
- - unter besonderem Hinweis auf den von seiner Delegation für die Beziehungen zu Belarus am 23. Februar 2005 angenommenen EU-Aktionsplan für die Förderung der Demokratie in Belarus,
- - in Kenntnis der Mitteilung der Kommission vom 12. Mai 2004 zur Europäischen Nachbarschaftspolitik (KOM (2004) 0373),
- - in Kenntnis der Entschließungen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zur Lage in Belarus und insbesondere ihre Entschließung vom 28. April 2004 zur Verfolgung der Presse in der Republik Belarus,
- - in Kenntnis der am 2. Juli 2004 gegen offizielle Vertreter von Belarus verhängten EU-Sanktionen als Reaktion auf das Verschwinden dreier belarussischer Oppositionsführer und eines Journalisten,
- - in Kenntnis der Erklärungen des Ratsvorsitzes im Namen der EU zu Belarus vom 2. August 2005, 12. August 2005 und 30. August 2005,
- - in Kenntnis der Entscheidung der Kommission, einen Auftrag im Wert von EUR 138 000 an die Deutsche Welle zu vergeben, die ab dem 1. November 2005 ein Jahr lang über Hörfunk und Internet unabhängige Sendungen nach Belarus ausstrahlen wird,
- - gestützt auf Artikel 103 Absatz 4 seiner Geschäftsordnung,
A. in der Erwägung, dass sich die Situation in Belarus keineswegs verbessert, sondern weiter verschlechtert und einen Punkt erreicht hat, an dem die grundlegenden Menschenrechte mit Füßen getreten werden, das Parlament über keinerlei Gesetzgebungsbefugnisse mehr verfügt und das Wirtschaftsleben vom Präsidenten kontrolliert wird, in der Erwägung, dass diese Verstöße die Inhaftierung von Mitgliedern der demokratischen Opposition und andere Formen von Repression gegen sie umfassen,
B. in der Erwägung, dass in den letzten Jahren mehrere politische Parteien, 22 unabhängige Zeitungen, über fünfzig nichtstaatliche Organisationen, die auf verschiedenen Ebenen und mit unterschiedlichen politischen Ausrichtungen für Demokratie eintreten, sowie verschiedene Bildungseinrichtungen "aus technischen Gründen" geschlossen wurden, dass aber diese Organisationen in allen Fällen eindeutig wegen Kritik am Präsidenten und seiner Politik bestraft wurden,
C. in der Erwägung, dass der belarussische Justizminister Viktar Halavanau eine Verfügung erlassen hat, wonach sich alle Parteien, Gewerkschaften, Koalitionen, Bürgerinitiativen und Bewegungen registrieren lassen müssen, und dass damit bezweckt wird, die Vereinigung der politischen Kräfte zu behindern, die bei den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr einen Herausforderer Lukaschenkos unterstützen würden,
D. in der Erwägung, dass der belarussische Präsident Lukaschenko am 13. September 2005 eine Verfügung erlassen hat, wonach ihm das Recht auf Begnadigung bei Eigentumsdelikten zusteht, und dass dies ein weiterer Schritt ist, um alle Macht im Lande, einschließlich der Rechtsprechung, in einer Hand zu konzentrieren,
E. in der Erwägung, dass die UN-Menschenrechtskommission Belarus im April 2005 kritisiert hat, weil immer wieder berichtet wird über Repressalien gegen und die Auflösung von nichtstaatlichen Organisationen sowie Organisationen der nationalen Minderheiten, gegen unabhängige Medien, Oppositionsparteien, unabhängige Gewerkschaften und religiöse Organisationen sowie über Repressalien gegen Einzelpersonen, die sich demokratisch engagieren, auch in unabhängigen Medien,
