Der Bundesrat hat in seiner 876. Sitzung am 5. November 2010 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat begrüßt die Absicht der Kommission, Finanzmittel in Höhe von 50 Mio. Euro für die weitere Entwicklung und Umsetzung der im Jahr 2007 ins Leben gerufenen integrierten Europäischen Meerespolitik für die Jahre 2011 bis 2013 zur Verfügung zu stellen und die Entwicklung der Europäischen Meerespolitik weiter zu unterstützen.
- 2. Der Bundesrat teilt die Einschätzung der Kommission, dass die integrierte Europäische Meerespolitik für ein Konzept meerespolitischer Bewirtschaftung und Politikgestaltung steht, das alle relevanten Politikfelder der EU miteinander verknüpft.
- 3. Der Bundesrat unterstützt ausdrücklich die Absicht der Kommission mit der für die Jahre 2011 bis 2013 vorgeschlagenen Finanzierung in Höhe von 50 Mio. Euro Projekte einer nachhaltigen Nutzung unserer Meere, Ozeane und Küsten sowie des Schutzes der Meeresumwelt zukünftig weiter führen zu können und so eine integrierte maritime Politikgestaltung auf europäischer, nationaler und regionaler Ebene zu fördern. Damit wird sichergestellt, dass politische Entscheidungen nicht einseitig gefasst, sondern alle Tätigkeiten im Blick behalten werden, die die Ozeane und Meere berühren. In diesem Zusammenhang bestärkt der Bundesrat den vorgeschlagenen Ansatz der Kommission, unter Beachtung der Kompetenzen der jeweiligen Akteure
- - die besonderen Herausforderungen und Erfordernisse europäischer Meeresräume mit Blick auf die einzelnen sektorspezifischen Politiken festzustellen, - die maritime Raumplanung und das integrierte Küstenzonenmanagement unter den Aspekten der Planungssicherheit auf See sowie der Wirtschaftlichkeit der Vorhaben sowie dem ökosystembasierten Management als einem Baustein der nachhaltigen Entwicklung von Meeresgewässern bzw. Küstenregionen auszubauen,
- - eine angemessene Infrastruktur für Meereswissen zu schaffen, die öffentlichen Stellen ebenso wie Unternehmen zuverlässige und hochwertige Meeresdaten liefert und dadurch die Betriebskosten für Meeresdatennutzer senkt und so Wettbewerb und Innovation fördert,
- - einen gemeinsamen Informationsraum zu errichten, in dem alle sektorspezifischen Aufsichtssysteme zusammengeführt werden, um das Situationsbewusstsein für Vorgänge auf See zu schärfen und die nationalen Behörden darin zu unterstützen, ihre Überwachungstätigkeiten zu optimieren und auf illegale Tätigkeiten oder Gefahren auf See zu reagieren sowie - nachhaltiges Wirtschaftswachstum, Innovation und Beschäftigung in der maritimen Wirtschaft und in Küstenregionen im Sinne der Ziele der Strategie Europa 2020 für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum zu fördern,
- - mit dem Programm bestehende und künftige Finanzinstrumente zur Förderung des Schutzes und der nachhaltigen Nutzung der Meere zu ergänzen sowie zur Feststellung der Grenzen der Nachhaltigkeit menschlichen Handelns im Rahmen der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie" title="Schlagwortsuche">EG-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie beizutragen.
- 4. Der Bundesrat sieht in einer integrativen Europäischen Meerespolitik Chancen für ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum im Bereich der maritimen Wirtschaft und ihrer Zulieferbranchen bei gleichzeitigem Schutz der Meeresumwelt und ihrer Ressourcen. Er verbindet mit der Europäischen Meerespolitik die Erwartung auf neue Beschäftigungsperspektiven nicht nur für die Küstenregionen.
Um diese Potentiale nutzen zu können, sind nicht zuletzt intensive Anstrengungen in Forschung und Technologie notwendig. Der Bundesrat begrüßt in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Absicht der Kommission, durch die im vorgeschlagenen Programm vorgesehene Finanzierung, den Mitgliedstaaten und den Interessenvertretern der maritimen Wirtschaft zu ermöglichen, die bisherige erfolgreiche Arbeit zugunsten einer nachhaltigen Nutzung der Meeres, Ozeane und Küsten weiter zu führen. Der Bundesrat unterstreicht die Bedeutung der sozialen Dimension der integrierten Europäischen Meerespolitik. Die Förderung von Beschäftigung in den verschiedenen maritimen Sektoren und in den Küsterregionen sowie das angestrebte "Blaue Wachstum" setzen auch Investitionen in die maritime Bildung und Ausbildung voraus. Maritime Ausbildungen und Berufe werden teilweise als unattraktiv wahrgenommen. Dem ließe sich unter anderem durch ein spezifisches Programm der EU zur Förderung der Mobilität im Bereich der maritimen Bildung und Ausbildung entgegenwirken.
