Zugeleitet mit Schreiben des Generalsekretärs des Europäischen Parlaments - 102998 - vom 5. März 2009.
Das Europäische Parlament hat die Entschließung in der Sitzung am 3. Februar 2009 angenommen.
Das Europäische Parlament,
- - unter Hinweis auf die Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (Vogelschutzrichtlinie)1,
- - unter Hinweis auf die Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen (Habitat-Richtlinie)2,
- - unter Hinweis auf das ökologische Netz besonderer Schutzgebiete der Europäischen Union, das Netz Natura 2000, das durch die beiden genannten Richtlinien geschaffen wurde,
- - unter Hinweis auf die Ergebnisse der neunten Konferenz der Vertragsparteien (COP 9) des Übereinkommens über die biologische Vielfalt,
- - unter Hinweis auf den Bericht Nr. 3/2008 der Europäischen Umweltagentur (EUA) über die Rahmenbedingungen für Waldökosysteme und deren nachhaltige Nutzung,
- - gestützt auf Artikel 45 seiner Geschäftsordnung,
- - in Kenntnis des Berichts des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit (A6-0478/2008),
A. in der Erwägung, dass der wirksame Schutz und, soweit notwendig, die Wiederherstellung der letzten europäischen Wildnisgebiete entscheidend dazu beitragen, dem Verlust der biologischen Vielfalt bis 2010 Einhalt zu gebieten,
B. in der Erwägung, dass das Ziel, dem Verlust der biologischen Vielfalt bis 2010 Einhalt zu gebieten, nicht erreicht werden wird und dass die negativen sozialen und wirtschaftlichen Folgen des Verlusts an biologischer Vielfalt und des Rückgangs der Ökosystemleistungen bereits spürbar sind,
C. in der Erwägung, dass die Europäische Union auf den bislang erzielten Erfolgen wie Natura 2000 aufbauen und einen neuen, erheblich verstärkten und ambitionierten Rahmen der Politik für die biologische Vielfalt in der Zeit nach 2010 schaffen sollte,
D. in der Erwägung, dass die Vogelschutzrichtlinie und die Habitat-Richtlinie einen stabilen und funktionierenden Rahmen für den Schutz der Natur vor schädlichen Entwicklungen, u.a. in Wildnisgebieten, vorgeben,
E. in der Erwägung, dass die Ziele der Politik der Europäischen Union zum Schutz der biologischen Vielfalt sowie die Ziele der Vogelschutzrichtlinie und der Habitat-Richtlinie bisher in keiner Weise angemessen in Politikbereiche wie zum Beispiel Landwirtschaft, regionale Entwicklung, Energie oder Verkehr einbezogen worden sind,
F. in der Erwägung, dass viele Wildnisgebiete als umfangreiche CO₂-Kohlenstoffspeicher fungieren, deren Schutz für die biologische Vielfalt und für den Klimaschutz wichtig ist,
G. in der Erwägung, dass die Auswirkungen invasiver gebietsfremder Arten auf die biologische Vielfalt insbesondere für Wildnisgebiete gefährlich sind, in denen es nicht möglich ist, solche Arten früh auszumachen, und in denen möglicherweise erheblicher ökologischer und wirtschaftlicher Schaden entsteht, bevor Maßnahmen ergriffen werden können,
Definition und Bestandsaufnahme
- 1. fordert die Kommission auf, den Begriff "Wildnis" zu definieren; vertritt die Auffassung, dass die Definition verschiedene Aspekte wie Ökosystemleistungen, Schutzwert, Klimawandel und nachhaltige Nutzung umfassen sollte;
- 2. fordert die Kommission auf, die EUA und andere einschlägige europäische Institutionen damit zu beauftragen, eine Bestandsaufnahme der letzten Wildnisgebiete Europas durchzuführen, um die gegenwärtige Verteilung, die biologische Vielfalt in verschiedenen Gebieten und die Fläche noch unberührter Gebiete sowie auch jene Gebiete, in denen nur minimale menschliche Aktivität stattfindet (und die in größere Lebensraumtypen wie Wald, unberührte Binnengewässer und unberührte Seegebiete unterteilt werden können), zu erfassen;
- 3. fordert die Kommission auf, eine Studie über den Wert und den Nutzen des Wildnisschutzes durchzuführen, in deren Rahmen insbesondere die Themen Ökosystemleistungen, biologische Vielfalt in Wildnisgebieten, Anpassung an den Klimawandel und nachhaltiger Naturtourismus untersucht werden sollten;
