906. Sitzung des Bundesrates am 1. Februar 2013
A
Der federführende Ausschuss für Fragen der Europäischen Union (EU), der Rechtsausschuss (R) und der Verkehrsausschuss (Vk) empfehlen dem Bundesrat, zu der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG wie folgt Stellung zu nehmen:
- 1. Der Bundesrat unterstützt das Ziel der Kommission, durch die Verbesserung der auf nationaler und europäischer Ebene bestehenden Systeme einen Beitrag zur Verringerung der Zahl der Flugunfälle und der damit verbundenen Todesopfer zu leisten, indem Ereignisse in der Zivilluftfahrt noch besser als bisher dazu genutzt werden, Sicherheitsmängel zu beheben und zu verhindern, dass sie sich wiederholen.
- 2. Der Bundesrat stellt fest, dass die vorgeschlagenen Organisationslasten von den Luftfahrtunternehmen und Behörden der einzelnen Mitgliedstaaten getragen werden sollen, indem diese nationalen Stellen entsprechende Meldeempfangsstellen, Datenbanken und Analyseverfahren zu etablieren haben (Artikel 6 und 13). Dabei berücksichtigt der Vorschlag jedoch nicht, dass der Aufwand von großen Flug- bzw. Flugsicherungsgesellschaften vermutlich eher geleistet werden kann als von kleinen Flugschulen und Wartungsbetrieben. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, sich bei den weiteren Beratungen auf EU-Ebene für eine weniger bürokratische und damit auch für kleine Luftfahrtunternehmen verträglichere Lösung einzusetzen.
- 3. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, in den Beratungen auf europäischer Ebene auf eine Änderung von Artikel 16 Absatz 3 des Verordnungsvorschlags hinzuwirken.
Nach Artikel 16 Absatz 3 des Verordnungsvorschlags sollen die Mitgliedstaaten auf die Einleitung von Verfahren in Fällen eines nicht vorsätzlichen Verstoßes gegen Rechtsvorschriften, von denen sie lediglich aufgrund einer Meldung gemäß den Artikeln 4 und 5 des Verordnungsvorschlags Kenntnis erlangen, verzichten, sofern nicht ein Fall grober Fahrlässigkeit vorliegt. Ausweislich der Erwägungsgründe 31 und 35 soll die Regelung dazu dienen, eine "Kultur des gerechten Umgangs" zu etablieren. Beschäftigte würden möglicherweise durch die Furcht vor einer strafrechtlich relevanten Selbstbelastung davon abgehalten, Ereignisse zu melden. Mit der Regelung soll sichergestellt werden, dass sie auf der Grundlage der Informationen, die sie gemäß dieser Verordnung übermittelt haben, nicht strafrechtlich verfolgt werden.
Die vorgesehene Regelung ist abzulehnen. Sie widerspricht dem der deutschen Strafprozessordnung zu Grunde liegenden Legalitätsprinzip ( § 152 Absatz 2 StPO). Danach sind die Staatsanwaltschaften verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte bestehen. Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen besteht eine staatsanwaltschaftliche Pflicht zur Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens. Gründe, die vorliegend eine Einschränkung des für das deutsche Strafverfahrensrecht zentralen Legalitätsprinzips rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Weder der Begründung des Verordnungsvorschlags noch den Erwägungsgründen sind in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht Hinweise auf bestehende Defizite zu entnehmen.
Das erklärte Ziel, ein möglichst umfassendes Aufkommen an Ereignismeldungen zu erzielen, kann jedenfalls einen generellen Verzicht auf die strafrechtliche Überprüfung möglicherweise fahrlässigen Verhaltens im Flugverkehr nicht rechtfertigen. Eine entsprechende Meldung des fahrlässig handelnden Bediensteten kann im Übrigen im Rahmen der Entscheidung über eine Einstellung eines Verfahrens bzw. bei der Strafzumessung Berücksichtigung finden.
Es hat daher bei der derzeitigen Regelung in Artikel 8 Absatz 3 der Richtlinie 2003/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juni 2003 über die Meldung von Ereignissen in der Zivilluftfahrt zu verbleiben, die einen Verzicht auf die Einleitung eines Verfahrens unbeschadet der geltenden strafrechtlichen Vorschriften bestimmt. Dann entfällt auch die sich ansonsten aus Artikel 21 des Verordnungsvorschlags ergebende, als sachwidrig zu bezeichnende Pflicht, Strafnormen für Bedienstete der Strafverfolgungsbehörden zu schaffen, die aufgrund einer Meldung gemäß den Artikeln 4 und 5 Ermittlungen wegen einfach fahrlässiger Straftaten von Informanten aufnehmen.
- 4. Der Bundesrat stellt fest, dass für einen Meldebetroffenen die Abgrenzung zwischen grober und sonstiger Fahrlässigkeit in Bezug auf sein Handeln sehr entscheidend ist, weil nach Artikel 16 Absatz 3 nur bei grober Fahrlässigkeit und Vorsatz auf die Einleitung von Verfahren nicht verzichtet werden soll. Nach deutschem Recht setzt grobe Fahrlässigkeit voraus, dass die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt worden ist, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt wurden und nicht beachtet wurde, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Mit diesem Verständnis stimmt die in Artikel 2 Ziffer 4 enthaltene Definition jedoch nicht überein. Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, sich für eine Anpassung der Begriffsdefinition einzusetzen.
- 5. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die in Artikel 11 Absatz 9 enthaltene Befugnisübertragung an die Kommission, erforderlichenfalls per delegierte Rechtsakte die Regeln für die Verbreitung der im Europäischen Zentralspeicher enthaltenen Informationen zu aktualisieren, um die Verbreitung solcher Informationen auszuweiten oder einzuschränken, sich als zu unbestimmt und zu weitgehend erweist. Die Befugniserteilung sollte nach Inhalt, Zweck und Ausmaß präzisiert werden.
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- 6. Der Ausschuss für Innere Angelegenheiten empfiehlt dem Bundesrat, von der Vorlage gemäß §§ 3 und 5 EUZBLG Kenntnis zu nehmen.