- 5. Der Bundesrat begrüßt, dass die Kommission mit dem Unterstützungsprogramm zur Umsetzung der auf einzelne Meeresregionen zugeschnittenen Strategien beitragen will. Regionale Meeresraumstrategien ermöglichen es, durch gezielten Mitteleinsatz spezifische Lösungen für die jeweiligen regionalen Herausforderungen zu finden. Der Bundesrat ist dabei der Auffassung, dass ein Erfolg der bereits bestehenden EU-Ostseestrategie ein positives Beispiel für die eventuelle künftige Entwicklung von weiteren Strategien für einzelne europäische Meeresräume, darunter insbesondere einer Meeresstrategie für den Nordseeraum, sein könnte. Der Bundesrat weist zudem darauf hin, dass Nord- und Ostsee in einem besonders hohen Maße durch unterschiedlichste maritime Aktivitäten genutzt und beansprucht werden. Vor diesem Hintergrund wird die Bundesregierung gebeten, sich dafür einzusetzen, dass diesen Lasten Rechnung getragen wird, indem für Projekte zur Umsetzung der integrierten Meerespolitik in der Nord- und Ostsee auch im Verhältnis zu anderen europäischen Meeresräumen hinreichend Mittel aus dem Unterstützungsprogramm bereitgestellt werden.
- 6. Der Bundesrat hält maritime Wissenschaft, Forschung und Technologie für die nachhaltige Entwicklung der meeresgestützten Tätigkeiten für grundlegend. Er begrüßt die Möglichkeit der Weiterfinanzierung von Projekten, die den Aufbau von geeigneten Wissens- und Innovationsgrundlagen für die Meerespolitik voranbringen. Der Bundesrat hält dabei insbesondere einen verstärkten Dialog zwischen Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und gesellschaftlichen Gruppen der Meeresanrainerstaaten für notwendig. Innovationen in sowie Vernetzungen zwischen den einzelnen Wirtschaftssektoren, wie z.B. Schiffbau, Umwelttechnologien, maritimer Transport einschließlich Häfen, Logistik und Hinterlandanbindung, Off-Shore-Energien, blaue Biotechnologien und maritimer Tourismus, können die Zukunftsfähigkeit der maritimen Wirtschaft unterstützen. Dies gilt insbesondere für die sichere und umweltfreundliche Entwicklung der Schifffahrt. Vor dem Hintergrund wachsender globaler Warenströme ist es ökonomisch und ökologisch sinnvoll, eine engere Kooperation zwischen den europäischen Häfen anzustreben.
- 7. Der Bundesrat hält die Förderung von Leitprojekten einer integrativen Europäischen Meerespolitik zur Entwicklung und Demonstration europäischer maritimer Kompetenzen für sinnvoll, wie zum Beispiel die Entwicklung eines European Clean Port oder eines European Clean Ship, das unter Beteiligung von Schiffbau- und Zulieferindustrie sowie Forschung und Entwicklung innovative Technologien zur Verbesserung von Schiffssicherheit, Arbeits- und Immissionsschutz, Energieeffizienz, umweltverträglicher Entsorgung usw. vereint. Das Ziel eines solchen Modellvorhabens - die Demonstration technischer Möglichkeiten, die auf Grund übergeordneter politischer Ziele dazu geeignet sind, mittelfristig zu einer Anhebung gesetzlicher Standards und ihrer Verankerung auf europäischer und internationaler Ebene und damit zu einem Wettbewerbsvorsprung der europäischen maritimen Wirtschaft zu führen (z.B. in den Bereichen Energieeffizienz, Emissionsreduzierung, alternative Schiffsantriebe oder Schiffssicherheit) - kann nur durch die Gewährleistung eines sicheren finanziellen Rahmens für die Zukunft verwirklicht werden.
- 8. Die erfolgreiche Einführung und Anwendung von in der Pilotphase erprobten innovativen Technologien hängt allerdings davon ab, ob entsprechende politische und rechtliche Rahmenbedingungen gegeben sind. Das gilt insbesondere für Vorhaben zur Verringerung von schiffsbedingten Schadstoffemissionen. Die Nord- und Ostsee sind durch die Internationale Schifffahrtsorganisation (IMO) als Schwefelemissionsüberwachungsgebiete ausgewiesen. Seit dem 1. Juli 2010 gelten dort neue Grenzwerte (1,0 Prozent) für den Schwefelgehalt in Schiffskraftstoffen. Ab dem Jahr 2015 dürfen dort nur noch Schiffstreibstoffe mit einem Schwefelgehalt von 0,1 Prozent verwendet werden. In den sonstigen europäischen Gewässern, wie etwa im Mittelmeer oder vor der europäischen Atlantikküste, dürfen nach wie vor schlechtere und wesentlich preisgünstigere Treibstoffe verwendet werden. Die wegen der unterschiedlichen Schwefelgrenzwerte bestehenden unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen innerhalb Europas könnten dazu führen, dass sich die Wettbewerbssituation deutscher Seehäfen verschlechtert und die europaweite Markteinführung sinnvoller Innovationen behindert wird. Andererseits trägt die Festlegung dieser Grenzwerte zur Förderung technologischer Entwicklung bei, die auf die Umsetzung dieser Standards ausgerichtet ist. Die Bundesregierung wird deshalb gebeten, dafür einzutreten, dass in Europa zügig weitere Emissionsüberwachungsgebiete von der IMO ausgewiesen werden mit dem Ziel, europaweit einheitliche Regelungen für Schiffsemissionen im Seeverkehr einzuführen.
- 9. Um dem Politikansatz einer integrierten Europäischen Meerespolitik für die Zukunft Kontinuität und Durchsetzungskraft zu verleihen, wird es notwendig sein, vorbehaltlich der Diskussion des mehrjährigen Finanzrahmens nach 2013 auch weiterhin europäische Fördermittel zielgerichtet zur Verfügung zu stellen. Die Bundesregierung wird daher gebeten, sich im Zusammenhang mit dem mehrjährigen Finanzrahmen dafür einzusetzen, dass auch ab dem Jahr 2014 Mittel zur Umsetzung der integrierten europäischen Meerespolitik vorgesehen werden.