Entwicklung von Wildnisgebieten
- 4. fordert die Kommission auf, eine mit der Vogelschutzrichtlinie und der Habitat-Richtlinie in Einklang stehende EU-Strategie für den Schutz der Wildnis zu entwickeln, in der ein Ökosystem-Ansatz verfolgt, bedrohte Arten und Biotope bestimmt und Prioritäten festgelegt werden;
- 5. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, Wildnisgebiete auszuweisen; betont, dass besondere Fördermittel bereitgestellt werden müssen, um die Zerschneidung von Lebensräumen zu verhindern, Wildnisentwicklungsgebiete sorgfältig zu verwalten, Ausgleichsmechanismen und -programme auszuarbeiten, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren und für mehr Verständnis zu werben und für die Wildnis relevante Begriffe wie die Rolle ungehindert ablaufender natürlicher Prozesse und struktureller Elemente, die als Ergebnis solcher Prozesse entstehen, in die Überwachung und Beurteilung eines günstigen Erhaltungsstatus einzubeziehen; vertritt die Ansicht, dass dies in Zusammenarbeit mit der Bevölkerung vor Ort und sonstigen interessierten Kreisen geschehen sollte;
Förderung
- 6. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, mit nichtstaatlichen Organisationen vor Ort, mit den interessierten Kreisen und mit der örtlichen Bevölkerung zusammenzuarbeiten, um das Verständnis für den Wert der Wildnis an sich zu fördern;
- 7. fordert die Mitgliedstaaten auf, Informationskampagnen durchzuführen und zu fördern, um die Öffentlichkeit für die Wildnis und ihren Stellenwert zu sensibilisieren und die Einsicht zu fördern, dass der Schutz der biologischen Vielfalt mit wirtschaftlichem Wachstum und Beschäftigung einhergehen kann;
- 8. fordert die Mitgliedstaaten auf, ihre Erfahrungen mit bewährten Methoden in Wildnisgebieten und bisher diesbezüglich gewonnene Erkenntnisse auszutauschen, indem sie europäische Sachverständige zusammenführen, um den Begriff der Wildnis in der Europäischen Union zu untersuchen und das Thema Wildnis in die aktuelle Politik der Europäischen Union aufzunehmen;
- 9. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten angesichts des ausführlich dokumentierten Schadens, der durch Tourismus in einem großen Teil der wertvollsten Gebiete des europäischen Naturerbes entstanden ist und immer noch entsteht, auf, gegebenenfalls unter Bezugnahme auf Artikel 6 der Habitat-Richtlinie dafür Sorge zu tragen, dass der Tourismus, auch wenn er darauf abzielt, Touristen die Lebensräume und wildlebenden Tiere in Wildnisgebieten nahe zu bringen, mit extremer Vorsicht gehandhabt wird, wobei außer- und innereuropäische Erfahrungen darüber, wie seine Auswirkungen so gering wie möglich gehalten werden können, umfassend genutzt werden; stellt fest, dass Konzepte in Betracht gezogen werden sollten, in deren Rahmen Wildnisgebiete dem Zugang der Allgemeinheit zum größten Teil verschlossen bleiben (mit Ausnahme genehmigter wissenschaftlicher Forschung), jedoch begrenzte Gebiete dem hochwertigen und nachhaltigen Tourismus zum echten Erleben der Wildnis offen stehen, der den lokalen Gebietskörperschaften wirtschaftlich zugute kommt;
Besserer Schutz
- 10. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, den wirkungsvollen Schutz von Wildnisgebieten besonders wichtig zu nehmen;
- 11. fordert die Kommission auf, akute Gefahren im Zusammenhang mit Wildnisgebieten zu ermitteln;
- 12. fordert die Kommission auf, sinnvolle Empfehlungen zu formulieren, die den Mitgliedstaaten Anleitungen im Hinblick auf einen bestmöglichen Ansatz zur Sicherstellung des Schutzes natürlicher Lebensräume bieten;
- 13. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, Wildnisgebiete zu schützen, indem die Vogelschutzrichtlinie, die Richtlinie, die Wasserrahmenrichtlinie3 und die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie4 mit Hilfe einer besseren finanziellen Ausstattung wirksamer und konsequenter umgesetzt werden, damit die Zerstörung dieser Gebiete durch schädliche, nicht nachhaltige Entwicklungen verhindert wird;
