931. Sitzung am 6. März 2015
Die Ministerpräsidentin des Landes Rheinland-Pfalz Mainz, 25. Februar 2015
An den Präsidenten des Bundesrates
Herrn Ministerpräsidenten
Volker Bouffier
Sehr geehrter Herr Präsident,
die Landesregierung von Rheinland-Pfalz hat beschlossen, den in der Anlage beigefügten Entschließungsantrag "Einwanderung gestalten - Einwanderungsgesetz schaffen" beim Bundesrat einzubringen.
Ich bitte Sie, diesen gemäß § 36 Absatz 2 GO BR in die Tagesordnung der 931. Sitzung des Bundesrates am 6. März 2015 aufzunehmen und dann den Ausschüssen zuzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Malu Dreyer
Entschließung des Bundesrates "Einwanderung gestalten - Einwanderungsgesetz schaffen"
Der Bundesrat möge folgende Entschließung fassen:
Deutschland braucht Einwanderung.
Die demografische Entwicklung führt zu einer Abnahme der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter. Gleichzeitig wächst der Fachkräftebedarf gerade auch im qualifizierten Bereich, nicht nur im Bereich der Hochqualifizierten.
Deutschland ist das wichtigste Einwanderungsland in Europa. Das ist eine neue Chance, sie verlangt aber auch Gestaltung. Einwanderung orientiert sich neben arbeitsplatzbezogenen Kriterien auch an weiteren Faktoren, wie einem attraktiven kulturellen und sozialen Umfeld oder an Unterstützungsleistungen für die Integration, etwa beim Erlernen der Sprache.
Die Einwanderung nach Deutschland findet heute ganz überwiegend aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union statt. Die Tendenz ist weiterhin steigend. Darüber hinaus gewinnt die humanitäre Einwanderung immer stärker an Bedeutung. Die Arbeitsmigration aus Drittstaaten liegt zahlenmäßig noch hinter der Einwanderung aus familiären Gründen und der Bildungsmigration. Auch wenn Deutschland nach Untersuchungen der OECD sein Einwanderungsrecht schrittweise liberalisiert hat und im Bereich der Hochqualifizierten bereits weitgehend geöffnet hat, sind zur Sicherung der Fachkräftebasis weitere Anstrengungen erforderlich. Die Öffnung des Arbeitsmarktes in definierten Engpassberufen ist dabei ein Schritt in die richtige Richtung gewesen. Für die Sicherung des Wohlstandes unseres Landes ist es unerlässlich, dass der Wirtschaft auch zukünftig die benötigten Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Aus diesem Grund müssen die Bestimmungen über die Arbeitsmigration reformiert und transparent gestaltet werden.
Die Änderung ausländerrechtlicher Bestimmungen allein ist jedoch nicht ausreichend. Die Steuerung von Einwanderung muss heute auch über wirtschaftliche, sozialpolitische und kulturelle Unterstützungsangebote erfolgen. Ein modernes Migrationsrecht kann sich deshalb nicht auf Veränderungen im Aufenthaltsrecht beschränken, sondern muss ebenfalls arbeitsmarkt- und sozialpolitische Regelungen definieren. Zudem ist zu prüfen, wie durch die Schaffung legaler Einwanderungsmöglichkeiten im Rahmen gesteuerter Einwanderung das hochbeanspruchte Asylsystem entlastet werden kann. Es geht nicht um isolierte
Veränderungen in einzelnen Regelungen, sondern um die umfassende und grundsätzliche Gestaltung von Einwanderung in allen Lebensbereichen.
Es bedarf einer breiten gesellschaftlichen Debatte über die Einwanderung und die Veränderungen, die damit einhergehen. Ein Grundverständnis in der Bevölkerung, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist und Einwanderer hier willkommen sind, ist notwendig. Es muss offensiv dafür geworben werden, dass sie gleichberechtigte Staatsbürger werden, sich einbürgern lassen und aktiv an der Gestaltung der Gesellschaft mitwirken können. Der Wandel zur Einwanderungsgesellschaft macht eine interkulturelle Öffnung auf allen Ebenen und eine Willkommens- und Anerkennungskultur erforderlich. Es gilt, die Rahmenbedingungen für Einwanderung attraktiver zu gestalten, damit gut ausgebildete Menschen zu uns kommen und dauerhaft mit ihren Familien bei uns verbleiben.
Der Bundesrat fordert vor diesem Hintergrund die Bundesregierung auf, einen Entwurf für ein Einwanderungsgesetz vorzulegen und dabei folgende Eckpunkte zu berücksichtigen:
- 1. Im Einwanderungsgesetz werden sämtliche Regelungen für die arbeitsmarktbezogene Einwanderung zusammengefasst. Das Gesetz muss für Außenstehende - potenzielle Einwanderinnen und Einwanderer, aber auch potenzielle Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber - klar verständlich gefasst sein und verlässliche Rahmenbedingungen bieten. Das damit zusammenhängende Beratungsangebot ist zu verbessern.
- 2. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens ist eine breite Verständigung unter den Beteiligten (Bund, Länder, Wirtschaft, Gewerkschaften, Migrantenorganisationen, Universitäten) erforderlich, in welchen Bereichen wir einen Bedarf an Einwanderung haben und mit welchen kriteriengeleiteten Steuerungsmodellen wir die Einwanderung aus Drittstaaten langfristig bedarfsgerecht steuern. Dabei sollen auch die Arbeitsmigrationsmodelle anderer Staaten (z.B. Punktesystem) ausgewertet werden. Das Einwanderungsgesetz honoriert vorhandene Qualifikationen von Einwanderungswilligen.