F. in der Erwägung, dass nach der Schließung der unabhängigen Universitäten in Belarus die Europäische Humanistische Universität für belarussische Studenten im Exil in Vilnius eröffnet wurde,
G. in der Erwägung, dass es in Belarus nach wie vor zu politisch motivierten Festnahmen und Verfahren gegen Aktivisten der demokratischen Bewegung und unabhängige Journalisten sowie zur Abschiebung ausländischer Bürger kommt,
H. in der Erwägung, dass keine Fortschritte bezüglich der ungeklärten Fälle mehrerer verschwundener Personen zu verzeichnen sind,
I. in der Erwägung, dass der Vorstand der Vereinigung der Polen in Belarus vom belarussischen Justizministerium am 12. Mai 2005 für illegal erklärt wurde, dass eine Druckerei es auf Anweisung der Regierung abgelehnt hat, die polnische Wochenzeitung "Glos znad Niemna" zu drucken, und statt dessen im Auftrag der Regierung gefälschte Ausgaben gedruckt wurden,
J. in der Erwägung, dass das Regime von Lukaschenko am 27. August 2005 eine Vorstandssitzung der Vereinigung der Polen in Belarus einberufen hat, um den demokratisch und rechtmäßig gewählten Vorstand zum Rücktritt zu zwingen und ihn durch einen dem Regime genehmen Vorstand zu ersetzen,
K. in der Erwägung, dass sich die Lage der anderen Minderheiten, einschließlich der Roma, sowie der religiösen Minderheiten immer weiter verschlechtert, in der Erwägung, dass protestantische Kirchen geschlossen wurden und die evangelische Kirche verboten wurde,
L. in der Erwägung, dass das Recht auf Informationsfreiheit nicht wahrgenommen werden kann, da alle Fernsehsender, die nationalen wie die regionalen, von der Regierung kontrolliert werden und alle Internetverbindungen über ein staatliches Unternehmen hergestellt werden, das zahlreiche Accounts und Websites blockiert,
M. in der Erwägung, dass alle Kabelnetzbetreiber strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie ausländische Kanäle anbieten, die von der belarussischen Regierung nicht genehmigt wurden, in der Erwägung, dass es den belarussischen Kabel-TV-Anbietern auf dieser Grundlage auch verboten wurde, sämtliche ukrainischen Sender sowie den polnischen Sender Polonia auszustrahlen,
N. in der Erwägung, dass jegliche Registrierung neuer Zeitungen von den staatlichen Organen gestoppt wurde, dass tagtäglich Verfahren gegen Zeitungen und Journalisten stattfinden und dass viele bestehende Zeitungen mit hohen Geldbußen belegt wurden, die es ihnen unmöglich machen, weiterhin zu erscheinen,
O. in der Erwägung, dass Präsident Lukaschenko es nahezu gänzlich verhindert, dass das internationale Netz von nichtstaatlichen Organisationen in Europa und Belarus Kindern, die unter den Folgen der Katastrophe von Tschernobyl leiden, dabei hilft, zur Erholung in verschiedene europäische Länder zu reisen,
P. in der Erwägung, dass Polen vorübergehend seinen Botschafter aus Minsk abberufen hat, nachdem eine Reihe von Diplomaten ausgewiesen worden waren, und die Beschuldigungen von Präsident Lukaschenko, Polen mische sich in die inneren Angelegenheiten des Landes ein, zurückweist,
Q. in der Erwägung, dass Präsident Lukaschenko auf dem UN-Gipfel in New York am 15. September 2005 die UN-Menschenrechtsgremien beschuldigte, sie ließen sich missbrauchen, um Kontrolle über andere Länder zu erlangen,
