Der Bundesrat hat in seiner 952. Sitzung am 16. Dezember 2016 gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG die folgende Stellungnahme beschlossen:
- 1. Der Bundesrat unterstützt den Europass als Transparenzinstrument zur Förderung von Vergleichbarkeit von Qualifikationen und zur Erhöhung der Mobilität in Europa. Er befürwortet die Beibehaltung des Europass-Lebenslaufs, um Fertigkeiten und Qualifikationen transparent darzustellen. Grundsätzlich begrüßt er die Absicht der Kommission, den Europass aktuell zu halten und zu verbessern, sofern dies erforderlich ist. Der Kommissionsvorschlag bleibt jedoch an vielen Stellen unklar. Daher sollten in dem Vorschlag Konkretisierungen vorgenommen und dabei die Bedenken des Bundesrates berücksichtigt werden.
- 2. In Bezug auf die von der Kommission vorgeschlagene weitreichende Umgestaltung des Europasses gibt der Bundesrat zu bedenken, dass der bisherige Europass nicht mit zusätzlichen Instrumenten und Zielsetzungen überfrachtet werden darf. Der Europass muss seine bisherige Stärke, grenzüberschreitend erworbene Qualifikationen und Kompetenzen zu dokumentieren, beibehalten. Eine Umwandlung des Europasses in Richtung eines Anerkennungsinstruments lehnt der Bundesrat ab. Auch angesichts der Tatsache, dass der Europass in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedliche Akzeptanz findet, sollte davon abgesehen werden, unter dem Markennamen "Europass" neue Instrumente zu schaffen, deren Mehrwert nicht dargelegt wurde, zumal auch im Vorfeld des Vorhabens weder eine Folgenabschätzung noch eine öffentliche Konsultation durchgeführt wurden.
- 3. Bezüglich des Aufbaus einer Informationsplattform unter der Marke "Europass" gibt der Bundesrat zu bedenken, dass die Datensammlung einen Mehrwert aufweisen muss. Er hinterfragt, ob die Daten durch die Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellt werden sollen, und gibt zu bedenken, dass in diesem Zusammenhang keine weiteren Berichtspflichten gegenüber der EU entstehen dürfen. Zugleich hegt der Bundesrat Bedenken, was die automatisierte Sammlung von Informationen aus den Mitgliedstaaten durch Webcrawling anbelangt. Er weist darauf hin, dass die Informationen qualitativ hochwertig und verlässlich sein müssen.
- 4. Der Bundesrat sieht die geplante Verknüpfung der europäischen Klassifizierung für Fähigkeiten/Kompetenzen, Qualifikationen und Berufe (ESCO) mit dem Europass sowie die endgültige Verankerung und Etablierung der Terminologie in einem Rechtsdokument im Bildungsbereich mit Sorge. Insbesondere lehnt er die Zugrundelegung von ESCO als Bezugsterminologie ab:
- - Er weist darauf hin, dass ESCO sich noch im Projektstadium befindet und die Funktionsfähigkeit sowie der Mehrwert des Instruments nicht abzusehen sind (siehe auch Ziffer 8 der BR-Drucksache 317/16(B) ). ESCO stellt darüber hinaus ein Kommissionsprojekt dar, das von den Mitgliedstaaten bislang noch nicht gebilligt worden ist. - Zudem kann eine verpflichtende Verwendung der ESCO-Terminologie zu Eingriffen in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und der Hochschulen führen, was der Bundesrat ablehnt. Er erinnert in diesem Zusammenhang daran, dass die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zu beachten ist und weist auf die in Artikel 165 und 166 AEUV eng gesteckten Kompetenzen der EU hin.
- - Der Bundesrat gibt zudem zu bedenken, dass ESCO als Bezugsterminologie umfangreiche Anpassungsmaßnahmen erfordern würde, die nicht nur einen hohen Aufwand erzeugen, sondern auch die Kompatibilität mit den Instrumenten des 48 Teilnahmestaaten umfassenden Europäischen Hochschulraums beeinträchtigen könnten. Dies gilt insbesondere für die potentielle Verwendung der ESCO-Terminologie im Diplomzusatz (Diploma Supplement). Angesichts der Verantwortung von UNESCO und Europarat für den Diplomzusatz könnte eine Umgestaltung dieses Instruments nicht losgelöst von diesen Institutionen und Prozessen internationaler Zusammenarbeit stattfinden . Außerdem sind die laufenden Überarbeitungen des Diplomzusatzes abzuwarten.
- - Zudem weist der Bundesrat darauf hin, dass die kleinteilige Struktur von ESCO mit einem nicht modularisierten System, wie es in Deutschland mit dem ganzheitlichen Bildungskonzept in der allgemeinen und beruflichen Bildung zu finden ist, schwer vereinbar erscheint.