- 14. begrüßt die Überarbeitung der Vogelschutz- und der Richtlinie mit dem Ziel, sie bei Bedarf so zu ändern, dass bedrohte Arten und Biotope besser geschützt werden;
- 15. fordert die Kommission auf, die Initiative Wild Europe anzuerkennen, eine Partnerschaft mehrerer Naturschutzorganisationen wie IUCN, IUCN-WCPA, WWF, Birdlife International and PAN Parks, die sich mit großem Nachdruck für Wildnisgebiete oder nahezu wilde Gebiete einsetzt;
Wildnis und Natura 2000
- 16. fordert die Kommission auf, in Zusammenarbeit mit den beteiligten Kreisen im Rahmen des Netzes Natura 2000 Leitlinien für den Schutz, die Verwaltung, die nachhaltige Nutzung, die Überwachung und die Finanzierung von Wildnisgebieten auszuarbeiten, insbesondere, was bevorstehende Herausforderungen wie den Klimawandel, illegalen Holzeinschlag und die steigende Nachfrage nach Gütern angeht;
- 17. erklärt sich aufgrund der fehlenden finanziellen Mittel zur Verwaltung des Netzes Natura 2000 tief beunruhigt über die Artenvielfalt-Politik der Europäischen Union; fordert die Kommission in diesem Zusammenhang auf, wie in der Richtlinie vorgesehen, eine gemeinschaftliche Kofinanzierung der Verwaltung der Gebiete in den Mitgliedstaaten vorzubereiten;
- 18. fordert die Kommission auf, Wildnisgebieten, die Teil des Netzes Natura 2000 sind, einen besonderen Status zu geben und sie stärker zu schützen;
- 19. ist der Auffassung, dass die Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums und die Integration des Umweltschutzes in den Agrarsektor der Europäischen Union stärker vorangetrieben werden müssen; betrachtet jedoch den Fonds für die Entwicklung des ländlichen Raums unter den Aspekten der Ressourcen, der Programmentwicklung und des Fachwissens als unzulänglich für die Finanzierung der Erhaltung der biologischen Vielfalt und der Wildnis;
- 20. fordert die Kommission auf, für die weitere Stärkung des Netzes Natura 2000 zu sorgen, damit es sich zu einem kohärenten und funktionierenden ökologischen Netz entwickelt, bei dem Wildnisgebiete eine zentrale Rolle spielen; betont, dass kohärente Strategien, insbesondere in den Bereichen Gemeinsame Agrarpolitik, Verkehr, Energie und Haushalt, notwendig sind, damit die auf Naturerhaltung bezogenen Ziele von Natura 2000 nicht leiden;
Gebietsfremde invasive Arten
- 21. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, bei der Schaffung eines robusten Rechtsrahmens bezüglich gebietsfremder invasiver Arten zusammenzuarbeiten, mit dem das Problem der von diesen Arten ausgehenden ökologischen und wirtschaftlichen Risiken in Angriff genommen wird und die Wildnisgebiete vor diesen Gefahren geschützt werden;
Wildnis und Klimawandel
- 22. fordert die Kommission auf, die Auswirkungen des Klimawandels auf die Wildnis zu beobachten und zu bewerten;
- 23. fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die Erhaltung der Wildnis im Rahmen ihrer Klimaschutzstrategie zu einem vorrangigen Ziel zu erklären;
- 24. fordert die Kommission auf, im Zusammenhang mit dem Klimawandel zu untersuchen, in welchen Fällen und mit welchen Mitteln menschliches Eingreifen der Erhaltung der Wildnis dienen kann, und diesbezüglich Leitlinien vorzugeben;
- 25. bekräftigt, dass es die Stärkung der politischen Strategien und Maßnahmen im Bereich der Wildnisgebiete entschieden unterstützt;
- 26. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat und der Kommission sowie den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten zu übermitteln.
- 1 ABl. L 103 vom 25.4.1979, S. 1.
- 2 ABl. L 206 vom 22.7.1992, S. 7.
- 3 Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik (ABl. L 327 vom 22.12.2000, S.1).
- 4 Richtlinie 2008/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Meeresumwelt (ABl. L 164 vom 25.6.2008, S. 19).