R. in der Erwägung, dass es der Vorgehensweise des Rates gegenüber Belarus an Bestimmtheit und Entschlossenheit mangelt,
1 Angenommene Texte, P6_TA(2005)0080.
2 Angenommene Texte, P6_TA(2005)0295.
- 1. verurteilt nachdrücklich die wahllosen Übergriffe des belarussischen Regimes auf Medien, Personen, die sich für Minderheiten- und Menschenrechte einsetzen, Oppositionelle, religiöse Führer und generell jeden, der versucht, offen Kritik am Präsidenten und am Regime zu äußern, wobei diese Übergriffe in der Form willkürlicher Festnahmen, der Misshandlung von Häftlingen, des Verschwindenlassens von Personen, der politischen Verfolgung und anderer Formen der Repression, die gegen die wesentlichen Grundsätze der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit verstoßen, begangen werden;
- 2. verurteilt die Änderung der Verfügung 460 über Regelungen für die Annahme ausländischer Hilfe durch das belarussische Regime am 17. August 2005, durch die die Liste der Zwecke, für die ausländische Hilfe nicht angenommen werden darf, erweitert wird; stellt fest, dass es nunmehr verboten ist, internationale Hilfe anzunehmen und zu verwenden für "verfassungswidrige Zwecke", zum Sturz der Regierung, zur Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Belarus, zur Vorbereitung von Wahlen oder Volksabstimmungen, zur Veranstaltung von Treffen, Kundgebungen, Demonstrationen oder Streiks sowie zur Vorbereitung und Verteilung von Propagandamaterial, und dass es unmöglich ist, Konferenzen, Seminare und Treffen jeder Art unter Verwendung ausländischer Hilfe zu veranstalten;
- 3. verurteilt das Verbot der evangelischreformierten Kirche durch das Regime vom 22. August 2005; stellt fest, dass diese Kirche seit über 400 Jahren in Belarus existiert und nun verboten wurde, weil sie nicht über eine rechtmäßige Anschrift verfügte, dass ihr dies allerdings auch gar nicht möglich war, weil die Behörden sie zuvor aus allen Gotteshäusern vertrieben hatten, was gegen das belarussische Gesetz über die Glaubensfreiheit verstößt;
- 4. verurteilt das Vorgehen der Regierung gegen die Vereinigung der Polen in Belarus als Verstoß gegen die Grundsätze des Rahmenübereinkommens des Europarats zum Schutz nationaler Minderheiten von 1995 sowie als Versuch, die größte nichtstaatliche Organisation und eine der wenigen nicht von der Regierung kontrollierten Organisationen in die Knie zu zwingen; weist darauf hin, dass die Achtung der Rechte von Minderheiten auch die Vereinigungsfreiheit und die Anerkennung der gewählten satzungsmäßigen Gremien der Organisation umfasst; bedauert, dass die Regierung die Kontrolle über die Zeitung "Glos znad Niemna" übernommen hat;
- 5. verurteilt die anhaltende Verfolgung der Aktivisten der polnischen Minderheit, die die Unabhängigkeit ihrer Vereinigung bewahren wollen; stellt fest, dass die aktivsten unter ihnen immer wieder durch Vorladungen der Staatsanwaltschaft und der Polizei schikaniert werden; weist darauf hin, dass Angelika Borys, Vorsitzende der Vereinigung der Polen in Belarus, in den letzten Wochen über fünfzig Mal vernommen wurde, und dass Tadeusz Gawin, Gründungsmitglied und derzeitiger stellvertretender Vorsitzender der Vereinigung der Polen in Belarus, zu dreißig Tagen Haft verurteilt wurde;
- 6. protestiert dagegen, dass die Aktivisten der Vereinigung der Polen in Belarus Jozef Parzecki, Wieslaw Kiewlak, Andrzej Pisalnik und Andrzej Poczobut auf Grund falscher Beschuldigungen in Strafverfahren zu Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren verurteilt wurden;
- 7. protestiert dagegen, dass das belarussische Regime die Roma-Minderheit in Belarus vollständig ausgrenzt und ihre grundlegenden Bürgerrechte beschneidet, und verurteilt nachdrücklich, dass die staatlichen Medien den Hass auf die Roma-Bevölkerung schüren;
- 8. verurteilt die Tatsache, dass die belarussischen Behörden einer Delegation von Mitgliedern des Europäischen Parlaments, die sich am 8. August 2005 auf eine factfinding mission begeben hatten, kein Einreisevisum erteilt haben;