- 5. Der Kommissionsvorschlag vermittelt den Eindruck, dass die Errichtung einer nationalen Kompetenz-Koordinierungsstelle unter Zusammenlegung der nationalen Europass- und Euroguidance-Zentren sowie der nationalen Koordinierungsstellen zur Umsetzung des Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR) beabsichtigt ist. Der Bundesrat unterstreicht in diesem Zusammenhang abermals, dass die nationale Durchführung und Verwaltung in der alleinigen Kompetenz der Mitgliedstaaten liegen und in Deutschland auch an den föderalen Strukturen ausgerichtet sein muss. Daher kann die Errichtung einer solchen zentralen Stelle nicht seitens der EU vorgegeben werden (so bereits Ziffer 27 der BR-Drucksache 767/11(B) und Ziffer 3 der BR-Drucksache 317/16(B) ). Er betont zudem die Notwendigkeit der unterschiedlichen nationalen Kontaktstellen zur Koordinierung und Implementierung der jeweiligen Instrumente aufgrund unterschiedlicher Herausforderungen und Zielgruppen.
- 6. Im Hinblick auf die Europass-Qualifikationserläuterungen weist der Bundesrat auf die etablierten Vorgaben für den Europass-Diplomzusatz für den Hochschulbereich und die Europass-Zeugniserläuterungen für den Bereich der beruflichen Bildung hin und plädiert für die Beibehaltung der bestehenden Instrumente. Er weist darauf hin, dass der Vorschlag für einen neuen Europass-Beschluss Fragen offen lässt, unter anderem ob die Qualifikationserläuterungen auf den allgemeinbildenden Bereich ausgeweitet werden sollen und somit der Kommission bei der Umsetzung des Beschlusses zu weitgehende Spielräume gewährt würden. Aus Sicht des Bundesrates müsste unter anderem auch im neuen Europass-Beschluss klargestellt werden, dass aus den Qualifikationserläuterungen kein Anspruch auf formale Anerkennung erwächst und sie keinen Ersatz für den Original-Befähigungsausweis darstellen. Er hegt zudem Bedenken, dass die Ausweitung der Erläuterungen auf andere Bildungsbereiche zu einer Erhöhung von Verwaltungslasten für die ausstellenden Stellen führen würde. Überdies scheint die Vorgabe, die Qualifikationserläuterungen allein in elektronischer Form auszustellen, zu weitgehend.
- 7. Überdies stellt der Bundesrat fest, dass im Vorschlag unklar bleibt, welche Instrumente zur Bewertung individueller Kompetenzen in Zukunft zur Verfügung gestellt werden und wie diese gestaltet werden sollen. Dies gilt auch für EU-Selbstbewertungsinstrumente und Instrumente zur Bewertung durch Dritte und die Integration von Daten anderer verfügbarer EU-Selbstbewertungsinstrumente wie des Jugendpasses. Er weist darauf hin, dass auch diesbezüglich eine Präzisierung der Rechtsgrundlage für den Europass erforderlich ist.
- 8. Das von der Kommission vorgeschlagene Monitoring im Rahmen des Europasses schließt unter anderem die Organisation von "Peer Reviews" ein. In diesem Zusammenhang weist der Bundesrat erneut darauf hin, dass sich Aktivitäten des Voneinanderlernens auf europäischer Ebene aufgrund der Kompetenzverteilung im Bildungsbereich allein auf einen freiwilligen Austausch beziehen können (siehe unter anderem BR-Drucksache 386/15(B) , Ziffer 14). Er lehnt deshalb die Durchführung von "Peer Reviews" im Bildungsbereich ab. Stattdessen sollte weiterhin an dem in der Praxis bewährten Instrument des "Peer Learning" festgehalten werden.
- 9. Aus Sicht des Bundesrates bleibt unklar, wie die Überarbeitung der Europass-Rechtsgrundlage in Zusammenhang mit der Überarbeitung des EQR und der Rechtsgrundlage von Cedefop steht. Diesbezüglich bittet er um weitere Erläuterungen und verweist hinsichtlich Cedefop zudem auf seine Stellungnahme in BR-Drucksache 475/16(B) . Der Bundesrat weist ferner darauf hin, dass die Überarbeitung der diesbezüglichen Rechtsgrundlagen noch nicht abgeschlossen ist und das Ende dieser Beratungen abgewartet werden sollte, da die einzelnen Rechtsgrundlagen aufeinander Bezug nehmen.
- 10. Der Bundesrat erkennt an, dass der EQR als Instrument der Förderung von Transparenz und Vergleichbarkeit grundsätzlich auch im Rahmen des Europasses einen informatorischen Mehrwert bringen könnte. Er hinterfragt in diesem Zusammenhang jedoch, welche Auswirkung der Verweis auf den EQR in einem bindenden Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates haben würde. Der EQR selbst basiert auf einer rechtlich nicht bindenden Empfehlung. Durch Bezugnahmen in bindenden Rechtstexten darf nicht mittelbar der auf freiwilliger Grundlage ablaufende Kooperationsprozess bei der Arbeit am EQR verpflichtend gestaltet werden.
- 11. Der Bundesrat übermittelt diese Stellungnahme direkt an die Kommission.