- 3. Das Einwanderungsgesetz soll durch nachvollziehbare, aktuell zu erhebende Indikatoren Engpassberufe definieren, die nicht mit dem inländischen Fachkräftepotenzial gedeckt werden können. Regionale Differenzierungen sind möglich. Dazu verzichtet es auf individuelle Vorrangprüfungen.
- 4. Das Einwanderungsgesetz ermöglicht einen unkomplizierten Familiennachzug. Es gibt keine Pflicht, dass Ehe- und Lebenspartner bereits vor der Einreise Deutschkenntnisse nachweisen müssen. Der Erwerb der deutschen Sprache wird konsequent angeboten, gefördert und gefordert. Den Familienangehörigen wird genauso wie den Arbeitsmigrantinnen und -migranten ein unbefristeter Aufenthalt gewährt und eine realistische Perspektive für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit eröffnet. Mehrstaatigkeit soll regelmäßig akzeptiert werden. Der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit von in Deutschland geborenen Kindern ausländischer Eltern soll verbessert werden.
- 5. Das Einwanderungsgesetz richtet sich nicht ausschließlich an hoch qualifizierte Arbeitskräfte, sondern berücksichtigt die Arbeitsmarkteinwanderung auch über andere Qualifikationsniveaus. Es soll geprüft werden, unter welchen Bedingungen qualifizierten Fachkräften aus Drittstaaten eine zeitlich befristete Aufenthaltsmöglichkeit zum Zweck der Arbeitsplatzsuche eingeräumt werden könnte.
- 6. Das inländische Arbeitskräftepotenzial ist zu berücksichtigen und auszuschöpfen. Es ist darauf zu achten, dass durch die Einwanderung von Arbeitskräften keine Verschlechterung bei den Arbeitsbedingungen und keine Absenkung des Lohnniveaus eintreten. Arbeitsausbeutung und illegale Beschäftigung muss durch wirkungsvolle Kontrolle begegnet werden. Die weitere Abschaffung der sogenannten Vorrangprüfung für bereits in Deutschland lebende Asylsuchende und Geduldete ist zu prüfen. Das geltende Recht ermöglicht bereits heute unter bestimmten Bedingungen in Deutschland lebenden Einwanderinnen und Einwandern einen Statuswechsel hin zu einer Arbeitserlaubnis. Das Einwanderungsgesetz soll es Asylbewerbern und Duldungsinhabern mit mindestens qualifizierter Berufsausbildung ermöglichen, im Inland ein Aufenthaltsrecht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit zu erhalten, wenn auch vom Ausland aus eine Zulassung zum Arbeitsmarkt möglich wäre.
- 7. Zur Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials gehört es auch, die Vorqualifikation auch unmittelbar bei Asylsuchenden zu erfassen. Es ist zu prüfen, wie die beruflichen Qualifikationen bereits während der Erstaufnahme systematisch erfasst werden können. Dies gilt insbesondere für Asylsuchende, die erkennbar über eine Bleibeperspektive verfügen, weil sie entweder eine Chance auf Anerkennung haben oder aus Ländern kommen, in die keine Rückführungen stattfinden. Qualifizierten Asylsuchenden muss die Möglichkeit eines Aufenthalts aufgrund ihrer Qualifikation eröffnet werden.
- 8. Asylbewerbern und Duldungsinhabern, die eine Zusage für eine betriebliche Ausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf oder einer vergleichbaren schulischen Berufsausbildung besitzen oder die Ausbildung bereits aufgenommen haben, ist im Interesse der Sicherung der Fachkräftebasis ein Aufenthaltsrecht für die Dauer der Ausbildung zu erteilen. Bei einem erfolgreichen Abschluss ist ein angemessener Zeitraum einzuräumen, um eine dem Abschluss entsprechende Arbeitsstelle zu finden.
- 9. Mit einer weiteren Öffnung des Arbeitsmarktes müssen die Informations- und Beratungsangebote im In- und Ausland ausgebaut und in mehreren Sprachen vorgehalten werden. Die deutschen Auslandsvertretungen und die Ausländerbehörden müssen eine organisatorische Weiterentwicklung hin zu Einwanderungsbehörden erfahren. Die Visa-Verfahren müssen vereinfacht werden.
- 10. Die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit sollte verstärkt im Ausland tätig werden, um gezielt in den Mangel- und Engpassberufen für die Einwanderungsmöglichkeiten zu werben. Ferner sollten mit den Arbeitsverwaltungen anderer Länder konkrete Vermittlungsabsprachen getroffen werden, um (z.B. in den Gesundheitsberufen) Personen mit entsprechenden Vorqualifikationen in Deutschland weiter zu qualifizieren, damit diese die erforderliche Berufszulassung erhalten.
- 11. Die Möglichkeiten des Erwerbs der deutschen Sprache sind im In- und Ausland zu verbessern. Hierzu gehört der Ausbau des deutschen Auslandsschulwesens ebenso wie die Verbreiterung des Kursangebots der Goethe-Institute.
- 12. Eine gesteuerte Einwanderung im Rahmen eines neuen Einwanderungsgesetzes macht es aber auch erforderlich, abgelehnte Asylbewerber auf die Regelungen über die legale Einwanderung zu verweisen und eine konsequente Rückführung zu gewährleisten. Hierzu sind schon aus finanziellen Gründen auch die Instrumente der freiwilligen und geförderten Ausreise in den Blick zu nehmen und die entsprechende Rückkehrberatung zu intensivieren. Nur so können die erforderlichen Freiräume für humanitäre Aufnahmeaktionen aus den Krisengebieten dieser Welt erhalten bleiben. Gleichwohl kann es unabhängig von Bleiberechtsregelungen gerechtfertigt sein, im Bereich qualifizierter Beschäftigung einen Aufenthaltszweckwechsel zu ermöglichen.