- 9. fordert Rat und Kommission auf, ein Programm aufzulegen, das Stipendien, Besuche und Praktika für Nichtregierungsorganisationen sowie Aktivisten umfasst, die für Menschen- und Minderheitenrechte eintreten;
- 10. ist der Auffassung, dass Kommission, Rat und Parlament das Verfahren zur Ausweitung der Visasperre für offizielle belarussische Vertreter, die an Verfolgungen beteiligt waren, einleiten sollten, wenn die belarussischen Behörden nicht dafür sorgen, dass sich die Lage im Hinblick auf die Meinungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit verbessert, sondern sich die Situation weiter verschlechtert; ist der Auffassung, dass die Sanktionen gegen das Regime von Präsident Lukaschenko auch das Einfrieren von Vermögenswerten, die belarussische Staatsorgane im Ausland deponiert haben, umfassen sollten;
- 11. betont erneut, dass die weitere Entwicklung der Beziehungen der Europäischen Union zu Belarus nach wie vor auch von Fortschritten in Richtung Demokratisierung und Reformen im Land, vom Zugang der belarussischen Bürger zu objektiven, freien und transparenten Medien sowie von der Achtung der Rechte und Freiheiten der Minderheiten sowie der religiösen Rechte und Freiheiten abhängig ist;
- 12. begrüßt die Tatsache, dass die Kommission beschlossen hat, weitere Unterstützung für unabhängige Rundfunkprogramme in Belarus zu leisten; betont, wie wichtig es ist, die belarussische Öffentlichkeit mit zuverlässigen und unabhängigen Informationen zu versorgen; fordert Rat und Kommission erneut auf, ihre Verantwortung im Rahmen der Nachbarschaftsstrategie wahrzunehmen und die belarussische Zivilgesellschaft zu unterstützen und ein Programm zur Finanzierung der Ziele der Europäischen Nachbarschaftspolitik mit auf Belarus zugeschnittenen Fördermaßnahmen aufzulegen; fordert Rat und Kommission nachdrücklich auf, schnellstmöglich noch mehr Unterstützung für freie Medien und unabhängige nichtstaatliche Organisationen in Belarus bereitzustellen und die Rundfunkinitiativen auszuweiten;
- 13. fordert die Kommission auf, dafür zu sorgen, dass keine "Pseudo-NGOs" EU-Mittel oder Hilfen aus dem EU-Haushalt erhalten, die von den belarussischen Behörden gegründet werden, um Mittel ausländischer Geber zu erhalten;
- 14. fordert Kommission und Rat auf, den demokratisch gewählten Vorstand der Vereinigung der Polen in Belarus sowie die demokratisch gewählten Vorstände anderer nichtstaatlicher Organisationen zu unterstützen, die auch vom Regime von Lukaschenko schikaniert werden;
- 15. fordert, dass eine hochrangige Adhoc-Delegation gebildet und auf eine factfinding mission nach Belarus entsandt wird, die dem Parlament dann Bericht erstattet;
- 16. begrüßt nachdrücklich die Ankündigung des Kommissionspräsidenten, einen Sonderbeauftragten zur Beobachtung der Menschenrechtslage nach Belarus zu entsenden, und fordert die Kommission auf, die Einrichtung einer ständigen Vertretung der Europäischen Union in Minsk zu beschleunigen, damit sie besser in der Lage ist, Informationen zu verbreiten, Projekte zu koordinieren und die Lage in Belarus zu beobachten;
- 17. fordert Rat und Kommission auf, das Problem Belarus den russischen Staatsorganen gegenüber anzusprechen um Verantwortung dafür zu übernehmen, dass konkrete demokratische Veränderungen in dem Land herbeigeführt werden;
- 18. fordert alle EU-Mitgliedstaaten auf, kostenlose Visa für belarussische Bürger einzuführen;
- 19. fordert die europäischen Parteien und die Fraktionen im Europäischen Parlament auf, ihre Kontakte zur belarussischen Opposition und ihre politische Unterstützung für sie zu verstärken;
- 20. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, den Parlamenten und Regierungen der Mitgliedstaaten sowie den Parlamentarischen Versammlungen der OSZE und des Europarates zu übermitteln.