906. Sitzung des Bundesrates am 1. Februar 2013
A
- 1. Der federführende Rechtsausschuss und der Gesundheitsausschuss empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetz einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen.
B
- 2. Der Gesundheitsausschuss empfiehlt dem Bundesrat ferner, folgende Entschließung zu fassen:
- a) Der Bundesrat stellt mit Bedauern fest, dass der Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages vom 29. November 2012 zu den Patientenrechten (vgl. BR-Drucksache 7/13) wesentliche Inhalte des Bundesratsbeschlusses aus der BR-Drucksache 312/12(B) unberücksichtigt lässt. Während sich das von der Bundesregierung eingebrachte und nun im Wesentlichen unveränderte Gesetz darauf beschränkt, vorhandenes Recht und Richterrecht übersichtlicher darzustellen, hatten die Länder in ihrer umfassenden Stellungnahme Lösungsvorschläge für wichtige Alltagsprobleme der Patientinnen und Patienten unterbreitet, die nun nicht zum Tragen kommen.
- b) Das Gesetz berücksichtigt nicht, dass Patientinnen und Patienten wesentliche Informationen aus dem Gespräch mit der Ärztin oder dem Arzt bereits unmittelbar danach nur unvollständig erinnern. Die vom Bundesrat geforderte und nicht umgesetzte schriftliche Patienteninformation ("Patientenbrief") kann die Therapietreue verbessern und eine Hilfestellung im Umgang mit Komplikationen sein. Sie sollte dann zu einer Behandlung ausgehändigt werden, wenn sich neue oder veränderte Diagnosen oder Therapieschemata ergeben. Der Patientenbrief sollte neben den Diagnosen, erbrachten Leistungen und der Beschreibung von Situationen, in denen der Patient aktiv werden muss, auch Verhaltens-, Behandlungs- und Therapieempfehlungen sowie bei Bedarf Informationen zu verordneten Arzneimitteln enthalten. Behandelnde können mit dem Patientenbrief belegen, dass sie ihrer Informationspflicht gegenüber dem Patienten nachgekommen sind. Eine praxisgerechte Umsetzung der Forderung nach einem Patientenbrief ist durch die entsprechende Anpassung zertifizierter Praxisinformationssysteme möglich.
- c) Auch darüber hinaus stärkt das Gesetz nicht im ausreichenden Maße die Selbstbestimmung von Patientinnen und Patienten. Der Patient kann nur dann als mündiger Patient auftreten, wenn er umfassend informiert ist. Ausnahmen von dieser Informationspflicht sind daher - anders als im vorliegenden Gesetzesbeschluss - streng zu begrenzen. Auch bei dem Recht auf Einsicht in die eigene Patientenakte wird weiterhin eine Ablehnung aus "sonstigen erheblichen Gründen" zugelassen, was gegenüber der derzeitigen Rechtslage sogar eine Verschlechterung für die Patienten darstellt.
- d) Die häufige Konfrontation von Patientinnen und Patienten mit selbst zu zahlenden medizinischen Leistungen ist ein zentrales, unbestrittenes Alltagsproblem geworden, das im Gesetz nicht adäquat berücksichtigt wird. Laut Bericht des Deutschen Instituts für Medizinische Information und Dokumentation (DIMDI) werden inzwischen 1,5 Milliarden Euro mit sogenannten Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL-Leistungen) umgesetzt, die Patientinnen und Patienten selbst bezahlen. Menschen, die krank sind, sollten nicht durch die offensive Beratung zu sogenannten IGeL-Leistungen bedrängt, verunsichert oder gar verängstigt werden. Durch die Änderungsvorschläge des Bundesrates würden Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Nutzen und mögliche Folgen einer selbst eingekauften medizinischen Leistung besser eingeschätzt werden können und sich Menschen, ohne negative Auswirkungen auf das Verhältnis zu ihrem Behandler befürchten zu müssen, gegen IGeL-Leistungen entscheiden können.
- e) Die für die Wahrnehmung der Interessen der Patientinnen und Patienten maßgeblichen Organisationen werden nicht ausreichend gestärkt. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) trifft wichtige Entscheidungen zur Patientenversorgung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung. Insbesondere legt er in Richtlinien fest, welche Leistungen der medizinischen Versorgung von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden. Aus Gründen der Transparenz und zur Konkretisierung seiner Tätigkeitsgrundlagen beschließt der G-BA eine Verfahrensordnung, in der unter anderem methodische Anforderungen an die wissenschaftliche Bewertung medizinischer Leistungen sowie die Anforderungen an die fachliche Unabhängigkeit von Sachverständigen geregelt werden. Durch ein Stimmrecht bei Beschlüssen über die Verfahrensordnung hätten Patientenvertreterinnen und -vertreter angemessenen Einfluss auf die Vorgehensweise des G-BA bei der Bewertung medizinischer Leistungen.
- f) Für Patientinnen und Patienten, die vor Gericht Schadensersatzansprüche wegen ärztlicher Behandlungsfehler geltend machen, kann die Beweissituation trotz mancher Beweiserleichterungen im Einzelfall schwierig sein. Die Lage geschädigter Patientinnen und Patienten kann durch die Einrichtung eines Entschädigungsfonds verbessert werden, aus dem Patientinnen und Patienten unbürokratisch unterstützt werden. Der Härtefallfonds dient dabei nicht als Ersatz für individuelle Fehlerhaftung, sondern als ergänzendes Instrument zur Regelung von Schadensfällen im Gesundheitswesen. Das breit unterstützte Angebot der Länder zu einer zügigen gemeinsamen Klärung wesentlicher Rahmenbedingungen für die rasche Einführung eines Härtefallfonds ist mit nicht nachvollziehbaren Begründungen im Gesetzgebungsverfahren ignoriert worden.
- g) Die aufgeführten Erwägungen bieten nach Auffassung des Bundesrates ausreichend Anlass, um den Vermittlungsausschuss von Deutschem Bundestag und Bundesrat anzurufen. In Abwägung zwischen den Chancen einer deutlichen Verbesserung des Patientenrechtegesetzes durch Beratung im Vermittlungsausschuss und dem Risiko, dass in der laufenden Legislaturperiode des Deutschen Bundestages keinerlei gesetzliche Transparenz über Patientenrechte mehr erreicht wird, hält der Bundesrat seine Forderungen und Lösungsvorschläge aufrecht, verzichtet aber auf die Anrufung des Vermittlungsausschusses.
- h) Der Bundesrat erwartet von der Bundesregierung, zeitnah die vom Bundesrat eingeforderten Verbesserungen der Patientenrechte vorzubereiten und umzusetzen. Gleichzeitig wiederholt der Bundesrat seine Aufforderung an die Bundesregierung, eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe einzurichten, die die rechtlichen Grundlagen und die mögliche Ausgestaltung eines Patientenentschädigungsfonds prüft.